Das V Hauptstück.
Von Fügung der Mittelwörter.

[549] 1 §. I Regel:


Die Mittelwörter werden zuförderst im Deutschen gebrauchet, wie die Beywörter, und stehen also vor ihren Hauptwörtern in einerley Geschlechte, Zahl und Endung.


Z.E. Ein liebender Mann, eine liebende Frau, ein liebendes Kind; ein geliebter Sohn, eine geliebte Tochter, ein geliebtes Hündchen. Der verwünschte Tag, die verwünschte Nacht, das verwünschte Haus. Ein erseufzter Morgen, eine erbethene Stunde, ein verdammtes Jahr. Ein segnender Vater, eine segnende Mutter, ein gesegnetes Kind; die hohe vor Augen schwebende Noth; die seit vielen Jahren herrschenden Laster der Üppigkeit und Verschwendung19.


Die II Regel:


2 §. Wenn man das Mittelwort nach einem Zeitworte setzet: so bedeutet es den Zustand, oder die Beschaffenheit der Person oder Sache.


Z.E. Ich fand ihn sterbend, oder mit dem Tode ringend; er redete sitzend oder stehend; er kam eilend: dafür einige hernach eilends gesaget haben, als ob es ein Nebenwort[549] wäre. Er lebet unvermählet, unverheurathet; er stund ganz erschrocken und verwirrt; er liegt ganz entkräftet, schmachtend, und ächzend; er sitzt gefangen und gebunden; er thut es unwissend; er verhält sich leidend dabey, u.s.w. Nur hänge man hier kein unnützes e an, wie einige thun: leidende, wissende u.s.w.20.


Die III Regel:


3 §. Hergegen ist es ein Misbrauch, wenn man die Mittelwörter aus ihrer rechten Bedeutung reißt, und sie von Personen auf Sachen, oder aus der leidenden Gattung in die thätige zieht, und umgekehret.


Z.E. Es ist ihm wissend; denn wissend gehöret zur Person, ein Wissender. Es sollte heißen, bewußt, bekannt. Die zu ihm tragende Liebe, oder hegende Freundschaft; ist falsch. Denn die Liebe und Freundschaft heget, und trägt nicht, sondern wird geheget und getragen. Imgleichen, die von ihm habende gute Meynung; ist falsch: denn die Meynung hat nichts, sondern wird von jemanden gehabt. Es soll heißen, die gute Meynung, die ich von ihm habe. Eben so falsch ist, ein säugend oder stillend Kind; denn ein Kind säuget und stillet nicht: es sollte heißen, ein saugendes Kind; ein Kind, das noch an der Brust ist, das gestillet wird, u.d.m.


Die IV Regel:


4 §. Es ist eine altväterische Nachahmung des Griechischen und Lateinischen, die wider den natürlichen[550] Schwung unserer Sprache21 läuft, wenn man einen Satz mit einem Mittelworte der gegenwärtigen Zeit anfängt.


Z.E. Im gothischen Evangelio (im 16 Vers des zehnten Capitels Marci) steht: Ja gathlaithands jm, lagjands Handuns ana tho; d.i. ET COMPLEXANS EOS & IMPONENS MANUS SUPER ILLOS, oder deutsch: Und umarmend sie, und legend die Hände auf sie. Imgleichen im 23 V. Jah bisaihuands Jaisus; d.i. und besehend Jesus etc. Wir haben davon nur noch ein Paar alte Redensarten im Gebrauche; wenn wir sagen: Anlangend nun das Leben und Wandel, oder: Betreffend dieses oder jenes. Aber in allen andern Redensarten kann man dergestalt nicht anheben: z.E. Sehend, daß dieses geschah, sprach er etc. Auch so darf man nicht einmal sagen: Dieses sehend, sprach er etc. Selbst die obigen Redensarten klingen besser so: Was nun das anlanget, oder was jenes betrifft etc. Unsere Neulinge fangen indessen an, solche Barbarismen einzuführen, die allen deutschen Ohren einen Ekel erwecken.


Die V Regel:


5 §. Eben so ist es eine ungeschickte Nachäffung des Französischen, wenn man das Mittelwort der vergangenen[551] Zeit, gleich im Anfange der Sätze und Redensarten, brauchen wollte.


Z.E. Erschrecket durch deine Worte, kann ich dir nichts antworten; oder so: vergnügt über deinen Antrag, ergreife ich ihn mit beyden Händen. Das ist eine barbarische oder undeutsche Art zu reden und zu schreiben: die weder Luther, noch Opitz, noch sonst einer von unsern guten Schriftstellern, als Kanitz, Besser, Neukirch, oder Gundling und Mosheim gebrauchet haben. Sind aber ja einige Poeten, durch den Zwang des Syllbenmaßes, zuweilen verleitet worden, dieses zu wagen: so bleibt es doch ein Fehler, den man in ungebundener Rede nicht verantworten kann22.


[552] Die VI Regel:


6 §. Hieher gehören auch solche Redensarten, die zwar nicht eigentliche Mittelwörter sind, aber doch so klingen; weil man die ausgelassenen Hülfswörter seyend, (ÉTANT) oder worden seyend, (AYANT ÉTÉ) ETC. darunter verstehen muß.


Z.E. Zu schwach, eine Schlacht zu liefern, zog er sich zurück, d.i. zu schwach seyend: aber wie barbarisch klingt das? Oder so: Verschrenkt (worden seyend), im tiefen Traum nachforschender Gedanken, schwingt ein erhabner Geist etc. Gleichwohl hat man unlängst angefangen, uns solche ungeheure Sprachschnitzer, als Schönheiten aufzudringen; indem man sich im Übersetzen allerley französischer und englischer Sachen, gar zu sclavisch an den Grundtext gehalten hat23.


7 §. Die Einwürfe, die man hier machet, thun nichts zur Sache. Man führet Exempel von Mittelwörtern aus guten Schriftstellern, sonderlich aus Poeten an. Allein, 1) habe ich denn alle Mittelwörter verworfen? Man brauchet sie allerdings, nach der ersten und zweyten Regel als Beywörter im Deutschen, wie auch als Nebenwörter bey den Zeitwörtern:[553] und so kommen sie bey allen guten Scribenten vor. Kommen sie aber 2) in der Bibel zuweilen nach hebräischer, griechischer, oder lateinischer Art vor: so hat das seine Ursachen. Es ist bekannt, daß die biblischen Redensarten oft nach dem Hebräischen und Griechischen schmecken, auch oftmals nach der Vulgata lateinisch klingen. Ist das aber gut deutsch geredet, was ein HEBRAISMUS, GRÆCISMUS, oder LATINISMUS ist? Eben so wenig, als die GERMANISMI in den EPISTOLIS OBSCURORUM VIRORUM, gutes Latein sind.

8 §. Was 3) die alten Poeten betrifft, denn auch auf diese beruft man sich; so nehmen sie sich bey allen Völkern, wegen des Syllbenmaaßes, zuweilen Freyheiten heraus. So haben Virgil und Horaz zuweilen griechische Redensarten gebrauchet; die aber von den Kunstrichtern angemerket, und von prosaischen Schriftstellern der guten Zeiten nicht gebrauchet worden. Hätten nun einige deutsche Dichter dergleichen gethan, so wären sie darinnen ebenfalls nicht nachzuahmen. Endlich aber 4) setzen doch die besten deutschen Dichter die Mittelwörter nicht vom Anfange, sondern in die Mitte der Rede, nach der obigen zweyten Regel. Z.E. Opitz:


Der schwatze Schäfer steht bey einer hohen Linde,

Gelehnet auf den Stab.


Hier ist gelehnet, zwar ein Mittelwort: es steht aber nicht von forne. Und gleichwohl hätte es noch besser so stehen mögen:


Auf seinen Stab gelehnt.


Und in der Trostbücher II Buche:


Nun, unser weiser Mann, gewohnet nicht zu wanken,

Gewohnet durchzugehn mit feurigen Gedanken,

Zu stehn, als eine Wand, der wird durch nichts verletzt etc.24.[554]


9 §. Auch dieser Einwurf fällt endlich weg, wenn man saget: Man könne durch dergleichen neue Schwünge die Sprache bereichern; und mit kürzern Worten mehr Gedanken ausdrücken, als wenn man sich ihrer enthält. Eben dieses dachten die verwägenen Poeten in den abfallenden Jahrhunderten zu Rom auch; denen Virgil und Ovid zu wässerig und zu langweilig vorkamen: weil sie die Sprache mehr schoneten, und nicht so frech in neuen Wortfügungen waren, als ein Lucan, Silius, Statius, Claudian, u.a.m. Allein, was haben sie sich bey den Kunstrichtern für ein Urtheil dadurch zugezogen? Dieses, daß sie ehernes, ja eisernes Latein geschrieben, und nicht nachzuahmen sind. Eben dieses Urtheil werden die gedrungenen Dichter unserer Zeiten, die alle ihre Zeilen voll Mittelwörter stopfen, und der Sprache dadurch Gewalt thun, bey der gescheiden Nachwelt auch verdienen. Selbige hat nämlich in unsern besten Dichtern, Kanitzen, Neukir chen, Amthorn, Pietschen, Günthern und Hagedornen in aller ihrer Stärke erscheinen können; ohne sich auf eine so undeutsche Art der Mittelwörter zu bedienen25.

Fußnoten

1 Ich weis es wohl, daß diese Regeln, von den Fragen wessen, wem, wen etc. einem Ausländer nicht viel helfen: außer wenn sie sich die Exempel, die hier gegeben werden, im Durchlesen geläufig machen. Allein, Einheimischen und Kindern, können sie doch Dienste thun: und für diese schreibe ich.


2 Warten wird auch in seiner andern Bedeutung so gefüget. Z.E. Kanitz schreibt:


Ich will am letzten Garten,

Der in der Vorstadt liegt, zu Fuße deiner warten.


Man saget auch, auf jemanden warten, und einen Kranken warten, d.i. pflegen.


3 Hier hüte man sich vor einer falschen Redensart, da einige sagen, sich der Sache Meister machen: da es heißen sollte, sich zum Meister einer Sache machen; wie man saget, sich zum Herrn einer Stadt, eines Landes machen, aufwerfen: nicht von einer Stadt, oder vom Lande: ob es gleich einige sagen möchten.


4 Imgleichen sprechen und schreiben einige: ich erinnere dich, oder mich daran. Dieses klingt aber bey weitem nicht so gut, als dessen. Man wirft mir ein: Keine Gewohnheit könne die Redensarten: ich erinnere mich das, ich unterstehe mich das; rechtfertigen. Antwort. Habe ich es denn gebilliget? Ich sage nur, daß einige so reden; und das letzte ist gewiß recht; obgleich dessen besser wäre.


5 Z.E. ein Niedersachs, Meklenburger, Märker und Pommer, wird wohl fragen: An wen hast du das gesaget, gegeben, u.d.gl.? wo er wem hätte fragen sollen. Daher kommen denn die schönen Brocken, die in dem kleinen Lustspiele, der Witzling, in der deutschen Schaubühne, an einem solchen Landsmanne verspottet werden. S. den VI Band, a.d. 522 u.f.S. Dahin gehören die Blümchen bey mich, mit den Hut auf den Kopf: ich bin in etliche Collegia gewesen. Ich hätte mich nicht vermuthet; aus meine Stube gehen. Ich mache mir einmal drüber; meine Anmerkungen über dem Aristoteles; wie ich noch in die Schule war. u.d.gl. Ja, damit die Herren Obersachsen nicht stolz werden möchten, so sind auch ihre Blümchen in diesem Stücke nicht vergessen worden: z.E. es ist mir ein Vergnügen, ihnen kennen zu lernen: ihnen hier zu sehen. Haben sie in Willens; ich werde Sie mit einer Dissertation aufwarten. Die Erfindungen gehören alle meine. Ich besinne mich nicht, etwas von Sie gelesen zu haben, u.d.m. lauter grobe Schnitzer!


6 Doch kann nennen, wenn es so viel, als heißen bedeutet, auch die vierte Endung bekommen: ich nenne dich meinen Freund: nenne mich nicht deinen Bruder etc.


7 Man machet mir hier den Einwurf, daß man gleichwohl auch saget: Den Cajus abfodern: das Geld auszahlen; die Tagelöhner bezahlen; eine Frau nehmen; den Wolf nennen; die Prinzen rauben; einen rufen, z.E. Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen, u.d.gl. Allein, man muß bemerken, daß man im ersten Falle, den Cajus als eine Sache betrachtet, die NB. einem andern, als einer Person abgefodert wird. Mit der Frau ist es eben so: denn man nimmt sie NB. als eine Sache, sich, oder für sich. Die sächsischen Prinzen wurden auch ihren Ältern geraubet, und auch hier wurden sie selbst die gestohlne Sache. Es bleiben also nur zween Fälle übrig, wo neben der dritten Endung, auch die vierte zuweilen statt hat, nämlich bey dem Bezahlen der Tagelöhner, und dem Rufen des Sohnes. Allein, dergleichen Zeitwörter giebt es in allen Sprachen. Gleichwohl ist bey dem bezahlen der ACCUSATIVUS REI verschwiegen: widrigenfalls es auch hier heißen würde: den Arbeitern ihr Tagewerk bezahlen.


8 Es versteht sich hier abermal, was bey der vorigen Endung schon erinnert worden, daß man nämlich recht zu tragen wisse: Denn wenn z.E. ein Niedersachs hier fragete: Wem hast du lieb? Wem suchest du? so wird er auch antworten: mir. Joh. Ad. Hofmanns Schriften waren voll solcher Fehler, ehe man sie von guten Sprachrichtern verbessern lassen: und insgemein ist dieß das Schiboleth, wodurch sich Niedersachsen, aller ihrer Aufmerksamkeit ungeachtet, verrathen.


9 Vieleicht sollte man hier sagen, unter fünfzig Thalern. Allein, da man niemanden so reden höret: unter aber auch die vierte Endung nehmen kann: so kann man es dabey bewenden lassen. Daß es aber auch die sechste haben kann, wird bey den Vorwörtern erinnert.


10 Auch hier fehlen die Niedersachsen häufig. Z.E. Er geht am Hofe, in der Kirche, auf der Börse, sagen sie häufig, wenn sie sagen sollten nach Hofe, oder an den Hof, in die Kirche, auf die Börse; weil man hier überall wohin? fraget. Hergegen das zu und nach brauchen sie oft mit der vierten Endung; er frägt nach mich, er kömmt zu mich; welches in hochdeutschen Ohren sehr häßlich klingt.


11 Hier ist ein gelehrter Mann der Meynung: man solle lieber gestehen, daß einige Redensarten auf eine ganz eigensinnige Art von den Regeln abgiengen, wie z.E. schlechterdings; als daß man sie ganz verdammete. Allein, dieses thut man ja nicht; man weist nur, bey dem unbeständigen Gebrauche derselben, welcher der beste sey. So sagen einige Landschaften schlechterdinge, allerdinge. Allein dann siehts keinem Nebenworte gleich. Saget man aber allenfalls, allerseits, hinterrücks, so muß auch schlechterdings gelten.


12 Dieß thut dem Gebrauche des Wortes unter keinen Abbruch, da es die vierte Endung fodert: z.E. er ist unter die Mörder gefallen, oder gerechnet. Das über ist von eben der Art: sie fodern beydes. Indessen fehlen hier Brandenburger, Pommern, Meklenburger, Hollsteiner, Westphalen und überhaupt alle Niedersachsen, sehr häufig; wenn sie z.E. sagen: er ist ins Haus, in die Fremde, aufs Feld, hoch ans Brett; er ist unter die Leute gewesen, er hat mit die Sache zu thun; er versteht was von die Sache: Denn es sollte heißen, er ist im Hause, in der Fremde, aufm Felde, hoch am Brette, unter Leuten gewesen: er hat mit der Sache zu thun; er versteht was von der Sache.


13 Einige große Anbether des Alterthums bilden sich ein, oder wollen wenigstens andern einbilden, die Lateiner wären in diesem Stücke viel genauer gegangen, als wir zu thun pflegen. Allein, es ist ganz falsch. Auch ihre besten Stilisten fehlen hier mannichfaltig. Z.E.L.I. RHETOR, AD HER. IN EXORDIENDA CAUSA SERVANDUM EST, UT LENIS sit SERMO, & USITATA VERBORUM CONSUETUDO: Dieß sind zwey SUBSTANTIVA zu dem SINGUL. SIT. Cicero LIB. I. DE INV. C. 1. SÆPE ET MULTUM HOC MECUM COGITAVI, AN MALI PLUS attulerit HOMINIBUS & CIVITATIBUS, COPIA DICENDI, AC SUMMUM ELOQUENTÆ STUDIUM. NB. Wiederum zwey SUBJECTA, ZU ATTULERIT. Livius LIB. I C. 2. am Ende: SITUS EST, QUEMCUNQUE EUM DICI jus fasQUE est, SUPER NUMICIUM FLUMEN ETC. Der jüngere Plinius L. I EP. 3. QUID agit COMUM, TUÆ MEÆQUE DELICIÆ? QUID SUBURBANUM AMCENISSIMUM? QUID ILLA PORTICUS, VERNA SEMPER? ETC. IDEM IBID. HOC sit NEGOTIUM TUUM, HOC OTIUM, HIC LABOR, HÆC QUIES ETC. Nicht HÆC SINT ETC. Der Poeten itzo zu geschweigen, wo solches noch viel öfter vorkömmt.


14 Ein berühmter Sprachkenner hält diese Regel in allen lateinischen und deutschen Sprachlehren für überflüßig: weil ganz Europa so spricht. Aber mich dünket, das sind die besten Regeln, die in allen Sprachen gelten. Wollte Gott, daß sie alle so gemein wären!


15 Sonderlich bemerket man, daß die Oberdeutschen in Franken, Schwaben, Bayern und Österreich, mit der jüngstvergangenen Zeit sich gar nicht zu behelfen wissen, ja wohl itzt, und kaum geschehene Sachen mit der völlig vergangenen Zeit erzählen: welches uns denn sehr fremd und weitschweifig dünket.


16 Es wäre denn, daß man das einen OPTATIVUM nennen dörfte, wenn man die verbindende Art mit, möchte oder könnte ich das sehen, oder hören! abwandeln wollte. z.E. Kanitz:


Möchte mir ein Wunsch gelingen,

Dich nach Würden zu besingen etc.


17 Diese und die folgende Regel hätten zwar können zusammen gezogen werden, wie ein gelehrter Freund gemeynet hat: allein, weil die eine von dem CASU REI, die andere vom CASU PERSONÆ handelt, so ist es besser, man läßt sie getrennet.


18 Daß man nämlich mit der dritten Endung dieß Wort brauche, erhellet aus dem Neumeisterischen Gedichte bey Philanders Werken: wo es heißt:


Wer sagt mir, wie ich soll auf recht poetisch sagen:

Ich schlief, und träumte mir? Denn das ist zu gemein.


Und hernach:


– – Weg mit den Narrenpossen!

Viel besser kurz gesagt: ich schlief und träumte mir.


19 Man nehme hier die altväterische Fügung der Bibel aus: die heute zu Tage nicht mehr gilt. Z.E. Er ist wie ein Baum, gepflanzet an den Wasserbächen; d.i. wie ein am Wasser gepflanzter Baum.


20 Hieher gehöret auch der Misbrauch einiger Oberdeutschen, die bey Mittelwörtern gar die Syllbe er anhängen, z.E. er hat es unbesonnener gethan. Vieleicht haben sie das Wort Weise im Sinne; welches sie aber nicht verschweigen sollten. Wenn aber andere gar sagen: er ist todter, für todt; es ist gedruckter, für gedruckt; so ist es vollends ganz unverantwortlich.


21 Diesen natürlichen Schwung will jemand näher bestimmet haben. Allein, der Schwung einer jeden Sprache lernet sich bloß aus dem vielen Lesen der besten Schriftsteller, und aus dem Umgange mit gelehrten und wohlgesitteten Leuten; läßt sich aber durch Regeln nicht völlig bestimmen. Cicero gab zur Vorschrift eines Redners: UT ORATIO SIT LATINA, NON PEREGRINA. Wenn ihn nun jemand um nähere Bestimmung gebethen hätte, QUID SIT LATI NUM? Was würde er gesaget haben? Ich glaube, es würde geheißen haben, QUIDQUID NON EST PEREGRINUM. Eben so antworte ich auch: Was weder auf lateinischen und griechischen, noch auf französischen und englischen Schlag construiret ist; sondern was aufrichtige Deutsche, die keine andere Sprache können, auch reden und schreiben würden: das ist der eigentliche deutsche Schwung.


22 Wenn diese Sucht, Mittelwörter zu brauchen, ferner so fortgeht, so wird man auch noch wohl des alten Niklas von Weil Deutschungen etlicher Bücher Enee Siluii, etc. die 1536 herausgekommen sind, bald wieder nachahmen, der in seiner Vorrede schreibt: man müsse das lateinische SENES AMANTES VIDI PERMULTOS, AMATUM NULLUM, so verdeutschen: ich habe gesehen viel liebhabend Mann, aber liebgehapten keinen; oder auch den alten Übersetzer der schönen Schäferinn Juliana, (eines alten franz. Romans,) der einen Theil desselben so anhebt: Des hochtragenen und stolzen Phaetons Vater, welcher die krummen und gebogenen Gewölber des Himmels umspazierende, aller athemschöpfenden Thieren Leben, nachdem er ihnen solches verliehen, verzehret etc. Vortrefflich! Denn wie sehr könnten wir, traun! nicht unsere Sprache bereichern, wenn wir ein solches spannagelneues, oder vielmehr recht altbackenes und vermodertes Deutsch wieder in Schwang brächten? Gleichwohl überhäufen uns sonderlich die neuen wurmsamischen Dichter mit solchen Leckerbissen, die schon an den Pegnitzschäfern, und Zesianern vormals ausgelachet worden. Wo bleiben nun solche Mittelwörter, die nicht einmal einen rechten Verstand haben? z.E. Geschätztes Nichts der eiteln Ehre etc. Denn was soll man sich bey geschätzt denken? Ist das Nichts hoch oder niedrig geschätzet worden? Etwas schätzen heißt taxiren oder würdern. So heißt denn jenes,


Taxirtes Nichts der eiteln Ehre!


23 Z.E. Die Nachwelt, angesteckt von ihrer Ahnen Blut,

Pflanzt Glauben mit dem Schwert, und dünget sie mit Blut.


Man wendet mir ein: Sterbend gieng er hin, lebend kam er wieder, das klinge ganz gut, sey verständlich, und beleidige das Ohr nicht. Ich gebe es zu. Klingen aber alle Mittelwörter der Neulinge so deutsch? Man saget nämlich auch mit andern Beywörtern so: Arm zog er aus, reich kam er wieder. Das ist also auch bey Mittelwörtern erlaubt. Übrigens ist es nicht genug, so zu schreiben, daß man zur Noth verstanden werden kann, wenn man recht Latein oder Deutsch schreiben will. Die GERMANISMI im Lateine sind auch zu verstehen, und taugen doch nichts. So ist es mit den LATINISMIS, GALLICISMIS, ANGLICISMIS im Deutschen auch.


24 Ob ich nun gleich an Opitzen solche Freyheiten entschuldige, ohne sie selbst nachzuahmen, und anzupreisen: so hat mir doch ein vornehmer und gelehrter von Adel aus Schlesien, sein Misfallen, über diese und andere dergleichen opitzische Abweichungen, von der regelmäßigen Wortfügung, deutlich zu verstehen gegeben; ja angerathen, alle solche Stellen, aus meiner Sprachlehre wegzustreichen. Allein, ich denke hier von Opitzen, wie Quintilian vom Ennius dachte: Ennium, SICUT SACROS VETUSTATE LUCOS, ADOREMUS: IN QUIBUS GRANDIA & ANTIQUA ROBORA JAM NON TANTAM HABENT SPECIEM, QUANTAM RELIGIONEM. L.X. C. 1. ED. GRYPH. LUGD. 1549. in 8. P.M. 511.


25 Ich weis auch wohl, daß einige sich auf den Longin berufen, der zuweilen ein ὕψος darinnen zu finden vermeynet, wenn dieser oder jener Schriftsteller von der gewohnten Wortfügung abgewichen. Allein, fürs erste sind wir von der griechischen Sprache versichert, daß sie viele Versetzungen der Wörter gelitten, die unsere Sprache nicht verträgt. Fürs andere sind wir keine JUDICES COMPETENTES mehr, die den Ausspruch thun könnten: ob die Abweichungen der Griechen und Römer, in recht zarten und kritischen Ohren der Alten, deren Muttersprache sie schrieben, eben so kühn und frey gewesen, als unserer deutschen Participianer ihre sind? Endlich drittens, ist es auch ausgemachet, daß nicht der Sprachschnitzer das ὕψος oder Erhabene ausgemachet; sondern, daß nur um eines erhabenen Gedankens willen, eine kleine Verwägenheit geduldet worden. Dessen ungeachtet erkläret Tanaquil Faber, in seiner kurzen Lebensbeschreibung der griechischen Poeten, den Äschylus für hart und unerträglich in der Schreibart, wegen seiner gar zu verwägenen Beywörter und Wortfügungen. Und was hat man nicht vom Lykophron, und seiner Dunkelheit gesaget? Eben der Faber zieht ein griechisches MSt. an, darinn erzählet wird: Lykophron habe einen Strick fertig gehalten, sich sogleich zu erhenken, wenn sich jemand fände, der sein Gedicht Cassandra verstünde, und alle Schwierigkeiten heben könnte. Allein, es sey niemand gefunden worden, der sich solches unterstanden hätte. Was kann das aber zur Entschuldigung derer Schnitzerhelden thun, die alle Augenblicke schnitzern, und bloß in seltsamen Wortfügungen ihre Schönheiten suchen; die aber kein ὕψος, sondern ein wahrhaftes ψύχος oder βάθος werden? Man sehe, was der engl. Zuschauer im 595 St. des VIII Bandes der engl. oder deutschen Ausgabe gleich anfangs davon schreibt; und was in der Belustigungen des Verstandes I B. von dem Schulmeister steht, der seinen Schülern immer das σκοτισον! zurief. Ich muß ein Paar Stellen daraus hersetzen, weil sie hieher gehören. Es ist die erste Strophe von der 515, und die letzte von der 517 Seite, des Brachmonats, 1742.


Ein Feind der Kunst, recht klar zu denken,

Der nur verjährte Bücher las,

Orbil, stund vor den vollen Bänken,

Darauf die junge Nachwelt saß.

Er floh mit Fleiß die klaren Stellen,

Nur wenn er etwas Dunkles fand,

Davon auch nichts im Faber stand;

So hörte man das Urtheil fällen:

Ihr Kinder! merkts euch, das ist schön!

Ich selber kann es kaum verstehn.


Ein loser Bube stund von weiten,

Dem Schalkheit aus den Augen lacht.

Der hatt' auf seine Trefflichkeiten,

Ein schwer zu lesend Lied gemacht.

»Erkiest, der Geister Kraft zu mehren,

Die kaum gewollte Glut durchbricht;

Erfrorner Seelen schmelzend Licht!

Erhabner Quell von höhern Lehren!

O! schrie Orbil: das, das ist schön,

Der Teufel selbst kanns nicht verstehn.«[555]

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 549-557.
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