[194] »Ja, das Kätzchen hat gestohlen,
Und das Kätzchen wird ertränkt.
Nachbars Peter sollst du holen,
Daß er es im Teich versenkt!«
Nachbars Peter hat's vernommen,
Ungerufen kommt er schon;
»Ist die Diebin zu bekommen,
Gebe ich ihr gern den Lohn!«
Mutter, nein, er will sie quälen,
Gestern warf er schon nach ihr,
Bleibt nichts And'res mehr zu wählen,
So ertränk' ich selbst das Thier.[194]
Sieh, das Kätzchen kommt gesprungen,
Wie es glänzt im Morgenstral!
Lustig hüpft's dem kleinen Jungen
Auf den Arm zu seiner Qual.
Mutter, laß das Kätzchen leben,
Jedes Mal, wenn's dich bestiehlt,
Sollst du mir kein Frühstück geben,
Sieh nur, wie es artig spielt!
»Nein, der Vater hat's geboten,
Hundert Mal ist ihr verzieh'n!«
Hat sie doch vier weiße Pfoten!
»Einerlei! Ihr Tag erschien!«
»Nachbarin, ich folg' ihm leise,
Ob er es auch wirklich thut!«
Peter spricht es häm'scher Weise,
Und der Knabe hört's mit Wuth.
Unterwegs auf manchem Platze
Bietet er sein Liebchen aus,
Aber Keiner will die Katze,
Jeder hat sie längst im Haus.
Ach, da ist er schon am Teiche,
Und sein Blick, sein scheuer, schweift,
Ob ihn Peter noch umschleiche –
Ja, er steht von fern und pfeift.
Nun, wir Alle müssen sterben,
Großmama ging dir vorauf,
Und du wirst den Himmel erben,
Kratze nur, sie macht dir auf![195]
Jetzt, um sie recht tief zu betten,
Wirft er sie mit aller Macht,
Doch zugleich, um sie zu retten,
Springt er nach, als er's vollbracht.
Eilte Peter nicht, der lange,
Gleich im Augenblick herzu,
Fände er, es ist mir bange,
Hier im Teich die ew'ge Ruh.
In das Haus zurückgetragen,
Hört er auf die Mutter nicht,
Schweigt auf alle ihre Fragen,
Schließt die Augen trotzig-dicht.
Von dem Zucker, den sie brachte,
Nimmt er zwar zerstreut ein Stück,
Doch den Thee, den sie ihm machte,
Weis't er ungestüm zurück.
Welch ein Ton! Er dreht sich stutzend,
Und auf einer Fensterbank,
Spinnend und sich emsig putzend,
Sitzt sein Kätzchen blink und blank.
»Lebt sie, Mutter?« Dem Verderben
Warst du näher, Kind, als sie!
»Und sie soll auch nicht mehr sterben?«
Trinke nur, so soll sie's nie!
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
|
Buchempfehlung
Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.
78 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro