Erster Teil

[9] Wir fuhren an einem türkischen Schiffe vorbei, sie brannten ihre Kanonen los: die Gondel wankte, worin ich aufgerichtet stand; ich verlor das Gleichgewicht und stürzte in die See, verwickelte mich in meinen Mantel, arbeitete vergebens und sank unter.

Als ich wieder zu mir gekommen war, befand ich mich bei einem jungen Menschen, welcher mich gerettet hatte; seine Kleider lagen von Nässe an, und aus den Haaren troff das Wasser. »Wir haben uns nur ein wenig abgekühlt!« sprach er freundlich mir Mut ein; ich drückte ihm die Hände.

Das Fest war für uns verdorben. Meine vorigen Begleiter eilten nun von dannen. Wir ließen den Bucentoro zwischen tausend Fahrzeugen, unter dem Donner des Geschützes von allen Schiffen aus den Häfen, in die offne See stechen und den Dogen sich mit dem Meere vermählen; und er brachte mich mit seinem Führer nach meiner Wohnung.

Hier schied er von mir, ohne daß er mir weder sein Quartier noch seinen Namen sagen wollte; bloß aus der Mundart bemerkte ich, daß er ein Fremder war; jedoch versprach er, mich bald zu besuchen. Wir umarmten uns, und mir wallte das Herz, es regte sich eine Glut darinnen. Seine Jugend stand eben in schöner Blüte, um Mund und Kinn flog stark der liebliche Bart an; seine frischen Lippen bezauberten im Reden, und die Augen sprühten Licht und Feuer; groß und wohlgebildet am ganzen Körper, mit einer kühnen Wildheit, erschien er mir ein höheres Wesen.

Sein Bild wich den ganzen Tag nicht aus meiner Seele; ich konnte weder essen noch trinken und vor Ungeduld nicht bleiben.

Abends war Gondelrennen, das auf der See, was Wettlauf auf dem Lande; wodurch unsre Leute zu mutigen Schiffern[9] sich bilden: ein Spiel, wo Stärke, Gewandtheit und Führung des Ruders den Preis davonträgt und welchem nur ein Pindar fehlt, es wie die olympischen zu verherrlichen. Der ganze Große Kanal schäumte und war Getümmel von schönem Leben; die Fenster der Paläste prangten mit ihren Tapeten, und die untergehende Sonne glänzte daraus wider in unzählbaren frohlockenden Gestalten.

Ich fuhr an den Markusplatz und ging darauf in Gedanken herum, bis die Nacht einsank und ihre Kühle verbreitete; die Erleuchtung der Buden mit den Kostbarkeiten der Messe gab eine neue Augenweide. Ich blickte in verschiedene Weinschenken unter den Hallen; in einer dünkte mich, den jungen Mann gesehen zu haben, der mich so großmütig der Gefahr entzog. Ich kehrte sogleich um und ging in meiner Maske hinein.

Es war der Versammlungsort der Künstler, und ich hatte recht gesehen. Sie schienen im Streite zu sein. Paul von Verona führte das Wort und sagte:

»Wer über ein Kunstwerk am richtigsten urteilen kann? Ich glaube, wer die Natur am besten kennt, die vorgestellt ist, und die Schranken der Kunst weiß. Ich verachte die Elenden, die von einem Manne von Geist und Welt verlangen, daß er ein Schmierer wie sie sein soll, eh er über ein Gemälde urteilen will. Das komische Approbatum sogar, welches die teutschen Roßtäuscher an die Pferde vor der Markuskirche mit ihren Namen schrieben, gilt mir zum Exempel mehr hier als jener ganze Troß; in Stutereien geboren und erzogen, fühlten sie die herrliche lebendige Pferdsnatur und wie jeder von den vier jungen mutigen Hengsten seinen eigenen Charakter hat. Die Vortrefflichkeit ihrer Köpfe und wie sie schnauben und ungeduldig sind, daß sie im Zügel gehalten werden, lernt man durch kein bloßes Gekritzel von Zeichnung. Selbst der größte Maler, der immer auf festem Lande lebte, kann über kein Seestück urteilen; und der erste beste Sultan, der liebt und noch Kraft in den Adern hat, darf eher sprechen aus seinem[10] Serail über eine nackende Venus von unserm Alten als der fromme Fra Bartolommeo.«

»Wahr!« versetzte ein andrer, der deutlichen hellen und volltönigen Aussprache nach ein Römer; aber der Geschmack kömmt nicht von selbst. Man muß erst wissen, was Kunst ist, und den Vorrat der Kunstwerke mit naturerfahrnem Sinn geprüft haben, sonst geht man der Prozession mit der Madonna von Cimabue hinterdrein und bejubelt sie als das Non plus ultra. Die Leute glauben, es wäre nicht möglich, etwas Bessers zu machen, weil sie nichts Bessers gesehen haben; und denken, wie ihnen zumute wäre, wenn sie den Pinsel in die Hand nehmen sollten. Daher alle die albernen Urteile von sonst sehr gescheiten und gelehrten Männern über die Künstler der vorigen Zeit; sie schwatzten gleich vom Zeuxis und Apelles, weil sie platterdings von diesen Namen keinen sinnlichen Begriff hatten. Und so wird's bei den Ausländern, wo die Kunst anfängt und die Meisterstücke nicht vorhanden sind, mit euch und dem Tizian und Raffael ergehen; ihr werdet ebenso gemißbraucht werden.

Und dann muß man gewiß mehr als ein Werk und viel von einem Meister gesehn haben, ehe man nur ihn recht kennenlernt. So geht's auch mit den Menschen überhaupt; die trefflichen muß man studieren. Es ist nichts eitler und törichter als die Reisenden und Hofschranzen, die einen wichtigen Mann gleich beim ersten Besuch und Gespräch weghaben wollen.

Doch um nicht auszuschweifen: »Keiner kann einen Teil vollkommen verstehen, ohne vorher einen Begriff vom Ganzen zu haben, und so wieder umgekehrt. Jedes einzelne Gemälde zum Beispiel macht folglich einen Teil von der gesamten Malerei, so wie sie gegenwärtig in der Welt ist; und man muß wenigstens ihr Bestes überhaupt kennen, ehe man dem einzelnen seinen Rang anweisen will.«

Mein junger Mann erwiderte jetzt mit Feuer:

»Ich mag nicht bestimmen, inwiefern der Herr recht hat.[11] Das Geräusch der Messe um uns erlaubt keine nüchterne Beratschlagung; ich glaube, Meister Paul hat das Seinige gesagt, damit, daß ein befugter Richter noch die Grenzen der Kunst kennen muß.

Allein, ihr Lieben, jede Form ist individuell, und es gibt keine abstrakte; eine bloß ideale Menschengestalt läßt sich weder von Mann noch Weib und Kind und Greis denken. Eine junge Aspasia, Phryne läßt sich bis zur Liebesgöttin oder Pallas erheben, wenn man die gehörigen Züge mit voller Phantasie in ihre Bildungen zaubert: aber ein abstraktes bloß vollkommnes Weib, das von keinem Klima, keiner Volkssitte etwas an sich hätte, ist und bleibt meiner Meinung nach ein Hirngespinst, ärger als die abenteuerlichste Romanheldin, die doch wenigstens irgendeine Sprache reden muß, deren Worte man versteht.

Und solche unerträglich leere Gesichter und Gestalten nennen die armseligen Schelme, die weiter nichts als ihr Handwerk nach Gipsen erlernt haben und treiben, wahre hohe Kunst; und wollen mit Verachtung auf die Kernmenschen herunterschauen, die die Schönheiten, welche in ihrem Jahrhundert aufblühten, mit lebendigen Herzen in sich erbeutet haben.

»Dies ist der wahre Weg«, beschloß der Römer. »Inzwischen kann man über nichts urteilen, wovon man kein Ideal hat; und dies entwirft der Verstand mit der Wahl aus vielem.«

Hier trennte sich die Gesellschaft; Paul ging weg und nahm den Jüngling in Arm. Ich folgte nach. Sie zogen den Platz ein paarmal herum und hörten da und dort der Musik und den Scherzen lustiger Truppen zu. Beim Eingang in die Merceria verließ ihn endlich Paul; ich nahm meine Maske ab und machte mich an ihn.

Er erkannte mich gleich und freute sich, daß mein Zufall keine schlimme Folgen gehabt hätte. Ich bezeugte ihm vom neuen meine Dankbarkeit und wünschte ihm irgendworin für seine edle Tat Dienste leisten zu können.[12]

Dies setzte ihn in Verlegenheit. »Was hab ich getan,« erwiderte er, »das ich nicht bei jedem andern Erdensohn getan hätte? hätte tun müssen? Wie mancher Bube holt ein Stück Geld vom Sand aus der Tiefe und stürzt sich noch obendrein von Höhen in die Flut. Übertriebnes Lob für Schuldigkeit macht die Menschen feig und eitel. Das ist ein elendes Volk an Heldenmut und Verstand, wo bei jeder Kleinigkeit eine Ehrensäule muß aufgerichtet werden. Was geschehen ist, sei geschehen!«

»Groß auf Ihrer Seite,« verfügt ich, »und gewiß ist der Rettende schon in sich der Göttliche. Inzwischen glaub ich aber doch, daß die Dankbarkeit das festeste und sanfteste Band der Gesellschaft sei, und auch ein wenig Ausschweifung darin eine Nation immer liebenswürdig und den wackern Männern derselben das Leben froher mache.«

Er sah mich hierbei mit einem neuen seelenvollen Blick an, und wir faßten uns traulicher. Ich bat ihn inständig, diesen Abend bei mir zu bleiben; und wir ließen uns am Broglio über den Kanal setzen.

Wir aßen und tranken, und das Tischgespräch wurde immer lebendiger, sobald die Bedienten uns verlassen hatten. Der erste Vorwurf war der heutige Tag. Er rühmte die Klugheit unsers Senats, daß sie sich aus dem bitterbösen Kriege nach dem Bündnisse bei Cambrai und jetzt aus dem Überfalle der ganzen türkischen Macht so glorreich gezogen hätten und in der alten Würde noch mit dem Meere vermählen könnten. Nur tat es ihm leid, daß der Cypernwein in Italien nun seltner und teurer werden würde.

»Wir sind unter vier Augen«, erwidert ich, um ihm das etwanige Mißtrauen gegen einen Nobile zu benehmen; denn ich fühlte den Zug der Liebe unwiderstehlich. »Nach jenem unglückseligen Bunde war ein arger Staatsfehler nur einigermaßen wieder gutgemacht, den man vorher hätte vermeiden müssen. Und auch jetzt würden wir das süße Königreich, die Insel der Liebe, nicht eingebüßt haben, wenn man dem Sultan, als der Silen noch Statthalter in[13] Cilicien gegenüber war, einige Fässer von ihrem Nektar wohlfeiler vergönnte; und die christlichen Freibeuter mit seinen weggekaperten schönen Knaben und Sklavinnen nicht allzu sicher zu Famaugusta in der Nachbarschaft einliefen.

Unsre Braut scheint uns übrigens nicht mehr so treu bleiben zu wollen, wenn man auf Vorbedeutungen gehen darf. Sie wissen, daß das Fest schon vorgestern sollte gehalten werden; aber die wilde Göttin weigerte sich, war Aufruhr und stürmte und warf ein Dutzend ertrunkner Schiffbrüchigen zum Großen Kanal herein bis an den Palast des alten Dogen. Papst Alexander der Dritte, der noch Gewalt über die Mutwillige hatte, ist leider längst gestorben; und Kolumb, der Held, dessen Genua nicht wert war, und andre welsche Piloten haben dem portugiesischen Heinrich und den kastilianischen Fürsten die wahre Amphitrite ausgekundschaftet, wogegen unsre nur eine Nymphe ist. Und überhaupt gibt sie sich nur den Tapfern und Klugen preis, wie alle freie Schönheit, und es hilft da keine Zeremonie. Wir hätten uns besser um unsre Braut bewerben sollen, anstatt uns um Steinhaufen viel zu plagen, nachdem sie uns einmal günstig war.«

»Vielleicht ist dies Schicksal«, antwortete er schalkhaft-bitter; »Ihr Doge vermählt sich vermutlich nicht umsonst so oft und trägt von jeher die phrygische Mütze mit Hörnern! und dann ist so eine Zeremonie gut fürs Volk und macht ihm Mut; und was einmal so prächtige Gewohnheit ist, läßt sich so leicht nicht abschaffen. Ihr Herrn tut vielleicht bald wieder einen andern Fang im Archipelagus und fischt ein neues Königreich. Es ist genug, daß man eins hundert Jahre lang ruhig besitzt. Dreimalhunderttausend Zechinen kann man hernach leicht für den Genuß bezahlen; dreitausend Zechinen fürs Jahr war die Residenz der Venus selbst wohl unter Brüdern wert. Dies hat euch eine Venezianerin vermacht, als ihr Gemahl, der König, starb und seine Kinder, eins nach dem andern, kurz darauf in eurer[14] Stadt: nun ist die Reihe an euch Jünglingen, eine Königin in Osten zu heuraten.«1

Dieser Stachel schnitt ein und verwundete mein damals noch allzu parteiisch-vaterländisches Herz. Mir geschah, als ob ich vor der Zeit vernünftig gewesen wäre; doch gefiel mir überaus seine Freimütigkeit gegen mich. Er bemerkte mit scharfem Blicke gleich das Unheimliche und fuhr fort: »Aber wir sind doch immer in Venedig, und die Mauern haben da Ohren; sprechen wir von etwas anderm!«

Nach einer kleinen Stille fing er an: »Ich muß Ihnen doch etwas von mir sagen, damit Sie wissen, wer ich bin und wie ich mit andern zusammenhange.

Ich bin ein Maler aus Florenz; und halte mich hier auf, um nach den toskanischen Gerippen mich am venezianischen Fleische zu weiden. Tizian hat den wesentlichen Teil von der Malerei, ohne welchen alles andre nicht bestehen kann. Es ist freilich da, aber ungesund und siech; sei's noch so himmlisch und vortrefflich oder als Gaukelspiel ohne Wahrheit. Wer nicht wie Tizian zu Werke schreitet, wird auch nie ein wahrhaft großer Maler werden. Die allgemeine Stimme entscheidet hier, nicht die Künstler. Tizian ergreift alle, die keine Maler sind; und diese selbst im Hauptstücke der Malerei, welches platterdings die Wahrheit der Farbe ist, so wie die Zeichnung der wesentliche Teil der Zeichnung. Malen ist Malen: und Zeichnen Zeichnen. Ohne Wahrheit der Farbe kann keine Malerei bestehen, eher aber ohne Zeichnung.«

»Wenn ich als Laie bei Euch strengen Herrn ein Wort reden darf,« fiel ich ein, »so mag Ihnen das venezianische Fleisch nach den Knochen und Sehnen des Michelangelo desto besser schmecken und bekommen.«

»Dies ist lauter Sophisterei«, antwortete er. »Der Maler[15] gibt sich mit der Oberfläche ab, und diese zeigt sich bloß durch Farbe; und er hat mit dem Wesentlichen der Dinge im eigentlichen Verstande wenig zu schaffen. Wer sich einmal in diese Grillen verliert, kann so leicht nicht wieder herauskommen. Das Zeichnen ist bloß ein notwendiges Übel, die Proportionen leicht zu finden: die Farbe das Ziel, Anfang und Ende der Kunst. Es versteht sich, daß ich hier vom Materiellen spreche. Dem Gerüste den Rang über das Gebäude geben zu wollen ist ja lächerlich; dem Zeichen, welches menschliche Schwachheit erfand, vor der Sache selbst, wenn ich so reden darf. Das Hohle und das Erhobne, Dunkle und Helle, das Harte und Weiche, und Junge und Alte, wie kann man es anders herausbringen als durch Farbe? Form und Ausdruck kann nicht ohne sie bestehen. Die schärfsten und strengsten Linien, selbst eines Michelangelo, sind Traum und Schatten gegen das hohe Leben eines Tizianischen Kopfs. Profile kann jeder Stümper abnehmen, da braucht sich der andre nur vors Licht zu setzen, richtiger als sie ein Raffael aus freier Hand zeichnet; aber das Lebendige mit allen den feinen Tinten in ihrer Vermischung und schwindenden Umrissen, die keine bloße Linie faßt: da gehört Auge und Gefühl dazu, das die Natur nur wenigen gab. Wer sich einmal an das Leichte gewöhnt, der kömmt mit dem Schweren gar selten fort.«2

»Sie mögen im Grunde recht haben«, versetzt ich darauf; »nur verfällt man bei Ihrer Art leicht in den Fehler, daß man sich allzusehr an das Materielle hält und das Geistige darüber außer acht läßt. Inzwischen möchte Ihnen der Römer – wahrscheinlich war es einer diesen Abend im Weinhause –, was Sie sagten, scharf bestreiten.«[16]

»Der Vorurteile sind noch mehr in der Kunst, die ebenso hartnäckig verfochten werden«, sprach er ferner. »Was das Geistige betrifft, das lernt sich und verlernt sich nicht; da gehört guter Instinkt aus Mutterleibe dazu und vollkommne Gegenstände von außen herum. Deuten und hinführen kann man wohl; aber wo kein Zug, keine innere Richtung ist, kömmt lauter Manier hervor, dem Menschen, der seinen Durst löschen will, soviel als nichts und überdrein vergebliche Mühe; denn er hat sich an den leeren Schein hinbemühen und untersuchen müssen.

Der Römer hat viel Verstand; nur malen soll er nicht: er hätt ein Schriftsteller werden sollen; jetzt aber ist er einmal im Geleise und schwatzt sich durch. Dieser ahmt eine Natur nach, welche nur noch in Steinen existiert, eine Natur ohne Farbe mit Farbe: und will täuschen! eine feste starre Bewegung von den Millionen Lebendigen, die immer um uns herum entstehen! weil es freilich jedermann leichter und dem schachmatten Stubensitzer bequemer ist, einen bretternen Hirsch zu schießen als einen, der durch die Wälder streicht und über Büsche und Gräben setzt; zumal da wir heutiges Tages meist verbotene Jagd haben.

Er hat ein langes und breites an der Hochzeit zu San Giorgio Maggiore von unserm herrlichen Paul getadelt. Christus mit seinen Aposteln sitzt freilich im Mittelgrund am Tische ziemlich unbedeutend; und sie sind bloß deswegen da, weil sie dasein müssen, weil wir andern Menschenkinder uns keinen sinnlichen Begriff von den Gestalten dieser Wundermänner machen können.

Die Hauptsache aber bleibt immer der Schmaus, das Fest und der Wein über alle Weine; erste erfreuliche Bekräftigung unsrer Religion nach dem Johannes. Und in dieser Rücksicht ist das Stück voll Laune und die Begebenheit darin erzählt wie eine spanische romantische Novelle. Die Hauptfiguren sind ein Tisch mit Spielleuten, die auf lieblichen Instrumenten Musik machen. Paul selbst spielt eine Geige der Liebe; Tizian den Regenten der Harmonie, den[17] Baß; Bassano, Tintorett andere Instrumente. Sie sind meisterhaft gemalt, haben treffliche Gestalten, passenden Ausdruck und sind schön gekleidet. Am Tische der Braut ist eine Sammlung der ersten Menschen dieser Zeit, alles voll Chronikwahrheit und Laune; sie müssen ihm das Drama aufführen. Die Luft im Hintergrunde ist gar leicht und heiter. Architektur, Gefäße und Speisen verzieren sehr gut. Die Beleuchtung breitet das Ganze auseinander und scheint vollkommen natürlich. Wer sieht so etwas nicht gern und weidet seine Augen daran!

Derselbe hat groß Ärgernis genommen an der Verletzung des Kostüms in der Familie des Darius beim Alexander mit seinen Helden, und bejammert, daß soviel Herrlichkeit dadurch gestört werde.

Sie kennen das Stück zu gut, da es bei Ihren Verwandten sich befindet. Man kann es den Triumph der Farben nennen; mehr Harmonie, mehr Pracht, mehr Lieblichkeit ist nicht möglich schier zu zeigen. Außerdem herrscht noch Wahrheit des Ausdrucks in allen Köpfen, die meistens Porträte sind. Wenn man nicht an die alte Geschichte denkt, und glaubt, es wäre der Sieg eines Helden der neuern Zeiten: so ist es ein wahrhaftes Meisterstück durchaus. Die Architektur im Hintergrunde gibt den Ton zum Ganzen; und es gehörte so tiefes Gefühl im Auge von Farbe, Pracht und Harmonie derselben dazu, wie Paul hatte, um auf einem solchen weißen Grunde die Gesichter und Stoffe so hervorgehen und leben zu lassen. Die Gruppe der vier weiblichen Figuren, die der Alte in eine Pyramide bringt, ist durchaus reizend, die Gesichter lebendig und von wunderbarer Frischheit. Alexander hat einen schönen Jünglingskopf, der freilich eher Weibern gefallen kann als die Welt bezwingen. Daß er ganz bis auf die Füße von oben herab in Purpur überein gekleidet ist, macht zwar einen großen roten Fleck bei längrer Betrachtung; doch hebt es ihn als Hauptfigur hervor. Sie sehen, daß im Wein die Wahrheit liegt! aber Paul kann sie vertragen. Parmenion hat einen[18] herrlichen Kopf und ein zauberisches gelbes Gewand; die Prinzessinnen haben schön geflochten blondes Haar. Und welche Menge Figuren, wie auf der Hochzeit, fast alle in Lebensgröße! Man kann dies wohl das prächtigste und zauberischeste Gemälde nennen, was Farben betrifft; mit jedem Blicke quillt neuer Genuß daraus fürs Auge; nächst dem noch göttlichern und reichern Hingang zum Tempel der Madonna als Kind in der Scuola della Carità von Tizian, dem Triumph aller Malerei. Sie werden lange unübertroffen bleiben und einzeln in der Welt dasein.

Die Vernachlässigung des Kostüms ist eigentlich ein Fehler für die Antiquaren; denn der große Haufe weiß nichts davon und merkt's nicht. Freilich wär es besser, die Künstler wählten keine alte Geschichten, wenn sie Naturwahrheit und Farbenpracht in den Gewändern zeigen wollten; griechische Gestalt und leichte Kleidung ist uns ganz entrückt. O wie verlangt mein Herz, jene glückseligen Inseln und das feste Land auf beiden Seiten noch heutzutag zu sehen und wie das heitre milde Klima noch jetzt dort das Lebendige bildet! Ach, wir sind so weit von der Natur abgewichen und von der wahren Kunst zurück, daß wir fast insgesamt einen bekleideten Menschen für schöner halten als einen nackten! Das kostbarste, prächtigste, feinste und niedlichste Gewand ist für den echten Philosophen und das Wesen, das nach klarem frischen Genuß trachtet, ein Flecken, eine Schale, die ihn hemmt und hindert.«

»Hätt ich Sie doch damals schon gekannt,« sagt ich ihm hierauf, »als ich diesen Zug begann: so wär Ihr Wunsch erfüllt! So wie Sie mich hier sehen, hab ich dieses alles schon durchwandert; leider zu früh. Mein Vater nahm mich mit sich nach Griechenland, wohin er von der Republik abgeschickt wurde; und ich blieb mit ihm daselbst drei Jahr. Das Beste, was ich zurückgebracht habe, ist Kenntnis des Griechischen; ich lese das alte ziemlich geläufig und schreibe und spreche das neue.«

Hier sprang er auf vor Freuden, ganz außer sich, so daß die[19] Gläser vom Tische flogen, und rief: »O glücklicher, seltner, wunderbarer Zufall! so jung und schön, und voll Verstand und Erfahrung! wir müssen ewig Freunde sein, und nichts soll uns trennen; du bist der Liebling meiner Seele.«

So fiel er mir um den Hals. Uns verging auf lange die Sprache, und wir waren zusammengeschmolzen durch Kuß und Blick und Umarmung.

Endlich nahm er wieder das Wort und sagte: »Hier ist nichts als wir! und alles andre in der Welt steht uns nur da zum Dienst.«

Ich war ganz erschüttert, durchbrannt von seinem Feuer, seiner Heftigkeit. Es wurde überhaupt wenig mehr gesprochen außer unzusammenhangende Reden im lyrischen Taumel, Akzente der Natur. Wir glühten beide von Wein und Leidenschaft: er riß sich los, schon spät in der Nacht, mit den Worten: »Morgen sind wir wieder beisammen.«

Ich legte mich zu Bette. Herz und Seele und alles in mir war wie ein Bienenschwarm, so sumsend, stechend heiß und ungeduldig; ich schlummerte wenig Stunden und fuhr oft dazwischen auf.

Den andern Morgen kam er bei guter Zeit. Mich überlief bei seinem Anblick ein leichter Schauder vor seinem gestrigen Ungestüm; aber er erschien mir von neuem so liebenswürdig, daß ich hingerissen wurde und dem unwiderstehlichen Zuge nachfolgte.

Ich hatte noch keinen Menschen gekannt, mit welchem ich so zusammenstimmte, in der Art zu empfinden und zu handeln; nur war er reicher und stärker an Natur als ich, seine Seele voller, aber auch unbändiger, und seine Geburt warf ihn in andre Umstände, unter andre Menschen, in eine andre Laufbahn. Wer einen Freund ohne Fehler finden will, der mache sich aus dieser Welt heraus oder geh in sich selbst zurück, die Vollkommenheit erscheint hienieden nur in Augenblicken, und diese allein sind unser Genuß. Ein großer Geist, ein edel Herz wiegt manches Laster auf, wohinein uns die Schlechtigkeit bürgerlicher Verfassungen stürzt.[20]

»Wir schieden gestern voneinander wie im Rausche«, trat er ins Zimmer. »Glück ist die größte Gabe, die Sterblichen zuteil werden kann, nur muß man es mit Verstand brauchen.«

Nachdem wir einigemal stillschweigend auf und ab gegangen waren, fragte er mich: »Habt Ihr nie etwas von Kunst getrieben?« Ich antwortete ihm, daß ich nach der hiesigen Erziehung zeichnen gelernt hätte, Augen, Mäuler, Nasen, Ohren und Gesichter, und Hände und Füße nach Vorschriften; im Grunde soviel als nichts: denn bis zum eigentlichen Lebendigen wär ich nicht gekommen; welches mir herzlich leid tue! mich reize sie unendlich, und ich möcht es gern darin bis zu einer gewissen Fertigkeit für mein eigen Vergnügen gebracht haben. Jetzt mach ich nur noch zuweilen die Hauptumrisse schöner Gegenden, der Erinnerung wegen.

»Da ist noch nichts verloren«, fuhr er fort; »wir wollen einander helfen. Alle Künste sind verwandt; sie zusammen erhöhen und verstärken die Glückseligkeit des Menschen, bilden sein Gefühl, mehr als alles, für die Schönheiten der Natur und setzen ihn über das Tier. Wie fangen wir es am besten an, damit Ihr so geschwind als möglich Euch diese Fertigkeit erwerbt? Ich denke,« fügt' er scherzhaft hinzu, »Ihr braucht mich zum Modell, nach kurzen Wiederholungen von dem, was Ihr schon wißt; so wie ich Euch dann zuweilen bei meiner Arbeit.

Im Griechischen hab ich mich hauptsächlich nur mit den Dichtern beschäftigt, mit dem Homer, Pindar, Sophokles, Euripides, weil mein Lehrmeister selbst ein Dichter war; und dabei aus den Geschichtschreibern nur die Beschreibungen der glänzenden Siege über die Perser gelesen. Die Schätze der Weisheit im Aristoteles, Plato, Xenophon kenn ich meistens nur aus Gesprächen und vom Hörensagen und habe wenig von den Quellen selbst getrunken. Wir könnten damit manchen folgenden schönen Sommerabend uns himmlisch ergötzen, wenn Euch dazu Zeit übrigbliebe.

Mein eifrigstes Verlangen aber ist, daß Ihr mich in dem[21] noch Lebendigen dieser Göttersprache, im Neugriechischen, unterrichten möchtet; damit ich bald mit Bequemlichkeit und größerm Nutzen und Vergnügen eine Wallfahrt beginnen könne nach dem echten klassischen Boden.

Ihr habt genug am Zeichnen, wie einer, der selbst kein Dichter werden, sondern nur die Meisterstücke der Alten und Neuen in ihrer ganzen Vollkommenheit fassen will, an der Poetik des Aristoteles. Jede Kunst, bis zum letzten Ziel erlangt, ist etwas anders und er fordert eines Menschen ganzes Leben. Für Euch soll's nur Spiel sein; Ihr seid zu Höherm bestimmt und müßt glänzen wie der Morgenstern in Eurer Republik. Dies wird immer neuen Reiz in unsre Freundschaft bringen, und wir werden leben in der Natur, soviel uns mit Sinnen, Phantasie und Verstand vergönnt ist.«

»Du erfüllst mich mit Hoffnung und Freude«, antwortet ich ihm. »Mein Vater ist jetzt in Dalmatien, und ich bin mit meiner Mutter allein. Sie zieht bald aufs Land, vielleicht noch diese Woche. Die Gegend ist eine der angenehmsten der ganzen Lombardei. Das Gut, wohin wir wollen, liegt am Lago di Garda, wo Catull, vor welchem Cäsar sich neigte, zuweilen vom römischen Taumel ausruhte. Er sang von dem Orte:


Peninsularum, Sirmio, insularumque

Ocelle, quascunque in liquentibus stagnis

Marique vasto fert uterque Neptunus.3


Willst du mich begleiten: so werden wir nach dem Pindar in die Burg des Kronos gelangen, umweht von kühlen Seelüften; wo in schattigen Gärten Goldblumen funkeln, diese der Erd entsprießen und anmutigen Bäumen, andre aber der klare Bach erzieht. Wir wollen mit ihren Angehängen und Kränzen uns die Arme umflechten und die Schläfe umwinden.

Vorher aber muß ich dich meiner Mutter vorstellen; jedoch du mußt hübsch gescheit sein. Sie ist eine gar gute Frau, die[22] mich zärtlich liebt. Sie weiß schon, daß ein junger Mensch mich aus dem Kanale gerettet hat, und es wird ihr gefallen, daß du es bist. Sie hat große Freude an schönen Madonnen; und wenn du ihr eine in ihre Kapelle malst und fromm bist: so hält sie dich wie ein Kind.«

Es ging hierbei eine sonderbare Bewegung in ihm vor, die mir lange hernach erst erklärlich wurde; er sah mich an, neugierig mit heißen Blicken, und fragte: »Also nicht weit vom Ausflusse des Mincio ist Euer Landsitz?«

»Wenig davon«, versetzt ich. Darauf ging er nachdenkend einigemal mit mir auf und ab. Endlich sprach er: »Gut; ich reise mit euch und male deiner Mutter eine Madonna, wenn ich ihr anstehe. An Gescheitheit bei ihr soll's hoffentlich nicht ermangeln.«

Es wurde beschlossen, ihn den Abend noch ihr vorzustellen; bei Tische wollt ich alles einlenken.

Hier schied er von mir. Ich brachte die Sache vor; und meine Mutter war's gleich zufrieden, ohne ihn noch gesehen zu haben, aus Willfährigkeit gegen mich.

Mir schwellte aber die neue Bekanntschaft immer mehr das Herz; einen jungen Maler der Art hatte ich noch nicht gekannt. Ich war überrascht; es ging alles so schnell fort, und ich konnte keiner gehörigen Überlegung Raum geben.

Beim ersten Blick und Gespräche schon gefiel er meiner Mutter, wie ihr noch kein Fremder gefallen hatte. Hier erfuhr ich, daß er sich Ardinghello nannte; ich hatte, voll von ihm, nicht daran gedacht, ihn von neuem um seinen Namen zu befragen. Er gab sich hernach verschiedne andre; doch dieser soll ihm forthin bleiben.

Den folgenden Morgen sah ich einige angefangne Gemälde von ihm. Sein Lebendiges war frisch und meisterhaft in der Arbeit und kam dem Tizianischen ziemlich nahe; doch war es nicht Manier, sondern sein eigen und verschieden nach der Natur: wenig Gewand, das meiste nach dem Nackenden; Studien von Mädchenköpfen, voll Geist und Lieblichkeit, und Brüsten und Leibern, und Rücken, und Schenkeln[23] und Beinen, nackten Buben im Baden, Laufen und Balgen. Für Bezahlung, sprach er, und nach andrer Belieben hab er noch nichts gemacht. »Das Weitre«, fügte er wie unbedeutend hinzu, »will ich dir einmal erzählen, wenn wir mehr in Ruhe sind.«

Er besuchte die Tage darauf den alten Greis Tizian noch einmal und seine Freunde, und zu Ende der Woche reisten wir ab. Meine Mutter fuhr mit ihren Leuten voraus und wir hinterdrein, weil wir zu Vicenza uns einen Tag wegen der Gebäude des Palladio aufzuhalten gedachten. Wegen des Griechischen nahm ich noch die Bücher mit, die nicht in der Bibliothek auf dem Gute sich befanden; und er das nötige Gerät zum Malen und Zeichnen.

Als wir eine Strecke vom Großen Kanal entfernt waren, setzte sich Ardinghello aufs Verdeck der Barke und blickte tief gerührt nach der Stadt mit unverwandten Augen; die Feuchtigkeit trat hinein, und sein Herz ward erweicht. Seine Seele schien zu ahnden, daß er sie nie wieder sehen sollte. So wälzen die Schicksale den Menschen fort wie die Fluten des Meers einen schwachen Trümmer! Die Sonne war eben aufgegangen, und die Türme, Kirchen, Paläste und Inseln lagen da im dünnen Nebel.

Mir war wohl, daß ich herauskam. Im Winter ist Venedig angenehm, weil die Menschen so enge beisammen sind und alles zur Ergötzlichkeit treibt, Lage und Regierung; aber im Sommer ist's ein ungesunder und gefährlicher Ort. Ein Eingeborner kann die Wahrheit besser wissen als ein Dichter aus Neapel. Es mag der Natur nach ein ganz andrer Unterschied sein zwischen Rom und Venedig, ob es gleich prächtig klingt:


Illam homines dices, hanc posuisse deos.4


Wenn einer die Geschichte kennt und da gelebt hat und es beim Ausflusse der Brenta vom Ufer betrachtet: so sieht es richtiger aus wie ein endlich sichrer Zufluchtsort von dem Lande weggeprügelter und weggescheuchter furchtsamer[24] Hasen, die sich hernach groß und zu geflügelten Löwen gemacht haben, als ihnen die Feinde übers Wasser nicht nachkonnten und sie von fern sicher sehen mußten. Eine unüberwindliche Festung ist's gewiß, weil durch die Sümpfe vom Land aus nichts anders als kleine Barken anländen können und man von der See her in die Häfen den Faden der Ariadne braucht; und eben weil es unüberwindlich und unzukommbar ist außer Verräterei, trägt es, vom Meer umgeben, eine gewisse Majestät an sich. Götter aber flüchten sich nicht in Sümpfe. Inzwischen hat Sannazar der reizenden Dichtung wegen seine sechstausend Dukaten doch verdient. Die Wahrheit bezahlt man selten so teuer.

Der große Doge Peter Ziani hat sie gar wohl erkannt, als er den kühnen Entschluß faßte, noch zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts eine neue Völkerwanderung anzustellen. Konstantinopel ist ohne Streit ein glückseliger Plätzchen auf diesem Erdboden. Die Venezianer hatten es damals mit den Franken eingenommen, und wir besaßen mehr von Griechenland als jetzt. Er riet mit stärkern Gründen als je Demosthenes, diese Lagunen zu verlassen und dort uns anzupflanzen; und Dido und Äneas waren dagegen Luftgestalten. »Wenn der Mond mit seiner Ebbe und Flut unsern Kanälen das Wasser entzieht,« sprach er im Großen Rate, »der Schlamm sich zeigt und seinen Gestank ausdünstet: welche gute Nase kann da vor Ekel auf den Wegen bleiben? Sind nicht immer unsre Lazarette voll und die jahraus, jahrein nicht von dannen schiffen wie gefangen? Überdies haben wir Erdbeben, noch außerdem, daß das Meer oft hereinstürmt und unsre Zisternen und Warenlager verderbt. Und welch ein Wohnsitz, um auszuhalten, wo nichts als schlechte Fische Nahrung gibt, weder Korn noch Wein und Öl wächst, weder Baum hervorkömmt, noch trinkbar Wasser quillt, wo alle Elemente verdorben sind, Wasser, Luft und Erd und Feuer? und von allen Seiten Feindschaft um uns her? Dort sind wir gleich in unsern Besitzungen, und welche Aussichten in die Zukunft!«[25] Jedoch überwand ihn der Prokurator von San Marco, der Greis Anzolo Falier, unter fünfhunderten mit einer Stimme, indem er nach dem Aristoteles behauptete: daß die Festigkeit, ohngeachtet aller Übel bei einer Hauptstadt, der glücklichen Lage, ohne dieselbe, vorzuziehen wäre; und daß gerade die Unfruchtbarkeit ein Volk zur Tapferkeit zwänge und über andre erhöbe.

Darin bestand unsre Unterhaltung bis nach Padua, und Ardinghello beschloß mit folgenden Worten: »Wo die Verständigen nicht herrschen, ist keine Staatsverfassung gut; jedoch mit dem Unterschiede, daß zum Exempel bei einer Million Bürgern in einer Demokratie fünfmalhunderttausend und etliche Narren über viermalhunderttausendundneunhundert gescheite Leute den Ausschlag geben: und in einer Monarchie ein Narr neunmalhunderttausendneunhundertundneunundneunzig Philosophen ins Verderben stürzen könnte, wenn sie nach dem auf Schulen gelehrten Staatsrechte keine Rebellen sein wollten.«

Als wir von Vicenza weggereist waren, sprachen wir viel über die Gebäude zu Venedig und den Palladio. Ardinghello hielt Venedig für einen der merkwürdigsten Örter in der Baukunst; und sagte: hier wäre nicht nur ein Stil, sondern man sähe darin die Geschichte derselben der neuern Jahrhunderte; und erkenne immer, daß ein Senat von vielen Personen da herrsche und nicht ein einzelner oft elender Mensch ohne Talent und Geschmack, weil man nichts ganz Schlechtes unter den öffentlichen Gebäuden fände wie in andern Residenzen.

Er liebte den Palladio vor allen neuern Baumeistern, nannte ihn eine heitre Seele voll des Vortrefflichsten aus dem Altertum, und daß er davon mitteile, und aus sich selbst, soviel sich für seine Zeitverwandten schicke.

In Vicenza wird leider von ihm nichts recht ausgebaut, und die Gebäude gleichen fast nur angefangnen Modellen von seinen Ideen; aber welch ein Wunderwerk ist der Palast Cornaro am Kanal! wie schön die Kirchen zu San Giorgio[26] und al redemtore in Venedig! und die Brücke zu Vicenza über den Bacchilion, so leicht und reizend und sicher in ihrem Bogen wie ein beherzter Amazonensprung! Wie angenehm das durchbrochne Geländer, damit man das erfreuliche Wasser dadurch wegströmen sehe!

Jedoch gefiel Ardinghello das Rathaus nicht, obgleich es Palladio selbst unter die schönsten Werke neuerer Kunst setzt. Die Fassade, an und für sich richtig und schön, glich doch nur einer Schminke, die einer alten Matrone aufgetragen wäre; die Bogen derselben entsprächen nicht denen des gotischen Gebäudes, das überall schief durchguckte. Julio Romano hätte, damals schon älter und erfahrner, mehr Geschmack gezeigt, als er eine meisterhafte gotische dazu erfand. Es sei etwas anders, einen Riß auf dem Papier anschauen und ein Gebäude aufgemauert in der Luft; dies haben die Ratsherrn, die des Palladio seinen wählten, wie viele Große, die bauen lassen, nicht gewußt.

Unser Gespräch lenkte sich endlich auf die Architektur überhaupt; und er sagte, soviel ich mich erinnere:

»Von Schönheit in der Baukunst hab ich wenig Begriff, weil sie mir ganz außer der lebendigen Natur zu sein scheint. Höchstens entspringt ihr Reiz bloß aus der Metaphysik davon, wenn ich das Wort hier brauchen darf, und nicht aus Wirklichkeit; deswegen ihre Verschiedenheit bei allen Völkern, die sich einander nicht nachahmen. Eine strenge Theorie davon verliert sich in das Dunkel der Schöpfung. Schönheit ist, was Vergnügen wirkt; was bloß Schmerz stillen und verhüten soll, braucht eigentlich keine Schönheit an und für sich zu haben. So geht's mit den Gebäuden; sie halten bloß Ungemach ab. Sobald das Wetter gut ist, mag ich in keinem bleiben und will ins freie Feld. Alles muß auf Ungemach, Krankheit, Feindseligkeit und Bedürfnis von Zusammenkünften berechnet werden; dies bestimmt hernach ihre Vollkommenheit. Harmonie, Ebenmaß, Übereinstimmung mit jedes Zweck macht dessen Schönheit, wenn man das, was nichts Lebendiges nachahmt, so nennen[27] will;5 was sollen uns alle die überflüssigen, unbedeutenden Zieraten? Ein Gebäude ist ein Kleid, das Menschen und Tiere vor bösem Wetter schützt, und muß darnach beurteilt werden.

Geht man in die Wildheit zurück: so findet man Grotten und Waldung, und durchgerißne Felsen, um über Abgründe von Strömen zu gelangen. Dies hat zwar der sittliche Mensch zuerst nachgebildet, und noch jetzt sind die Spuren da unter tausend gemachten Bedürfnissen; wir ahmen die ursprünglichen Formen nach, von Fels und Baum in demselben Gebäude durchaus von Stein. Dieser ist inzwischen ungelenk, und wer ihn allzusehr zu leichtem Holze schnitzelt, besonders am Boden, wo er gerade vor Augen liegt, wird abgeschmackt und lächerlich. Holz hat seine natürliche Form in Stamm und Zweigen: woher die Säulen und zum Teil die Gewölbe. Je weniger man von der natürlichen Form abnimmt: desto reiner ihre Schönheit; so übertrifft eine Säule immer einen Pilaster. Das meiste aber bezieht sich auf Zweck und hat mit Nachahmung der Natur wenig zu schaffen. Die Schönheit der Massen muß aus einem glücklichen geheimen Gefühl hervorkommen, das sich an der Harmonie der Teile des Menschen, des Großen in der Natur und überhaupt alles Lebendigen lange geweidet hat, und wieder mit einem solchen Sinn genossen werden. Hier lassen sich, was Erfindung betrifft, keine bestimmte Regeln geben; ein ganz anders ist, wenn man bloß nachahmt, was Griechen und Römern gefiel.«

»Und dies bleibt wohl immer das Zuversichtlichste,« fiel ich ein, »da sie ausgemacht die menschliche Natur mehr durchgearbeitet und zur höchsten Vollkommenheit gebildet haben, die wir kennen.«

»Wenn der Erdboden durchaus gleiches Klima hätte«, versetzte er darauf, »wie die Gegenden, welche sie bewohnten; die Menschen überall dieselben Bedürfnisse, dieselben Sitten[28] und Gebräuche, die gleiche Idee von Glückseligkeit, dieselben Feste und Spiele! Und überhaupt will der Mensch Neues; er hat ohnedies zuviel vom Gesetz zu leiden, das er nicht abwerfen kann; warum von freien Stücken sich eins auf den Nacken legen, das ihm nicht gefällt?

Die Kunst wird, außer dem Reichtum an schönen Formen und Begebenheiten in der Natur, schon geweckt im Menschen durch vortreffliche Mittel zur Darstellung. Die Obelisken, Pyramiden, Tempel in Ägypten hatten ihre Entstehung schon den Marmor–, Granit–, Porphyr- und Jaspisgebirgen am Roten Meer zu verdanken. Der leichteste Gegenstand in der Natur reizte hernach; zum Beispiel zu Syene die Wendung der Sonne und die Anzahl der Tage im Jahr zu bestimmen. So gab der parische Marmor den Griechen Gelegenheit, die menschlichen Formen nachzuahmen; so ihre Sprache zu verschiednen Silbenmaßen und Gedichten. So werden wir von der unsrigen zum Gesange gelockt und zum Bauen vom Reichtum an Baumaterialien. Verschiedne Mittel, als Holz, Backstein und Marmor, veranlassen schon verschiedne Formen.

Ein Umstand allein verändert oft das Ganze. Bei den Griechen und Römern war ein Tempel meistens nur für einen ihrer vielen Götter; eine Wohnung, für denselben abgepaßt gewissermaßen, wenn er vom Olymp hernieder in die Gegend kam, wie ein König aus seiner Residenz in ein Schloß einer seiner Provinzen.

Die Form desselben war also nicht groß; und die Säulen richteten sich nach der Proportion. Jeder Bürger opferte entweder einzeln; oder war allgemeines Fest: so ging der Priester oder die Priesterin hinein, und das Volk stand innen und außen herum. Gleiche Bewandtnis hat es bei ihren Orakelsprüchen.

Unsre Kirchen hingegen sind große Versammlungsplätze, wo oft die Einwohner einer ganzen Stadt stundenlang sich aufhalten sollen. Ein feierlicher gotischer Dom mit seinem freien ungeheuern Raume, von vernünftigen Barbaren entworfen,[29] wo die Stimme des Priesters Donner wird und der Choral des Volks ein Meersturm, der den Vater des Weltalls preist und den kühnsten Ungläubigen erschüttert, indes der Tyrann der Musik, die Orgel, wie ein Orkan dareinrast und tiefe Fluten wälzt: wird immer das kleinliche Gemächt im Großen, sei's nach dem niedlichsten Venustempel von dem geschmackvollsten Athenienser! bei einem Mann von unverfälschtem Sinn zuschanden machen.

Wir hätten dafür, deucht mich, eher ihre Theater zum Muster nehmen sollen, die natürlichste Form für eine große Menge, worin jede Person ihren Posten wie in einer Republik, einer Demokratie einzunehmen scheint und ein herrliches Ganzes bildet. Und sind wir nicht gegen das Wesen der Wesen alle gleich? König und Bettler, Philosoph und Bäuerlein arme blinde Würmer, die nichts wissen, die hieher gesetzt sind wie verraten und verkauft, in Nacht und Nebel, wo wir vergebens die Köpfe in die Höhe strecken?

Ich habe hier und da in Klostergärten doch gefunden, wie sich die liebe Natur auch in ihrer größten Einfalt selbst regt. Der Bruder Redner saß unten zwischen alten schattigen Bäumen, und vor ihm hatten sie an einem Hügel in hohler Rundung Sitze mit Rasen nacheinander in der Höhe rückwärts angelegt; und so saßen sie übereinander und hörten zu: und oben an beiden Seiten schlossen das Andachtsörtchen wieder Bäume, wo der Wind die zarten Zweige bewegte und die Blätter flisterten, als ob Engel darinnen spielten, sich ihrer Frömmigkeit freuten.

In unsern Kirchen mit langem gleichplatten Boden kann man nicht einmal das Meßamt gehörig verwalten; die hintersten sehen's nicht vor den vordern, was der Priester beginnt, und sie stehen und liegen ohne Ordnung untereinander, im eigentlichsten Verstande wie die Schafe.

Übrigens ist die Qual aller Baumeister, daß sie für Sommer und Winter dasselbe Gebäude machen müssen, einen Rock für die größte Hitze und die größte Kälte. Weil sie nun in Süden sich nach dem Sommer richten: so frieren sie im[30] Winter am meisten; und in Norden nach dem Winter: so schwitzen sie dort im Sommer am meisten; ob's gleich nach der Natur ganz umgekehrt sein sollte.«

Die Gegend von Vicenza hatte ihm ungemein gefallen, besonders aber der herrliche Spazierplatz des Campo Marzo mit der neu herausempfundenen Triumphpforte vom Palladio zum Eingang. In der Tat lagern sich reizend die schön bewachsnen Hügel darum her, und die Tirolergebirge machen in blauer Ferne süße Augenweide.

Mehr aber gefiel ihm noch Verona wegen der Etsch, der Alpentochter, die wellenschlagend aus den Felsen sich mitten durch die Stadt in Schlangenkrümmungen reißt, worüber die Brücke der Skaliger sich in kühnen Bogen hebt, weiter, heroischer und kunstgebildeter als selbst die Brücke Rialto, das Wunder von Venedig, welche mit ihren sechzig Stufen herauf und hinunter mehr Treppe als fortgesetzter bequemer Weg ist.

Wir machten den letzten Strich in unvergleichlicher Nacht, wo der Mond, beinahe voll, immer mit uns ging und uns durch die schönen Ulmen begleitete, die ihre Kränze von dichtbelaubten Weinranken lieblich zusammenpaarten; und Blitze von einem fernen Gewitter flammten herüber in die heitre Luft. Mond und Abendstern und Sirius und Orion schienen wie Schutzgeister unsrer Sphäre näherzuschweben. »Ach, ihr Götter,« rief Ardinghello, »warum so einen kleinen Punkt uns zum Genuß zu geben und nach den unendlichen Welten uns schmachten zu lassen! Wir sind wie lebendig begraben.«

Schon regte sich ein leichter frischer Morgenwind und säuselte durch die Blätter; ein milder Lichtrauch stieg auf in Osten, von einzelnen Strahlen durchspielt, als wir bei unserm Landgut anlangten, wo der See sich ausbreitete und seine Ufer von Wellen rauschten. Sie brachen sich ergötzend übereinander und schäumten; und wir fanden die Beschreibung Virgils: Fluctibus et fremitu assurgens marino,6[31] ganz nach der Natur. Ich legte mich zu Bette, weil ich den vorigen Tag nicht geschlafen hatte. Ardinghello aber wollte nicht und machte Bekanntschaft mit der Gegend.

Die Zimmer für uns waren schon zubereitet; den Nachmittag richteten wir uns völlig ein. Ardinghello bekam eins gegen Norden zum Malen, wo er Licht und freien Himmel hatte, wie er wünschte, und überdies den Ausgang aufs Feld.

Wir beschifften die ersten Tage die Küsten, stiegen da und dort ans Land und schweiften herum an den schönen Hügeln bis nach Brescia. Ardinghello legte alsdenn gleich seine Madonna an für meine Mutter, damit er in den guten Stunden hernach daran arbeiten könnte.

Im Griechischen waren wir schon einig wegen Ton oder Akzent und Aussprache; wir richteten uns gänzlich hierin nach den, obgleich verwilderten, Abkömmlingen der Alten, zumal da wir doppelten Endzweck hatten. Wir gelangen zur Kenntnis toter Sprachen nicht allein durch Vernunftschlüsse und Vergleichungen, sondern noch durch Herkommen; und da hat doch das Volk, dessen Sprache die älteste Tochter ist von der abgestorbnen, oder vielmehr selbst noch Mutter, nur durch die Zeit verändert und verwandelt, das nächste Recht zur Erklärung. Kein auswärtiger Bücherheld wird mit seinem bloßen Buchstabieren auch je dem Runden und Lebendigen desselben bei Lesung der übriggebliebnen Denkmale gleichkommen.

Man kann wohl sagen, daß wir kein größer und vollkommner Ganzes vom menschlichen Leben haben als die griechische Sprache, wenn man sie vom Homer an zusammennimmt bis auf unsre Zeiten.

Im Homer steht sie schon als ein starker junger saftiger zweige- und laubvoller Baum da; in den tragischen und komischen Dichtern Athens, dessen Philosophen und Rednern in höchster Schönheit und Fruchtbarkeit, so wie noch nie etwas Menschliches erschienen ist: und bei den Neugriechen zusammengeschrumpft, verwachsen und ästezerbrochen,[32] bepfropft mit mancherlei fremdartigen, und doch noch groß und reich; in einem Alter von dreitausend Jahren.

Die feinen Ausbildungen, die geschmeidigen Darstellungen aller Verschiedenheit der Natur sind, so wie die Wirklichkeit selbst, in den Zeiten der Barbarei verlorengegangen. Die Neugriechen haben keinen Dativum in ihren Deklinationen, und ihre Verba sind steif geworden. Das Futurum wird mit dem Hülfsworte wollen gemacht, das reiche Perfektum ist verschwunden und der erste Aorist darein verwandelt. Sie haben keinen Dual, kein Medium, keine Verba in mi, sogar keinen Infinitiv mehr. Die Partizipia sind verunstaltet; die Präpositionen ohne Regierung fast: ihrer bloß acht an und für sich, haben alle den platten Akkusativum hinter sich; und die Partikeln bringen wenig Geschmeidigkeit mehr hervor.

Und doch hat die Sprache noch Wohllaut und mannigfaltigen Klang; schöne ursprüngliche Form, aber wenig Beweglichkeit. Die italienische ist aus der römischen weit mehr von Leben und Geist gebildet; das Neugriechische aus dem alten lange nicht so bearbeitet. Vieles darin sieht aus wie zerschmettert und versetztes Bruchstück, und manches ist noch völlig so wie bei dem alten.

Ich brachte dem Ardinghello bald alles bei, was zum täglichen Leben gehört; obgleich die gemeinsten Dinge bei den Überfällen verschiedner Völkerschaften hauptsächlich ihre Benennungen verändert erhalten haben. So heißt zum Beispiel jetzt: Brot psomi, Wasser neron, Wein krasy, der Leib kormi, die Tür porta, der Weg strata, das Haus spiti; chrysaphi, asimi Gold und Silber.

Überhaupt lieben die Neugriechen das I; und man findet oft das alte Wort, wenn man es wegtut, als bei mati Auge, avti Ohr.

Die Evangelien und Episteln versteht man so ziemlich noch im Griechischen des Neuen Testaments, aber vom Xenophon und Plato wenig. Die Geistlichen, Vornehmern und Kaufleute reden, was man Schriftsprache nennen kann. Die[33] größte Barbarei ist eigentlich auf den Inseln, weil diese mehr als das feste Land von den Fremden überschwemmt wurden; auch weichen die Sitten hier mehr von den alten ab.

Der Mundarten sind vielleicht mehr als bei den Alten; und so geht's mit der Aussprache. Die jetzigen Spartaner sprechen zum Beispiel ch aus wie die Franzosen.

Überhaupt war die Aussprache schon bei den Alten verschieden nach Ort und Zeit, wie bei uns und überall. Die ersten Pelasger sprachen vermutlich ihr Griechisch anders aus als die Athenienser unter dem Perikles, und so Homer und seine Zeitverwandten. Plato beklagt sich im Gespräche Kratylos, kurz nachher, als die zwei langen ionischen Vokalen zu Athen, unter dem Archon Euklid, im zweiten Jahre der vierundneunzigsten Olympiade in allgemeinen Gebrauch gekommen waren, daß man das Wort, welches den Tag ausdrückt, nicht mehr himera wie die Vorfahren ausspreche, sondern entweder hemera oder neuerdings ήμερα, und dabei den schönen Ursprung nicht mehr fühle, daß es von himeros, das Verlangen, herkomme, weil man nämlich in der Nacht und Dunkelheit nach dem Licht und Aufgang der Sonne verlangt.

Aus diesem Beispiele dürfte man vielleicht schließen, daß die neuern Griechen in manchem zur Aussprache der ältern und selbst Homers wieder zurückkehrten, und daß auch hier, wie sonst in der Welt, alles im Kreise herumgeht.

Am besten ist es, man richtet sich nach der jedesmaligen lebendigen Aussprache und dem großen Haufen; und man muß es, wenn man verständlich sein will.7[34] Von den Alten lasen wir die Abende bald ein Stück aus dem Plato, bald aus dem Aristoteles oder Xenophon, kehrten aber von ihrem Scharfsinn und Adel, der reinsten Empfindung und ihren hohen Flügen oft zurück unter das atheniensische Volk zum Demosthenes und Aristophanes.

Ardinghello hatte den letztern nur dem Namen nach gekannt und weidete seine Seele nun an ihm leibhaftig mit Entzücken. Er brütete so recht über seinem Witze, seiner Laune, seinen kühnen Erdichtungen, und hielt seine Possenspiele für das allerhöchste Denkmal menschlicher Freiheit, welchem sich keins unter den Millionen andrer Schriften von weitem nähere. Wer mit den Griechen wetteifern wolle, müsse in beiden leben und weben. Hier erscheine der Mensch, wie er sei, mit allen seinen natürlichen Herrlichkeiten und Schlechtigkeiten. Hier entsprängen und rännen die lautersten Lebensbäche.

Mein Freund steckte mich mit seiner Meinung an, und Redner und Dichter wirkten mächtig auf uns: wir wurden selbst freier im Umgange, und unsre Sprachkenntnis wuchs wie eine üppige Pflanze. Wir hielten uns ganz an Athen vom Themistokles an bis zum Tod Alexanders; drangen immer tiefer ein in dessen Staatsverfassung, Gesetze, Gerichte; ruhten im Schatten an den bemoosten Wurzeln des schönen lebendigen Baums, der seine Zweige über ganz Griechenland verbreitete; und gingen aus diesem Kreise, und was sich damit verband, selten heraus.

Dabei beschrieb ich ihm den gegenwärtigen Zustand der[35] Inseln und des festen Landes; Gesellschaften, Sitten und Gebräuche, Feste und Spiele, Klima, Jahrszeiten, Wind und Wetter, Gewächse und Früchte, und was von den Alten noch übrig ist.

Ohngeachtet seiner Lust an dem Aristophanes, der glänzenden Satire der Wolken gegen den Dämon des Philosophen und des bittern Angriffs der Lehre desselben, daß kindliche Liebe und Verehrung der Eltern und Verwandten dem Verstande nachstehen müsse: hielt er nichtsdestoweniger die Denkwürdigkeiten des Sokrates für das gediegenste Kleinod aller Weisheit und die Moral aller Moralen.

Übrigens kamen wir darin überein, daß man die Wolken nach ihrer und nicht nach unserer Zeit beurteilen müsse. Die Menschen waren damals gewohnt, einander nackend zu sehen, und scherzten zur Ergötzlichkeit für den Augenblick über ihre Mängel und Gebrechen und vergaßen es hernach bald wieder. Aristophanes war so wenig schuld an dem gewiß bis zum Vergessen seines Mutwillens lang hernach erfolgten Tode des Sokrates als an dem des Euripides; und beide wurden im Grunde nicht minder hochgeschätzt, trotz aller Lächerlichkeiten, die er auf sie warf. Welche possierliche Rolle läßt er nicht den Weisen letztern im Feste der Ceres und Proserpina spielen! Bei uns wäre freilich so etwas wie Mord und Totschlag. Und außerdem war man es gewohnt, daß Philosophen und Dichter, und von diesen wieder die tragischen und komischen, sich zur Kurzweil des Volks einander zum besten hatten. Wer weiß, wie hart Sokrates und Euripides vorher dem Aristophanes begegneten? Das beste Zeugnis für das, was ich sage, ist, daß Plato nicht aufhörte, den komischen Dichter hochzuschätzen.

Dieser hohe Genius schien uns überhaupt einen viel weitern Gesichtskreis als Xenophon zu haben und selbst über seinen Lehrmeister hinauszugehen. Wir meinten, nicht wenige seiner Gespräche müßten die Lieblingsschriften für jeden guten Kopf sein, der sie fertig in der bezaubernden Ursprache lesen kann; und dies zwar hauptsächlich deswegen,[36] weil er selten seine Materie erschöpft, aber mit gewaltiger Hand in tiefe, reiche Fundgruben hineinführt. Wir bewunderten oft an ihm, diesen Tag, die allergewandteste attische Feinheit, die so edel kein Schriftsteller, unsers Wissens, weder seiner noch viel weniger irgendeiner andern Nation je erreicht hat; und den folgenden wieder die erhabensten Gedanken in der kühnsten Sprache.

Demosthenes ist freilich gegen ihn, wie der noch junge, zu strenge Dionys von Halikarnaß wahr spricht, Held im Streite, wo es das Leben gilt, und jeder Hieb und Stoß Wunde. Aber ein andres ist Schlachtfeld, ein andres Akademie! wo unter kühlen Lauben auch zuweilen bloß angenehmes Geschwätz ergötzt, und lyrische Verzückungen süßer Trunkenheit bei sternenheller Nacht am seligsten machen.

Mitten unter dieser Seelenweide legt ich mich eifrig auf die Zeichnung. Ich fing vom neuen damit an, allerlei mathematische Figuren aus freier Hand bis zur Vollkommenheit zu entwerfen, um sie zur Sicherheit im Zuge zu bringen. Alsdenn plagte mich Ardinghello nur kurze Zeit mit menschlichen Gerippen und ging gleich über auf den Umriß der Teile und ihre Verhältnisse zueinander; und endlich gelangt ich zum Lebendigen, wie aus einer trocknen Wüste zu schattichten frischen Quellen. Wir waren schon aus der ruhigen Schönheit am Leidenschaftlichen: als eine schreckliche Begebenheit erfolgte, die uns auf lange trennte.

Über die Verhältnisse des menschlichen Körpers gingen wir, außer den Vorschriften der beiden großen Florentiner, noch ein Werk durch von dem Teutschen Albrecht Dürer. Er sagte, wenige hätten die Theorie ihrer Kunst wohl so innegehabt unter allen neuern Malern und Bildhauern als dieser; man fände bei ihm ein erstaunliches Studium: aber zum Hohen und Schönen derselben sei er nicht gelangt, weil niemand aus seiner Nation und seinem Zeitalter könne. Dies hange außer dem Innern noch gar zuviel von Glück und Zufall ab. Wir könnten das Lebendige nicht anders[37] nachbilden, als bis wir es entweder selbst gelebt oder mit unsern Sinnen in ergreifender Wirklichkeit empfunden hätten. Ohne Perikles und Aspasia, Alkibiaden, Phrynen und ihresgleichen alt und jung: kein Phidias, Praxiteles und Apelles. Albrecht Dürer habe den Nürnberger Goldschmiedsjungen nie völlig aus sich bringen können; in seinen Arbeiten sei ein Fleiß bis zur Angst, der ihm nie weiten Gesichtskreis und Erhabenheit habe gewinnen lassen: und bloß deswegen hätte ihn Michelangelo so sehr gehaßt. Seine meisten Kompositionen wären Passionsgeschichten und Hexen und Teufel. Er als verlorner Sohn am Troge bei Schweinen, die Trebern fressen; Proserpina, wie sie Pluto auf einem Bocke holt; Diana, wie sie eine Nymphe mit dem Knittel bei einem Satyr prügelt: zeigten genug seine mißleitete Phantasie. Sonst sei er ein wackrer Meister, habe Kraft und Stärke; und ein guter Kopf von richtigem Geschmack könne viel von ihm lernen.

Wir hatten bei unserm Leben auf dem Lande uns zum Gesetz gemacht, daß keiner den andern in seinem Tun und Lassen stören sollte; und alles Beisammensein war freier Wille von beiden Seiten. Wenn also einer allein sein wollte: so sagte er es dem andern oder schloß die Tür ab. Zuweilen gingen wir miteinander, zuweilen zog einer allein aus: und Ardinghello kam manchen Tag und manche Nacht nicht nach Hause, ohne mir vorher zu sagen, wenn er fortging, und ohne daß es mich befremdete. Die immer grünen, mit hohen Bäumen eingefaßten Wiesen und die vielen klaren Flüsse, von den Seen reingewaschen, erfreuten ihn unendlich in der Lombardei; solche Natur war dem Toskaner fremd. Er nistete sich in den schönsten Dörfern überall ein und machte Bekanntschaft mit den Landleuten.

Einigemal kam er abends auf einem lustigen Nachen mit Weinlaub und Efeu geschmückt, der Zither am Arm im Dithyrambengesang gleich einem jungen Bacchus wieder, oder in einem andern Aufzug: und es war immer ein allgemeiner Jubel; denn jedermann wollte ihm wohl. Er ließ[38] sich mit jedem ein und drang in dessen Innres, half ihm fort oder machte ihm das Leben froh und leichter. Er hatte eine von den seltnen gefühligen Stimmen, die das Herz anlocken; ihr Ton war fest und voll; süß und gelind bei Liebe und heftig eindringend wie ein Sturmwind in der Höhe bei widrigen Leidenschaften. Er spielte zwar auch trefflich die Laute: aber die Zither zog er allen Instrumenten zur Begleitung vor. Er sang wenig andrer Dichter Worte, sondern eigne Poesie, wie sie seinem Wesen entquoll, meistens ohne Reime; oder diese, wie sie sich schicken wollten. Es war bezaubernd, dem jungen Schwärmer zuzuhören, und wie in lächelnder Kühnheit das Feuer aus ihm wehte. Wie oft haben wir hernach in heitern Nächten uns in den See gestürzt! denn er hatte mir das Schwimmen bald beigebracht; und in der unermeßlichen gestirnten Natur frei herumgewallt wie die Götter!

Noch hab ich ihm eine größere Geschicklichkeit im Fechten zu verdanken, worin er ein großer Meister war; wie er denn seinen Körper überhaupt äußerst gewandt und ausgebildet hatte.

So flog himmlisch leicht unser Leben dahin unter Spiel und Fest und reizender Beschäftigung.

Mit seiner Madonna war er im August schon fertig. Er hatte die Begebenheit der Flucht nach Ägypten gewählt. Sie saß mit dem Kind an der Brust unter einem Ahorn, der seine Zweige weit umher verbreitete und Dämmerung herniederwarf; in der Nähe und Ferne standen Pinien und Zypressen anmutig vermählt und zerstreut. Die Gegend war ein Gebirg, woheraus ein Fluß in Katarakten sich stürzte, in fernem Schaum und Dampf von Silberstaub, dann eine kleine Ebne durchfloß und in einen stillen See ruhig dahinwallte. Die bezauberndste Seite von der romantischen Wildnis unsers Lago war ganz treu hier zu sehen; vom Glanz der untergehenden Sonne blitzten Fels und See und schimmerte das Laub der Bäume. Äußerst kühn gewagt![39] Die Madonna war eine holde Jungfrau, die ihr erstes Kind in Armen hält und der Geschichte davon in entzückender Grazie nachdenkt; ein Kopf ganz aus der Natur, nur erhöht und ins reine gebracht, von unaussprechlicher Wirkung auf jeden fühlenden Menschen. Auch der Bube, so recht in Liebe erzeugt, trug die Spuren der vollen Wonne seines Werdens in der Gestalt; er hielt sich mit dem einen Händchen an der rechten halb entblößten Brust unter dem rötlichten Gewand an, und lächelte von der offnen straff geschwellten jugendlichen linken ab mit seinem blonden Köpfchen in die schöne Natur. Das braune Haar der Madonna war in ein rötlicht gestreiftes Netz gebunden, wovon noch einige Locken ins Gesicht und die Backen fielen; der blaue Mantel zerflossen, und die Beine und zarten Füße ruhten in reizender Lage. Bei der Augen, besonders der Madonna, blicken heiter schön, in Empfindung schwimmend. In den Zweigen des Ahorns schweben Engel wie junge Liebesgötter; abwärts weidet der Esel, und Joseph steht auf seinen Stab gelehnt, wie ein alter treuer Wärter, der sein Anvertrautes glücklich aus der Gefahr über die Grenze gebracht hat.

Form und Ausdruck und Kolorit in allen Teilen des Lebendigen, Bekleidung und Beleuchtung und Szene macht eine süße Harmonie zusammen. Das Gemälde war groß, und die Figuren im Vordergrunde an die zwei Drittel in Lebensgröße; jedoch ging ihm die Arbeit geschwind vonstatten, weil er die Studien zur Madonna und dem Kleinen mitgebracht hatte und nur zum Joseph und den Engeln einen Alten und Kinder aus der Nachbarschaft brauchte.

Meine Mutter konnte sich darüber nicht satt freuen und gewann ihn immer lieber.

Inzwischen bemerkt ich doch bei seinem fröhlichen und traulichen Wesen eine leidenschaftliche Hastigkeit an ihm und etwas Verborgnes in seinen Gesichtszügen, auch fiel mir endlich sein Ausbleiben auf. Er sagte zwar: »Ich bin ein Herumschweifer und kann nicht wohl an einer Stelle bleiben«;[40] aber er nahm mich doch zu selten mit sich. Ich wollte wissen, was in ihm vorging; und dies klärte sich denn auf einmal in einer stillen Mitternacht auf, wo alle Winde schwiegen und kein Laut sich regte.

Wir saßen am kühlsten Platz unsers Gartens auf einer Anhöhe, in einer Laube von Lorbeer und Myrtengesträuch, von einem alten Hain grüner Eichen umfaßt; und hatten oft die Gläser ausgeleert, und gesungen und gesprochen; viel vom Menschen und den Begebenheiten der Welt, jugendlich, erfahren und unerfahren. Mein Herz stand offen; und ich entdeckt ihm auf die letzt meine kleine Liebesgeschichten, womit ich hier den Lauf nicht unterbrechen will; gestand ihm aber, daß ich noch nicht alles fände, was ich verlangte. »Du wirst mir guten Unterricht geben können«, fügt ich hinzu; »denn nach deinen Studien in der Malerei und Leibes- und Seelentugenden mußt du schon ein Held unter Amors Fahne sein.«

Er antwortete hierauf: »Ich spreche nicht gern von diesen Dingen; denn sie machen alle Menschen neidig, Freund und Feind. Aber weil du einmal angefangen hast, so will ich auch dir bekennen. Doch vorher den Todesbund ewiger Freundschaft feierlicher vom neuen; wir kennen uns nun vollkommen.«

Hier zog er einen Dolch hervor, streifte sich den linken Arm auf, stach hinein und ließ das Blut in den Becher rinnen; überreichte mir den Dolch: und ich tat, wie von einer furchtbaren Macht ergriffen, voll Glut und Rührung dasselbe. »Wie unser beider Blut hier im Weine vermischt ist«, rief er aus, »und in unser Leben sich ergeußt: so sollen unsre Herzen und Seelen auf dieser Welt zusammenhalten; dies schwören wir dir, Natur! und deiner Gottheit! Wer scheidet, fall in Elend und Verderben.«

Wir tranken, umschlangen uns fester und inniger, stillten darauf die Wunden, und der eine verband mit lächelndem Ernst den andern.

Dies geschehen und aus dem Taumel uns wieder gefaßt und[41] in Ordnung, fing er an: »Das herrliche Geschöpf, das ich liebe, bekränz als Priesterin unsern Bund! Cäcilia ist ihr Name, von der Heiligen, der himmlischen Musik, entlehnt. O du dort oben, walte über uns! Auch unser Fest ist Saitenspiel und Gesang; und sind wir nicht so fromm als du, wozu nur Auserwählte gelangen: so ist doch unsre Liebe heilig; denn sie ist ganz Natur und hat mit bürgerlichem Wesen nichts zu schaffen. Diese Cäcilia wohnt eine Stunde von hier, ist einzige Tochter bei zwei Brüdern, ihr Vater leider der große C***, und soll sich in kurzer Frist mit dem reichen Mark Anton vermählen; welches du schon alles weißt.« Ich blieb hierbei stumm vor Erstaunen und hörte mit beiden Ohren.

»Wir wurden durch einen bloßen Zufall näher bekannt«, fuhr er fort; »denn schon vorher hatte ich sie als den schönsten weiblichen Kopf in Venedig einigemal in Kirchen auf den Raub abgezeichnet und ein paarmal in Gesellschaft gesehen. Nie aber wollt es mir gelingen, in ihrem Hause Zutritt zu erhalten oder sie allein zu sprechen. Dieses geschah endlich beim Schlusse des letzten Karnevals, auf dem Markusplatz, in einer Ecke an der neuerbauten Kirche San Zeminiano, als es Nacht werden wollte. Ich trug schier eine Maske wie einer ihrer Brüder; sie sah mich im Getümmel für denselben an, ging auf mich zu, faßte mich bei der Hand und flisterte mir etwas freudig ins Ohr. Ob ich sie festhielt und wie, kannst du denken; ich hatte sie schon auf den Platz hereinkommen sehen, auch war ihr lieblich Gesicht wenig verhüllt. Männer und Weiber, die sie begleiteten, mochten ebenfalls im Irrtume wie sie sein; denn sie ließen uns beisammen, gaukelten auf dem bunten Welttheater im kleinen ihre Mummereien fort und hatten keinen Argwohn. Ich gebrauchte die schnelle Gelegenheit, so gut mir möglich war. Sie mußte mich auch mit einem Blick erkennen können: unsre Augen hatten sich schon oft mit Seele begegnet. Ich verlangte zu wissen, ob ich etwas über sie vermöchte; hob ein wenig meine Maske vom Gesicht:[42] und sie wollte sich, errötend von den ründlichen Wangen bis an den schneeweißen Hals, zurückziehen; allein ich hielt das warme Händchen fest.

Ich blickte rasch umher, und sie desgleichen; wir wurden in der Dämmerung nicht beobachtet, und ein Possenreißer hatte überdies aller Augen auf sich gezogen; und sagte ihr: aber wie kann ich genau die Worte wiederholen! daß ich sie liebte, anbetete; daß ich verschwiegen wäre wie ein Stein, eine Mauer, mich der geringsten Gunst nie rühmen würde; mich ihr in allem unterwerfen wollte, allen meinen Verstand zu unserm Vorteil anwenden wollte; wir seien füreinander geschaffen, und das Verhältnis mit andern Menschen solle uns nicht trennen. Alles dies und mehr ging aus meinem Munde wie ein Lauffeuer, leis, aber mächtig ihr ins Ohr. Sie trat fort und hielt ein, zuckte mit der Hand und überließ sie wieder den heißen Wallungen meiner Liebespulse. Endlich riß sie sich los, sagte mir aber mit einer schüchternen gebrochnen Stimme die Honigworte, die wie eiskühlend und brennendsüß erquickend Labsal durch Mark und Gebein rannen: ›Morgen früh zu Santi Giovanni e Paolo.‹

Ich schwand von ihr weg wie der Blitz, zur ersten Probe meiner Aufführung: und schlief die ganze Nacht nicht, war so wach und lebendig, als ob ich nie geschlafen hätte und nie wieder schlafen würde, durchaus Feuer und geistig Toben. Was hab ich da nicht für Plane gemacht!

Ich hielt schon lange vor der Zeit Wacht um die Kirche; und wie sie aufging, war ich der erste drinnen. Ich wartete und wartete und verging vor Ungeduld; so langweilig war mir das Meßlesen der Priester noch nicht vorgekommen. Wie es allzu lange währte, so ließ ich mir den Vorhang von dem göttlichen Tizian wegziehen, wo Peter, der Märtyrer, von einem Räuber erschlagen wird, sein Gefährte flüchtet und ein paar reizende Buben als Engel auf die Bäume der herrlichen Landschaft herabschweben. –

Welch ein Meisterstück! Die Szene schon äußerst lebendig;[43] welche Lokalfarben haben nicht die schlanken Stämme der hohen Kastanienbäume! wie verliert sich das Land in ferne blaue Felsen! der Mörder voll räuberischem Wesen in Gestalt und Stellung und jeder Gebärde bis auf Kleidung und Kolorit! der Heilige hat ganz das Entsetzen eines Überfallnen und eines guten weichen Mannes, der sein Leben banditenmäßig verliert: auf seinem Gesichte ist die Blässe der Todesangst; und mit welcher Natur in der Lage ist er niedergeworfen! der, welcher flieht, ebenso täuschend in allen Teilen. Die drei Figuren machen einen vortrefflichen Kontrast in Stellung, Charakter und Kolorit und den Gewändern von Mönchs- und Räubertracht. Welch ein trefflicher Ton im ganzen, und wie schön hält es die Beleuchtung zusammen!

Dies half etwas, aber wenig, ich hatte keine Ruhe. Endlich erschien sie doch, und armer Tizian, wie fielst du weg! O alle Kunst, neige dich vor der Natur! Sie zog zur Pforte herein, den Kopf in eure Tracht versteckt, wie im dünnen Gewölk aufgehende Sonne; vor ihrem Glanz verschwand alles oder bekam Ansehen, Wesen, lenkte sich zu einem Ganzen.

Sie kam mit ihrer Mutter. Beide knieten erst vor dem Altare nieder, wo Messe gelesen werden sollte; und setzten sich hernach, sie mit abgeworfener Hülle vom Haupte. Im Knien blickte sie einigemal gen Himmel und seufzte; ich bemerkte alles. Sie wurde mich hernach im Sitzen gleich gewahr und maß mich mit einer Engelschönheit, ruhig dem Anschein nach, vom Wirbel bis zur Zehe, in tiefem Nachdenken. Was für Seele aus ihrem weitgewölbten schwarzen Auge blickte, ist nicht zu sagen; und um ihre Lippen regten sich bange Gefühle, die jedoch in Lächeln übergingen. Ach, daß ich nicht gleich mit ihr sprechen durfte!

Ich saß nicht weit von ihr rechter Hand, schräg auf der Seite, und verwandte, soviel ich unbemerkt sein konnte, kein Auge. Sie las hernach in ihrem Buche, und nahm ein Zeichen heraus, und deutete mir mit einem Winke darauf.[44]

Die Messe war vorbei, und man ging auseinander; ich folgte ihr auf dem Fuße. Bei der Kirchtür hatt ich im Gedränge, mit der feinsten Wendung, die Karte unvermerkt in der Hand. Ich konnte nicht geschwind genug in einen Winkel kommen und lesen. ›Zwei Stunden nach Mitternacht an der Tür auf die Straße hinter dem Kanale.‹ Weiter stand nichts darauf, und es war genug.

Nur dies und sie empfand und dacht ich den ganzen Tag. Gegen Abend ging ich schon dort einigemal auf und ab, und wußte alle Türen und Fenster und Gelegenheiten auswendig. Ich versah mich alsdenn auf allen Fall in meinem Quartiere mit Gewehr; meinen Gondelfahrer hatt ich ohnedies schon vorher immer bei der Hand.

Nach Mitternacht macht ich mich auf den Platz bei Maria Formosa. Wie wurde mir die Zeit so lang! Die Hoffnung hob mich vom Boden weg durch alle Himmel: die Natur hingegen wollte gar nicht fort; Orion, Adler, Schwan und Wagen schienen mich zum besten zu haben, ich hätte sie gern himmelab aus Ungeduld mit den Händen gerückt und sprang oft närrisch in die Höhe, sie zu erreichen.

Endlich schlug die letzte Viertelstunde, und ich eilte an den bestimmten Ort. Alles war still auf den Wegen, und ich lief über die Brücken weg, und wartete in einer Ecke nahe bei der Tür, in meinen Mantel eingehüllt, lauter Ohr und Auge.

Ich war kaum da, so ging sie schon auf. Ich machte mich herbei und vernahm die leisen Worte: ›Herein!‹; ich schlüpfte durch und war im Dunkeln. ›Die Schuh aus!‹ flisterte sie, ›mir die Treppe herauf nach!‹ Und sachte, sachte, Hand in entzückend zarter, warmer, festhaltender Hand tappten wir in ein Zimmer auf den Kanal; und wieder zugeschoben mit dem Riegel wurde die Pforte des Himmels. Cäcilia war in einem leichten Nachtgewande, den Kopf entblößt und das lange Haar nur in einen Knoten gebunden, das weich in den Seiten mir in die Finger fiel.

Ich hielt sie umschlungen und raubte den ersten Kuß, der[45] wie ein süßer Blitz mein Wesen durchfuhr; und sie sagte seufzend: ›O was wag ich nicht, Euch näher kennenzulernen! Ich weiß, daß Ihr ein Florentiner seid und hier die Malerei treibt, aber daß dies Eure Bestimmung nicht ist, sondern Nebenbeschäftigung, und Euer Ziel im verborgnen höher steckt. Eine Freundin Eurer Tante und von mir, die Euch als eine andre zärtliche Mutter wohlwill und durch jene Euch Eure Wechsel auszahlt, hat es mir unter dem Siegel des Stillschweigens anvertraut. Eure edle schöne Gestalt und Jugend und, es muß nun von meinen Lippen! ein unwiderstehlicher Zug im Innern, den ich noch bei keinem Sterblichen fühlte, haben mich dazu verleitet.‹

›Verlaßt euch in Geheimnissen auf Weiber,‹ dacht ich, ›wenigstens, die sie nicht selbst betreffen!‹ und geriet in ein Labyrinth.

›Ein andermal von unsern Umständen‹, erwidert ich. ›O daß ich dich endlich habe, du Stolz von Venedig und Zierde der Welt! Laß uns jetzt ganz allein sein und die vorübereilenden Augenblicke genießen in junger feuriger Liebe, o du Seele meiner Seele, Geist und Licht meines Lebens!‹ Hier hob ich sie mit Macht in meine Arme und trug sie unüberwindlich so auf einen Sofa, der in der Ecke am Fenster stand.

›Unglücklicher,‹ sagte sie, ›was willst du beginnen?‹ und stieß mir mit allen Kräften das Gesicht von ihrer Brust. ›Dies ist kein falsches Sträuben! Ein einziger Ruf von mir, den meine Brüder hören, und du bist des Todes und ich im Hause auf immer elend!‹ Dies war in einem so festen sichern Tone gesagt wie ein Schwertschlag die Schulter herein, daß ich nachlassen mußte; ich wurde wie voneinandergerissen, als das himmlische warmlebendige Geschöpf meinen Armen entwich.

›Nicht so heftig, holder Verwegner! So war es nicht gemeint!‹ fing sie nach einer kleinen Pause an und streichelte mir die Backen, die Sirene.

Ganz außer mir, ergriff ich sie wieder mit Gewalt vom[46] neuen. Hier aber geriet sie in bittern Zorn und riß mich mit den Haaren von sich: ›Glaube nicht,‹ sagte sie, ›daß ich ein Kind bin, das nicht weiß, was es tut, und mit sich anfangen läßt, was ein wütender Mensch will!‹ Ich konnte nichts dagegen aufbringen, und Unmöglichkeit, Liebe und Bewunderung machten, daß ich meine Leidenschaften bändigte.

Wir setzten uns denn. Ich war auf dem stürmischen Meere, herumgewühlt von tausend Wogen. Sonderbare Szene! Sie schlang hernach ihren rechten Arm um meinen Nacken und ich meinen linken um ihre Lenden, und die zwei andern Hände schlossen sich in ihrem Schoße zusammen; vor uns stand auf einem Tischchen ein Nachtlicht. Ach, wie sie blühte! ein voller Rosenbusch im Mai am frischen Morgen im neuen Glanze des Himmels und den Chören der Nachtigallen herum. Ihre jungen festen Brüste kochten und wallten, und im Netz ihrer verwirrten blonden Haare zappelte meine arme Seele wie ein gefangner Vogel.

Ich flog ihr mit flehendem Gesicht an Busen und klagte schmachtend: ›Was hast du mit mir vor, Zauberin?‹

›Liebe! Sei ohne Sorge!‹ antwortete sie darauf; ›sonst würd ich nicht getan haben, was ich tat; süße Traulichkeit, wo ihrer zwei sich das Leben froh machen, die füreinander geschaffen sind.‹

Uns verging die Sprache, und wir saßen lang, eine schmerzlich entzückende Stille, in heißer Empfindung aneinandergegossen.

Mir rollten endlich unaufhaltbare Tränen übers Gesicht von dem wütenden Kampf im Innern.

›O ich sehe, daß du liebst‹, sagte sie und hob mir das Gesicht in die Höhe, das ich knieend wie ein Kind in ihrem Schoße verbarg, nachdem ich ihr wenig Worte von meinen Schicksalen erzählt hatte, nahm mich auf und küßte mir zärtlich, am ganzen Leibe zitternd, die Augen und das bloße Herz, wovon sie das Hemde wegriß. ›Nun geh fort‹, sagte sie; ›wir können jetzt nicht reden und nicht länger bleiben.[47] Versprich, bescheidner zu sein, und komme heut über acht Tage wieder früh nach Santi Giovanni e Paolo; wenn ich dir ein Zeichen gebe: so sind wir dieselbe Stunde in der Nacht ebenso beisammen.‹

Mir war selbst zu wohl und weh im Herzen, und sie brachte mich unter brennenden Küssen und glühenden Umarmungen leise wieder von sich. Dies war die erste Zusammenkunft. Morgen, Benedikt, das übrige, wenn wir wieder dazu gestimmt sind«, sagte hier Ardinghello.

Wir machten uns alsdenn berauscht auf unsre Zimmer. »O Freundschaft und Liebe,« rief er, nach dem Wunsche, gut zu schlafen, »was ist ohne dich die Welt! Ein Haufen Unsinn für alle Philosophen.«

Was Ardinghello gesagt hatte und die Vorbereitung dazu, machte mich äußerst unruhig; mein Gesichtskreis war zwar erweitert: verlor sich aber in undurchdringlichen Nebel, und mich schreckte die Zukunft. Seine Leidenschaften kümmerten mich. Jedoch verließ ich mich wieder auf seinen hellen Geist und sein edel Herz; und schwur ihm vom neuen bei mir ewige Treue und ihn überall, wo Not an Mann ging, zu unterstützen. Er sollte mir auf der Stelle forterzählen, aber er wollte nicht und sagte: »Wir haben ja dazu genug Zeit und Muße; mein Kopf ist zu sehr im Taumel.«

Den Tag darauf bekamen wir Besuch; und wer war es? Es war der Bräutigam der Cäcilia mit ihren Brüdern, die ihm bis Verona entgegenritten, welcher ein kleines Geschäft abmachen wollte. Sie selbst war einigemal mit ihrer Mutter bei uns gewesen, und ich hatte nichts gemerkt: so sehr konnten sie sich verstellen. Er gestand mir zwar damals ein, der Schalk, daß sie die schönste weibliche Gestalt wäre, die er je gesehen hätte, was Gesicht und Wuchs und Hand und Fuß beträfe; wenn das Verborgne dem Äußerlichen gleichkäme, so wüßte er nicht, ob die griechische Venus zu Florenz noch das Wunder bliebe; und bedauerte, daß so etwas ungenützt für die Kunst vergehen sollte. Allein eben am[48] Verborgnen habe Phryne so sehr die andern Mädchen übertroffen; vollkommne Bildung an diesen Teilen, der Reife nahe, ohne Überfluß und Magerkeit, die zarten häufigen und doch festen Schwingungen des Lebens in den reinsten Formen mit aller reizenden Mannigfaltigkeit zur größten harmonischen Einheit durch keine Kleidung und Stubenluft verdorben, immer in gehöriger Munterkeit und Bewegung erhalten, von hohem und heiligem und wollüstigem Geist beseelt, ein wenig Überfülle, wo sie sein müsse, üppige sanfte Wölbung und wieder straffer Umriß sei äußerst selten und ein Wunder in der Natur, und man könn es immer, wenn man es fände, als das Allergöttlichste auf diesem Erdenrund betrachten. Es fiel mir nun freilich ein, daß sie höher glühte, wenn er von fern im Schatten die Laute spielte oder mit seiner verführerischen Stimme zur Zither sang; und sie selbst war es, was er bei mir schilderte.

Ihr jüngster Bruder – sie war das letzte Kind – konnt ihn gleichwohl leiden. Sie besahen sein Gemälde und machten ihm darüber große Lobsprüche; nur der Bräutigam, eine kalte Staatsperücke von widrigem Gesichte, tadelte ihm einiges ohne rechten Verstand, um nach dem gewöhnlichen Kniffe der Großen sich damit ein Ansehen zu geben, welches Ardinghello jedoch gefällig aufnahm, indem er sich damit entschuldigte, daß die Malerei sehr schwer und selten einer in allen Teilen nur erträglich wäre; und rühmte dabei seine große Einsicht. Dies gefiel ihm denn; und er fragte ihn wie einen jungen Malergesellen, ob er ihn und seine Braut abkonterfeien wolle. Ardinghello verbeugte sich und erwiderte, daß ihm dies großen Ruhm zuwege bringen würde, wenn es nach Wunsch gelänge. Jener beschloß, ihn abrufen zu lassen, sobald es sich schickte. Darauf ritten sie fort, nachdem sie ohngefähr ein paar Stunden angehalten hatten.

Den Abend blieben wir bei meiner Mutter. Sie freute sich über den Beifall für sein Gemälde und daß er durch diese[49] Gelegenheit, besonders wenn noch die Porträte gefielen, in dem neuen Palaste des Bräutigams viel Arbeit bekommen könne. Geld sei da genug; und dies brauchten die Maler. Die gute Frau war fern, etwas weiter zu mutmaßen; aber Ardinghello stellte sich auch so fromm an. Wir mußten bis spät in die Nacht bei ihr aushalten; und er erzählte, um die Zeit auszufüllen, einige rührende Märchen.

Wir machten noch vor Schlafengehen aus, den andern Morgen auf dem See ins Gebirg hinein zu schiffen und zum Mittagsmahl das Gehörige mitzunehmen; ich brannte vor Verlangen, mehr und alles von ihm zu erfahren.

Die Vögel begrüßten vielstimmig den neuen Tag. Die Sonne kam herauf im herrlichen Lichtkreis am Ende der Bergstrecke des Monte Baldo und schritt kühn übers Gebirg bei Verona im gelben Feuer; die Stirn, womit sie sich emporwarf, war Majestät, die der Blick nicht aushielt; und je voller sie hereintrat: desto öfter mußte sich das geblendete Auge von dem göttlichen Glanze wegwenden, der doch so entzückend nach der blinden Dunkelheit war, daß es immer durstiger sich in den köstlichen Strahlen berauschte.

Breit lag der See da im Morgenduft und die Hügel im dünnen Nebel; ein leises Wehen in der Mitte kräuselte die Wellen, und weckte seine Schönheit wie auf, und machte sie lebendig. Die Häuserchen zwischen den Bäumen am Ufer schienen allein zu schlummern mit ihrer Unbeweglichkeit und weil die Menschen noch nicht heraus waren.

Unser Nachen wallte leicht mit voll geschwelltem Segel über die nassen Pfade.

Es war ein heiter Wetter zu Anfang Oktobers und einer meiner unvergeßlichen Tage. Sirmio lag lieblich da in Strahlen und sonnte sich; und die unabsehliche Kette der Felsen dahinter, wie eine neue Welt, als ob sie bestimmt wäre, lauter Titanen zu tragen. Süßer rötlicher Dunst bekleidete glänzend den östlichen Himmel, und die wollichten Wölkchen[50] schwebten still um den lichten Raum des Äthers, worin entzückt in hohen Flügen die Alpenadler hingen.

Der See ist würklich einer der schönsten, die ich gesehen habe, so reizend sind dessen Ufer und zugleich majestätisch und wild, mit soviel Abwechslung von Lokalfarben; und Licht und Schatten macht immer neue Szenen. Die Halbinsel Sirmio liegt in der Tat da wie der Sitz einer Kalypso, um von da aus das Land zu beherrschen, und hat das prächtige Theater von ungeheuren Gebirgen vor sich.

Wir kamen bei guter Zeit am bestimmten Ort an und machten uns noch in der Kühle den Berg hinauf. Als wir die erste Anhöhe erstiegen hatten, lagerten wir uns in dem Wäldchen von Kastanien unten an den Quell der mit Efeu bekleideten Felsenwand ins weiche Gras, von hohen dunkeln Eichen und Buchen hier umschattet, nachdem wir erst unsre Weinflaschen an den frischesten Platz gestellt, gerade wo der Sprung hervorstrudelte. Dem Schiffer sagten wir, er sollte vor Sonnenuntergang uns wieder abholen; und so blieben wir allein.

Wir ruhten vom Aufsteigen aus und streckten uns die Länge lang auf die bequemsten Fleckchen; noch niedrig beim Aufgehen hatte schon die Sonne durch die Stämme den Tau weggeküßt, und es war nun alles trocken. Wir genossen vom neuen das Labsal des letzten Schlummers, als wir so früh aus den Betten mußten; und die einzelnen Lichtstrahlen zitterten süß von oben schräg durch die bewegten Zweige auf unsre Augenlider und schimmerten in die Dämmerung. »O Sonn und Erde,« rief endlich Ardinghello, »wie gut macht ihr's euern Kindern, wenn sie sich selbst das Leben nicht verbitterten!« und sprang auf. Auch ich rastete nicht länger: der frische Duft der fortrieselnden Quelle machte den ganzen Körper doppelt rege.

Ich nahm ihn in Arm und ging mit ihm auf und nieder durch die Bäume und sagte: »Das ist doch nicht fein, da wir so lange beisammen sind und ich dich liebe wie mein ander Ich, daß du mir noch nichts von deinen Lebensumständen[51] bekannt gemacht hast und immer damit hinter dem Berge hieltest! Sooft die Rede auf deine Familie kam, bogst du davon aus, als ob du aus dem Kraute gewachsen wärest; was Cäcilien betrifft, laß ich's noch angehen, und deine Entschuldigung wäre bei jedem andern gut gewesen.«

»Lieber!« versetzte er darauf, »mein Schutzgeist hat mich davon abgehalten. Ich glaube, daß jeder Mensch einen Dämon hat, der ihm sagt, was er tun soll, und daß Sokrates nicht einen allein hatte; wenn wir nur dessen Stimme hören und uns nicht übereilen wollten! In jedem Menschen wohnt ein Gott; und wer sein inner Gefühl geläutert hat, vernimmt ohne Wort und Zeichen dessen Orakelsprüche, erkennt seinen eignen höhern Ursprung, sein Gebiet über die Natur und ist nichts untertan.

Ich stamme aus einem der guten Häuser von Florenz: mein Vater war Astorre Frescobaldi und meine Mutter Maria von der verfolgten Familie der Albizi! Beide sind nicht mehr, und ich bin allein noch übrig, ihr erstes und letztes Kind. Mein Vater entbrannte in Leidenschaft für Isabellen, die dritte Tochter des Cosmus, vermählt mit dem Römer Paul Orsini: und sie gab ihm leicht Gehör; er war noch jung, wohlgebildet und hatte tausend Reize, sie zu fesseln. Sie wurde gleichfalls gegen ihn entzündet; und in Abwesenheit ihres Mannes, der von ihr wie geschieden lebte und sich meistens zu Rom aufhielt, hatten sie erwünschte Gelegenheit, ihr Liebesspiel zu treiben. So gebar sie denn zwei Töchter, von welchen wenigstens die erste meine natürliche Schwester ist. Sie hat sich hernach vielen preisgegeben und mag wohl selbst nicht wissen, mit wem sie die übrigen Kinder erzeugte; jung und schön über alle Weiber, voll Witz und Geist und Leben, und so durch Erziehung gebildet, daß sie Spanisch, Französisch und sogar Lateinisch spricht, verschiedne Instrumente spielt, wie eine Sirene singt, und Verse macht, oft aus dem Stegreif, herrschte sie am Hofe wie eine Göttin und tat, was sie wollte. Noch jetzt übt sie Gewalt aus, obgleich der Zepter ihres Vaters[52] ihr nun entwandt ist.8 Ihre Liebhaber verfolgten sich einer den andern, und wie die Sonne strahlte die Mutwillige, ungestört vom Krieg der Elemente um sie herum; immer mit neuen Vergnügungen beschäftigt, ließ sie ihre Geliebtesten im Elend verderben und machte sich darüber keine Sorge. Ein göttlich schönes Ding bloß für die Gegenwart! ein Feuer, das alles aufzehrt, was sich ihm nähert.

Mein Vater wurde das erste Opfer; der Herzog ließ ihn gefangensetzen. Er machte sich los und flüchtete nach Venedig und von dort in die Levante. Man zog seine Güter ein, unter Vorwand von Verschwörung und Staatsverbrechen; meine Mutter starb darüber für Gram. Mich nahm meine Tante Lucrezia zu sich. O guter Freund, du weißt noch nicht, was ein kluger Tyrann tun kann! von fern sieht die Tigerkatze schön aus, wegen ihrer Stärke und Behendigkeit. Wenn Cosmus ein zweiter Augustus ist in Unterjochung der Freiheit und Wollust gegen seine Landestöchter und in seinen Julien: so ist er noch viel grausamer als sein Urbild.

Durch ein bloßes Ohngefähr hab ich die beste Erziehung erhalten. Als Knabe folgt ich meistens meinem Hange, und wurde hernach bei dem gestörten Hausfrieden durch die Leidenschaft meines Vaters gegen Isabellen wenig mit vorgesetzten Lehrmeistern geplagt. Ich ging mit Kindern von allerlei Klassen um, und die fähigsten waren meine Spielgesellen; ich suchte sie zu übertreffen im Laufen und Ringen und Schwimmen im Arno und in listigen Streichen. Ich habe freilich manche Beule im Balgen und Fallen davongetragen, bin aber davon weder ein Krüppel geworden noch gestorben. Mein Vater, ein mutiger tapfrer Mann, nahm mich im ersten zarten Alter einigemal mit zur See, wo er als Befehlshaber der Galeeren die Küsten gegen die Korsaren bestrich: und die reinen großen ewigen Gegenstände[53] erfüllten hier meine ganze Seele und erregten mächtig alle Triebe zum Freien und Edlen.

Wie ich zum Jüngling heranwuchs, hatten die bildenden Künste und höhern Leibesübungen den größten Reiz für mich, und nächst diesen griechische und römische Sprache und die Geschichte dieser hohen Völker; auch hierin wollt ich jeden übertreffen, und Glück und Gestalt und Wesen führte mich zu den besten Meistern.

In der Zeichnung und Malerei kam ich auf die letzt unter die Hände des Georg Vasari, der zwar nie ein schöpferisches Werk hervorgebracht hat, aber voll Kenntnis und Geschmack war, bei allen seinen Vorurteilen. Der alte Schwätzer blies wie ein Boreas mit vollen Backen in meinen Enthusiasmus. Mein Vater, dessen Augapfel ich war, ließ mir zwar nach seiner Jovialität und nach Georgens Verheißungen, daß ich ein Licht werden würde, alles zu verdunkeln, freien Willen: doch bracht er mich noch kurz vor seiner Gefangenschaft und Flucht zu verschiednen philosophischen Köpfen, in deren Umgang ich nach und nach mich zu einer andern Richtung lenkte. Meine erste Neigung behielt aber immer die Oberhand.

Ich glaube, die Hauptregel bei der Erziehung sei, den Kindern Zeit zu lassen, sich selbst zu bilden. Das beste, was man tun kann, ist, daß man die Triebe schärft und reizt, ein vortrefflicher Mensch zu werden, und ihnen die eigne Arbeit soviel wie möglich dabei erleichtert. Alle Natur, wenn sie groß und herrlich werden soll, muß freie Luft haben. Freilich muß der Stoff dazu in den Urkräften liegen, und ein guter Erzieher sollte doch einigermaßen die Vortrefflichkeit der Pflanzen kennen. Jeder gewaltige Geist wirft schon in der Kindheit, obgleich noch im Chaos und Nebel, helle Strahlen von sich. Alkibiades legt sich als spielender Knabe Wagen und Ochsen in den Weg, zwingt den Treiber, zu halten; Scipio erkannte den künftigen Marius im jungen Soldaten. Ein einziger Gedanke, nur eine Tat, von scharfem tiefen Gefühl oder vielfacher Überlegung[54] entsprossen, obgleich noch roh auf verschiednen Seiten, ist eine glückliche Vorbedeutung; und so Schnelligkeit, zu fassen und zu behalten: hingegen Allgehorsam und Fraubasengutartigkeit, so beliebt bei Pedanten, eine unglückliche; denn da ist kein Mut und keine Kraft. Alles, was in die jungen Seelen eingetrichtert wird, was sie nicht aus eigner Lust und Liebe halten, haftet nicht und ist vergebliche Schulmeisterei. Was ein Kind nicht mit seinen Sinnen begreift, wovon es keinen Zweck ahndet, zu seinem eigenen Nutzen und Vergnügen: das verfliegt wie Spreu im Winde. So ist die Natur des Lebendigen vom Baum und Gras an, und der Mensch macht davon keine Ausnahme. Jeder geh in sein Leben zurück und sehe, ob etwas von allen dem Vorzeitigen geblieben ist, wo nicht etwa bloß zum Verderb des Genusses. Viel Natur und wenig Bücher, mehr Erfahrung als Gelerntes hat die wahren vortrefflichen Menschen in jedem Stand hervorgebracht.

Ein Kind muß erst den Boden kennenlernen, worauf es geboren ist, Gewächse, Tiere und Menschen, eh es etwas Ausländisches fassen kann: sonst kömmt ein Papagei heraus. ›Keine Schrift,‹ sagt Plato mit Recht, ›und wäre sie von dem echtesten Trismegist, gibt mehr als Erinnerung der Dinge, die man schon kennt‹, und ist für den, der sie nicht kennt, ebenso unbedeutend als die Hieroglyphen für die Römer auf ihren prächtigen Obelisken. Von der sinnlichen Natur aber geht man hernach über in die Geisterwelt, und macht in Entzücken Bekanntschaft mit den großen Griechen und Römern und allen außerordentlichen Wesen, die diese Nacht erleuchten.

»Als mein Vater einige Jahre weg war,« fuhr er fort, »bekam ich eine solche Sehnsucht nach ihm, daß ich nicht länger bleiben konnte. Ich fühlte die Ungerechtigkeit des Großherzogs wegen seiner buhlerischen Tochter erst recht lebendig, sah meine eigne Gefahr und machte mich ohngeachtet der Vorstellungen meiner Tante auf und reiste ihm nach, ohne zu wissen, wo er sich eigentlich aufhielt.[55]

Ich ging unter anderm Namen nach Venedig, um dort, während ich ihn auskundschaftete, die Werke Tizians zu studieren und vom Paul Veronese und Tintorett zu lernen; und meine Tante schickte mir von meinem Mütterlichen, soviel ich brauchte. Paul gewann mich bald lieb, so wie der Greis Tizian, den ich in seinen letzten Tagen oft mit Singen und Spielen ergötzte; und sie weihten mich in verschiednen von ihren Geheimnissen ein, weil sie Auge bei mir fanden. Es war mir nun lieb, daß ich außer meinem eignen Vergnügen noch etwas gelernt hatte, womit ich mich auf allen Fall durch die Welt schlagen konnte.

Den Herbst vor meiner Bekanntschaft mit dir er fuhr ich endlich, daß mein Vater zu Kandia als Hauptmann in Diensten eurer Republik stünde, unter dem General Malatesta, einem Florentiner, dessen Sohn Cosmus in den Armen seines Vaters dort umbringen ließ, weil er mit seiner ersten Tochter Maria zu tun hatte, die er deswegen selbst, der kalte Barbar ohne Eingeweide, mit Gift hinrichtete. Ich war schon zur Abreise fertig und wartete nur auf ein Schiff zur Abfahrt, als meine Tante mir die neue traurige Nachricht meldete, daß auch er durch Meuchelmörder, eben wie der junge Malatesta, längst, noch vor dem Kriege mit den Türken, das Leben eingebüßt habe. Dies traf mich wie ein Wetterschlag; ich schwur in meinem Herzen hohe Rache und kochte lauter Galle. Noch bis jetzt kann ich nichts ausrichten, wenn ich mein junges Blut nicht für ein altes ausgemergeltes auf der Stelle hingeben will: aber das Verderben reift über ihren Häuptern.«

Dem Edlen standen hier die Tränen in den Augen, er warf sich nieder an die Quelle, mit dem Gesicht auf dem Boden; sein Inneres war beklommen; er schwieg und knirschte mit den Zähnen.

Ich faßte ihn bei der Hand und redt ihm zu: »Mich jammert dein Schicksal, und du hast recht, zu zürnen. Aber die Welt ist voll von Unglücklichern! und du kannst noch stolz sein; wo sind diejenigen, die soviel Leben in ihrem Innern haben[56] wie du, um alles zu bekämpfen? Freude und Leid umtanzt und umringt wechselsweise jeden Menschen, und hierin ist kein Unterschied zwischen König und Knecht.«

»O ihr Venezianer«, fuhr er auf, »und ihr Genueser habt gut reden! Euch hat kein Haus, wie uns das Mediceische, so niederträchtig zugrunde gerichtet, und ihr strahlt frohlockend in Osten und Westen von Italien wie das Zwillingsgestirn am Himmel; Toskana, die alte Glorie von Welschland, liegt da in Schmutz und Trauerkleidern, mit Ketten behangen von seinen eignen Söhnen.«

Unser Gespräch ging dann auf die Geschichte dieser Staaten über, das hier zu weitläuftig wäre und außer meinem Kreise.

Es war schon gegen Mittag, und der Dunst vom Sonnenbrand auf den Gegenden benahm alle Aussicht; unten schien der See zu kochen und eine ungeheure Feuerpfanne von geschmolznem Silber; Eidechsen, Käfer, Mücken und unzählbare Insekten hielten in der Glut ein allgemeines Fest, und die Grillen betäubten mit ihrem Gezirp wie ein Meerbrausen die Ohren: wir machten uns also an unsere Quelle in die grüne kühle Nacht, wo die undurchdringlichen Eichen und Buchengewölbe und Felsen mächtiglich vor der Hitze Dampf beschirmten.

Wir stärkten uns mit Speise, und der frische Purpursaft der Traube weckte unbezwinglich die Freude wieder in jeder Nerve. Wie ein paar junge Götter lagen wir da im Schatten, und unsre Augen und Lippen lächelten vom vergangnen Kummer wie die Blumen des Frühlings von süßem Abendtau. O Jugend, o glückselige Jugend, ach, warum verlässest du uns so bald!

Wir schwiegen und überließen uns der neuen Wonne; und plätscherten, denn wir hatten Roch und Strümpfe ausgezogen, mit den Händen und Füßen in dem klaren Wasser, das ungern in die Wärme hinausrann, um über Klippen zu schäumen. Jeder von uns ahndete so das Gefühl seiner Laufbahn.

Nachdem wir lange in Genuß und Empfindung gelegen[57] hatten, und mit den Wellen und Kieseln gespielt, und Kräutern und jungen Sprossen, brach ich zuerst das Stillschweigen und fragte leise: »Und Cäcilia?«

»Ach, Cäcilia«, erwidert' er hastig, »ist für mich verloren; ein schwarzer Unhold entführt sie mir. Selige Augenblicke, wo an mir alles Irdische sich bei ihr zu Geist erhöhte, ich vor mir selbst verschwand, in einem Meer untergetaucht von unsterblicher Reinheit und Klarheit! Die Arme dauert mich; aber da ist keine Rettung, wo ein Gott nicht hilft.

Das goldne Geschöpf hat über mich vermocht, was ich nie glaubte. Unsre nächtlichen Zusammenkünfte in Venedig waren leider selten, und wir sahen uns ein ander nur bei größter Sicherheit. Noch während dieser Zeit warb mancher um sie, so wie schon viele vorher um sie geworben hatten; besonders der junge Bartholommeo F** mit einer völligen verliebten Raserei, übrigens ein Mann nicht ohne treffliche Eigenschaften, wie du weißt, nur von geringem Vermögen: aber keine Partie war ihren Eltern und Brüdern gut genug, und keiner von den Helden ergriff ihr Herz. Mir gab sie nach und nach alles preis, Seel und Leib, nur die letzte Gunst ward mir vorbehalten; ihr Entschluß hierin war stahlfest und unwankbar: weder Beredtsamkeit noch Gewalt und die feinste Verschlagenheit konnt etwas ausrichten. Sie hat mir gute Proben abgelegt, daß ein Weib vor der Verführung sicher sein kann, wenn es nicht verführt sein will. Du magst immer darüber lächeln; aber sie hat es geleistet. Ich sehe dich in Gedanken fragen, was wir zusammen taten. Was Adam und Eva, lieber Freund, ehe sie aus dem Paradiese verstoßen wurden. Wir lebten im Stande der Unschuld nach und nach; freilich ging dies auf einmal aus der bürgerlichen Welt nicht, wo alles seine sündliche Blöße doppelt und dreifach bedeckt. Wir offenbarten uns so wie von Angesicht zu Angesicht unser Innres. Du kannst mich immer zu dieser Zeit einen holden einfältigen Schäferknaben nennen: aber ohne solche Vorbereitung gelangst du nie bis in den achten und neunten Himmel; nur[58] höchstens auf die grüne Wiese, wo, wie man sagt, diejenigen hinkommen, die weder selig noch verdammt sind. Wer alle Himmel durchwandert hat und in jedem genossen und gelitten zum Aufflug in den höhern: darf von dem Reiche der Liebe reden. Glaube nicht, daß ich hier wie Petrarca schwärme; dieser war ein armer Sünder und hing nur am Schein, nie an der Wirklichkeit; er hat mit seinem Geächz und Jammer schier unsre ganze Poesie zugrunde gerichtet. Die Toren seufzten ihm jahrhundertelang nach, und mancher besang bei einer feilen Dirne die Grausamkeit der berühmten Provenzalin in unerträglichem Einerlei, anstatt die verschiednen Reize der Erdentöchter in ihrer Mannigfaltigkeit wie die heitern Griechen aufzuempfinden. Er selbst zwang die kluge Frau zur unerbittlichen Strenge: sie schwebte ja in augenscheinlicher Gefahr, daß er bei der ersten Gunst noch einen Band Sonette und berühmtere Oden auf etwas anders als ihre schönen Augen machte.

An Planen von Entführung und ewiger Verbindung wurde von uns im Anfange stark gearbeitet; aber weil wir keine Luftgestalten waren und Sinn hatten, und sie auf keine Weise von ihrer Familie lassen wollte, die sie allzu zärtlich liebte, und besonders ihre Mutter totzukränken befürchtete: legten sie sich bei näherer Bekanntschaft nach und nach. Wir sahen die mißlichen Folgen bei den großen Hindernissen zu deutlich, und erkannten inzwischen innig, daß die Natur unter allem bürgerlichen Verhältnis bei Menschen von reiner Empfindung und klarem Begriff immer durchgeh, trotz allen Gesetzen. Sie richten sich zwar im Äußerlichen nach der Ordnung des großen Haufens: betreiben aber in geheim ihre eigne Art von Glückseligkeit, ohne welche kein Leben Wert hat. So verstrichen denn die himmlischen Tage, und wir ließen die Götter walten.

Eben im Frühling nach geschloßnem Frieden kam endlich Mark Anton G*** aus Griechenland dahergestürmt mit neuem Gold und Schätzen. Sein Weib und seine zwei kleinen Kinder, Töchter, waren dort an der Pest gestorben;[59] und die heißen Strahlen, die Cäciliens Schönheit von sich warf, schienen während der ersten Besuche bei ihren Eltern gerade den Reiz zu haben zu andern Erben für sein Vermögen. Gleich einige Wochen nach seiner Ankunft hielt er um sie an: und sie ward ihm versprochen und mußte drein willigen; ob er gleich schon in die Vierzig, sie erst mannbar ist und ihn nicht leiden kann; aber er hat seine großen Besitzungen bei seiner Statthalterschaft in Kandia noch reichlich vermehrt mit Grausamkeiten und Erpressungen, und Unterschleifen in Verhandlungen mit den Türken, steht in großem Ansehn; und ihre Familie, obgleich bemittelt, bedarf doch wegen ihrer Brüder einer solchen Verwandtschaft. Unser Liebesknoten schlang sich dadurch nur fester; jedoch drohte das nahe Hagelwetter in der Ferne die Blumen aller unsrer Freuden zu zerschlagen.

Mein Aufenthalt diesen Sommer hier am Lago in kurzen Lustreisen von Venedig aus war schon beschlossen, eh ich mit dir bekannt wurde; und dein Antrag, mit dir zu ziehen, setzte mich anfangs in Verlegenheit: allein ich wußte nun der Sache keinen bessern Rat. Auch Cäcilia, die äußerst besorgt ist, wurde furchtsam darüber; doch ist alles insoweit nach Wunsch abgelaufen.

Hier kamen wir weit öftrer zusammen. Sie hat ihre Wohnung auf dem Gut in dem Garten, gerade vor einer Pflanzschule von jungen Bäumen, nicht weit von einem Brunnen mit einem weiten Marmorbecken, von hohen Ahornen umgeben, wo man sehr bequem über die Mauer klettert. Sie kann von der Seite zu einer Tür herein; und überdies ist ein Fenster in ihr Zimmer wegen des Lattenwerks für die Reben daran leicht zu ersteigen; welches ich aber doch, aus Furcht, gesehen zu werden, nur einigemal die letzten Nächte, wo es völlig dunkel war und weder Mond noch Stern leuchtete, um die Umschweife zu ersparen, gewagt habe: und ich erstieg immer damit alle neun Himmel; mit der Nachricht von der Ankunft des Bräutigams zur Hochzeit erobert ich endlich, ach, unter wieviel Schmeicheleien, beredten Bitten,[60] heißen Wollustküssen und Gewalttätigkeiten! das heilige Palladium, umrungen von Glanz und Feuer, jede Fiber süße Wut.«

Ardinghello hatte sich bei den letzten Reden von mir abgewandt, und hielt nun sein Gesicht in den frischen klaren Quell hinein, um die Glut davon abzukühlen.

Wir machten uns vom neuen über die Flaschen her, und ich gab ihm den Rat, weder sie noch ihn zu malen, und lieber sich zu rechter Zeit zu entfernen; die Sache käme mir allzu gefährlich vor.

»Flieh du,« antwortete er, »wenn du keinen Willen hast und dir die Füße gebunden sind! Ja, fliehen möcht ich, aber mit ihr; jedoch wohin?«

Schon senkte sich der Tag, und der Abend rückte näher; wir erstiegen noch die Höhen und übersahen weit die Lombardei und ihre Lustreviere. Beim Heruntergehen nahmen wir einige Zeichnungen von reizenden Winkeln und Aussichten ab, fanden alsdenn unsern Steuermann auf uns warten, verließen Quell und Wäldchen und den leichten erhebenden Äther: wandelten wieder in die Tiefe und segelten unter dem lieblichen Zauberspiel von Abendröte nach Hause, zwischen den Gesängen frohlockender Winzer über den Segen des Herbstes.

Ardinghello wagte noch dieselbe Nacht eine Zusammenkunft mit Cäcilien. Sie hielten Rat, und es wurde beschlossen, daß er die Porträte malen sollte, indem es anstößig sein würde und sogar Verdacht erregen könnte, wenn er es nicht täte. Übrigens verließen sie sich auf ihre Gegenwart des Geistes und Verstellungsgabe und nahmen deswegen die sichersten Maßregeln.

Den dritten Tag darauf holt' ihn auch ihr jüngrer Bruder dazu ab, und er begleitete ihn mit allem Zugehörigen; der Bräutigam wollte ihr Ebenbild noch vom Stand ihrer Jungfräulichkeit.

Sie hätte gar nicht nötig gehabt, ihm zu sitzen; aber er zauderte mit Fleiß und schien auf nichts achtzugeben, als die[61] eigensten und bedeutendsten Züge von ihr recht zu fassen. Er bat sie, so ganz bloß als unbekannter Maler, sie möchte sich nur völlig frei ihrem Wesen überlassen und tun wie sonst in der Gesellschaft oder als ob sie allein wäre; er müsse von selbst aus den mancherlei Bewegungen ihrer Seele auf der Oberfläche des Körpers ihren Charakter abnehmen und seine Phantasie das Ganze bilden. Ein gutes Porträt sei platterdings keine bloße Abschrift, und es gehöre dazu das tiefste Studium des Menschen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu er auch zu jung wäre; aber er wolle nach Vermögen das Seinige tun.

Ihre Mutter war immer dabei zugegen, und der Bräutigam und einige von seinen und ihren Verwandten gingen auf und ab. Cäcilia war sehr aufgeräumt, sprach und scherzte und hatte die Malerei zum besten; schien zwar dem holden Jüngling in seiner Beschäftigung gern zuzusehen, warf sogar unverstellte Blicke auf ihn, wie man auf Schönheit wirft, aber alles wie fremd und zum ersten Mal; und ihre Worte hatten immer etwas von dem vornehmern Ton gegen einen, den man für seine Arbeit bezahlt.

Die erste Sitzung geschah des Nachmittags gegen Abend. Nach wenig Umriß und Zeichnung fing er sogleich am Kopf an zu malen. Sie saß den andern Morgen beim Frühstück noch einmal; und dann wollt er sie nicht weiter plagen, außer bei der Vollendung, um hier und da nachzuhelfen. Den Nachmittag und ganzen dritten Tag und vierten Morgen bracht er damit fast allein zu: und siehe da! sie kam heraus wie völlig lebendig. Alt und jung bewunderten die erstaunliche Gleichheit. Er hatte sie in einem leichten sömmerlichen Morgenanzuge vorgestellt, meist von grüner Seide, worunter die vollkommnen Formen ihrer jugendlichen Glieder reizend aufwallten und durchleuchteten. Sie stand in Lebensgröße, nachdenkend, wie gerührt, in die Zukunft blickend, den Kopf in der Linken auf einen Pult gestützt, in einem Zimmer, wo durch ein ganz offnes Fenster die Aussicht auf den See ging, an welchem Sirmio in der[62] Nähe und ein wenig blaue Ferne von den Gebirgen wohl angebracht waren. Ardinghello hatte im Gesichte schon Züge von ihrem Charakter ausgespähet, die sich nachher erst entwickelten.

Den fünften Nachmittag gab er sich an den Bräutigam. Nach den ersten Umrissen gestand er ihm gleich, daß ihm sein Kopf sehr schwer vorkomme und daß er noch keine rechte Idee von der ursprünglichen Einheit seines Charakters in der Einbildung habe. Mit allen großen Männern müss' ein Künstler lange leben, um nur eine von ihren bedeutendsten Außenseiten in täuschender Wahrheit fest zu haschen; und überhaupt sei es schier unmöglich, irgend jemand sicher darzustellen, den man nicht an Geist und Kraft gewissermaßen übertreffe.

Es ging hierbei im Mark Anton eine gewaltige Veränderung vor, und er errötete und wurde wieder blaß augenscheinlich, so daß er aufstehen und ans Fenster gehen und Ardinghello einhalten mußte.

Dieser faßte darauf all sein Bewußtsein zusammen, und jener kam nach einer langen Pause wieder und setzte sich. Ardinghello zeichnete vom neuen, und ihre Blicke begegneten sich einander wunderbar: die des Ardinghello hell und durchdringend, doch von aufgewühltem Herzen, flammten in die seinigen wie in eine düstre Nacht voll Irrfeuer.

Mark Anton fragte ihn endlich, ob er sich schon lange in Venedig und der Gegend aufhalte. Ardinghello antwortete mit Besinnung: »Es ist noch nicht lange; die Werke des Tizian und Paul von Verona und Tintorett haben mich dahin gezogen; und auch am Johann Bellini ist noch zu studieren und andern; besonders aber an der herrlichen Menschenart zum Kolorit.«

»Seid Ihr aus Florenz selbst?« verfolgte er ferner. »Ja«, war die Antwort. »Und Euer Vater?« »Mein Vater ist tot, und meine Mutter ist tot, ich ohne Geschwister bin allein übrig.«

»Wer war er, was trieb er?« Diese Frage machte Ardinghellon endlich ungeduldig, er schnickte den Pinsel aus und[63] antwortete: »Er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen.«

Bei diesen Worten trat Cäcilia herein und hemmte das Gespräch; denn sie waren vorher ganz allein. »Nun, geht's gut?« fragte sie lächelnd. »Es würde besser gehen,« antwortete Ardinghello, »wenn ich das Glück gehabt hätte, Ihro Exzellenz länger zu kennen.« »An mir ist nicht soviel gelegen«, erwiderte der Bräutigam; »wißt Ihr was, laßt es für jetzt gut mit mir sein und macht die Signora vollends fertig. Wir werden näher bekannt werden, und künftigen Winter einmal ist's bessere Zeit.«

»Wie Sie befehlen«, versetzte Ardinghello und rückte die Staffelei weg.

»O nein,« sprach heftig Cäcilia, »im Winter gibt's lauter Nebel und Regen und keine gute Luft zum Malen!«

»Nun gut,« sagte der Bräutigam, »da kann es ja noch nach unsrer Vermählung hier geschehen. Jetzt bin ich ohnedies zu sehr beschäftigt; und kann nicht so ruhig sein wie Sie, mein Herz.«

Sie nahm ihn bei der Hand, und sah ihn zärtlich an, und führte ihn fort. Ardinghello gab seiner Zeichnung einen Nasenstüber, brachte die Sachen in Ordnung, und ging darauf von ihrem Gut, und kam zu mir nach Hause.

Er erzählte mir, was vorgegangen sei: und mir wurde darüber warm im Kopfe. Ich konnte nicht anders glauben, als Mark Anton habe Lunte gerochen; und warnte und beschwur ihn mit Bitten inständig, äußerst auf seiner Hut zu sein und für jetzt sich ganz stille zu halten. Er aber meinte, seine Art, rot und blaß zu werden, müsse von etwas anderm herrühren als Eifersucht; soviel er sich selbst fühle und an andern beobachtet habe, offenbare sich dieselbe auf eine andre Weise. Jedoch sei wahr, daß die Grundverschiedenheit der Menschen hierin sonderbare Abweichungen mache. Inzwischen hätt er sich noch nirgend so betrogen, wenn dies Eifersucht sein solle; auch reime sich dies nicht zu seinem übrigen Charakter, wie er ihn aus Hörensagen[64] und den wenigen Augenblicken kenne. Daß er auf seiner Hut sein würde, dafür brauch ich nicht zu sorgen; aber ein Feiger nur flieh alle Gefahr. Man müsse standhalten, mit unerschrocknem Mut, solange das Verderben nicht unüberwindlich einbräche; dies allein rette und beglücke den Mann.

Sein Verdacht ging' auf etwas anders; und ein wahrsagerischer Geist geb ihm ein, der Statthalter von Kandia sei bei Ermordung seines Vaters nicht ganz außer Spiele gewesen und die Ähnlichkeit seiner Gestalt ihm aufgeschossen.

Mir fiel heiß hierbei ein, daß Mark Anton, vor seiner Statthalterschaft von der Republik abgeschickt, einige Zeit zu Florenz gestanden und mit dem Großherzog auf einem so guten Fuß umgegangen sei, daß er seinen schwierigen Auftrag glücklich ausgeführt habe; ich schwieg jedoch hiervon stille, um nicht Öl ins Feuer zu gießen, und sagte im Gegenteil: dies käme mir nicht wahrscheinlich vor, er solle sich deswegen nichts in Kopf setzen.

Den folgenden Morgen bracht er das Bild dahin, daß es im Rahmen konnte aufgespannt werden; und bekam für seine Arbeit von Cäcilien selbst einen schönen goldnen Ring mit einem kostbaren Rubin zum Geschenk, der gerad an den Herzensfinger seiner linken Hand paßte. Dies gefiel ihm denn; und er freute sich und lachte darüber, wie die Dinge dieser Welt so sonderbar untereinander laufen. Am dritten Tag hierauf sollte das Beilager gehalten werden; alle Anstalten dazu waren schon gemacht und die Nachbarschaft zu einem festlichen Ball eingeladen.

Ardinghello ging inzwischen tiefsinnig herum, aß wenig und trank viel, und konnt es nicht länger verbergen, daß er vom Stempel der Liebe mächtig gezeichnet war; er mied alle Gesellschaft. Morgens, abends und des Nachts kam er nie auf sein Zimmer und schlief nur des Mittags. Ich hatte mit dem Armen Mitleiden: aber da war nicht zu raten; er hörte wie ein Meersturm. Die ersten Stunden der Nacht am Tage vor der Hochzeit trat er auf einmal plötzlich hastig auf mein Zimmer, blaß und fürchterlich; ich schrieb eben an einem[65] Briefe. Wie ich ihn aber so erscheinen sah, fiel mir die Feder aus der Hand, und ich sprang auf: »Was gibt's, was hast du?«

»Mein Argwohn war nur zu gut gegründet; höre!« sprach er und ging mit mir zum äußersten Ende von der Tür weg.

»Du kennst den schönen einsamen Platz, wo die großen babylonischen Weiden vom hohen Felsengestad herunter nach dem See hangen und das Ganze zu einer stillen melancholischen Vertiefung sich einschließt: dahin war die letzte Zeit immer mein liebster Spaziergang; schon vorher sind wir dort beisammen gewesen. Auch diesen Abend ging ich dahin und nahm ein Instrument mit. Es fing an zu dämmern, als ich noch auf der entblößten Wurzel der vordersten Weide nach dem Tale zu saß und meine Leiden sang. Der Inhalt von meinem Liede war: ›Ach, mein Vater tot, meine Mutter tot, meines Lebens Lust in fremder Gewalt! Ist dies nicht, ein junges Herz zu brechen? Saitenspiel, klag's mit mir!‹ Und bei den Worten, nach dem Blick und der Empfindung: ›Flisterst du Lüftchen in den Blättern mir Trost zu?‹, kam's über mich, als ob ich meinen Vater vor mir und mir winken sähe. ›Warum erscheinst du, was verlangst du von mir?‹ rief ich und sprang auf. Zugleich erblickt ich nicht weit von mir einen Kerl mit dem Messer in der Hand, welcher alsbald davonging mit diesen Worten: ›Flieh, junger Mensch, du dauerst mich, ich sollte dich ermorden! Flieh, so geschwind du kannst, so weit dich deine Beine tragen, und meide den Mark Anton. Schon wurde durch ihn dein Vater umgebracht. Meide das Gebiet des Großherzogs.‹

Mir wurde dabei das Herz im Leibe umgekehrt; aber ich besann mich doch nicht lange, sondern riß meine Pistole hervor (er ging auf seinen Wegen nie ohne Gewehr aus) und jagte ihm von der Seite eine Kugel durch die Brust, daß er auf der Stelle stürzte. ›Stirb, Elender, für deine Schlechtigkeit in der Schlechtigkeit, und bereite das Quartier deinem Patron in der Unterwelt!‹ vernahm er noch die[66] Antwort. Darauf gab ich ihm noch einen sichern Stoß mit seinem eignen Messer und wälzte den Körper in die Dornen und das Gesträuch hinein, den Felsen hinunter. Niemand war schon längst mehr auf dem Felde und es schon finster; und der Ort ist überhaupt, wie du weißt, völlig abgelegen. Den Kerl erkannt ich noch, wie ich ihn näher besah; ich habe vor kurzem in einem Wirtshause zum Zeitvertreib mit ihm a la Mora gespielt und ihm nicht allein seinen Verlust geschenkt, sondern die Zeche obendrein bezahlt.«

Dies entsetzte mich; ich sah die gräßlichen Folgen bei seiner kühnen Entschlossenheit voraus und wußte nichts zu antworten als: »Es ist ungeheuer!«

»Du sollst nichts dabei zu tun und nichts dabei zu verantworten haben«, fuhr er fort; »nur beschwör ich dich beim Himmel und deinem letzten Tropfen Liebe zu mir, laß mich's ausführen, einen häßlichen politischen Meuchelmörder mehr aus der Welt zu schaffen. O Vernunft, breit allen deinen heitern Äther in meinem Verstand aus, daß ich kalt genug zu Werke schreite! Wenn er morgen auf der Hochzeit mit dir von mir sprechen sollte, so sage nur, du habest mich die letztern Tage nicht gesehen, ich streiche so oft im Lande herum und suche Schönheit in Gegenden und unter Menschen; und gib im übrigen auf alles acht, was vorgeht, besonders auf dem Ball in der Nacht.«

Ich war betäubt von allen diesen Dingen und wußte mir nicht zu helfen. Es war da kein Rat, als entweder ihn oder den andern aufzuopfern; und vor dem ersten Gedanken schauderte meine Seele wie vor ihrem Nichtsein; den königlichen Jüngling vom rächerischen Arm der Natur bewaffnet, voll innerm Gehalt, der überall hervorstrahlt: oder den mißgeschaffnen Boshaften, der das Vortrefflichste aus kleinlicher Leidenschaft und elendem Interesse wegtilgt? Es fand weder Wahl noch ein ander Mittel statt.

Ich gab ihm nach der Überlegung zur Antwort: »Du sollst mich als deinen Freund erkennen; an deinem Mut und deiner Klugheit im übrigen darf ich nicht zweifeln. Jedoch bedenke[67] vorher, was du tust und daß dein Leben selbst dabei in äußerster Gefahr ist.«

»Was soll mir ein Leben, das Sklaverei duldet und Unrecht leidet?« erwiderte er, »schändliches Unrecht! und das grausamste! O ich weiß, daß das ewig lebt, was in mir lebt, und daß dies keine Gewalt zugrunde richtet. Ich war, was ich bin, und werd es sein: ein edler Geist, den sein göttlich Urwesen durch alle Zeiten von der Drangsal niedriger Verbindungen immer bald erlösen wird. O wären viele wie ich! der Tyrannei unter unserm Geschlecht sollte bald weniger sein. Aber da fürchten sie sich vor dem Wörtchen Tod und glauben, sie wären das, was da kalt und bleich und starr ausgestreckt auf dem Brette liegt, da es nur das Gespenst der eigentlichen Unterwelt ist, das ihre niedrigre Gattung von Wesen nach seinen jämmerlichen Bedürfnissen herumfoltert, und alle reine Seele mit Apostelstimme den verachtet, der keinen Mut hat, zu sterben und sich von dem Elend frei zu machen.«

Mich dünkte, einen Gott reden zu hören: so stolz und groß stand der Mensch vor mir; ich mußte ihn an mein Herz drücken.

Allein der mißlichste Punkt bei der Sache war Cäcilia; dies machte ihm am meisten zu schaffen, und er überlegte auf allen Seiten. Er glaubte, daß es endlich auch hier gehen würde, und sei der Gewalt sicher, die er über ihren Willen habe! sie selbst ins Spiel verflochten, und der außerordentlichen Biegsamkeit ihres Geistes und ihren andern Fähigkeiten die Rolle nicht zu schwer. Er müsse das Äußerste wagen, sie diese Nacht noch zu sprechen: es wäre notwendig, daß sie sich vorher darauf bereite.

Übrigens sahen wir immer klärer in dem, was vorgegangen war. Mark Anton stieg nicht aus bloßer Höflichkeit bei seiner letzten Ankunft an unserm Haus ab, da er es bei den vorigen Besuchen nicht tat, die er bei seiner Braut ablegte; der Großherzog mochte Wind bekommen haben, wie der junge Frescobaldi heranwüchse und daß kein bloßer Maler[68] in ihm stecke, weswegen ihn der Adel zu Florenz gewissermaßen verachtete, und wollte beizeiten der gefährlichen Brut den Nacken brechen. Der Mörder des Vaters hatte denselben in Venedig ausgekundschaftet und sein eigen bös Gewissen dazu angetrieben. Das andre ergab sich von selbst; er ließ ihn bei sich malen, um ihn genauer kennenzulernen und ob er wirklich gefährlich wäre; und Ardinghello beschleunigte mit den ohne alles Arg gesagten Worten: ›er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen‹, die ihm vielleicht der Zorn des Himmels eingab, dem Verbrecher das Todesurteil anzukündigen, seinen Untergang, wenn es nicht anders verhängt gewesen wäre.

Der Ursprung dieser Begebenheiten war uns aber damals unbekannt, und Ardinghello erfuhr ihn erst, als er wieder nach Florenz kam. Mark Anton verliebte sich dort gleichfalls in Isabellen und bracht es so weit mit seinem Geld und seiner ihr neuen gefälligen venezianischen Mundart, daß auch ihm, der Seltenheit wegen, eine Zusammenkunft versprochen wurde. Allein statt des gehofften Vergnügens fand er durch geheime Veranstaltung des Vaters von Ardinghello in ihrem Zimmer eine alte magre Ziege angebunden; und schlich wieder davon, als ob er nicht dagewesen wäre. Lächerlich dadurch bei ihr gemacht, hatte die ganze Liebesgeschicht ein Ende. Mark Anton nahm dies zwar nicht wie einen lustigen Streich bei dergleichen Laufbahnen auf die leichte Achsel; doch konnt er sich sogleich nicht rächen und ließ die Sache lieber im verborgnen. Der Großherzog, in der Folge davon benachrichtiget, gebrauchte ihn hernach, als ein Mann, der seine Leute kannte, zu seinen Absichten. Ardinghello, noch Knabe, bekümmerte sich nicht um solche Dinge. So entstehen immer die wichtigsten Folgen aus Kleinigkeiten.

Ich ging darauf zu meiner Mutter, und er schloß sich auf sein Zimmer. Um Mitternacht schlich er heraus und stieg in Cäciliens Garten. Sie hatten sich gleich im Anfang ihrer Liebe Zeichen für Augen und Ohren erfunden, die kein[69] andrer Mensch verstand und die ohne allen Verdacht waren. Sie vernahm ihn und erschrak: diese Zeit über sollte keine Zusammenkunft mehr gehalten werden; und besann sich, ob sie kommen oder nicht kommen wollte. Als er aber darauf das Zeichen gab, wo alles mußte gewagt werden; denn auch dies hatten sie, im Fall, wo sie sich die höchste Gefahr entdecken mußten: so ging sie zitternd nach der Tür, und ihr sanken die Knie ein.

»Cäcilia,« sprach er zu ihr, wie sie im verborgensten Buschwerk an der Mauer beisammen waren, »ich bin verloren, wenn ich deinem Bräutigam nicht zuvorkomme«; und erzählte ihr die Begebenheit den Abend mit dem Banditen und alles in wenig Worten, was sie noch nicht wußte. »Morgen nachts, wo nur immer möglich, schaff ich ihn aus der Welt, und ich hoff, es soll bei dem festlichen Geräusche nicht an Gelegenheit fehlen, wenn du nicht lieber mich willst hingerichtet sehen.«

Jedes Wort war ihr ein Donnerschlag.

»O welch ein Sturm wälzt sich über mich her!« rief sie aus, entsetzt, nach langer Betäubung; »schon tauml ich mitten in den erzürnten Wogen, von Abgründen zu Abgründen geworfen, und alle Winde rasen. Ach, wär ich mit dir aus dem Schiffbruch auf einer wüsten unbewohnten Insel nur! Aber wir gehen unter in den wilden Fluten.«

»Mir sagt's mein Herz,« erwidert' er darauf, »daß wir glücklich der Gefahr entkommen. Habe Mut, himmlisch Wesen! Der Wellen Ungestüm verletzt kein Gestirn; es tritt desto glänzender bald wieder auf und strahlt in ewiger Klarheit.

Niemand weiß von unsrer Liebe (der Edle wollte seinen Freund auf alle Weise außer Gefahr setzen). Niemand weiß von dem schändlichen Vorhaben des Mark Anton gegen mich; sein Spion und Mörder meines Vaters modert schon zwischen Klippen und Dornen: solche Dinge vertraut man nicht, außer gegen wen man muß. Der Großherzog ist noch weit von hier, mich soll er so leicht nicht in die Schlinge bekommen. Schlage mich aus dem Sinn die kurze Zeit des Getümmels,[70] und tu, als ob du von mir nichts wüßtest: und du bist sicher. Über mich waltet die Vorsicht: sonst wär ich dem Tod nicht entgangen, und sie hätte mir meinen Pfad nicht gezeigt.«

»O wie kann ich dich, Geliebter, einen Augenblick vergessen? Wie kannst du vergessen meine Seligkeit und mein Leiden?« fiel sie ihm mit Tränen an seine hochklopfende Brust; fuhr aber bald hastig auf und ergriff ihn, zurückstoßend, klammernd bei der Hand: »Fort von hier, über Berg und Tal, laß mich! O hätt ich dich nie gesehen, o ich Unglückselige! Ich beschwöre dich bei aller unsrer Wonne, bei deiner und meiner Liebe,« stürzte sie sich ihm zu Füßen und umwand seine Knie: »überwältige dich meinetwegen, der Ruhe meiner Familie wegen, verschiebe wenigstens die Rache! Mich fesselt das grausame Schicksal mit eisernen Ketten an mein Elend, und ich kann ihm nicht entrinnen: du aber geh in ein ander Land, sei glücklich bei allen deinen Vollkommenheiten, und laß mich. O Gott,« schluchzte sie, »wer weiß, wenn und wie und wo und ob wir je uns wieder sehen!«

Ardinghello umwand sie fest mit seinen Armen und träufelt' ihr mit der Stimme des lebendigsten Gefühls ins Ohr: »Welche sklavische Furcht hat sich deiner bemeistert! Komme wieder zu dir, und rede mit Besinnung. Es siege die Liebe, die in der Natur allem andern vorging, und die Gerechtigkeit! Hast du keinen Blick in die Tage der Zukunft? Einem solchen bösartigen Ungeheuer wolltest du an der Seite liegen und deine glänzende Wohlgestalt von ihm schänden lassen, in lauter Gram und Ekel, da die edelsten Jünglinge voll Eifer und Feuer vor dir schmachten? Hat dies so mächtig wallende Herz in deinem Busen so wenig eigne Kraft, daß es nichts für sich tut, sondern seine angebornsten Regungen nach andrer Willen umlenkt? O Cäcilia, erhabnes Wesen, erkenne deinen Wert! Zu deinem eignen Wohl und weil ich dich kannte, vertraut ich dir das Geheimnis.[71]

Soll ich den Schlechten verklagen, ihn zu einem Zweikampf herausfordern? Wie albern! Warten in der äußersten Gefahr? Wie töricht! Ihn gehen lassen, dulden, leiden, schweigen und mich davonmachen? O ich wäre nicht wert, dich an meine Seele zu fassen, nicht wert, auf diesem Boden zu atmen; tief, tief unter der Erde, der armseligste halb zertretenste Wurm müßt ich sein.

Die Zeit ist edel, wir haben keine Worte zu verlieren; ich sage dir aus dem Buche des ewigen Verhängnisses: Mark Anton, der niederträchtige Meuchelmörder, muß sterben von meiner rächerischen Hand für alle seine Bosheiten; oder du mußt mich und dich dem Tod und der öffentlichen Schmach preisgeben. Es findet hier keine Wahl statt, und ich kenne dazu genug deinen hellen Geist und deine hohen Gefühle. Meinetwegen hab in jeder Rücksicht keine Sorge: für dich wird dein scharfsichtiges Auge leicht den Ausweg finden und deine Gewandtheit ohne Verletzung und Gefahr darüber weggleiten.«

»Nun, so fürchte denn alles, unerbittliches Felsenherz!« versetzte sie ihm aufgebracht; »und wenn du sicher sein willst, so zücke den Stahl zuerst auf mich. O herbeigeführt durch die Lüfte, steh ich an dem Kessel eines feuerspeienden Gebirgs, Verderben rund um mich, und mir vergehen die Sinnen. O könnt ich mein unabsehliches Elend aller Unschuld zur Schau aufstellen und sie damit vor dem ersten Fehltritt warnen!«

Ardinghello konnt ihr nicht mehr antworten, so schnell riß sie sich von ihm fort nach ihrem Zimmer; doch drehte sie sich unterwegs noch einigemal um, kam aber, außer sich, nicht wieder zurück.

Er sagte mir anfangs von dieser Unterredung nur so viel, daß sie ohngefähr den von ihm erwarteten Ausschlag genommen habe.

Den andern Morgen in aller Frühe geschah die Trauung. Cäcilia erschien am Nachmittage, wo das Gelag war, reizender als je; Schlaflosigkeit und die beständige Überlegung[72] dessen, was vorgehen sollte, hatte ihre Lebensgeister erhitzt und überzog ihr Gesicht mit der lieblichsten Schamröte.

Ardinghello bereitete sich den Tag über auf die Tat: machte sich selbst auf den Notfall eine Maske, kämmte sein Haar anders, veränderte Hut und Kleidung, um einen Landmann der Gegend vorzustellen, und setzte sich in gute Verfassung zur Flucht auf jeden Fall. Meine Mutter und ich waren beim Feste.

Eine zahlreiche Gesellschaft hatte sich eingefunden. Pracht und Überfluß, mit feiner Kunst angeordnet, herrschten an der Tafel und in Sälen und Zimmern Glanz und Freude. Die Braut schien in neuen Empfindungen verloren, antwortete aber doch leicht jedem Schalk, und immer in jungfräulicher Bescheidenheit; jedermann schien den Glücklichen zu beneiden, dessen Beute sie ward, und den Wunsch im Herzen zu hegen, mit süßer Gier im Liebesbette, statt seiner, der zarten Schönheit Blume zu pflücken.

Gegen Abend erhob sich der Ball. Als die Kerzen brannten, vermißte man bald Braut und Bräutigam und lächelte darüber. Der Bräutigam kam nach langer Zeit zuerst wieder, und seine Unenthaltsamkeit und Enthaltsamkeit beklatschte ohne Scheu der Mutwill junger Männer. Doch hörte man zu seiner Entschuldigung von einer Stimme den frechen fescenninischen Scherz: der versuchte Ritter wird den Morgen schon bei hartem Sturm die Fahne auf die Festung gepflanzt haben. Er lachte, jedoch dünkte mich's nicht das Lächeln der Lust nach gepflogner Liebe, und winkte mit der Hand nach den Fenstern. Und sieh! Raketen stiegen auf in der Luft und kreuzten sich über dem See und zerknallten, in schönen Kreisen sinkend. Gleich hernach erschien auch die Braut wieder und wurde beglückwünscht von Müttern und Weibern, indes sie glühte wie eine Rose.

Man führte sie an den Erker zum besten Platz, das Schauspiel anzusehen: und auf einmal rauschte die Girandola gen Himmel wie ein ungeheurer brennender Palmbaum. Darauf folgten mancherlei neue Feuerwerkskünste. Der Ort dazu[73] war auf einem hohen felsichten Ufer des Sees nicht weit vom Palaste; der Bräutigam, welcher dergleichen verstand und es angeordnet hatte, lief hernach selbst hinunter, um die Leute, die es abbrannten, zum Eifer zu treiben, weil einigemal starke Pausen vorgingen: und gerad am Ende der Stiege wurd er vom Ardinghello an der Kehle fest gepackt und empfing den schärfsten mörderlichsten Dolchstich von unten auf ins Herz. Ardinghello sagt' ihm schleunig noch ins Ohr: »Bin der junge Frescobaldi! Deine Braut war meine Geliebte, die Frucht unsrer Liebe wird dein Vermögen erben statt dessen meines Vaters.«

Er lag da und regte sich nicht mehr: Ardinghello entwischte. Niemand bemerkte ihn, die Bedienten unten sperrten alle, weit von dem Palaste, Augen und Mäuler auf über das Feuerwerk und jubelten und lärmten; und oben plauderte man gleichfalls und betrachtete.

Er lag da, solange das Feuerwerk dauerte. Wie es vorbei war und die Bedienten wieder hereinsprangen, erscholl auf einmal ein Zetergeschrei. Man drängte sich zu den Türen heraus: »Der Bräutigam ist ermordet!« lief plötzlich von einem Mund zum andern. Cäcilia rennte mit Geheul hervor, und wie sie deutlich vernahm: »unten an der Stiege mit einem Stoß in die Brust ermordet!« sank sie auf der Stelle nieder in Ohnmacht, und Arm' und Beine welkten, ihr Antlitz entfärbte sich, und der Kopf hing im Nacken. Man hob sie auf und brachte sie auf Sitze, und besprengte sie mit starken Wassern; es war ein allgemeines Gewühl und Lärmen.

Der Tote ward unten in ein Zimmer gebracht; man zog die Kleider weg und besichtigte die Wunde: sie ging nett ins Herz, und da war an keine Hülfe mehr zu denken. Cäcilia kam wieder zu sich. »Was ist mir? wo bin ich?« sprach sie stöhnend mit verirrten Blicken. »Ach, tot, tot! Wer hat ihn umgebracht! o ich Unglückselige!« und so zerraufte sie sich die schönen blonden Locken, und riß die Kleidung vom Leibe, und wütete wie eine Bacchantin.[74]

Ich darf sagen, daß, bei Kummer und Sorge für Ardinghellon, mich doch dies entzückte. O ihr Weiber, welch ein Mann erreicht je eure Verstellung! Sie wollte mit Gewalt zu ihm, aber man hielt sie ab. »O Gott, welch ein Vermählungsfest!« schluchzte sie, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. Hätt ich aber alles gewußt, so würd ich tiefes Mitleiden mit ihr gehabt haben.

Die Verwandten des Mark Anton, worunter eine verheuratete Schwester von ihm war, verstummten und machten allerlei Gesichter und wußten nicht, wo sie angreifen sollten: die Brüder und Eltern der Cäcilia verloren aber den Kopf nicht; und der älteste, auch schon verheuratet, ergriff sie bei der Hand und sagte zu ihr: »Fasse dich, was geschehen ist, kann man nicht ändern, und sei vernünftig, für dich ist jetzt ein kritischer Zeitpunkt! Sprich, und rede laut: hat Mark Anton schon wirklich seinen Bund in der Tat mit dir vollzogen oder nicht? Das andre soll hernach, soviel menschmöglich ist, aufs schärfste untersucht werden.« Sie warf den Kopf in die Arme und bedeckte die Augen, und sagte seufzend und weinend: »Ach, wär es nicht geschehen und ich noch, was ich war!«

Die Schwester antwortete hierauf: »Wir sind hier auf einmal in sonderbare Umstände geraten und werden schwerlich so friedlich auseinandergehen können, als wir zusammengekommen sind.«

»Damit Sie erkennen,« versetzte der Vater der Cäcilia, »daß wir nichts Unbilliges verlangen, soll meine Tochter gleich in sichre Verwahrung gebracht werden, und einige von Ihren Verwandten und meine Söhne mögen sie begleiten. Der Fall ist außerordentlich. Wir ergeben uns dann in den Ausspruch des hohen Rats. Inzwischen wollen wir alles aufs strengste ausfragen und untersuchen.«

Die Ältesten und Angesehensten von der Republik, die hier zugegen waren, versammelten sich gleich auf ein Zimmer allein und machten einen Kreis; die Verwandten blieben in der Nähe, die übrigen Gäste im Tanzsaal, und unten wurden[75] die Türen gesperrt. Die Bedienten kamen erst einzeln nacheinander vor. Keiner wußt etwas, und man fand nirgendwo die geringste Spur. Der Gäste waren viel und mancherlei. Man hatte zwar auf ein paar derselben Argwohn, weil sie vor dem Ermordeten um Cäcilien warben und gegen denselben heimliche Feindschaft hegten, jedoch durfte man sie so bloß darauf öffentlich nicht antasten; man erkundigte sich nur sehr scharf unter der Hand, wo sie während der Tat sich befunden hätten. Sichre Personen legten gut Zeugnis für sie ab, daß sie in ihrer Gegenwart gewesen wären.

Insoweit war also die Untersuchung vergeblich. Man schickte darauf Leute in die Gegend aus, um jeden Verdächtigen festzuhalten, welches man freilich eher hätte tun sollen: allein im ersten Aufruhr dachte niemand daran; und Ardinghello, einer der schnellsten Fußgänger, befand sich zu dieser Zeit schon in Sicherheit.

Was Cäcilien betraf, konnte man nicht nach aller Strenge verfahren, da es der Wohlstand und das Ansehen ihrer Eltern und Brüder nicht zuließ, welche beide letztere bei dem Sieg über die türkische Flotte sich den Namen großer Helden erworben hatten; alle waren außerdem dem reizenden Geschöpf gewogen und keiner von Herzen dem Bräutigam. Mancher machte sich in Rücksicht ihrer Hoffnung, entweder sie ganz zu besitzen, nun eine der reichsten Partien von Venedig, noch unabgeweidet in frischer Blüte; oder doch auf irgendeine Gefälligkeit bei solcher Lage Rechnung. Wenn ein Mensch einmal tot ist, hört bald alle Gunst auf; und wer am Leben bleibt, hat immer das beste Spiel. Dies ist in der Natur der Dinge; einem Toten ist doch nicht mehr zu helfen, denken sie, und es kömmt dabei nichts heraus. So ging's zu Venedig, wohin Cäcilia sich noch dieselbe Nacht unter Begleitung ihrer Brüder und der Verwandten ihres Bräutigams, mit etlichen Personen vom Rat, auf den Weg machen mußte, bis ihre Schwangerschaft sich völlig offenbarte. Sie wurde zwar nach der Form gehörig bewacht und befragt: allein da man gar keine Angaben, nicht den geringsten[76] Verdacht und sie einen Bartolus und Baldus in derselben Person zum Advokaten hatte, endlich freigesprochen; und sie selbst verstand meisterlich die Seelen zu fesseln und spielte durchaus ihre Rolle vortrefflich: in dem kurzen Umgange mit Ardinghellon hatten sich ihre seltne Naturgaben herrlich noch entwickelt und ausgebildet.

Zu Anfang des neunten Monats darauf wurde sie, in Beisein gerichtlicher Zeugen, von einem gesunden kräftigen Sohn entbunden, welcher in der Taufe die Namen S. Marco Giovanni e Paolo empfing; und niemand wußte die geheime Bedeutung. Sie gelangte damit zum rechtlichen Besitz aller Güter Mark Antons, dem ihre Brüder ein prächtiges Grabmal von dem berühmtesten Bildhauer mit einer sinnreichen Inschrift von dem besten lateinischen Poeten besorgten, und trauerte lange und hielt sich eingezogen von allen Lustbarkeiten.

Ardinghello hatte sich nach glücklich vollbrachter Tat durch Umwege schnell auf sein Zimmer gemacht und geschwind umgekleidet; er war sicher, von niemand bemerkt worden zu sein, und wollt im Freien unter der fremden Kleidung nicht länger bleiben. In unsre Wohnung konnt er nach Belieben herein und heraus, weil er den Schlüssel zu der einen Außentür von seinem Flügel hatte. Auch war ohnedies alles aus dem Palaste nach einem guten Platz zum Feuerwerk gelaufen, dem zauberischen Schauspiel über dem See. Inzwischen machte er sich doch behend auf jeden Fall gefaßt und lauerte nahe bei seinem Zimmer im Garten, bis ich mit meiner Mutter nach Hause kam und ihm das glückliche Zeichen gab; das Fest war gänzlich verstört, und ich hielt nur so lange aus, als es sich schickte, um nichts zu versäumen.

Auf ihn fiel nicht der mindeste Verdacht, weder hier noch in Venedig. Dort wurde bei einigen jungen Herren strenge Nachforschung gehalten, die mit heftiger Leidenschaft vorher um Cäcilien warben; aber es kam nichts heraus, und die Ermordung blieb ein Rätsel.[77]

1

Es würde allzu weitläufig sein, die hier berührten Punkte der venezianischen Geschichte im Zusammenhange zu erzählen; wer sie noch nicht wissen sollte, kann leicht anderswo davon Nachricht finden.

2

Man stoße sich nicht an diese jugendlichen Ausfälle auf die römischen und florentinischen Schulen; in der Folge wird sich alles deutlicher entwickeln. Inzwischen liegt schon Wahres hier zum Grunde. Es ging dem jungen Mann wie allen, die in zu strenger Lehre standen: sobald sie in Freiheit kommen, verabscheuen sie das Joch. Allein treffliche Naturen bequemen sich nach und nach wieder zu dem Guten, was es mit sich brachte.

3

Sirmio, Augapfel aller Halbinseln und Inseln, die der Gott der Wasserwelt in süßen Seen und dem ungeheuren Meer umfaßt.

4

Du wirst sagen, daß jene Menschen, diese Götter erbaut haben.

5

In der Folge wird man den Begriff von Schönheit allgemeiner und richtiger und nicht mehr so jugendlich sinnlich finden.

6

... der wie ein Meer aufsteigt in rauschenden Fluten.

7

Bei unsern teutschen Übersetzungen ist dies jedoch der Fall nicht; und wir haben recht, einzelne Namen zum Beispiel so echt altgriechisch dem Laute nach zu übertragen, als wir zu bestimmen imstande sind. Der Laut η wird inzwischen immer schwer mit einem Zeichen vollkommen richtig zu bestimmen sein, da ihn wahrscheinlich schon die Alten verschieden aussprachen; nämlich nachdem die zwei Vokalen waren, die er ausdrückte. Die neuern Griechen machten es nach und nach damit wie die Engländer mit ihrem ee und ea und ergriffen endlich noch eine festere Partie. Auch ist der Übergang von ee und ea in i den Sprachorganen leichter und natürlicher, als es auf dem Papiere aussieht. Den Neugriechen klingt außerdem hira oder hiri, aphroditi und so fort so zärtlich, weiblich und lichtvoll als uns cidli, silli und dergleichen. Auf ähnliche Weise ändern die Sizilianer das Toskanische um. Über Wohlklang eines Vokals vor dem andern läßt sich im allgemeinen nichts entscheiden; es kömmt auf jedes Wort selbst, den Gebrauch und das Ohr des Volks an. Was uns fremd lautet bei allen andern Nationen, lautet ihnen nicht fremd.

8

Fu amata dal Cosmo suo padre, di maniera, che era voce per la città, che egli avesse commercio carnale seco, sagt eine florentinische Handschrift aus der damaligen Zeit hierüber.

Quelle:
Wilhelm Heinse: Ardinghello und die glückseligen Inseln, Leipzig 51961, S. 9-78.
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Ardinghello und die glückseligen Inseln
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Wieland, Christoph Martin

Alceste. Ein Singspiel in fünf Aufzügen

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Libretto zu der Oper von Anton Schweitzer, die 1773 in Weimar uraufgeführt wurde.

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

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