Das VII Hauptstück.
Von der Fügung der Nebenwörter,
(ADVERBIORUM.)

[564] 1 §. 1 Anmerkung.


Einige Nebenwörter pflegen in besondern Wortfügungen wohl gar als Nennwörter gebrauchet zu werden.


Dahin gehören, Nichts, Nun, Huy, Pfuy, Ja, Nein, u.d.gl. Z.E. Er haschet ein großes Nichts. Aus Nichts wird Nichts. In einem Nun. Das Nun oder Niemals eines Christen. Das Huy und Pfuy der Welt. In einem Huy. Opitz singt:


Eh man die Lippen rührt,

So wird dein Ja gespürt.


Und Kanitz schreibt:


Die alle fodern Geld, und wollen mit dem Nein,

Das ich davon gebracht, nicht abgewiesen seyn.


2 Anmerkung.


2 §. Die meisten Beywörter können entweder schlecht weg, mit Wegwerfung der Geschlechtsendungen, er, e und es; oder mit der angehängten Syllbe lich, welche von gleich, (englisch LIKE, oder lik plattdeutsch) herkömmt, zu Nebenwörtern werden.


Z.E. gut machen, schlimm schreiben, krumm biegen, gerad klopfen, fromm werden, kurz, oder klein schneiden, [564] lang recken, u.d.m. Diese nun leiden das lich entweder gar nicht, oder nur in besondrer Bedeutung bey sich. Denn wenn ich sage: er thut sich gütlich; ich bin nur kürzlich da gewesen; das Holz ist länglich: so sind dieß wohl noch Nebenwörter, aber nicht mehr in der vorigen Bedeutung. Hergegen, leicht, schwer, heilsam, gehorsam, grimmig, ämsig, heilig, selig, grob, u.a.m. nehmen das lich schlechterdings an, und behalten ihre Bedeutung doch; als leichtlich, schwerlich, wenn nur von keinem Gewichte die Rede ist u.s.w.


3 Anmerkung.


3 §. Auch viele Nennwörter können, vermittelst der Syllben, lich, sam, und bar, zu Nebenwörtern werden, eben so, wie sie sich dadurch in Beywörter verwandeln.


Z.E. Von Herr, herrlich, er führet es herrlich hinaus: von Wirth, wirthlich; von Zier, zierlich; von Lob, löblich; von Ehre, ehrlich, ehrsam, und ehrbar; von Wunder, wunderlich, wundersam, und wunderbar; von Furcht fürchterlich, furchtbar und furchtsam. Nur ist von diesen letztern zu merken, daß sie nicht einerley bedeuten. Denn das erste und zweyte bedeuten etwas, davor man sich fürchtet; das letzte aber einen, der sich fürchtet.


4 Anmerkung.


4 §. Alle Nebenwörter halten sich gemeiniglich zu den Zeitwörtern, und stehen in der verbindenden und unbestimmten Art vor ihnen; in den übrigen Arten aber hinten.


Z.E. daß er viel wünschet, wenig fodert, nichts hoffet; stark laufen, schnell reiten, schön schreiben, bald kommen, lange bleiben, u.d.m. Hergegen saget man: ich laufe stark, er reitet schnell, sie schreiben schön, du kömmst bald, ihr bliebet lange, lauf geschwind, schreibe gut, komm her, geh hin, u.d.gl. Allein, weil die völlig und längst vergangene[565] Zeit, mit den Hülfswörtern aus der unbestimmten Art, gebildet werden: so müssen auch hier die Nebenwörter zwar nach dem Hülfsworte, aber vor dem Zeitworte stehen: z.E. ich bin stark gelaufen, nicht, ich bin gelaufen stark; ich hätte fleißig geschrieben; ich werde bald antworten, u.d.m.


5 Anmerkung.


5 §. Die verdoppelte Verneinung, die noch im vorigen Jahrhunderte bey guten Schriftstellern gewöhnlich war, um desto stärker zu verneinen, muß itzo in der guten Schreibart ganz abgeschaffet werden.


Man sagte z.E. damals: ich habe ihn niemals nicht gesehen; Es wird ihm dadurch nichts nicht entgehen; Es kann es keiner nicht so gut. Und Opitz schreibt:


Zwar eine stolze Feder

Ein Ring, ein güldnes Schwert, und auch ein güldnes Leder,

Schmeißt keine Feinde nicht.


Allein, heute zu Tage spricht nur noch der Pöbel so. Artige Leute vermeiden es, und zierliche Scribenten noch mehr. Ich habe ihn niemals gesprochen; dadurch entgeht dir nichts. Es thuts ihm keiner gleich, u.d.m. ohne das Nicht1. Auch beym verbiethen, untersuchen, brauchet es keine Verneinung hinten nach. Ich verbiethe dirs, das zu thun, ohne nicht. Er hat mirs untersaget, ihn zu nennen.


[566] 6 Anmerkung.


6 §. Es ist etwas besonders, daß man auch einen ganzen Spruch im Deutschen, mit dem Worte Nicht beschließen kann.


Z.E. Gott verläßt die Seinen nicht. Ein Soldat muß den Degen führen, aber ein Gelehrter nicht; oder thut es nicht; brauchet ihn nicht; führet ihn nicht. Das machet aber, daß die Verneinung bey uns, wie alle Nebenwörter, nur vor der verbindenden und unbestimmten Art der Zeitwörter stehen kann; allen andern Arten aber nachgesetzet wird. Z.E. Ich sage dir, daß ich dich nicht höre; Ich kann, will und mag es nicht thun. Ich habe es nicht gehöret (NB. gehöret, ist aus dem INFINITIVO, oder der unbestimmten Art). Ich werde es nicht hören; (hören ist eben daher).


7 Anmerkung.


7 §. Das Verneinungswort, nicht, wird auch zuweilen mit Zeitwörtern verbunden, um einige Hauptwörter daraus zu bilden.


Z.E. Das Wollen und Nichtwollen; das Haben und Nichthaben; das Wissen und Nichtwissen; oder so: Nichtmehrthun ist die beste Buße. Imgleichen wie Opitz schreibt:


Ihr Wissen, und Nichtthun, ihr scheußliches Gemüthe

Dringt meines schmerzlich durch.


Denn ob wir gleich das Un, auch dergestalt brauchen könnten, so schicket es sich doch zu Zeitwörtern nicht. Der Unwillen, saget man wohl, aber nicht das Unwollen; die Unwissenheit, aber nicht das Unwissen. Doch saget man mit neuen Vorsyllben, beunruhigen, verunzieren.


[567] 8 Anmerkung.


8 §. Es ist ein Misbrauch, daß viele das Un vor den Nebenwörtern, immer in ohn verwandeln wollen.


Sie sagen also falsch, ohnmöglich, ohnwissend, ohnnöthig, ohnachtsam, ohnmenschlich, ohnchristlich, ohnerträglich u.d.gl. Denn hier sollte überall, sowohl als bey den Hauptwörtern, Unmöglichkeit, Unwissenheit, Unachtsamkeit u.d.gl. die Syllbe un, als das griechische α PRIVATIVUM, stehen. Ein anderes ist es mit dem Worte ohnmächtig, welches von Ohnmacht kömmt: und mit ohngefähr, welches aus ohne, und gewahr werden, zusammengesetzet worden, und also die Spur seines Ursprunges noch behalten muß. Man sage also auch, unartig, unfleißig, unbarmherzig, unerheblich, unbedachtsam, unerhört etc. nicht ohnerhört etc.2


9 Anmerkung.


9 §. Die Alten vermischten die Wörterchen vor, und ver, wenn sie vor den Zeitwörtern stehen. Es ist aber ein großer Unterschied zwischen beyden; indem das eine absonderlich, das andre aber unabsonderlich ist.


Vertreiben ist nicht vortreiben: vergeben ist nicht vorgeben; verweisen ist nicht vorweisen; verlegen, nicht vorlegen; vergehen, nicht vorgehen; verwerfen, nicht vorwerfen; u.d.m. Vor bedeutet allemal eine Zeit, oder einen Ort; Ver aber niemals. Vor hat auch allemal einen langen, Ver aber einen kurzen Laut. Das Vor wird aber von einigen[568] Landschaften gewissen Wörtern unnöthig vorgesetzet; z.E. Vorfinden3.


10 Anmerkung.


10 §. In Oberdeutschland wird die Syllbe An auf eine merkliche Art gemisbrauchet, wenn man sie in Reichskanzleyen, vor solche Zeitwörter setzet, die dadurch auf keine Weise bestimmet werden können, etwas mehr oder weniger zu bedeuten.


So spricht man z.E. anerfodern; anermessen; anbedeuten; anerlauben; angewähren; anheut; ansonst; u.a.m. die noch wohl viel ärger klingen. Hier steht aber das an überall müßig und umsonst; und verlängert die Wörter ohne Noth. Ein anders ist es, mit anrathen, anordnen, anweisen, anzeigen, anmerken, u.a.m. die ihren guten Grund haben, und ohne das an etwas weniger bedeuten würden.


11 Anmerkung.


11 §. Das Wörtchen vor wird überall mit gutem Rechte gebrauchet, wo von Zeit und Ort die Rede ist, wie das lateinische ANTE, PRÆ und CORAM.


Daher ist es ganz unrecht, wenn viele schreiben fürlegen, fürschreiben, fürbilden, fürmalen, fürstellen, u.d.gl. da es doch überall vor heißen sollte; weil man einem etwas vor die Augen leget, schreibt, bildet, malet und stellet. Diese betrafen den Ort: folgende zielen auch auf die Zeit; als vorgehen, vorlaufen, vorfahren, vorreiten, vortraben, vorziehen, u.d.gl. davon auch die Hauptwörter Vorgänger, Vorläufer, Vorfahr, Vorreiter, Vortrab, Vorzug, Vorbild, vornehm, u.a.m. kommen.


[569] 12 Anmerkung.


12 §. Für muß nur in denen Fällen gebrauchet werden, wo man, anstatt eines andern, oder in seinem Namen, oder ihm zu gute etwas thut; welches der Lateiner mit PRO ausdrücket.


Z.E. Man muß sagen: für einen bitten, für einen sprechen, schreiben, reden, zahlen, leiden, u.d.gl. davon der Fürbitter, die Fürbitte, der Fürsprecher, oder die Fürsprache, imgleichen eine Fürschrift kömmt; die von einer Vorschrift ganz unterschieden ist. Jene bedeutet eine INTERCESSION, oder ein Empfehlungsschreiben: diese aber einen Befehl, oder ein Muster, das man nachschreiben soll. Nur das Wort Vormund4 ist durch die lange Verjährung, auch wider die Regel eingeführet, ob es gleich eigentlich ein Fürmund heißen sollte: weil ein solcher für die Unmündigen sprechen muß5.


[570] 13 Anmerkung.


13 §. Es ist kein geringer Misbrauch, wenn einige von vielen zusammengesetzten Nebenwör tern, die ersten Syllben abbeißen, und sie dadurch so verkürzen, daß oft eine Undeutlichkeit und Zweydeutigkeit entsteht.


Z.E. Aus hervor, machen sie vor, und daher aus hervorziehen, vorziehen; aus hervortreten, vortreten; aus hervorlangen, vorlangen; aus hervorbringen, vorbringen; u.d.m. welches dann Verwirrungen in der Bedeutung verursachet. Eben so machen sie aus heraus, raus, aus hinein, nein, aus herab, herauf, rab, und rauf, aus herunter und hinunter, runter und nunter: und was dergleichen Verstümmelungen mehr sind, dadurch die Sprache allmählich wankend und ungewiß gemachet wird. NB. Die Geschwindigkeit im Sprechen, muß im Schreiben den Ursprung der Wörter nicht unkenntlich machen.


14 Anmerkung.


14 §. Auf das Nebenwort, desto, folget je, und auf je, desto; außer in etlichen sprüchwörtlichen Redensarten, worinn das je zweymal vorkömmt.


Z.E. Ich werde dich desto höher schätzen, je größer die Freundschaft ist, die du mir hiedurch erzeigest. Oder so: Je mehr Proben deiner Liebe du mir gegeben hast, desto eifriger werde ich auf Gegendienste denken. Die Sprüchwörter aber sind folgende: je länger hier, je später dort; je länger, je lieber; je krümmer Holz, je bessre Krücke: je ärger Schelm, je besser Glück. Je länger, je ärger, u.d.gl.


15 Anmerkung.


15 §. Die Nebenwörter werden ihren Zeitwörtern nach, und nicht vorgesetzet; wenigstens kommen sie zwischen den Hülfswörtern und Zeitwörtern zu stehen.[571]


Z.E. Ich komme bald; mache fort; geh geschwinder. Er studieret fleißig; er kömmt schon; sie fechten tapfer; Wir haben herrlich gesieget; unsere Heere wollen löwenmüthig kämpfen. Daher ist es falsch, wenn einige aus wunderlicher Nachahmung der Franzosen, die das DEJA bisweilen im Anfange setzen, auch im Deutschen, eine Rede mit Schon anfangen, z.E. Schon brach der Tag an etc. Schon sah man die Morgenröthe erscheinen etc. Denn welcher Deutsche hat jemals so geredet? Man spricht: der Tag brach schon an etc.6.


16 Anmerkung.


16 §. Eine Ausnahme von der vorigen Regel geben die Wörter ab, die eine Beschleunigung einer Sache andeuten; denn diese setzet man, gleichsam die Eilfertigkeit anzudeuten, in einer Gemüthsbewegung, auch von forne.


Z.E. Bald will ich da seyn! Sogleich soll es geschehen! Stracks will ich kommen! Augenblicklich war er da! Plötzlich schlug die Bombe nieder! Unverhofft brach der Boden ein, u.d.m. Zu diesen rechnet man auch das Kaum; denn man spricht: Kaum war er angekommen, als er sich so erklärte etc.


[572] 17 Anmerkung.


17 §. Die Nebenwörter, die eine Zeitfolge bedeuten, pflegen auch mehrentheils im Anfange der Sätze zu stehen.


Z.E. Damals geschah es etc. Nachmals hat sich die Sache geändert. Nachdem man die einheimischen Sachen in Ordnung gebracht, so gieng der Feldzug an. Als dieß geschehen war, oder vorgieng etc. Da Jesus gebohren war, etc. Seit der Zerstörung Jerusalems, sind die Juden in alle Welt zerstreuet. NB. Das Wörtchen Seit ist aus Zeit entstanden, und wird also übel sint der Zeit, oder seit der Zeit geschrieben: denn das ist eine unnöthige Verdoppelung: Zeit der Zeit. Es soll heißen seit dem, oder sint dem. Sobald, aber, kann gar nicht anders, als von vorne gebrauchet werden. Z.E. Sobald er ins Zimmer trat, sprach er etc. Es müßte denn ein denn, oder ein und vorhergehen.


18 Anmerkung.


18 §. Viele Nebenwörter werden nicht nur mit den Zeitwörtern, sondern auch wohl mit Nennwörtern, mit Mittelwörtern und andern kleinern Redetheilchen verbunden.


Z.E. Sehr schleunig; gar früh; hübsch fleißig; fein artig; nur einmal; kaum ein paarmal; heftig erzürnet; ein sehr geliebter Sohn; innigst geliebter Freund; hoch geschätzter Gönner; gerade zu; gleich gegenüber; schlecht weg; lange hernach: weit davon; kurz darauf; gleich hinterher, u.d.m.


19 Anmerkung.


19 §. Daher wird man sich nicht wundern, daß verschiedene Nebenwörter auch gewisse Endungen der Hauptwörter zu sich nehmen.


Z.E. Die zweyte fodern diese, innerhalb der Stadt; außerhalb unsers Gebiethes. Jenseit des Rheins; diesseit[573] der Alpen; laut meines Versprechens; kraft seiner Zusage; vermöge meines Ansehens, u.d.gl. Die dritte begehren: Seit dem Tage, seit dem Male, seit der Stunde, seit meinem Versprechen; längst dem Flusse, neben dem Ufer hin, nächst dem Meere etc. Dahin könnte man auch die Ausrufungen Weh! und Wohl! rechnen; die gleichfalls die dritte Endung fodern: Weh mir! Wohl euch! Wohl uns!7


20 Anmerkung.


20 §. Folgende Nebenwörter folgen auf einander: Wann, alsdann; oder wenn, so; so lange, bis; nachdem, so; wie, so. Wie, oder gleichwie, also; soweit, als; dafern, oder wofern, so etc. Weil, oder dieweil, so; nachdem, so; sowohl, als; zwar, dennoch, oder gleichwohl, u.d.gl.


Z.E. Wann du das Deine thun wirst, alsdann werde ich auch das Meine thun; wenn du willst, so komm; so lange will ich warten, bis du fertig bist; wie du es mit mir machest, so mache ich es mit dir; gleichwie es zu den Zeiten Noä gieng, also wird es bey der Ankunft des Menschensohns seyn; so weit kann man dieses erlauben, als es billig ist. Dafern er kömmt, so will ich ihn beherbergen; weil ers verlanget, so soll ers haben; nachdem, als, oder da ich das gesehen, so habe ich mich geändert; so wohl die Deinigen, als die Meinigen; das gebe ich zwar zu, gleichwohl fraget sichs etc.

Fußnoten

1 Ein gelehrter Gönner, der sich aber nicht zu nennen beliebet, meynet, weil das Deutsche in diesem Stücke mit dem Griechischen eine Ähnlichkeit hätte, so sollte man diese Verdoppelung nicht abschaffen. Ich würde es auch gewiß nicht thun, wenn es nicht schon von sich selbst abgekommen wäre. Aufbringen aber kann und mag ich es von neuem nicht: denn selbst im Griechischen war das ου μη, ein Überfluß, und folglich keine Schönheit. Und was gewinnet der Franzos mit seinem NON PAS, anders, als einen Umschweif? JE NE VOUS DIS PAS, heißt doch nur, ich sage euch nicht, ohne den geringsten mehrern Nachdruck.


2 Überaus undeutsch ist es auch, wenn man das nicht dadurch zu ersparen, saget, und schreibet: Wir werden ohnermangeln, es wird euch hiermit ohnverhalten. Ich habe diese Erinnerung meinem schlesischen Gönner zu danken: die aber vielen Reichsstilisten sehr nöthig ist.


3 Man will zwar dieß Wort damit entschuldigen, daß es heißen soll, etwas antreffen, das schon vor uns da gewesen ist. Allein, muß denn nicht alles, was man finden soll, schon vorher da gewesen seyn?


4 Einige, die alles im Deutschen, recht haarklein suchen und auskünsteln wollen, wollen durchaus auch Fürmund sagen; sie bedenken aber nicht, daß man in allen Sprachen dem Gebrauche etwas nachsehen muß. Z.E. die Lateiner brauchen das PRO, in PROCONSUL PROCURATOR, recht; aber in PROPONERE, unrecht: denn hier heißt es nicht anstatt eines andern, oder für einen andern etwas thun. ANTE und PRÆ werden auch oft vermenget, und nicht immer in einerley Sinne gebrauchet, wie PRÆCELLERE, ANTECELLERE, PRÆCEDERE, und ANTECEDERE, PRÆSUL und ANTISTES sattsam zeigen. Wer will es nun begehren, daß das Alterthum im Deutschen überall richtig geblieben seyn soll? Wenn wir nur die übrigen Verwirrungen des für und vor, aus Bibeln, Gesangbüchern und Katechismen loswerden könnten, so wollten wir bald eine richtigere Schreibart bekommen. Z.E. In der ganzen Litaney ist das Für falsch, anstatt vor gesetzet. Aber welcher Herausgeber von Gesangbüchern versteht die Sprachkunst? Luthers Glauben singt recht; er sorget für uns; imgl. für uns, die wir waren verlohren.


5 Man sehe hiervon mit mehrerm der kritischen Beyträge I Band, a.d. 130sten u.f.S.


6 Es ist indessen dieses nicht von einer völligen Bestimmung der Zeit zu verstehen, die mit dem Wörtchen schon ganz wohl angefangen werden kann. Denn wenn Kanitz schreibt:


In meiner Jugend schon, auf den bestäubten Bänken,

Hub sich die Kurzweil an etc.


So hätte man auch sagen können: Schon in meiner Jugend; imgl. Schon zu unserer Väter Zeiten; u.d.gl. Dieß ist allen geläufig, aber das andere ist eine bloße Nachäffung der Franzosen. Z.E. Schon verderbten sie ihre Muttersprache: als kaum die Hälfte des XVIIIten Jahrhunderts verflossen war! Wird es nicht schön lauten, wenn man dereinst so von unsern Neulingen schreiben wird?


7 Hier ist es eine wunderliche Neuerung und Nachäffung der Engländer, wenn einige Heil dir! Heil ihm! Heil uns! zu schreiben anfangen. Was für einen Mischmasch wird man aus dem Deutschen noch machen, wenn das so fortgeht! Wer saget denn bey uns: Glück dir! Noth ihm! Tod ihnen!


O IMITATORUM SERVUM PECUS! QUAM MIHI SÆPE

BILEM, SÆPE JOCUM VESTRI MOVERE TUMULTUS![574]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 564-575.
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