Gespräch einer Jungfrau mit einem dürren Rosenstocke

[25] Sie.


Ach, wer hat von deinem Haupt

Deine Rosenkron' genommen?


Er.


Schau, der Nord hat mich beraubt,

Der mit Kält' ist angekommen.


Sie.


Ich beschaute mit Behagen

Deine Blüte, Blum' und Blatt.


Er.


Allen Schmuck, den ich getragen,

Diese Zeit geendet hat.


[26] Sie.


Ich betraure deine Zier,

Die du pfeilgeschwind verloren.


Er.


Auch dein End' ruht vor der Thür,

Gleich dem Allen, was geboren.


Sie.


Deine Blum', die du getrieben,

War grün, gold- und weißlich- roth.


Er.


Nichts als Dornen sind geblieben,

Und die Blum' ist worden Koth.


Sie.


Warum hat die rauhe Zeit

Deine Dornen nicht verzehret?


Er.


Weil die Freude nach dem Leid

Mich mit Frühlingskräften mehret.


Sie.


So wirst du nicht kahl verbleiben,

Ganz entlaubet, hars1 und klein?


[27] Er.


Nein, ich werde Rosen treiben

Mit dem linden Lenzenschein.


Sie.


Unterdessen lebst du todt,

Und der Schnee muß dich bedecken.


Er.


Gott wird dich auch nach der Noth

Aus der Erden auferwecken.


Sie.


So will ich mich nicht entsetzen,

Weil der Tod das Leben giebt.


Er.


Was verletzet, wird ergötzen,

Denn du bist von Gott geliebt.


Sie.


Wohl, so wird auch mein Gebein

Grünen an dem jüngsten Tage.


Er.


Viel mehr Freude wird da sein,

Als du jetzo leidest Plage.


[28] Sie.


Also sterb' ich nun erfreuet,

Und das Sterben schmerzt mich nicht.


Er.


Der den Rosenstrauch erneuet,

Bringt dich wieder an das Licht.


Fußnoten

1 D.h. harsch, hart, rauh.


Quelle:
Auserlesene Gedichte von Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj, Sigmund von Birken, Andreas Scultetus, Justus Georg Schottel, Adam Olearius und Johann Scheffler, Leipzig 1826, S. 25-29.
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