Das XXIII. Kapitel.

[92] Wie Courasche abermal einen Mann verloren und sich darnach gehalten habe.


Zu Passau schlug es mir bei weitem nicht so wohl zu, als ich mich versehen hatte; es war mir gar zu pfäffisch und zu andächtig: ich hätte lieber anstatt der Nonnen Soldaten oder anstatt der Mönche einige Hofbursch dort sehen mögen. Und gleichwohl verharrete ich daselbsten, weil damals nicht nur Böhmen, sondern auch fast alle Provinzen des Teutschlandes mit Krieg überschwemmt waren. Indem ich nun sähe, daß alles der Gottesforcht daselbst zugetan zu sein schiene, akkommodierte ich mich gleichfalls aufs wenigst äußerlich nach ihrer Weis und Gewohnheit, und was mehr ist, so hatte meine böhmische Mutter oder Kostfrau das Glück, daß sie an diesem andächtigen Ort unter dem Glanz der angenommenen Gottseligkeit den Weg aller Welt gieng, welche ich denn auch ansehenlicher begraben ließe, als wann sie zu Prag bei St. Jakobs Tor gestorben wäre. Ich hielte es vor ein Omen meiner künftigen Unglückseligkeit, weil ich nunmehr niemanden auf der Welt mehr hatte, dem ich mich und das Meinige rechtschaffen hätte vertrauen mögen; und derentwegen haßte ich den unschuldigen Ort, darin ich meiner besten Freundin, Säugammen und Auferzieherin war beraubt worden; doch patientiert ich mich daselbst, bis ich Zeitung bekam, daß der Wallensteiner Prag, die Haubtstadt meines Vatterlands eingenommen und wiederum in des Röm. Kaisers Gewalt gebracht; dann auf solche erlangte Zeitung, und weil der Schweb zu München und in ganz Bayern dominiert, zumalen in Passau seinetwegen große Forcht war, machte ich[92] mich wieder in besagtes Prag, wo ich mein meistes Gelt liegen hatte.

Ich war aber kaum dort eingenistelt, ja ich hatte mich noch nicht recht daselbst gesetzt, mein zusammengeschundenes Gelt und Gut im Frieden und, meinem Bedunken nach, in einer so großen und dannenhero auch meinem Vermuten nach sehr sichern Stadt wollustbarlich zu genießen; siehe, da schlug der Arnheim die Kaiserlichen bei Liegnitz, und nachdem er daselbst 53 Fähnlin erobert, kam er, Prag zu ängstigen. Aber der Allerdurchläuchtigst dritte Ferdinand schickte seiner Stadt (als er selbsten Regenspurg zusetzte) den Gallas zu Hülfe, durch welchen Sukkurs die Feinde nicht allein Prag, sondern auch ganz Böhmen wiederum zu verlassen genötigt wurden.

Damal sahe ich, daß weder die große und gewaltige Städte noch ihre Wäll, Türn, Mauren und Gräben mich und das Meinige vor der Kriegsmacht derjenigen, die nur im freien Feld, in Hütten und Zelten logieren und von einem Ort zum andern schweifen, beschützen könnte; derowegen trachtet ich dahin, wir ich mich wiederum einem solchen Kriegsheer beifügen möchte.

Ich war damal noch ziemlich glatt und annehmlich, aber gleichwohl doch bei weitem nicht mehr so schön als vor etlich Jahren. Dannoch brachte mein Fleiß und Erfahrenheit mir abermal ans dem Gallaschischen Sukkurs einen Haubtmann zuwegen, der mich ehelichte, gleichsam als wann es der Stadt Prag Schuldigkeit oder sonst ihr eigne Art gewest wäre, mich auf allen Fall mit Männern, und zwar mit Haubtleuten zu versehen. Unsere Hochzeit wurde gleichsam gräflich gehalten, und solche war kaum vorüber, als wir Ordre kriegten, uns zu der kaiserlichen Armada vor Nördlingen zu begeben, die sich kurz zuvor mit dem hispanischen Ferdinand Kardinal-Infant konjungiert, Donawerth eingenommen und Nördlingen belagert hatte. Diese nun kamen der Fürst von Weimar und Gustavus Horn zu entsetzen, worüber es zu einer blutigen Schlacht geriete, deren Verlauf und darauf erfolgte Veränderung nicht vergessen werden wird, solang die Welt stehet. Gleichwie sie aber auf unserer Seiten überall glücklich abliefe, also war sie mir gleichsam allein schädlich und unglückhaft, indem sie mich meines Manns, der noch kaum bei mir erwarmet, im ersten Angriff beraubte; überdas so hatte ich nicht das Glück, wie mir etwan hiebevor in anderen Schlachten widerfahren, vor mich selbsten und mit meiner Hand Beuten zu machen, weil ich wegen anderer, die mir vorgiengen, sodann auch wegen[93] meines Manns allzu frühen Tod nirgends zukommen konnte. Solches bedunkten mich eitel Vorbedeutungen meines künftigen Verderbens zu sein, welches dann die erste Melancholia, die ich mein Tage rechtschaffen empfunden, in meinem Gemüt verursachte.

Nach dem Treffen zerteilte sich das sieghafte Heer in unterschiedliche Tropften, die verlorne teutsche Provinzen wiederzugewinnen, welche aber mehr ruiniert als eingenommen und behauptet worden. Ich folgte mit dem Regiment, darunder mein Mann gedienet, demjenigen Corpo, das sich des Bodensees und Wirtenberger Landes bemächtigt, und ergriffe dardurch Gelegenheit, in meines ersten Hauptmanns (den mir hiebevor Prag auch gegeben, Hoya aber wiedergenommen) Vatterland zu kommen und nach seiner Verlassenschaft zu sehen, allwo mir dasselbe Patrimonium und des Orts Gelegenheit so wohl gefiele, daß ich mir dieselbige Reichsstadt gleich zu einer Wohnung erwählete, vornehmlich darum, weil die Feinde des Erzhauses Österreich zum Teil bis über den Rhein und anderwärts, ich weiß als nit wohin, verjagt und zerstreuet waren, also daß ich mir nichts Gewissers einbildete, dann ich würde ihrentwegen mein Lebtage dort sicher wohnen. So mochte ich ohnedas nicht wie der in Krieg, weil nach dieser namhaften Nördlinger Schlacht überall alles dergestalt aufgemauset wurde, daß die Kaiserlichen wenige rechtschaffene Beuten meiner Mutmaßung nach zu hoffen.

Derowegen fienge ich an, auf gut bäurisch zu hausen: ich kaufte Viehe und liegende Güter, ich dingte Knecht und Mägd und schickte mich nit anderst, als wann der Krieg durch diese Schlacht allerdings geendigt oder als ob sonst der Friede vollkommen beschlossen worden wäre; und zu solchem Ende ließe ich alles mein Gelt, das ich zu Prag und sonst in großen Städten liegen hatte, herzukommen und verwendete das meiste hierzu an. Und nun siehe, Simplice, dergestalt seind wir meiner Rechnung und deiner Lebensbeschreibung nach zu einer Zeit zu Narren worden, ich zwar bei den Schwaben, du aber zu Hanau. Ich vertät mein Gelt unnützlich, du aber deine Jugend; du aber kamest zu einem schlechten Krieg, ich aber bildet mir vergeblich eine Friedenszeit ein, die noch in weitem Feld stunde. Dann ehe ich recht eingewurzelt war, da kamen Durchzüg und Winterquartier, die doch die beschwerliche Contributiones mit Nichten aufhuben; und wann die Menge meines Gelts nicht ziemlich groß oder ich nicht so witzig gewesen wäre, dessen Besitzung weislich zu verbergen, so wäre ich zeitlich kaputt[94] worden. Dann niemand in der Stadt ware mir hold, auch meines gewesenen Manns Freunde nicht, weil ich dessen hinterlassene Güter genosse, die sonst ihnen erblich zugefallen wären, wann mich, wie sie sagten, der Hagel nicht hingeschlagen hätte. Dannenhero wurde ich mit starken Geltern belegt und nichtsdestoweniger auch mit Einquartierungen nicht verschonet. Es gieng mir halt wie den Wittiben, die von jedermann verlassen sein. Aber solches erzähle ich dir darum nicht klagenderweis, begehre auch dessentwegen weder Trost, Hülf, noch Mitleiden von dir, sondern ich sage dirs darum, daß du wissen solltest, daß ich mich gleichwohl nicht viel deswegen bekümmerte noch betrübte, sondern daß ich mich noch darzu freuete, wann wir einem Regiment mußten Winterquartier geben; dann sobald solches geschahe, machte ich mich bei den Offiziern zutäppisch. Da war Tag und Nacht nichts als Fressen und Saufen, Huren und Buben in meinem Hause; ich ließe mich gegen ihnen an, wie sie wollten, und sie mußten sich auch hinwiederum, wann sie nur einmal angebissen hatten, gegen mir anlassen, wie ichs haben wollte, also daß sie wenig Gelt mir sich aus dem Quartier ins Feld trugen; worzu ich dann mehr als tausenderlei Vörtel zu gebrauchen wußte und trutz jeder mann, der damals etwas darwider gesagt hätte. Ich hielte allezeit ein paar Mägd, die kein Haar besser waren als ich gienge aber so sicher, klüglich und behutsam damit um, daß auch der Magistrat, meine damalige liebe Obrigkeit, selbsten mehr Ursach hatte, durch die Finger zu sehen, als mich deswegen zu strafen, sintemal ihre Weiber und Töchter, solang ich vorhanden war und mein Netz ausspannen dörfte, nur desto länger fromm verblieben. Dies Leben führete ich etliche Jahr, eh ich mich übel dabei befande, zu welcher Zeit ich jährlich gegen dem Sommer, wann Mars wieder zu Felde gieng, meinen Überschlag und Rechnung machte, was mich denselbigen Winter der Krieg gekostet, da ich dann gemeiniglich fande, daß mein Prosperität und Einnahm die Ausgab meiner schuldigen Kriegs kosten übertroffen. Aber, Simplice, jetzt ists an dem, daß ich dir auch sage, mit was vor einer Laugen ich dir gezwaget; will derowegen jetzt nicht mehr mit dir, sondern mit dem Lese reden; du magst aber wohl auch zuhören, und wann du vermeinest, daß ich lüge, mir ohngehindert in die Rede fallen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 92-95.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon