Das I Hauptstück.
Von Fügung der Geschlechtswörter.

[462] 1 §.


Wenn wir gleich wissen, daß die deutschen Hauptwörter, nach Art der griechischen, Geschlechtswörter zu sich nehmen: so ist doch dieser Gebrauch in gewisse Regeln eingeschränket. Wir wollen dieselben hier deutlich abfassen, und mit Beyspielen erläutern. Diese alle aus andern Schriftstellern aufzusuchen, würde uns voritzo zu weitläuftig fallen: daher wollen wir uns mit täglichen und gemeinen Redensarten behelfen, die einem jeden bekannt seyn werden, der nur halbicht deutsch versteht1.


[462] Die I Regel:


2 §. Das Geschlechtswort muß allezeit in gleichem Geschlechte, gleicher Zahl und Endung mit seinem Hauptworte, Beyworte oder Mittelworte stehen. Z.E.


»Der Hausvater, die Hausmutter und das Gesinde, machen in dem Hause eine kleine Gesellschaft aus: die durch eine gute Einrichtung den er sten Grund zur Wohlfahrt eines Staates leget.« Hier haben wir erstlich den bestimmten Artikel in allen Geschlechtern, in der ersten Endung der einfachen Zahl; imgleichen in dem und den, die sechste und vierte Endung des männlichen; in der aber die dritte des weiblichen Geschlechtes: so dann aber auch von dem unbestimmten Artikel ein, die erste Endung des weiblichen, und die zweyte des männlichen Geschlechtes2.


3 §. Hiervon scheinen nun zwar ein Paar Ausnahmen zu merken zu seyn. 1) Wenn zwischen den Artikel und das Hauptwort, ein ist, oder sonst ein Wort geschaltet wird: so bleibt derselbe im ungewissen Geschlechte: z.E. das ist mein Mann; ob man gleich sonst saget, der Mann; imgleichen das ist meine Frau, wiewohl es heißen sollte, die ist meine Frau. 2) Wenn man viele Wörter, auch aus der mehrern Zahl, zusammen nimmt, so folget darauf doch wohl das ungewisse Geschlecht der einzeln Zahl. Z.E. Kinder und Bücher, das sind insgemein die Erbstücke der Gelehrten. Man kann aber mit Grunde sagen, daß in beyden Fällen dieses das, kein Geschlechtswort, sondern ein Fürwort ist: weil es beydemal ohne ein Hauptwort steht.


[463] Die II Regel:


4 §. Das Geschlechtswort muß allezeit vor dem Nennworte, nicht aber hinter ihm stehen. Dieses lehren alle Beyspiele. Z.E.


Ein Sinn, der Ehre liebt, hat immer was zu schaffen,

Bald schärfet er den Sinn, bald schärfet er die Waffen:

Zwey Dinge machen uns in aller Welt bekannt,

Die Waffen und das Buch; der Degen und Verstand.


Damit will man aber nicht sagen, daß kein ander Wort zwischen das Geschlechtswort und das Hauptwort gesetzet werden könne; denn allerdings stehen öfters ein, oder mehrere Beywörter, oder Mittelwörter darzwischen. Z.E. Besser schreibt:


Die Gott und ihrem Mann getreueste Kalliste etc.


Hier sind zwischen das erste und letzte Wort, fünf andere Wörter geschoben. Doch muß man eben nicht denken, daß darinn eine Schönheit bestünde. Jemehr man nämlich zwischen beyde Wörter einschaltet, desto schlimmer ist es.


5 §. Man muß sich hierbey noch vor einem Fehler hüten, den diejenigen begehen, die vor und nach dem Hauptworte Geschlechtswörter setzen, ja sie wohl noch mit einem Fürworte häufen. Z.E. der Mann, derselbige, der hat mirs gesaget. Scheint nun hier gleich das zuletzt wiederholte, ein Fürwort zu werden: so ist es doch sehr ungeschickt, so zu reden. Etwas eher ließe sich einiger Poeten Art entschuldigen: z.E.


Der Weisheit Lob und Ehr,

Die sterben nimmermehr.


Denn hier ist wirklich das die ein Fürwort: doch sieht man wohl, daß bloß das Syllbenmaaß dieses eingeflicket hat. Es wäre besser gewesen, zu setzen:


Verschwinden nimmermehr, oder

Erlöschen nimmermehr.


[464] Die III Regel:


6 §. Man muß das bestimmte Geschlechtswort mit dem unbestimmten niemals verwechseln. Wo aber dieses oder jenes stehen müsse, das lehret die Benennung selbst. Denn rede ich von einem gewissen bestimmten Dinge, so hat der bestimmte Artikel statt. Z.E. Der Straßburger Thurm, die Erfurter Glocke, das Capitol. Hier würde es nämlich ungeschickt klingen ein, eine, oder ein zu setzen: weil man von einzelnen Dingen redet. Allein, wenn die Sache ungewiß und unbestimmet gelassen wird: so ist es an diesem genug. Z.E. Einem fliehenden Feinde muß man eine goldene Brücke bauen; oder wie der Poet singt:


Eine Quell', ein frisches Gras,

Liebten wir ohn Unterlaß3.


Die IV Regel:


7 §. Wann man viele Hauptwörter hinter einander setzet, so darf man nicht immer die Geschlechtswörter vorsetzen. Z.E.


Geduld und Hoffnung, Zeit und Glück, machen alles möglich. Es würde nämlich sehr langweilig klingen, wenn man hier überall das die, und das, hätte vorsetzen wollen. Doch[465] pflegt man um des Nachdruckes halber, es zuweilen auch zu wiederholen: Z.E. Opitz schreibt:


Den Wankelmuth, den Neid, den Haß, die Weibersinnen.4


Die V Regel:


8 §. Setzet man aber das Geschlechtswort vor das erste von zweyen, oder mehrern Hauptwörtern einerley Geschlechts: so dörfen die folgenden keins bekommen. Z.E.


Der Schmerz und Jammer nehmen täglich zu; die Angst und Noth sind nicht auszusprechen; das Elend und Verderben sind allgemein. Ein zweymaliges der, die, das, würde hier Eckel erwecken: Der Jammer und der Kummer ist nicht auszusprechen. Das Leid und das Elend ist sehr groß5.


Die VI Regel:


9 §. Wann Hauptwörter von verschiedenen Geschlechtern zusammen kommen, und das erste einen Artikel brauchet; so müssen auch alle folgende die ihrigen bekommen. Z.E.


[466] Der Tod, die Hölle, und das ewige Leben, sind die wichtigsten Dinge, die ein Mensch zu betrachten hat. Hier würde es sehr ungereimt klingen, wenn man sagen wollte, der Tod, Hölle, und ewige Leben etc. Noch besser wäre es in gewissen Fällen, das erste Geschlechtswort auch wegzulassen; als: Tod, Sünde, Teufel, Leben und Gnade, das alles hat er in Händen. Wider diese Regel wird aber von vielen, aus Übereilung, sehr verstoßen: die sich oft einbilden, dieselbe gehöre nur für das Französische.


Die VII Regel:


10 §. Die eigenen Namen der Menschen, Län der und Städte brauchen keinen Artikel vor sich. Z.E. Saul hat 1000 geschlagen, David aber 10000.


Man sage also nicht, der Cyrus, der Alexander, der Sokrates, der Cicero, der Virgil: sondern schlechtweg, Cyrus, Virgil; Cäsars, Alexanders Thaten; Cicerons, Virgils Schriften etc. Cäsarn, Alexandern, Aristoteln etc. Nur folgende Fälle sind auszunehmen. 1) Wenn vor das Hauptwort noch ein Beywort kömmt, als: das große Rom; der tapfere Scipio. 2) Wenn die ausländischen Namen keine deutschen Endsyllben annehmen wollen: denn da setzet man sie den übrigen Fallendungen, bloß zur Bezeichnung der Endsyllben vor, z.E. David liebte den Jonathan: Damon flieht die Phyllis; Chloe hasset den Palämon, u.s.w.6. 3) Wenn die eigenen Namen zu gemeinen Nennwörtern werden; allwo der unbestimmte Artikel nöthig wird. Z.E. Du bist ein Herkules, ein Plato, eine Penelope dieser Zeit7.[467]

11 §. Ursprünglich deutsche Namen leiden nun dieselben fast nirgends: und dieser muß man sich in allen Verbindungen, ohne das Geschlechtswort überall bedienen8. Eben so machet man es mit fremden Namen, die sich entweder von selbst in eine deutsche Gestalt schicken, als Abraham, Hannibal, Jacob, Joseph, David, Asdrubal, Hamilkar; oder doch durch Abkürzung einer Syllbe am Ende, eine deutsche Endung annehmen; als Aristotel, Diogen, Epikur, Heraklit, Horaz9. Ganz anders aber geht es mit denen, die sich nicht so willig bezeigen; dahin Baldus, Cotta, Sokrates, Cato, Cicero, Varro, u.d.m. sonderlich aus neuern Sprachen, gehören. Bey diesen muß man denn zu den Geschlechtswörtern seine Zuflucht nehmen, und den Mangel ihrer Endsyllben dadurch ersetzen. Man sehe also in dergleichen Fällen die Namen als unabänderlich (INDECLINABILIA) an; und sage:


Wer?– Balbus,– Cotta,– Phyllis.

Wessen?Des Balbus,des Cotta,der Phyllis.

Wem?Dem Balbus,dem Cotta,der Phyllis.

Wen?Den Balbus,den Cotta,die Phyllis.

O Balbus,o Cotta,o Phyllis.

Von wem?Vom Balbus,vom Cotta,von der Phyllis[468]


Z.E. Balbus sprach zum (d.i. zu dem) Cotta; Cato war dem Cicero gewogen10; Korydon liebte die Phyllis; Amaryllis bekam vom (d.i. von dem) Korydon ein Geschenk11.


[469] Die VIII Regel:


12 §. Die Namen der Völker, der Flüsse, der Berge und Wälder, auch der Thiere, behalten ihr Geschlechtswort. Z.E.


Paulus schreibt an die Römer, Korinther, u.s.w. Cäsar geht über den Rhein; über den Rubicon etc. und Opitz schreibt:


Der Pruth, der Tyras hält den Türken nicht so an,

Als deines Namens Ruhm den Räuber binden kann.


Der Fichtelberg, die Alpen, der Zotenberg, der Ätna, der Vesuv etc. der Schwarzwald, der Harz, die Dübenerheide, u.d.gl. Der Bucephalus war Alexanders, der Rossinant Don Quischotens Leibpferd; der Sultan, der Packan hat es gethan; wenn dieses Hundenamen sind.


[470] Die IX Regel:


13 §. Wenn zwey Hauptwörter zusammen kommen, und das eine in der zweyten Endung voransteht: so verliert das folgende sein Geschlechtswort. Z.E.


Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißt sie nieder. Ein ganz anders wäre es, wenn die erste Endung vorne, und die zweyte hinten zu stehen käme: denn da müßten beyde Artikel bleiben; wo nicht das erste ein eigener Namen wäre. Als z.E. das Aug des Herrn, die Hand des Herrn ist nicht verkürzet, der Grimm eines Löwen, u.d.m. Die erstere Art ist bey den Poeten sehr gewöhnlich: weil sie die Rede verkürzet. Opitz saget:


Des Himmels treue Gunst wird dich mit dem begaben.

Und Rachel:


Um aller Welt Gewinn,

Bringt ihr mir nimmermehr noch eine Schurmanninn.


Die X Regel:


15 §. Das einzige Wort Gott wird, wenn es den wahren Gott andeutet, ohne Geschlechtswort gebrauchet: wenn es aber nur den abgesonderten Begriff der Gottheit, oder falsche Götter anzeiget; so nimmt es auch den Artikel an.


So saget man im ersten Falle insgemein:

Wer? Gott wird mir helfen;

Wessen? Gottes Wille muß doch geschehen;

Wem? Gott will ich trauen;

Wen? Gott will ich lassen rathen;

Von wem? Von Gott will ich nicht lassen.


Aber im andern Falle heißt es: Gott ist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt etc. Es ist der Gott Abrahams[471] Isaaks und Jacobs. Gott ist nicht ein Gott der Todten etc. und Opitz im 113 Ps. singt:


Wo kann ein Herr, wie Er ist, seyn?

Ein Gott, wie unser Gott allein.


Was endlich die Götzen betrifft: so saget man freylich der Seegott Neptun, der Windgott Äolus, der Liebesgott; oder wie Flemming:


Bis der Gott der güldnen Gluten,

Der die braunen Mohren brennt,

In die hesperischen12 Fluthen,

Freygelassnes Zügels rennt.


Die XI Regel:


15 §. Gleichwohl können die Geschlechtswörter auch oft, mit ihrem letzten Buchstaben, an gewisse Vorwörter auch Beywörter angehenket werden.


So wird z.E. von an das, ans; aus bey dem, beym; aus von dem, vom; zu der, zur; zu dem, zum; hinterdem, hinterm; unter dem, unterm; u.d.gl. S. oben, a.d. 166 S. den 7 §. Eben so saget man: laß dein Herz guter Dinge seyn; ein Tag guter Bothschaft; oder wie Flemming im vorigen Exempel, freygelaßnes Zügels; imgleichen Opitz, mit verhangenem Zügel, das ist, mit einem verhangenen Zügel. Voll guter Wissenschaft und unsträfliches Wandels; nicht unsträflichen13.


[472] Die XII Regel:


16 §. Wenn Fürwörter vor ein Hauptwort zu stehen kommen, fallen die Geschlechtswörter gemeiniglich weg. Z.E. So singt Dach:


Mein Churfürst, sagt man mir durch gründlichen Bericht,

Erkennt, ob ich ein Lied geschrieben oder nicht?


Dein Freund, sein Bruder, unser Haus, euer Feld, ihr Land, u.d.m. Hierinn geht das Deutsche vom Griechischen ab; als welches auch bey den Fürwörtern den Artikel behält,ἡ βασιλεια σου; dafür es bey uns heißt, dein Reich. Die Alten sagen auch so: der liebe Vater mein. Eben so gilt diese Regel von den Fürwörtern, derselbe und derjenige, welcher, solcher, kein, etliche, wenige, alle, u.d.m. Die Exempel sind leicht zu finden14.


17 §. Bey diesen zwölf Regeln kann man es hier bewenden lassen; wenn man nur noch die Warnung hinzusetzet: daß man sich hüten muß, daß die Wörter der, die, das, und einer, eine, eines, nicht gar zu oft in einem Satze wiederkommen; damit kein Übelklang daraus erwachse. Denn weil das Fürwort der, die, das, theils für sich, theils für das Beziehungswort welcher, vorzukommen pflegt; das einer, eine, eins, aber auch eine Zahl bedeuten kann: so kann leicht eine Verwirrung entstehen. Man helfe sich also im ersten[473] Falle, durch die Abwechselung, mit welcher und so: im andern aber mit einer geschickten Veränderung, Auslassung, Versetzung oder Einschaltung des Wortes einziger, wenn es eine Zahl seyn soll.


18 §. Fast von allen diesen Fällen ein Beyspiel zu geben, mag folgendes von Opitzen dienen:


Wir haben in die Schlacht

Den Donner selbst geholt, und etwas aufgebracht,

So Glut und Eisen speyt; vor dem die Mauren fallen;

Die Thürme Sprünge thun; Gebirg und Thal erschallen;

Die wilde See erschrickt. Der reichen Erde Schlund

Schickt dieses an den Tag, vor dem sein tiefer Grund

Hernach erzittern muß. Wir mischen uns zusammen

Die Elemente selbst; und fodern mit den Flammen

Das blaue Himmeldach; so ganz bestürzet geht,

Wann unsers Pulvers Macht dem Feind entgegen steht,

Und führt ihn in die Luft.


Fußnoten

1 Gewisse Grübler, die meine Lehre von der Wortfügung niederzuschlagen suchen, bedienen sich gerade der lächerlichsten Gründe dazu. Sie sagen: ich gäbe Regeln, die in andern, ja in allen Sprachen auch statt hätten. Allein, ist das ein Fehler? Bleibt denn eine Regel nicht eine Regel, wenn sie in mehreren Sprachen gilt? Oder können denn alle, die das Deutsche grammatisch lernen wollen, auch viel andere Sprachen? Hernach könnte man diesen Einwurf wider die andern Grammatiken auch machen: und so würden gerade die Regeln, die in den meisten Sprachen gelten, aus allen Grammatiken verbannet werden müssen. Welch ein Widersinn! Meine Sprachkunst ist eben so sehr, wo nicht mehr, für die Deutschen, als für die Ausländer geschrieben worden. Solche Tadler wissen also nicht, was sie wollen; wenn sie lauter sonderbare und seltsame Regeln des Deutschen fordern. Meines theils wünschte ich, daß alle Sprachen nach einerley, und übereinstimmenden Regeln geschrieben und gesprochen würden. Dieß einmal für allemal.


2 Hierwider fehlet hier in Meißen die gemeine Redensart, bey einer Haare. Denn da das Haar des ungewissen Geschlechtes ist, so muß es heißen: bey einem Haare. Hier ist also unsere Sprache viel richtiger, als die französische, die sehr oft, um des bloßen Wohlklanges halber, den unrechten Artikel zum Hauptworte füget: z.E. MON AME, TON ELEGIE, SON EXCELLENCE; da es doch MA AME, TA ELEGIE, SA EXCELLENCE heißen sollte.


3 Dagegen hat der Gebrauch nur eine Ausnahme, bey ganzen obrigkeitlichen Versammlungen, Raths- und Gerichtsstuben eingeführet; von denen man, wenn sie gleich bestimmet sind, dennoch nur mit ein zu reden pflegt. Z.E. Ein hochpreisliches geheimtes Consilium; eine hohe Landesregierung; ein hochlöbliches Appellationsgericht; ein hochlöbliches Oberhofgericht, eine löbliche Universität, ein hochweiser, ein edler Rath dieses oder jenes Landes, oder dieser oder jener Stadt. Dieses, sage ich, haben die Herren Kanzellisten und Curialschreiber, der Grammatik zu Trotze, eingeführet. Doch kann man viel besser der, die, das dafür brauchen.


4 Wollte man hier sagen, daß zuweilen auch einzelne Hauptwörter im Anfange ohne Geschlechtswörter gesetzet würden; wie Kanitz seine Rede anfängt: Fürsten sterben zwar eben so etc. so dienet zur Antwort, daß der unbestimmte Artikel in der mehrern Zahl unsichtbar wird; der bestimmte aber, die Fürsten, sich hieher nicht geschickt hätte. So spricht man auch: Menschen sind Menschen; Kinder sind Kinder; oder, Kinder machens nicht anders. Das aber klingt höchst schnitzerhaft, wenn einige Neulinge auch in der einfachen Zahl das Geschlechtswort ersparen wollen. Z.E. Natur gebeut das; Tugend ist liebenswürdig, u.d.gl. Welch deutsches Ohr kann das ertragen?


5 Die Franzosen wiederholen es überall: obgleich Rollin es nur bey gleichviel bedeutenden Redensarten billiget. Bey uns saget man auch: Der Gewinnst und Verlust, der Nutzen und Schaden. Die Zeit und Ewigkeit; das Gold und Silber.


6 Hiervon hat uns schon die deutsche Bibel die Muster gegeben, 1 Sam. im 18 Cap. 20 V. Aber Michal, Sauls Tochter, hatte den David lieb. Und im 26 V. Da sagten seine Knechte dem David solche Worte. Indessen geschieht es freylich nicht überall so richtig: welches man dem Alterthume zu gute hält: aber an neuern, zumal niedersächsischen Schriftstellern, die dadurch oft unverständlich werden, kann mans nicht billigen. Ich mag keine nennen. Doch der Übersetzer der Geschichte des osmannischen Reiches, vom Prinzen Cantemir, welcher der berufene Übersetzer der Werthheimer Bibel, Joh. Lorenz Schmidt gewesen, war ein Frank, und that es auch. Aber wie ekelhaft liest sich das?


7 Doch muß man dieses nicht auf solche Würden erstrecken, die ein Amt, oder einen eingeführten Titel bedeuten; als Kaiser, König, Churfürst, Erzherzog, Erzbischof, Bischof, Graf, Baron, Kanzler, Hofrath, Doctor, Magister, Rector, u.d.gl. Denn alle diese fodern kein Geschlechtswort vor sich. Man saget nämlich viel öfter und besser: Kaiser Franz, König Karl, Churfürst August, Bischof Bruno, Erzbischof Fenelon, Graf Piper, Baron Leibnitz, Kanzler Krell, Doctor Luther, u.s.w. als wenn man das unnöthige der allenthalben vorsetzen wollte; wie einige aus böser Gewohnheit zu thun pflegen.


8 Z.E. Das ist Zieglers Schauplatz: Ich lese Amthorn; Opitzens Gedichte sind geistreich, u.d.gl.m.


9 Flemming schreibt so:

Phyllis schickt (wem?) Silvanen Kränze.

Kanitz aber:

Stamm von Achillen her, von Cäsarn Alexandern.

Neukirch gleichfalls:

So hört man Friedrichen sich um Charlotten quälen.


10 Doch kann man hier die zweyte Endung auch mit der Abkürzung der lateinischen bilden; als Catons Tod, Cicerons Bücher, Varrons Gelehrsamkeit. Das n nämlich schaltet man auch in deutschen Namen, des Wohlklanges wegen, bisweilen ein; als Kanitzens Gedichte, auch Baldens lateinische Poesie.


11 Ein gelehrter Freund in Schlesien hat mir hierbey verschiedene Einwürfe gemachet, und ist der Meynung, fremde Namen müßten immer ihre eigenen Endungen behalten. Es ist hier zu weitläuftig, seine Gründe einzurücken, ohne sie zu entkräften, geschweige denn zu beantworten. Es gehöret auch eigentlich ins Hauptstück, von den Abänderungen der Nennwörter. Man sehe also des Büchersaales VIII Band im Vten Stücke nach, wo es nach der Länge eingerücket und beantwortet worden. Hier merke man nur: 1) daß die Lateiner die griechischen Fallendungen, oder CASUS nicht behalten, sondern nach ihrer Art eingerichtet haben. Der griechische Genitiv ου, ος, wird I, und IS, der griechische Accusativ ην, ον, α, wird EM, UM, EM, u.s.f. Die Griechen macheten es mit den lateinischen Endungen in ihrer Sprache auch so: wie man aus Polyben, Appianen, dem Dionysius von Halikarnaß, und aus Plutarchen sehen kann. Die Deutschen haben also ein Recht, dieses eben sowohl allemal zu thun, wenn es sich schicket. 2) Da die Lateiner sich die Freyheit nahmen, fremde Namen, mit einigen Syllben zu verlängern, bis sie lateinische Endungen bekamen, wie sie aus Hermann, Arminius, aus Ehrenfest, Ariovistus, u.s.w. gemachet; so muß es uns auch frey stehen, die fremden Namen, die nach Art unserer Sprache zu lang sind, zu verkürzen; und z.E. aus Hippokrates, Hippokrat, aus Kleobulus, Kleobul, aus Pomponius, Pompon, aus Cornelius, Cornel, aus Antonius, Anton zu machen u.s.w. So schrieb Lohenstein in der Kleopatra.


Der Götter Rath verkehrt dir die Cypressenreiser,

Des sterbenden Antons, in einen Lorbeerkranz.


Endlich 3) wenn das nicht angeht, so können wir uns der Geschlechtswörter bedienen, die Abfälle oder Endungen anzuzeigen. Z.E. Cicerons, oder des Cicero Beredsamkeit, des Brutus Könighaß; des Cato, oder Catons Großmuth etc. Alle drey Stücke hat eine vieljährige Gewohnheit der neuesten und besten Schriftsteller bereits gerechtfertiget und eingeführet.

Ungeachtet man nun mit diesen Regeln und Ausnahmen in weltlichen Schriften ziemlich auskommen kann: so wollte ich doch nicht rathen, in der Kanzelberedsamkeit vom Gebrauche der deutschen Bibel abzugehen. Da sind wirs nun längst gewohnet, auch die lateinischen Endungen, Matthäi, Marci, Lucä, Johannis, Petri, Pauli u.s.w. ja auch die übrigen Endungen zu hören. Der gemeine Mann würde sich also, an einer solchen Neuerung stoßen; und sie einem geistlichen Redner übelauslegen. Dieser muß also denken: Ich habe es wohl alles Macht, aber etc.


12 Es sollte freylich hespérischen Fluthen heißen. Allein, nach dem Lateine ist das e doch kurz; und Flemming kann sich damit schützen. VENIT HESPERUS, ITE CAPELLÆ. Virg.


13 Imgleichen so: ich versichere dich einer aufrichtigen Liebe, beständigen Treue, und unverrücklichen Ehrfurcht: wo man das r des Geschlechtswortes an das Beywort hängt; ich versichere dich, aufrichtiger Liebe, beständiger Treue, und unverrückter Ehrfurcht. Eben so geht es in der dritten und sechsten Endung an: z.E. zu und mit einem gnädigen Wohlgefallen; zu und mit einem reifen Ermessen; wo abermal das m des Geschlechtswortes, an das Beywort gnädigem, reifem u.d.gl. gehängt wird. Es irren also diejenigen, die solche Endbuchstaben zum Beyworte eben sowohl, als zum Geschlechtsworte setzen: als z.E. mit einem großem und unauslöschlichem Zorne; von einer gnädiger und gehoffter Entschließung. Denn wo das Geschlechtswort selber ist, da darf das Beywort dessen Merkmaal nicht mehr tragen.


14 Saget man gleich: alle die Menschen, welche etc. so ist doch hier die kein Artikel, sondern ein anzeigendes Fürwort, darauf das beziehende welche folget.[474]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 462-475.
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