Das III Hauptstück.
Von der Fügung der Fürwörter.
(Syntaxis Pronominum.)

[496] 1 §. I Regel:


Die Fürwörter stehen mit ihrem Hauptworte in einerley Geschlechte, Zahl und Endung; gehen auch allezeit vor ihm her.


Z.E. Opitz schreibt:


Wir sind durch deinen Grimm Koth, Wust und Unflath worden,

Vor dieser ganzen Welt.


oder Kanitz:


Ich sehe meinen Leib, wie ein Gewand, verschleißen.


So saget man auch mit Opitzen:


In Gott ruht meine Seel allein,

Und hüllt sich in sich selber ein.


Hierwider sündigen die, welche von einem Könige, oder Kaiser sagen, Ihro königl. oder kaiserl. Majestät: da es heißen sollte, Seine königl. oder kaiserl. Majestät. Noch lächerlicher ist es, von einer Prinzessinn zu sagen: Seine königliche Hoheit etc. Imgleichen reden einige falsch, wenn sie sagen: bey einer Haare: da doch Haar, des ungewissen Geschlechtes ist; und es also heißen muß, bey einem Haare.


[496] Die II Regel:


2 §. Die beziehenden Fürwörter welcher und der, nehmen zwar das Geschlecht und die Zahl des vorhergehenden Hauptwortes an; stehen aber dabey in der Endung, die das folgende Zeitwort fodert.


Z.E. Opitz saget:


Hast also, da man dich für Jüngling noch geschätzt,

Den grünen Lorberkranz auf deinen Kopf gesetzt,

Der itzo Kronen trägt.


Denn dieses der, gehöret zwar dem Geschlechte und der Zahl nach, zu Kopf; steht aber nicht, wie dieser, in der vierten, sondern in der ersten Endung: weil tragen dieselbe erfoderte. Imgleichen eben derselbe:


Das wolle der ja nicht,

Den dieser Hund verhöhnt! Der, welchem Muth gebricht,

Dem Hand und Herze sinkt, mag nur von dannen reisen!

Ihr, denen Ehre lieb, kommt! lasset uns erweisen etc.


Und noch eins auf den Schlag, aus diesem Dichter:


Was kann ein solcher Herr für kluge Sinnen haben,

Dem allzeit die Vernunft im Bächer liegt begraben,

Und auf dem Glase schwimmt?


3 §. Da diese beziehenden Fürwörter sich oft auch auf ganze vorhergehende Reden, oder Aussprüche, und Erzählungen beziehen können; und darneben in der ersten und vierten Endung der mehrern Zahl gleich sind: so folget


Die III Regel:


Man muß sich vorsehen, daß keine Verwirrung und Undeutlichkeit dadurch in einer Rede entstehe.


Dieses kann um desto leichter geschehen, da unsere Sprache auch gewisse Versetzungen leidet; so daß die erste Endung[497] nicht allemal voran geht. Z.E. ein gewisser alter Schriftsteller schreibt so:


»Eine Anzahl venetianisches Volkes hat in die Grafschaft Mitterburg einen Einfall gethan, welche die Erzherzogischen angetroffen, und dreyhundert erlegt etc.«


Hier ist nun gar nicht zu sehen, worauf sich das welche bezieht, ob auf die Venetianer; oder auf die Grafschaft Mitterburg: ob die Venetianer die Erzherzoglichen erleget haben, oder von diesen erleget worden? Imgleichen eben derselbe schreibt:


»Den 8 May sind 16 treffliche Schiffe, von Dünkirchen ausgefahren, welche der Stadener Kriegsschiffe verfolget.«


Haben hier die ersten die letzten, oder diese die ersten verfolget? Solche Fehler kommen auch bey Neuern häufig vor.


Die IV Regel:


4 §. Weil das zurückkehrende Fürwort, sowohl in der dritten, als vierten Endung sich hat, (P. 278): so muß man es nicht brauchen, wenn die Handlung auf etwas anders geht; aber auch nicht ihm und ihr, ihn und sie brauchen, wenn die Handlung zurück auf den wirkenden geht.


Z.E. einige Landschaften reden so: Er hat ihm vorgenommen; er hat ihm eine Lust gemachet; wo es heißen sollte: Er hat sich vorgenommen, er hat sich eine Lust gemachet. Selbst Opitz fehlet, seiner Landesart nach, bisweilen darinn: doch schreibt er auch öfters recht: z.E.


Er habe darum sich an Leuten stark gemacht.

Daß ihrer mehr durch uns auch würden umgebracht.


nicht ihn. Den Unterscheid davon kann man in folgendem Verse von ihm sehen:[498]


Wer nichts für Leut' und Land,

Als Wein vergossen hat, der macht sich zwar bekannt,

Doch nicht durch Tapferkeit; muß bösen Menschen trauen,

Die ihn, und sich und mich oft zu verkaufen schauen.


Die V Regel:


5 §. Das Fürwort selbst, selber, oder selbsten, giebt einer Rede oft einen besondern Nachdruck, oder doch viel Deutlichkeit: wenn es nur auf gehörige Art zu einem andern Fürworte gesetzet wird.


Z.E. Opitz:


Soll ich dann auch beschreiben,

Wie du den Rest der Zeit zuweilen willst vertreiben,

Und dich dir selber giebst?


Imgleichen Pietsch wiederholet in einem Gedichte, dieses selbst, mit vielem Nachdrucke:


Er selbst, er selbst war groß!


wo dergestalt eine wahre Größe, der erborgten desto mehr entgegen gesetzet wird. Noch eins von Opitzen:


im Felde nimmt das Hetzen

Dir deine Sorgen hin – – Doch kennst du Maaße hier;

Denn wer nichts anders weis, wird endlich selbst ein Thier,

Und lernet grausam seyn.


Die VI Regel:


6 §. Das Fürwort selbst pflegt auch gewissen andern Fürwörtern, mit Weglassung des st, vorgesetzet zu werden;


als selbander, selbdritte, selbvierte, selbständig, u.d.gl. als z.E. Wir giengen selbander dahin. Er kam selbdritte zu mir; das ist, er selbst war der dritte. Es wird also nur[499] dem Wohlklange zu gefallen, das st, oder er, von selbst, oder selber ausgelassen. Aber das ist nicht zu billigen: wenn Opitz einmal von Deutschland schreibt:


ward, und ist auch noch heute

Sein Widerpart selbselbst, und fremder Völker Beute.


Denn eine solche Verdoppelung hat keinen Sinn oder Nachdruck. Viele brauchen auch das selbst, ohne ein anderes Fürwort dabey zu nennen: als, ich thue es von selbst, sie kamen von selbst, oder von selbsten. Allein, ganz unrecht. Es sollte allemal mir, oder sich dabey stehen: z.E. Ich thue es von mir selbst; er thut es, oder sie thun es von sich selbst: NB. nicht von ihnen selbst, nach der IV Regel. Man will mir ein Sprüchwort ausnehmen: Selbst ist der Mann! Allein, das kennt und versteht kein Hochdeutscher.


Die VII Regel:


7 §. Was im Lateinischen die Syllbe MET bey den Fürwörtern ist, das drücket im Deutschen, nächst dem selbst, oft das Wörtchen eben aus: wiewohl es beynahe noch einen größern Nachdruck hat.


Z.E. So schreibt Kanitz in der Satire von der Poesie:


Halt ein, verführter Sinn!

Drum eben straf ich dich, weil ich besorget bin,

Es möchte, was itzund noch leicht ist zu verwehren,

Sich endlich unvermerkt in die Natur verkehren.


Und Opitz in seinem Trostgedichte, führet die Holländer so redend ein:


So weit der Himmel reicht, und da die Wolken treiben,

Ist eben wo man wohnt, ist, wo wir können bleiben.


Imgleichen spricht man: das ist es eben! wir eben sind die unglücklichsten; eben ihr habet Schuld daran! u.d.m.


[500] Die VIII Regel:


8 §. Das Fürwort ich, wird bisweilen zu einem Hauptworte, und zwar nicht nur in der ersten Endung, sondern auch wohl in seinen übrigen Endungen und Ableitungen.


Z.E. Opitz:


Mein halbes Ich und ganzer Sinn,

Sammt dem ich in Gesellschaft bin.


So saget man auch, mein ander Ich, mein ganzes Ich! imgleichen schreibt Opitz:


Die erste Welt, die hat das Feld nicht können bauen,

Den Weinstock nicht gekannt, kein Gold gewußt zu hauen.

Kein Schiff zur See gebracht, gehabt kein Mir und Dir etc.1.


Wiewohl man dafür itzo lieber das Mein und Dein zu sagen pflegt. Eben so brauchet man auch, der, die, das Meine, oder Deine. Mit dem Du ist es ein anders; denn dieses wird nicht mehr zum Hauptworte gebrauchet. Die Wörter Ichheit und Selbstheit sind zwar von den Mystikern gemachet; aber auch bald lächerlich geworden. Die Einheit ist nur bey den Weltweisen gebräuchlich.


[501] Die IX Regel:


9 §. Bey fragenden Fürwörtern des ungewissen Geschlechts, wird das Wörtchen für, ohne Unterschied des Geschlechtes und der Endungen angehenket, und das vertritt die Stelle des altväterischen Waser.


Z.E. Aus waser Macht thust du das? soll heißen; aus was für einer Macht thust du das. Was ist das für ein Mann, dem Wind und Meer gehorsam ist? Oder wie Opitz schreibt:


Mit was für herber Art, o Herr! sie dieses schmähen.


So saget man auch: zu was für einem Zwecke, in was für Absicht thut ihr das? Von was für Leuten kömmst du her? Aus was für einem Lande bist du? Oder wie Kanitz schreibt:


Was ist es für ein Thier, du Held von hohen Gaben,

Das wir gemeiniglich am allerliebsten haben?


Von vielen wird hier ganz fälschlich das Vorwort vor gebrauchet; wie auch andere, nach altväterischer Art, beydes auslassen. Z.E. wie Opitz schreibt:


Was Schein, was Änderung doch würde diese Zeit

Ihm zeigen, gegen der, die erst war weit und breit?


Denn so redet und schreibt man nicht mehr zierlich.


Die X Regel:


10 §. Das Fürwort So, welches die Stelle von Welches, oder der, die, das vertritt, wenn sie beziehende Fürwörter sind, ist in allen Geschlechtern und Zahlen unabänderlich.


Z.E. so saget Opitz:


Nun bin ich auch bedacht

Zu sehen, ob ich mich kann aus dem Staube schwingen,

Und von der großen Zahl des armen Volkes dringen,

So an der Erden klebt.[502]


Hier hätte nämlich, auch das, oder welches stehen können. Und abermal:


Wer aber will doch sagen

Der Städte schwere Noth, den Jammer, Weh und Klagen,

So männiglich geführt?


Hier ist das so die vierte Endung. Doch thut man besser, wenn man dieses Wort nicht gar zu häufig, und entweder nur beym ungewissen Geschlechte, oder nach etlichen Wörtern von verschiedenen Geschlechtern brauchet. Denn weil das so, auch in andern Bedeutungen, sehr häufig vorzukommen pflegt: so könnte sonst sehr leicht eine Verwirrung, oder ein Übelklang daraus entstehen.


Die XI Regel:


11 §. Das Fürwort jedermann, pflegte von den Alten auch mit dem iglich verlängert, und dann von vorne wieder durch Auslassung des Jeder verkürzet zu werden.


Jedermänniglich, oder, wie im vorigen §. männiglich. Allein, dieses gehöret heute zu Tage zu dem Altfränkischen, welches in der guten Schreibart nicht mehr statt hat: obwohl sich die Kanzellisten noch damit herumtummeln: z.E. Kund und zu wissen sey männiglich etc. wie männiglich bekannt. Man thut besser, wenn man lieber jeder mann, ein jeder, oder alle dafür brauchet. So hätte Opitz eben sagen können:


So jedermann geführt.


Die XII Regel:


12 §. Die Fürwörter, der, die, das, dieser, derselbe, u.d.gl. können bisweilen auch ohne Abbruch des Sinnes, in einer Rede ausgelassen werden.[503]


Z.E. so schreibt Rachel:


Wer zu dem Reichthum eilt, muß anders was ersehen,

Als Versemacherkunst. Wer plötzlich reich will seyn,

Der lös' um wenig Geld gestohlne Waaren ein;

Der trage Zungen feil, bediene faule Sachen etc.


Hier sieht man sowohl in der ersten Zeile ein ausgelassenes der, als in den folgenden, ein ausdrückliches; beydes ohne Fehler. Und wie Kanitz sagt:


Wer es nun besser weis, kann kaum das Lachen zwingen.


Anstatt, der, kann; imgleichen:


Ein hoher Sinn, der nur nach seinem Ursprung schmeckt,

Und sich nicht in den Schlamm der Eitelkeit versteckt,

Kann, was der Pöbel sucht, mit leichter Müh vergessen.


für, der kann.


Die XIII Regel:


13 §. Wann in einer Rede zweyerley Personen, oder Sachen, unterschieden werden: so bezeichnet man im folgenden, die erste Classe mit jener, die letzte aber durch diese;


Z.E. Kanitz:


Ach Gott! so quälen mich zum öftern die Gedanken;

Noch mehr verwirret mich der Schriftgelehrten Streit:

Wenn sie sich nach der Kunst um deine Worte zanken,

Wenn dieser Gnade bringt, und jener Sterben dräut.


Doch pflegt man dergleichen Abtheilungen auch mit den Fürwörtern der eine, der andere, oder ein anderer, zu machen; wie gleichfalls Kanitz schreibt:


Der eine wiederholt aus den gedruckten Lügen etc.

Ein andrer, dem das Glück nicht will nach Wunsche lachen etc.[504]


Sind aber drey Abtheilungen nöthig: so setzet man zwischen dieser und jener, noch das der; nämlich so: dieser, der, jener; oder umgekehret.

14 §. Es ließen sich noch verschiedene kleinere Anmerkungen von dem Gebrauche der Fürwörter machen; die auch zum Theile von unsern alten Sprachlehrern schon gemachet worden. Allein, theils gehören sie auch mit zu andern Capiteln dieser Wortfügung; theils würden sie für einen Grundriß der Sprachkunst, und für Anfänger, zu subtil seyn; theils aber kann man sie aus dem fleißigen Lesen guter deutscher Bücher viel leichter, als aus Regeln, ja gleichsam spielend lernen: weswegen man sie billig auch hier übergehen kann.

Fußnoten

1 Ein gelehrter Freund in Schlesien hat mir bey Gelegenheit dieser opitzischen Zeilen, den Einwurf gemachet, daß man wegen der poetischen Freyheiten, die sich Opitz hier, und sonst zuweilen genommen, lieber keine poetische Exempel hätte geben sollen: weil sich Anfänger nur daran stießen. Er beurtheilet darauf diese Stelle des Vaters unserer neuern Dichtkunst, aufs schärfeste; ungeachtet man seinen Zeiten sonst viel zu gute zu halten pflegt. Ich kann ihm in beyden nicht unrecht geben. Indessen habe ich mich, was das erste betrifft, bemühet, solche ungezwungene Exempel der Poeten zu wählen, die so rein waren, als die Prose. Was aber das letzte betrifft, so ist freylich diese opitzische Stelle die reinste nicht. Der wiederholte Artikel die in der 1 Z. das gewußt auf der unrechten Stelle, in der 2 Z. das gehabt voran gesetzet, in der 3 Z. und endlich noch das Mir und Dir wegen des Reimes, sind freylich nicht schön. Allein, wer sieht das nicht? und wer wird wohl glauben, daß ich das billige? Haben aber nicht auch heutige Poeten, in ihren so genannten gedrungenen, oder vielmehr vollgestopften Versen, wohl noch ärgere Schnitzer gemachet?[505]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 496-506.
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