III Anhang.
Schreiben an die sel. Frau Prof. Gottschedinn,
aus den vergnügten Abendstunden.

[796] Wolgebohrne Frau,

Große und Vornehme Gönnerinn!


Eure Wolgebohrnen stelleten sich wohl nichts weniger vor, als in diesen Blättern ein Schreiben zu erblikken, wobey der hochmüthige Verfasser die Absicht gehabt, daß es an sie gerichtet seyn sollte.

Sie werden mir diese Freiheit hochgeneigtest erlauben, um so mehr, da ich sagen kann, daß sie selbst diejenige sind, die mir zu dem Hauptinhalte desselben den ersten Anlas gegeben.

Ew. Wolgeb. erzeigten mir die Ehre, wie ich das letztere Mahl das Glück hatte, mich in Dero lehrreichen Gegenwart zu erbauen, mich mit ausdrüklichen Worten unter die NOVATORES der deutschen Rechtschreibung zu zählen. Ich leugne nicht, daß ich von der gemeinen Weise bishero sehr weit abgegangen, und aus den Regeln der neuern Rechtschreiber entweder viele angenommen, oder mir auch selbst besonders welche formiret. Ich leugne aber auch nicht, daß ich mir noch zur Zeit kein besonderes System bauen können, worauf sich meine Rechtschreibung einmal für allemal sicher gründen möchte.

Diejenigen, welche Vorschriften oder Regeln in dieser Sache gegeben, sind gar zu uneinig; der Gebrauch ist durchgehends[797] gar zu unterschieden, und wo ich mich nur hinwende, da treffe ich nichts, als was neues, was abweichendes und was besonderes an. Ich selbst habe noch niemals recht mit mir einig werden können, weil ich in der Art, dieses oder jenes zu schreiben, so wohl Gründe für, als wider mich gefunden.

Wie sehr wäre es zu wünschen, in diesem Stükke unter uns Deutschen, so viel als möglich, eine algemeine Gleichförmigkeit hergestellet zu sehen? Es würde dadurch die Sache nicht nur für Ausländer, die unsere Sprache lernen müssen, sondern auch selbst für die Bürger unsers Vaterlandes, wenigstens fürs Frauenzimmer und für Ungelehrte, um ein merkliches erleichtert werden.

An einer Gleichförmigkeit aber zu arbeiten, kann meines Erachtens nicht füglicher geschehen, als wenn man sich bemühet, solche Regeln zu sezzen, wogegen sich am wenigsten einwenden lässet; der Ausnahmen immer weniger zu machen, und übrigens die Fälle, so viel als sich thun lässet, genau zu bestimmen; wo einer Abweichung von der Regel Raum gegeben wer den mus.

Ew. Wolgebohrnen haben mich nunmehro bewogen, mein orthographisches Glaubensbekäntniß abzulegen. Ich werde es zu Papire bringen, und vermöge der Erlaubnis, die in dem ersten Blate dieser nüzlichen und wohlangewendeten Abendstunden einem jeden ertheilet worden, solches dem Verleger übergeben, daß er es durch den Druck gemein machen möge.

Ew. Wolgebohrnen unterwerfe ich solches zur öffentlichen Prüfung, nicht etwa einen unnüzzen und hartnäkkigen Federkrieg darüber anzufangen: denn meinethalben mag die ganze Welt schreiben, wie sie wil! sondern mir und dem ganzen Publico, so weit diese Blätter kommen, Gelegenheit zu verschaffen, das Urtheil einer Person zu erfahren, die weniger Ehrgeiz besizzet, als nur bloß Wiz und Gelehrsamkeit bei einer Sache zu zeigen, die nicht verdienet, mit lauter künstlichen und sinnreichen Einwürfen traktiret zu werden.[798]

Ich weis wohl, daß man die Mühe um die Orthographie als eine Kleinigkeit ausschreiet, und diejenigen auf der verächtlichen und lächerlichen Seite vorzustellen suchet, die sich mit diesem Kapitel der Sprachkunst beschäfftigen. Noch dieser Tagen sind mir dergleichen hochmüthige Ausflüsse eines verstopfeten oder vielmehr verunreinigten Gehirnes zu Gesichte gekommen, durch die Feder eines Mannes, der da verlanget, daß man von ihm glauben sol, er sey ein Deutscher.

Wir wollen ihm und Konsorten, weil Unterricht bei eingenommenen Leuten nichts verschläget, zugeben, daß es Kleinigkeiten sind. Ich hoffe nicht, daß Ew. Wolgebohrnen sich an ein Urtheil, das weit kleiner ist, als die Sache, die es betrifft, im geringsten stossen werden. Wanneher ist es Ihnen Schande gewesen, auch in Kleinigkeiten gros zu seyn?

Erwarten sie keine SYLLOGISMOS von mir, Ew. Wolhgeb. zu überzeugen, daß sie schuldig sind, meinem Bitten Gehör zu geben! Dieses könte nicht geschehen, ohne Dero Lob zu berühren. Dero Bescheidenheit drohet mir mit Unwillen, und Dero Lob überlasse ich fürstlichen Personen. Denken Ew. Wolgebohrnen nur an den Namen einer großen Gottschedin, so haben sie Bewegungsgründe genug, ohne Bedenken einen Beruf zu übernehmen, wodurch auch andere in den Stand gesezzet werden können, mit Dero Pfunde zu wuchern.

Die Vorsicht, welche Ew. Wolgebohrnen mit so vieler Tugend, mit so vielen Wissenschafften, Sprachen und andern herrlichen Vorzügen ausgerüstet, segne die Blüte Dero jugendlichen Alters, und lasse sie zu Nuzzen der Welt bis auf die spätesten Zeiten nicht nur eine seltene und erhabene Zierde ihres Geschlechtes, sondern auch eine Lehrerin des unserigen seyn. Ich verharre mit wahrhaftester Verehrung,


Ew. Wolgebohrnen

gehorsamster Knecht.


Antwort der Frau L.A.V. Gottschedinn.
Anmerkungen, über die eben daselbst befindlichen Abhandlungen von der Rechtschreibung[799] 1.

Eure H. haben sich entschlossen, in den erfurtischen Abendstunden einen Brief an mich einzurücken, in welchem sie mich zur Beurtheilung ihrer orthographischen Regeln aufruffen. Ich kann in der That nicht begreifen, was sie zu diesem Entschlusse bewogen hat. Unter so mancherley Gestalten ich auch der Welt, durch, oder ohne mein Verschulden, bekannt seyn mag: so ist es, meines Wissens, doch niemals unter einer grammatikalischen geschehen. Es ist, deucht mich, genug, wenn ein Frauenzimmer, das, was sie schreibt, richtig zu buchstabiren weis: und ich habe oft mit Betrübniß gesehen, daß der Himmel diese Gabe, so wenig allen dero Mitbrüdern, als allen meinen Mitschwestern, ertheilet hat. Allein, von einem Frauenzimmer Rechenschaft ihrer Rechtschreibung zu fodern; ja sie so gar zur Richterinn einer neuen Orthographie zu machen: das ist, meines Erachtens, zu viel gefodert.

Jedoch, manche Leute gehen noch weiter, und meynen, die ganze Sache sey eine Kleinigkeit. Haben sie dieses aus philosophischer Vorsichtigkeit gethan, um den eiteln Stolz zu dämpfen, den das angetragene richterliche Amt, etwan in mir erwecken könnte, und mich zu diesem Unternehmen desto herzhafter zu machen: so lobe ich ihre Klugheit; und versichere sie, zu ihrer Beruhigung, daß sie ihren Zweck, in Absicht auf das erste, erreichet haben. Sonst aber, halte ich es noch diese Stunde für etwas sehr schweres, eine Orthographie zu schreiben; zumal itzo, da ein jeder sich, so zu[800] reden, eine eigene Leib- und Hausorthographie machet, und ohne, daß er eben anderer Gründe geprüfet hat, die Sache dennoch besser wissen will, als die Vorgänger; und dieses bloß, um das Vergnügen zu haben, etwas neues auf die Bahne zu bringen. E.H. sehen wohl, daß ich nicht dieser Meynung seyn kann. Eine Wissenschaft oder Kunst, sie scheine so geringe zu seyn, als sie wolle, auf feste Regeln zu setzen, das ist keine Kleinigkeit; sondern ein wichtiges Werk, im Absehen auf alle diejenigen, denen durch eine solche Vorarbeitung unsäglich viel Mühe und Ungewißheit ersparet wird. Die Rechtschreibung aber ist eine Wissenschaft, ohne die man heute zu Tage auch fast nicht einmal ein elender Scribent seyn kann. E.H. sind viel zu scharfsinnig, als daß ich nöthig hätte, mein ERGO weiter auszuführen.

Alle Kleinigkeiten sind einmal groß gewesen. Wer ist Bürge dafür, daß sie nicht wieder einmal wichtig werden können? Zu König Alfreds Zeiten, war in ganz England kein Mensch, der diesen jungen Herrn konnte buchstabiren lehren, und man mußte einen eigenen Grimbald, mit großen Kosten, übers Meer kommen lassen: dem man neben dem Vortrage des A B C, nichts minders aufzutragen wußte, als die Regierung des Landes. Damals hatte die Barbarey die erwünschte Wirkung für die Herren ORBILIOS: daß, wenn ein Grammaticus durch ein Land zog, es nicht anders war, als wenn ein Lykurg, Solon oder Numa ankäme, das menschliche Geschlecht durch neue Gesetze glücklich zu machen.

Dem sey wie ihm wolle: gewissen Leuten gelingt es, durch Kleinigkeiten groß zu werden: und wer weis, ob nicht auch mir dieser selige Weg noch offen steht; da es sonst auf keine Art recht fort will. Nur das richterliche Amt verbitte ich auf das äußerste. Mein Geschlecht und meine Fähigkeit schließen mich gleich stark davon aus: und wir leben ohnedieß in einer Zeit, wo man keinem Ausspruche gehäßiger ist, als dem entscheidenden Machtspruche: so soll es seyn![801]

E.H. haben daher alles, was ich bey Gelegenheit ihrer Rechtschreibung sagen werde, für nichts anders anzusehen, als für eine Probe, was etwa dem Vorwitze, oder auch der bloßen Erfahrung, dabey einfallen könnte. Ich werde aber nichts sagen, was ich dem allgemeinen Frieden, den ich mit der ganzen Welt zu halten wünsche, so sehr vorziehen sollte, daß ich mich in den geringsten Krieg darüber einlassen würde. In dem kleinen Pfunde, das mir der Himmel verliehen, ist nicht ein Quentchen von derjenigen Halsstarrigkeit befindlich, die zur orthographischen Märtyrerkrone erfodert wird. Ich lebe in Obersachsen, und gehe alle Abende mit dem ruhigsten Gewissen von der Welt zu Bette, ungeachtet ich den ganzen Tag das s vor den Mitlautern, wie ein sch ausgesprochen, und schtehlen, schterben, schprechen, schtampfen, u.s.w. gesaget habe. Lebte ich in Niedersachsen; so würde ich freylich das Vergnügen der innern Ueberzeugung genießen, wenn ich das s scharf aussprechen dörfte. Allein, daß ich dieses Vergnügen auch allemal der Furcht ein Sonderling zu seyn, nachsetze, das würde ich damit beweisen: daß ich an eben dem Orte, ohne alles Bedenken, mit andern auch sagen würde, der Swerdtfegerjunge hat dem Sneider ein Fenster eingesmissen und ihn einen Slingel geheißen; ungeachtet diese Aussprache gewiß falsch ist.

Was will ich nun mit allem diesem sagen? nichts mehr, als daß ich, in meinem Leben, mich allemal befleißigen werde, so zu buchstabiren, wie ich es bey den besten Schriftstellern finde; das heißt, bey denen ich den meisten Grund ihrer Rechtschreibung zu finden glaube. Ich werde also weder den Cajus, noch den Sempronius, zu meinem Götzen machen; sondern in einem Worte, wie jener, in einem andern, wie dieser, schreiben: auch wohl beyde verlassen, wenn ich in der Rechtschreibung eines dritten mehrern Grund sehe. Allein, eine Rechtschreibung für die Deutschen überhaupt zu schreiben, das würde mir nicht in den Sinn kommen; gesetzt,[802] daß ich die allein selig machende Orthographie unstreitig ausgefunden hätte, und dieses so deutlich beweisen könnte, als daß 2mal 2, 4 ist. Ich werde andere Schriften, die anders buchstabiret sind, als ich es für recht halte, mit aller Unparteylichkeit lesen: eines gewissen Gelehrten, ( D. Baumgartens) Werke aber, lebenslang ungelesen lassen; indem seine Rechtschreibung mit seiner sonst großen Gelehrsamkeit, ein offenbarer Widerspruch ist. Jedoch werde ich deswegen nicht das mindeste von derjenigen Hochachtung verlieren, die ich seinen Verdiensten schuldig bin.

E.H. sehen wohl, daß ich aus eben diesen Gründen, mich der Entscheidung enthalten muß, die sie mir aufzutragen beliebet haben. Sie wagen es, eine Rechtschreibung für die Deutschen zu schreiben. Sie wer den erfahren, ob man selbige so gelassen annehmen wird: und damit sie je eher je lieber davon eine Probe erhalten mögen; so will ich, mit dero Erlaubniß, die erste seyn, die in den allerwenigsten Stücken mit ihnen zufrieden ist.

Bey dem ersten § des ersten Artikels finde ich den Satz, daß alle Niedersachsen das Hochdeutsche gleich aussprechen. Wenn dieses auch wäre: so wäre es darum noch nicht ausgemachet, daß sie es auch besser aussprächen. Das wäre ein anders, ob nicht ein Niedersachs, der 15, 20 und mehr Jahre in Obersachsen gelebet hat, das Hochdeutsche besser, als ein gebohrner Obersachs, sprechen würde? Daß aber diejenigen Niedersachsen, die wenig oder gar nicht aus ihrem Lande gekommen, das Hochdeutsche besser aussprechen sollten, als die eingebohrnen Obersachsen selbst, das ist ein Satz, dazu ein ziemlicher Köhlerglaube gehöret. Allein, daß auch nur alle Niedersachsen das Hochdeutsche gleich gut aussprechen, solches ist, nach der Erfahrung, die man in Obersachsen davon hat, schwerlich zu beweisen. Niedersachsen hat sowohl, als Oberdeutschland, in jeder Landschaft, eine besondere Aussprache; wenigstens in vielen Wörtern: und es wird uns hier eben so leicht, in einer Gesellschaft, bloß nach[803] der Aussprache zu urtheilen: der ist ein Hanoveraner, der ein Holsteiner, dieser ein Braunschweiger, dieser ein Mecklenburger, jener ein Westphal, jener ein Pommer u.s.w. als, es ihnen allerseits anzuhören, daß sie Niedersachsen sind.

Das Ende dieses § scheint mir dem Anfange desselben ins Gesichte zu widersprechen. Es heißt oben: man soll so schreiben, wie man ausspricht; hier aber: man soll keinen Buchstaben weglassen, der in der Aussprache auch gleich nicht gehöret wird. Muß ich nämlich alsdann nicht auch das schreiben, was ich nicht ausspreche?

Dieser Widerspruch zeuget sogleich einen Sohn, der dem Vater gleiches mit gleichem vergilt, und ihn eben so Lügen strafet, als er es dem seinigen gethan. Es heißt im 2 §: alle überflüßige Buchstaben, die im Reden nicht gehöret werden, müssen im Schreiben wegbleiben. Hiebey habe ich nur ein Paar kleine Fragen zu thun: Wo bleibt die Analogie? wo die Etymologie? Wollen wir so undankbar seyn, und sie für nichts rechnen? sie? denen wir gleichwohl den Verstand der Wörter, ja oftmals wichtige Entdeckungen zu danken haben? Eben das schiebe ich E.H. bey den folgenden Worten ins Gewissen: Was man mit einem Buchstaben verrichten kann, dazu soll man nicht zween nehmen. Wie? wenn die Etymologie widerspricht? wo wollen sie Schutz wider dieselbe finden? Wenn ich z.E. hier täglich höre, ich globe (für ich glaube) die Kleeder, die Steene, die Beene, (für Kleider, Steine, Beine;) sollte ich auch so schreiben? Sie wollen ferner Lam und nicht Lamm geschrieben haben. Ich wäre es gern zufrieden; wenn nur der PLURALIS auch Lämer hätte, und nicht Lämmer. Da es aber in AUGMENTO VOCIS, (wie wir GRAMMATICI reden) Lammes und Lämmer hat: so muß es auch nothwendig schon im NOMINATIVO SINGULARI ein doppelt m haben: nicht nur zur Verlängerung des VOCALIS: denn die deutschen Selbstlauter sind schon an sich selbst lang, wenn kein doppelter CONSONANS folget; sondern nach der obigen Regel, daß ich[804] schreiben soll, was ich in der Aussprache höre. Nun höre ich in dem Worte Lamm was anders, als Lam, z.E. ein lames Lamm. Es kömmt auch das verdoppelte m nicht zum Zeichen des GENITIVI; denn das Zeichen des GENITIVI ist die bloße Syllbe es: sondern weil es keinen stummen Buchstaben gewinnen kann, der nicht schon im NOMINATIVO gewesen, z.E. von Mann, Mannes, von Weib, Weibes, von Mensch, des Menschen, von Herr, des Herrn, und so mit allen, sonder Ausnahme.

Ganz anders ist es mit dem Worte Ambt, oder Ampt, vom alten Ambacht, welches einen Diener, oder eine Bedienung bedeutete: denn, hat man schon die Syllbe acht weglassen können; so mag das b sich auch abführen. Nur daß es deswegen wegbleiben sollte, weil der zehnte die Etymologie des Worts nicht weis, das klingt unbarmherzig! Eben aus der Orthographie müssen die neun übrigen die rechte Sippschaft der Wörter lernen. Daß z.E. der Aermel von Arm, Aeltern von alt, der Vätter von Vater, die Wälschen, von Wallen, Wahlen, Wallonen, Wallonischen, Wällischen, herkommen, das zeiget das ä an, womit man sie schreibt. In diesem Stücke eben zünden einem die alten Handschriften oftmals ein Licht an, daß man den Ursprung der Wörter einsieht, davon man oft gar keine Ableitung erforschen können. So findet man in alten MStIS des XIV Jahrhunderts, das Wort Becher mit dem ä geschrieben; denn es kömmt vom Bache, daraus man ehedem mit einem Bächer geschöpft, und, wie Opitz sagt, Bach getrunken. Was in eben diesem Absatze, von den Wörtern am und an gesaget wird, das muß ganz allein von Niedersachsen gelten: denn alle Thüringer, Schlesier und Meißner sagen ahn, wie gethan, die Bahne, der Wahn. Ja die Schlesier sagen gar, ich bihn; weil bin nur ein einfaches n hat. Kann aber muß eben darum ein doppeltes n haben, weil das a einen ganz kurzen und scharfen Ton hat: zu geschweigen, daß können ausdrücklich eine Verdoppelung erfodert.[805] Jedoch, was suche ich eine Sache von neuem zu beweisen, die in der kritischen Beyträge, 2 B.a.d. 669 S. bereits gegen allen Widerspruch gerettet ist, auch seitdem von allen Sprachkennern beobachtet worden.

Bey der vierten Num. dieses §. erschrecke ich über einen unerhörten Fremdling, der so ausländisch aussieht, daß ich fast zweifele, ob er mit zu unserer Welt gehöret. Sie merken vieleicht, daß es der Kontext ist; jedoch ich werde weiter unten, von ihm und seinen Landsleuten, ein Wort mit E.H. sprechen.

Von der 5ten Num. gilt eben das, was von der zweyten galt. Muß man sollen und nicht sohlen sprechen; so muß man auch soll und nicht sol schreiben: so wie oben Lamm und nicht Lam. Die Verlängerung verdoppelt die CONSONANTES nicht, und wo einerley Ursache ist, da muß auch einerley Schrift seyn. Die Tonne klingt ganz anders, als die Tone.

Bey der 6ten Num. kann allerdings aller Barden und Druiden Beyspiel das ff im Worte auf nicht nothwendig machen. Au ist ein langer Doppellaut, und macht die Syllbe schon an sich selbst lang genug: welches meines Erachtens, die wahre Ursache ist, so hier hätte angegeben werden können.

Bey der 3ten Regel bitte ich mir nur eine Erklärung aus, von welchem Lande E.H. reden? Alle Provinzen verschlucken andere Buchstaben. Auch die Herren Niedersachsen habe ich oft ganze Syllben verschlucken hören, und sie sind ihnen ganz wohl bekommen. Aber dagegen verlängern sie auch bisweilen die Wörter mit ganzen Syllben. Z.E. ein Westphal saget für Menschen, Mensechen, u.s.w.

Die Anmerkung, daß man Fra und nicht Fraw, schreiben soll, zeigt die schönen Früchte von der Folge der Aussprache: und mir kömmt dieß Wort eben so vor, wie die schlesische Mahme für Muhme. Diese schreiben unfehlbar auch, wie sie sprechen; aber ist es recht? Jener Bayer saget: Ich schraib wie ich sprich. EUGE, BELLE, BENE! Es fraget sich nur, ob[806] man recht spricht? und aus welcher Landschaft man ist? Jedoch es ist hoffentlich ein Spaß, und für mich ein Beweis: daß die werthesten Herren Niedersachsen, nicht nur Buchstaben, sondern gar VOCALES verschlucken: denn Fra und Fraenzimmer, sagt kein Obersachs, auch kein Oberdeutscher.

Bey der 2ten Num. dieses §. ist es gewiß, daß die Abkürzung Ew. von den Alten auf uns gekommen ist; nicht aber, daß diese Alten das w für ein u geschrieben. Sie brauchten es für ein u und v zugleich. So findet man in alten MSTIS euver, Treuve. Sie sprachen es auch so aus, und von ihnen kömmt es her, daß die Engländer das W DUBBEL U nennen, und es auch so aussprechen. Die Anrede ihre Excellenz, ihre Magnificenz, für Eure Excellenz, Eure Magnif. ist falsch; und wenn es auch alle Ober- und Niedersachsen so schrieben. Sie schreiben es aber nicht so: und ich berufe mich auf die besten Schriftsteller, in beyden Theilen unsers Deutschlandes. Die Kanzeleyen der großen Herren, haben immer Eu. Liebden, Eure Gnaden, Eure Durchl. Eure Majestät, wie ich selbst dergleichen Schreiben von Nieder- und Obersächsischen Höfen gesehen. Und wenn ja einige Schreiber aus Unwissenheit, oder aus übel angebrachter Höflichkeit, Ihre dafür setzen, so beweist es doch nichts mehr, als wenn einige Niedersachsen sagen: ich komme zu dich; oder einige Obersachsen, ich bitte ihnen, ich komme zu sie. Die dritte Person kann nicht eher die andere werden, als bis man 1. 3. 2. zählen wird. Zu geschweigen, daß das Ihre bey einer Mannsperson einen Misverstand machet; indem ihre Majestät, unstreitig der Königinn Maj. bedeuten muß.

In dem 2 §. ist die Anmerkung allerdings richtig, daß man gegenwärtig, von Gegenwart, bändigen, von Band, u.s.w. schreiben soll: allein, wer hier die Etymologie verehret, der hätte es auch oben, bey der 2ten Num. thun sollen. Bey der Anmerkung aber, kömmt schließen nicht von Schluß her, und genießen nicht von Genuß; sonsten[807] müßte es schlüssen, genüssen, heißen: sondern weil es ein VERBUM IRREGULARE ist, das im SUPINO en hat. Diese VERBA verändern die VOCALES, wie alle Beyspiele zeigen. Z.E. ich spreche, ich sprach, sprich, gesprochen, der Spruch. Ich nehme, ich nahm, nimm, genommen. So auch ich schließe, ich schloß, schleuß, geschlossen, der Schluß. Betrug ist auch nicht die RADIX von betrügen; sondern der IMPERATIVUS, treug.

Bey dem 3 §. ist noch ein Zweifel unbeantwortet gelassen, ob man nämlich Fürstlich oder fürstlich, Hannöverisch oder hannöverisch, schreiben soll? Das letzte scheint mir den Vorzug zu verdienen; weil man auch englisch, himmlisch und göttlich, als bloße Beywörter, klein schreibt.

Bey dem 6ten §. versichere ich E.H. daß unser y ganz gewiß ein deutscher und sehr nothwendiger Buchstab, oder vielmehr DIPHTHONGUS, sey; ungeachtet ich es, weder ein geschwänztes i, noch ein Endigungs i nennen kann. Es ist ein i und j auf einmal. So haben es die Alten gebrauchet; so finden wir es in den ältesten Mspten, und so brauchen es noch die Engländer und Holländer, wenn sie es wie ei aussprechen. Denn eben so, wie oben das w aus u und v zusammengesetzet war; so ist auch dieser Buchstab aus i und j zusammengesetzet. Dieß ist leicht mit einem Exempel aus dem ältesten deutschen Dialekte, den wir noch kennen, ich meyne aus dem gothischen, zu beweisen. Wir schreiben das Wort freyen, einen Freyer mit einem y, und das zwar recht. Die Ableitung des Wortes kömmet aus dem gothischen frijan, lieben, davon auch Frijond, ein Freund, oder Liebhaber des andern, kömmt. Im 6ten Cap. des Evang. Lucä im 27 v. heißt es: FRIJOD THANS HATANDANS IZVIS, DILIGITE INIMICOS VESTROS, freyet, (d.i. liebet) die euch Hassenden. Davon ist die Göttinn der Liebe Freya, imgleichen der ihr geweihte Freytag, DIES VENERIS, hergenommen; und wir müssen also alle diese Worte mit einem y schreiben. Das Ypsilon der Griechen hat hier nichts zu thun: und man hat unser deutsches y nur[808] darum dazu genommen, weil wir sonst keine andere Figur dazu hatten, man müßte denn das ü dazu brauchen. An sich selbst ist es ein deutscher Buchstab, ja besser ein Doppellaut, der halb ein Vocal, halb ein Consonant ist, z.E. Eya, klingt nicht anders, Ei ja: und so in andern; ob es wohl hernach bisweilen gelinder ausgesprochen worden.

Zum Beweise, daß die Alten das y wirklich an denen Orten gebrauchet, wo es die Stelle von ei vertreten sollte, will ich Eur. H. ein kurzes Exempel aus einer Handschrift, von der hochfürstlichen Gothaischen Bibliothek, anführen; welche ich, in gewisser anderer Absicht, mir seit einiger Zeit bekannt machen müssen. Es ist der Friegedang, oder Freydank, und die Stelle heißt so:


Wo ein Dorf ist one eyt

Do weis ich das es öde lyt

Niemand mag zu langer Zeit

Große Ere haben one lyt u.s.w.


Ich kann auch nicht läugnen, daß ich das y für einen wahren Zierrath unserer Schriften halte. Ein Wort, das sich mit einem i schließt, das kömmt mir wie ein verächtlich kleines Städtchen vor, so Tag und Nacht offen steht. Es wäre mir also sehr leid, wenn E.H. an diesem guten Buchstaben zu einem andern Herostratus werden sollten. Doch, das wird hoffentlich so bald noch nicht geschehen. Die besten berlinischen, hamburgischen und andern niedersächsischen Schriftsteller, haben es noch nicht verbannet; und das Ansehen, darinn ihr guter Geschmack steht, ist mir Bürge wider meine Furcht.

Nunmehr komme ich an die Herren Ausländer. Mein Gott! welch ein Volk! Konsonant, Kajus, Kurzius, und wenn ich noch einige herbey rufen darf, Knejus, Paterkulus, Lukullus, Szipio, Zizero, Disziplin, Diskretion, konfisziren, korrigiren, u.s.w. Diese und alle ihre unzähligen Mitgesellen, die man in unsere Häuser führen will, scheinen mir verdächtige Leute zu seyn; die sich mit irgend[809] einer heimtückischen Absicht in unsere Schreibstuben einschleichen wollen. Ich habe sie ein wenig genau betrachtet, und mich dünket, sie sind willens, das ungeübte Frauenzimmer zu überraschen; damit es künftig nicht leicht einen Schnitzer hinschreiben könne, aus Unwissenheit, ob das Wort lateinischer oder deutscher Abkunft sey? Scherz bey Seite! als ich diese Wörter zum erstenmal ansah, so dachte ich bey mir selbst: siehe! hier ist mehr denn Zesen! und ich wundere mich, wie E.H. die im Anfange Ihrer Orthographie, einen so löblichen Eifer wider alle diejenigen blicken lassen, die die Reformation zu hoch treiben, und das deutsche Israel verwirren, an den ehrlichen Bruder Johann in dem Mährchen von der Tonne nicht gedacht haben; der mit Vernichtung aller Zierrathe so weit gieng, daß er sich Löcher ins Kleid riß. Ich halte es mit dem Bruder Märten; der blieb hübsch in der Mittelstraße. Diese Schleuse, die E.H. hier eröffnen, wird unsere Muttersprache mit einer Sündfluth seltsam gestalteter Wörter überschwemmen: zu deren geduldigem Anblicke unsere Gesichtsnerven sich fast in andere Falten werden biegen müssen. Die römische Monarchie hat fast 20 Jahrhunderte gestanden, und ihre Sprache ist, auch nach ihrem Verfalle, von den Gelehrten über die 1000 Jahre geredet und geschrieben worden; und sie hat sich immer noch ohne das griechische k behelfen können. Warum wollen Sie denn itzt dieselbe mit einem Schatze bereichern, den niemand von Ihren Händen fodert? und ihr ein Geschenk darbringen, dafür sie sich nicht einmal bedanken kann? indem diejenigen, welche die Schiedsrichter wären, ob sie es brauchen kann, oder nicht, lange verfaulet sind; und ich ihren Nachkommen nicht rathen wollte, dergleichen Gütigkeit anzunehmen. Wie wäre es aber, wenn man auf diesem Wege hübsch fortgienge, und nicht nur das C, als einen lateinischen Gast, in unserer Sprache, sondern auch das x, und ph als einen griechischen, wegjagte; und folglich nicht Kontext, sondern Kontekst, Konveks, Kserkses, Ksanthus, Ksantippe, Ksenofon,[810] Konneksion, Kruzificks, u.s.w. schriebe? Was sagen Sie selbst zu diesem Zigeunergesindel?

Was E.H. bey der 8 Regel setzen, das gehöret für den Sprachlehrer, und kann von dem Orthographo nicht ausgemacht werden: als welcher nicht bestimmet, wie die Wörter heißen und abgeändert werden; sondern nur bloß, wie man die einmal festgesetzten schreiben soll.

Es wird Zeit seyn, daß ich aufhöre, oder der Buchbinder muß meinen Brief eher zu lesen bekommen, als E.H. Finden Sie meine Anmerkungen unnütz und zu weitläuftig, so sind Sie mit mir völlig einerley Meynung. Finden Sie dieselben zu naseweis, so belieben Sie Ihr strenges Herrschaftsrecht an ihnen auszuüben, und sie zu vernichten, ehe sie das Licht der Welt erblicken. Finden Sie sie aber, wider Vermuthen, erträglich, und sind begierig, mehrere zu sehen; so kann ich Ihnen vieleicht künftig auch über die Folgen Ihrer Orthographie meine Gedanken mittheilen.

Eur. H. aber fällen von gegenwärtigen Blättern, welches von obigen drey Urtheilen Sie wollen, so soll mich keines abhalten, allezeit zu seyn. u.s.w.


Ende.

Fußnoten

1 Diese Antwort ist 1748 geschrieben worden, ehe noch meine Sprachkunst ans Licht trat.[811]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 796-812.
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