Zweiter Teil

[78] Ardinghello wollte nun nicht länger in der Gegend bleiben: die Sonne war hinweg, die ihn an sich zog und um die er sich herumbewegte; aber auch für jetzt nicht wieder nach Venedig. Und wenn sich dort die Sachen aufs glücklichste setzten, so sah sein Geist in der Zukunft Dinge, die ihn folterten. Süßigkeit vollführter Rache, Gram, von Cäcilien geschieden zu sein, Kummer ihretwegen und Sorge für seine eigne Sicherheit wechselten in seinem Herzen plötzlich auf und ab wie ein Aprilwetter. Sich länger aufzuhalten war gefährlich, weil man unter den Papieren Mark Antons vielleicht Aufträge von Cosmus finden konnte: und sich gleich aus dem Lande zu machen, schien verdächtig. Endlich entschloß er sich, nach Überlegung aller Umstände, noch einige Tage zu harren und inzwischen scharf auf seiner Hut zu sein. Es kam uns nicht wahrscheinlich vor, daß der Großherzog seinen und seines Vaters Tod schriftlich sollte verhandelt haben; und ein Vertrauter, wenn er auch noch da wäre, wie nicht zu vermuten, durfte bei Schlechtigkeiten von so üblem Erfolg keinen Lärm machen, zumal da er doch nicht sicher wäre und nur mutmaßen könnte.

Ardinghello stellte sich aufgeräumter an als je; und wenn in Gesellschaft die Rede auf die Begebenheit kam, so schwieg er entweder oder pries Mark Antonen glücklich, daß er so gerad in voller Freude starb; und auch Cäcilien, daß sie so geschwind als möglich von dem harten Joche der Ehe sei ausgespannt worden.

Wir fischten dann auf dem See, gingen auf die Jagd und lasen noch dabei zu guter Letzt die schönsten Oden im Pindar, der seine Seele vom neuen mit hohem Taumel schwellte und in etwas seinen Sinn von der Gegenwart wegwandt. Die Romanze aller Romanzen auf die Insel Rhodos besonders entzückte ihn so, daß er sie bald auswendig konnte. Seine Phantasie kam wieder ganz in das Götterreich der[78] Poesie hinein, die Spiele griechischer Jugend rissen sein Herz dahin, süße Liebe und solche Taten pries er allein ein würdig Frühlingsleben; alle seine Kräfte tobten und wurden ungestüm: er wollte fort in die Welt, in Bewegung, auf eine neue Bühne, und war nicht mehr zu halten.

Keine volle zwei Wochen nach Cäciliens Abreise brach er auf. Er schrieb vorher an seine Tante um einen Wechsel nach Genua; er gedachte von dort nach Frankreich zu schiffen und dadurch nach Spanien zu wandern, bis an die letzten Küsten von Portugal. Mir band er unterdessen Cäcilien aufs Herz und daß ich ihm von ihr bei jeder guten Gelegenheit Nachricht geben sollte. Sobald sie frei wäre, müßte vermittelt werden, daß wir alle drei zusammen eine Freundschaft ausmachten. Für unsre Heimlichkeiten bildeten wir uns eine jedem andern unergründliche Schrift und wollten bei den Hauptpunkten das Neugriechische gebrauchen. Seine Wiederkunft würde alsdenn von den fernern Umständen abhangen.

Seine Reise nach Genua nahm er sich vor zu Fuße zu tun, und so sollt es sein Leben lang durch alle schöne Gegenden geschehen; er hielt es für Torheit, sie anders zu machen, wenn man gesund und stark wäre und keine notwendige Eile hätte: die Natur von Land und Leuten könne man auf keine andre Weise so gut kennenlernen; und was die Straßenräuber beträfe, so sei man im Wagen der Gefahr weit eher ausgesetzt, und die ärgsten würden von Billigkeit zurückgehalten gegen ein harmloses Geschöpf, das ohne bürgerlichen Reichtum, wie sie, bloß menschlich einherschreitet.

Er ließ mir alle seine Habseligkeiten zurück und nahm nichts mit sich als einen wohlgespickten Beutel und Hemder und Strümpfe.

An einem Abend beurlaubte er sich von meiner Mutter, die Tränen vergoß und ihn an ihre Brust drückte; er wurde von ihr geliebt wie mein Zwillingsbruder. Sie gab ihm ihren reinsten Segen und bat zu Gott, daß er sie erhören möchte,[79] da er nicht länger bleiben wollte; und sagte ihm zuletzt, daß sie sich oft nach seinem Umgang sehnen würde. Ihr machten wir weis, daß er wieder in seine Heimat zöge.

Wir brachten die Nacht alsdenn beisammen zu, so recht wie klare Quellen von Leben, wo alle Blicke durchgehen; ich wünsche mir nie eine größre Seligkeit. Aber ach! was ist der Mensch? ein Punkt, zerfetzt und zerrissen vom Schicksal auf allen Seiten, und unaufhaltbar fortgetragen in den wilden Fluten der Dinge, wo er weder Anfang noch Ende sieht.

Gegen Morgen fuhr er auf, steckte die alte Handschrift von den Denkwürdigkeiten des Sokrates in die Tasche, die ich ihm fein und wohlgeschrieben mit auf den Weg gab, und die griechischen lyrischen Dichter von Heinrich Stephan; warf seine Zither über die Schulter, daß sie stürmisch erklang, drückte mich noch einmal an sein Herz und küßte seine ganze Seele auf meine Lippen, und schoß von dannen. Ich erbebte wie von einem Todesschauer und sank wie ins Grab. O Elend und Jammer, hienieden ohne Freund zu sein! und Stolz und Jubel und Kühnheit, wo zwei ihr Wesen verdoppeln!

Meine Mutter und ich gingen darauf zu Ende Oktobers wieder nach Venedig, wo mein Vater aus Dalmatien schon angekommen war. Der Weg dahin erfüllte mich mit Traurigkeit. Gegend und Menschen und Gebäude hatten den vorigen Reiz verloren und standen da wie Schatten. Ich erkannte innig, daß zu allem Genuß zwei Herzen notwendig sind, die sich lieben.

Die Zärtlichkeit meines Vaters, meiner ältern Brüder und verwittibten Schwester, die ihn begleitet hatten, linderten und versüßten allein meinen Gram zu Hause. Cäcilia saß noch in strenger Verwahrung: doch war jedermann für sie, wegen ihrer ehemaligen klugen und bescheidnen Aufführung bei aller ihrer Schönheit. Auch ich tat unter der Hand mein Bestes; das zärtliche Geschöpf hatte sich von dem Zuge der Natur überwältigen lassen und konnte hernach nicht anders handeln.[80]

Verschiedne junge Leute, alle von großem Talent und genaue Bekannten von Ardinghello, kamen zu mir, seinen gegenwärtigen Aufenthalt zu erfahren, welchen ich ihnen aber nicht entdeckte, mit Vorspiegelung, er habe in seine Heimat gewollt.

Zu Anfang Novembers erhielt ich folgenden Brief von meinem Freunde:


Genua, November.


Wie ich aus dem fruchtbaren großen Tale der Lombardei, von hundert Flüssen durchströmt, das seinesgleichen in der Welt nicht hat, durch die wilden kahlen Felsenkrümmen des Apennin hinauftrat und endlich aus der Bocchetta hervor, von heitern Lüften umspielt, daß die Locken um meine heißen Schläfe flatterten, oben auf der Höhe das tiefe breite Meer unter mir glänzen sah, vom süßen Strahlengewölk des Abends umlagert: Gott, wie ergriff das mein Herz und alle Sinne! Wie die Thetis Homers mit einem Sprung vom Olymp hätt ich mich in die ewige Lebensfülle hineinstürzen und wie ein Walfisch darin herumtaumeln und alle meine Leiden abkühlen mögen.

Ich blieb hier die Nacht bei einem alten Schäfer, der Chronik der Gegend, und sah die Sterne auf- und untergehen und das Weltlicht wieder erscheinen, und thronte so über Italien, dies Paradies mit allen seinen Bewohnern von Anbeginn der Zeit, Menschen und Tieren und Pflanzen und Bäumen, und ich, machten ein friedliches Eins, so rein und heilig zerflossen war meine Seele.

Den Morgen schritt ich hinab und schlief des Nachmittags in einem reizenden Dorf an der Küste nicht weit von der Stadt. Gegen Mitternacht wacht ich wieder auf vom Saitenspiel und einer Stimme, die lieblich mein Wesen durchdrang. Ich lauschte und vernahm die Worte und sprang ans Fenster: die Musik kam aus einem alten Gemäuer, an einen Hügel gebaut, der in hohen Pinien und Zypressen und niedern Fruchtbäumen sich aus dem Meer hervorstreckte; es[81] waren Stanzen eines Märchens vom Pulci, die ich gar wohl kannte. Als darauf noch eine weibliche Stimme zu der männlichen einfiel, so zog auch ich meine Guitarra hervor, brachte sie leis in Stimmung und sang, als sie aufhörten, nach einigen Griffen von ihrer traurigen Harmonie in eine fröhlichre hinüber: »Wer seid ihr süßen Sänger dort, die ihr mich so entzückend aus dem Schlafe weckt? Habt Dank, habt Dank, daß ihr den Menschen so Freude macht und ihr Herz rührt in der stillen Dämmerung.«

»Wir sind Vater und Tochter, die ein holdes Kind in Schlummer spielen samt dem Gatten, den der heiße Tag abgemattet«, ertönte zur Antwort herüber, indem ein Alter mit langem Bart an den Bogen der Tür sich stellte.

»O ihr Glücklichen!« verfolgt ich darauf und sang, von Begeisterung ergriffen, die Zeiten des Saturnus von Hesperien, wo alle so lebten, wo noch kein Phalaris die goldne Insel der drei Vorgebirge folterte und keine Cäsarn mit Bürgerblute die Felder düngten.

»Und wer bist du, edler Geist?« fragt' er mich dann.

»Ein junger Pilgrim, der nach dem Vortrefflichen auf Erden wandert und seine Seele nun hier an Honig labt.«

Er ging herunter, ich ihm entgegen; wir bewillkommten uns und füllten die Becher. Es war ein herrlicher Mann, an die sechzig, ein echter Dichterkopf, viel vom Ideale des Homer, nur nicht blind: wie es der hohe Ionier auch nicht war, der nur nicht sah, was gewöhnliche Menschen immer gegenwärtig mit ihren leeren Köpfen sehen, wovon er endlich den launigten Namen bekam, und der griechische Künstler, der sein Bild erfand, richtete sich nach dem Volkswitz.

Wir machten geschwind Bekanntschaft. Er war ein Architekt gewesen und, weil er wenig zu bauen fand, seinem Hange zur Poesie gefolgt; und man hielt ihn nun für einen der besten Reimer aus dem Stegreife weit und breit, und er zog als ein solcher im Lande herum und ergötzte die Leute. Seine Frau war früh gestorben, und seine einzige Tochter[82] gab er vor wenig Jahren einem wackern Landmann zur Ehe, der hier ein Gut gepachtet hatte und bei dem er sich meistens aufhielt. Die Wirtschaft war wirklich aus der goldnen Zeit, wie ich hernach mit Vergnügen erfuhr.

Ich sagte ihm, daß ich schier ebenso die Malerei triebe wie er ehemals die Baukunst. Dies freute ihn denn von Herzen; er faßte meinen jungen Kopf und steckte ihn in seinen grauen Bart hinein, und küßte mich über und über: ergriff alsdenn das Saitenspiel und sang mit einer Schwärmerei das Lob der Dichtkunst, wie ein wahrer Priester des Apollo, daß ich mich vor Lust nicht regte. Das halbe Dorf kam zusammen und girrte vor den offnen Türen und Fenstern leisen Beifall. Und als er endigte, schien das Meer stärker ans Gestade zu brausen, und alle riefen: »Es lebe Boccadoro!« So nannte man ihn.

Zur fernern Kurzweil fing ich darauf einen Gegengesang an und richtete Pindars Χρυσεα φορμιγξ Απολλωνος nach Ort und Umständen ein; und schilderte zum Beschlusse den Alten vor mir nach dem Leben und erhob seinen Stand über den eines Königs. Und mit einem Jubelgeschrei: »Es lebe der schöne fremde Jüngling und der göttliche Alte!« zog man von dannen, als wir gegen Morgen schieden.

Ich machte, wie es Tag war, einen Spaziergang auf den Hügel und besah die Lage von Genua: ein reizendes Theater, das von jeher seine Bewohner angetrieben hat, das Meer zu beherrschen, und woheraus immer die größten Seehelden hervorgekommen sind. Heiliger Kolumbus und du, Andreas Doria, die ihr nun mit den Themistoklessen und Scipionen in Elysium Paar und Paar herumwandelt, euch Halbgötter unter den Menschen bet ich im Staube an. Ach, daß auch mir kein solches Los bestimmt ist! Ich sah hinaus in die unermeßliche Sphäre von Gewässer, und die ungeheure Majestät wollte mir die Brust zersprengen; mein Geist schwebte weit über der Mitte der Tiefen und fühlte ganz in unaussprechlicher Wonne seine Unendlichkeit.

Nichts auf der Welt füllt so stark und mächtig die Seele;[83] das Meer ist doch das Schönste, was wir hienieden haben. Sonn und Mond und Sterne sind dagegen nur einzelne glänzende Punkte und samt dem blauen Mantel des Äthers darüberher nur Zierde der Wirklichkeit. Dies ist das wahre Leben: hierauf gibt sich der Mensch Flügel, die ihm die Natur versagt, und verbindet in sich die Vollkommenheiten aller andern Geschöpfe. Wer das Meer nicht kennt, kömmt mir unter den Menschen wie ein Vogel vor, der nicht fliegen kann oder der seine Flügel nicht braucht, wie die Straußen, Hühner und Gänse. Hier ist ewige Klarheit und Reinheit; und alles Kleine, was sich in den Winkeln der Städte in uns nistet, wird hier von den großen Massen weggescheucht. Wie dort die Seealpen aufsteigen! gleich Helden bei Aspasien und Phrynen; wie die zarte Linie am Horizont sich so weich herumründet! In den Ozean hinaus möcht ich; wie klopft mir das Herz!

Boccadoro wartete schon auf mich, als ich wieder ans Wirtshaus kam. Er sagte, ich müßte ihn heute begleiten zu einem großen Feste, das die ganze Woche fortdauerte.

Marchese S*** vermählte sich mit einer jungen Fregosa in allem ersinnlichen Pomp; der Bräutigam sei wohl jetzt einer der reichsten Privatedelleute von Europa. Diesen Abend würde Wettrennen gehalten, darauf Schmaus und Ball; morgen Stierhetze, und so weiter fort, jeden Tag eine andre Lustbarkeit; Komödie, Seiltänzereien und allerlei Künste sollten sich auf dem Land und Wasser zeigen. Er wäre aufgefordert, zwischen andrer Musik bei der Tafel zu singen, und er bäte inständig, auch mich darauf vorzubereiten; wir könnten unterwegs ein hübsches Thema zum Wechselgesang ausdenken. Der Palast läge wenige Miglien weit von der Stadt auf der andern Seite der See; ein paar Knechte von seinem Schwiegersohne würden uns mit ihm selbst und seiner Tochter auf einer Barke dahin fahren. Doch er glaube, daß ich dieses alles schon wisse und vermutlich eben deswegen hier eingetroffen sei.

Ich versicherte ihn, daß ich heruntergekommen wäre, ohne[84] das mindeste von dieser Hochzeitfeier zu wissen. Aus dem Stegreife könnt ich in so hoher Gesellschaft nicht singen; und außerdem müßt ich immer erst ein wenig die Art meiner Zuhörer kennen, um leicht den Eingang in ihr Herz und ihre Phantasie zu finden: sonst tue überhaupt das Vortrefflichste oft nicht seine Wirkung. Doch woll ich ihn begleiten; sein Epithalamium zu hören schon allein reize mich. Er könne mich als Stimmer seiner Zither beim Schmause mit einführen.

Ich lernte nun seine Tochter kennen, eine erzgute frohe junge Hausmutter; und ihren Mann, einen muntern trefflichen Wirtschafter; und einen kleinen Engel von Söhnchen: so daß ein schönes Ganzes in lebendiger Ordnung war. Das alte mit Efeu bewachsne Gemäuer der kleinen Landburg fand ich innen bequem eingerichtet. Ich nahm gegen Mittag bei ihnen ein gesundes köstliches einfaches Mahl ein. Nach Tische schlummerten wir alle ein paar Stunden; und dann fuhren wir ab, und mich ergötzten unendlich die Seewellen, so grünlicht klar und weich und furchtbar lieblich schroff über den Abgründen, wo jede auch in ihrer Kleinheit sich majestätisch als Tochter des unermeßlichen Ozeans zeigte.

Wir langten gerad auf den Rennplatz an, als die Pferde schon vorgeführt wurden. Die Sitze waren lauter Licht und Glanz von schönen und prächtig gekleideten Herren und Damen, mit einer Menge Volks überall. Der Pferde waren nur drei; aber alle drei mutschnaubende königliche Tiere, so daß es schwer war, vorauszubestimmen, welches den Preis davontragen würde. Man hatte deswegen große Wetten angestellt; die mehrsten waren für einen göttlich schönen Rappen, der sich an den Schranken gar nicht wollte halten lassen. Ein Falk stand dagegen still da: doch brach der Blick seines Augs in die Bahn wie ein Sonnenstrahl, und sein Fuß hob sich leicht wie lauter volle Nerve. Wie das Seil fiel, tat auch der Rapp einen Vorschuß; in der Mitte der Bahn aber zog der Falk so aus und überholte die andern,[85] daß sein Gang schneller war als die Geschwindigkeit eines Sturmwinds über gelbe Saaten; er flog dahin, und seine Bewegung war das Entzücken aller Augen, selbst derer, die gegen ihn gewettet hatten. Kurz, er gewann den Preis, jedoch mit Not, und ward hernach erst unbändig.

Nach dem Wettrennen war Komödie und nach der Komödie der nächtliche Schmaus. Gegen Ende desselben, als Wein und Gespräch die Lebensgeister in stärkre Wallung gebracht hatten, fing Boccadoro an sein Saitenspiel zu rühren. Es entstand eine allgemeine Stille: und die Töne seiner Griffe waren wie ein leises Flistern am heißen Mittag in kühlen Wäldern von den Seelüften. Sein Geist taumelte darauf durch die alten Zeiten der griechischen Heroen; und er sang die Hochzeit des Peleus und der Thetis, schmückte die Fabel aus mit lieblichen Worten und ging davon auf die Gegenwart über, schilderte den Bräutigam als einen neuen Peleus, ebenso von den Göttern beglückt, und seine Braut als die jüngre Thetis.

Auf einmal wendete sich dann der alte Schalk an mich, der ich hinter ihm unter den andern Spielleuten in der Ecke stand, und zog mich hervor als einen andern Apollo, wenn ich seine Worte wiederholen darf, der plötzlich den Apennin herabgekommen sei, dies Fest noch zu verherrlichen: und überreichte mir die Zither.

Ich ward überrascht und glühte vor Scham auf in der fremden glänzenden Gesellschaft. Ein freudiges Murmeln lief durch den ganzen Saal, und aller Blicke flogen auf mich. Es half hier keine Weigerung, wenn ich nicht wollte zum Gespött und zuschanden werden. Ich entschloß mich also kurz, die Sache so gut abzumachen, als mir möglich war, und wählte die mir leichteste Versart, nach der Melodie, die den immer stärker einschlagenden anapästischen Rhythmus hat und Dich so oft ergötzte.

Nach wenig einfachen Akkorden sang ich geradeso, wie es war, meine Überraschung und Verwirrung, und daß ich Boccadoren hieher folgte, die Pracht und Schönheit des[86] Festes zu sehen, ganz fremd und unbekannt, ein bloßer Wandrer hier, seit wenig Stunden. Doch Euer Ruhm, fuhr ich fort, geht über Meer und Alpen; und wer ist der kalte neidische Mensch, den Eure glückliche Liebe nicht begeistern sollte? Nehmt gefällig die wenigen Blumen an, die ich mit geschwindem Raub über Eure Tafel streue.

Der Sohn der Thetis strahlt nun durch alle Nachwelt, weil er einen Homer zum Sänger hatte: wieviel größer aber waren Kolumb und Doria? und wie weit kann die Frucht Eurer Liebe an edlern Taten über ihn hervorragen, als wegen eines verblühten durchgegangnen Weibes von einem Manne, den die Natur zum Hahnrei bestimmte und der weder in Bund noch Freundschaft mit ihm stand, dreimal um die Mauern von Troja herumzulaufen und alsdenn den ermüdeten Feind in den Hals zu stechen! Als wegen eines abgewiesenen Pfaffen einen greulichen Lärm anzufangen, und dann seine Geliebte darüber geduldig hergeben und sich ans Meer setzen und weinen!9

Verzeihe mir diese Lästerungen, bester Freund; Du weißt, daß ich die Homerische Natur tiefer fühle als das vornehme Weltvolk auf der Oberfläche, die nicht zu ihren Moden paßt. Aber Du kennst das Sprichwort: unter den Wölfen muß man mit heulen.

Ich beschrieb darauf die Gegend von Genua und ihre Bewohner; pries dieser Heldenmut von den fernsten Zeiten an; und daß es besser läge als selbst das alte Rom, die Inseln des Tyrrhenischen Meers und Küsten von Afrika zu beherrschen. Erzog nun im Gesange den jungen Themistokles, die Seligkeit der Mutter und des Vaters über denselben und die goldnen Zeiten seiner Bürger, und machte allen Gästen nach den süßen Gütern das Maul wässerig; jeder schien im Herzen zu schwören, sich dabei anders aufzuführen als ihre Vorfahren beim Kolumb, von dessen hohem[87] erfindrischen Geiste sie mehr Schimpf und Verachtung als Ehre haben.

Ich wurde während des Liedes bei einigen glücklichen Stanzen von lautem Jubel unterbrochen und erhielt, wie ich aufhörte, großen Beifall, der mir nur insofern wohlgefiel, weil ich mich aus der Verlegenheit gezogen hatte.

Man stand nun vom Tisch auf, und es ging zum Ball. Als die Braut vor mir vorbeigeführt wurde, begrüßte sie mich mit einem festen lüsternen Blick und wollüstigem Lächeln und rief mir zu: »Bravo!« Sie hielt noch den Kopf zurück, als sie vorbei war, und Mienen und Gebärden gestatteten Kuß und Umarmung, wenn wir allein wären; ganz die Gestalt einer Bacchantin in Glut und Üppigkeit, voll Körperreiz mit frecher Seele: welche Weiber mir nur in gewissen Momenten gefallen können. Ich fühlte wenig Neigung, nähere Bekanntschaft mit ihr zu machen; wohl aber mit einem andern Frauenzimmer, dessen Mutter, was die Formen des Gesichts betrifft, sich an dem Vatikanischen Apollo versehen zu haben scheint, nur ohne Stolz und Zorn, vielmehr alles heilige Güte; ein wunderbares Geschöpf!

Ich erfuhr von Boccadoren, es sei eine Freundin der Braut und hielt sich bei ihr auf. Die Eltern wären verunglückte Kaufleute aus Nizza in der Provence gewesen und vor einigen Jahren gestorben. Die Braut heißt Fulvia und die Freundin Lucinde; ich verlangte die letztere tanzen zu sehen, aber sie tanzte nicht.

Etwa zwei Stunden nach Mitternacht darauf, als der Ball am lebendigsten war, hörte man einige Schüsse fallen, und bei der plötzlichen Stille darüber ein ängstlich Schreien und wieder Schüsse, und Getümmel die Treppe herauf nach dem Saal. Und in einem Augenblick, ehe man eine Hand umwendet, brachen gräßliche Männer mit Säbeln und Gewehr in den Händen zur vordern Tür herein. Man stand wie versteinert, und wollte fliehen und konnte nicht, und wußte nicht, wohin. Alles drängte sich auf die Seiten nach den Fenstern und wo nur eine Öffnung war; und[88] heulte und jammerte, und alle Gesichter färbte die Todesblässe.

Wir wurden von Seeräubern überfallen, nach den gelben afrikanischen Gestalten; und an Gegenwehr war wenig zu denken. Ein Teil von denselben besetzte die Tür, wo sie hereinkamen, andre faßten gleich die Braut und griffen zuerst nach den Frauenzimmern und schleppten sie fort. Ich stand zu Ende des Saals an den Fenstern nach dem Garten; die ersten von Adel sprangen mit Gefahr hinaus. Ich wurde fast vom Getümmel erdrückt und konnte kaum eine Pistole losreißen, die ich sogleich nach dem stärksten Kerl an der Tür abbrannte. Die Kugel traf so glücklich ihn zum linken Ohr hinein, daß er auf der Stelle stürzte. Der Knall verschaffte mir einigen Raum, so daß ich die andre zog und zugleich meinen Degen. Während der Zeit hatten sich noch andre Genueser und Bedienten mit Gewehr versehen und schlugen im Mangel desselben mit Stühlen drein. Die Räuber hieben mit ihren Säbeln um sich und spalteten etlichen die Köpfe und verwundeten diejenigen, welche voran waren. Doch brachten wir sie endlich zur Tür hinaus, die sie aber von außen besetzt hielten, so lange, bis ihre Gefährten mit der Beute bis ans Meer kamen und sie einschifften. Alsdenn wichen sie, und wir hatten das Nachsehen, ohne ihnen viel Schaden zufügen zu können, weil sie ihren Angriff zu gut angeordnet hatten.

Der Bräutigam selbst bekam eine starke Wunde; und ein paar von den vornehmsten Gästen lagen ohne Hülfe niedergestreckt. Die Wackersten machten sich mit dem Johann Andreas Doria, welcher, wie Du weißt, die türkische Flotte mit besiegen half, von dem Geschlecht des großen alten, gleich auf nach Genua, um den Räubern nachzusetzen: und ich wollte mit dabeisein. Es war eine Frechheit seit undenklichen Jahren ohne Beispiel.

Wir langten dort gegen Morgen an. Fünf Dreiruderige wurden ausgerüstet, und wir stachen eine Stunde am Tag in die See, als noch die Sonne mit einem eingefallnen Nebel[89] kämpfte; der Wind hatte sich die Nacht geändert, und ein Schirokko blies von Südosten! Wir wußten nicht, wohin unsre Fahrt zu halten, und machten uns auf die Höhe zwischen beide Küsten. Endlich nach und nach, obgleich langsam, erweiterte sich der Gesichtskreis: und die Gebirge fingen an sich zu zeigen unter der grauen Hülle; und erst gegen Mittag lag die Wasserwelt uns einigermaßen vor Augen, jedoch von allen Seiten so mit Dunst umfangen, daß wir nichts entdecken konnten.

Doria beschloß nun, zwei Schiffe abzusondern und dieselben auf Sizilien zu streichen zu lassen: er selbst wollte mit den andern über Korsika hinaus in die provenzalischen Gewässer. Noch ehe wir ausliefen, wurden auf beide Seiten Jagdboote ausgesendet; keines aber war zurückgekommen. Ich blieb auf dem Schiffe, wo er selbst war. Es ging nun in vollem Zuge. Noch kannten wir die Stärke der Feinde nicht; bei Nacht und Nebel hatten wir die Anzahl ihrer Barken nicht unterscheiden können.

Am Abend kam das Jagdboot wieder und verkündigte, daß es den Feind bei Monaco im Gesicht erreicht hätte; die Räuber seien vier große Galeeren stark. Wir ruderten die ganze Nacht; und den andern Morgen, als sich das Wetter aufheiterte, erblickten wir ihre Segel. O wie klopfte mir das Herz, bald im Schlachtgetümmel zu sein! Der Tod ist dabei doch nichts anders als eine freie Bahn auf die edelste Art in die Geisterwelt aus diesem Chaos von Unwissenheit.

Sie entdeckten uns gleichfalls und verdoppelten ihre Ruderschläge. So strebten wir den ganzen Tag.

Eben als die Sonne, nach dem Stesichoros, aus den Lüften in den goldnen Becher trat und den Ozean hinabschwamm zu den finstern Tiefen der heiligen Nacht, taten wir die ersten Kanonenschüsse nach ihnen; wir hatten den Vorteil des Windes über sie, und sie machten darauf halt, weil sie nicht weiter flüchten konnten. Wir griffen sie schier in gerader Linie an und dehnten uns etwas aus, damit sie uns nicht von den Seiten ankonnten. Wir brachten ihnen einige[90] herrliche Lagen bei und waren weit besser als sie mit grobem Geschütz versehen. Nach mancherlei Wendungen kamen wir, als schon die Dämmerung sich einsenkte, mit zwei Schiffen aneinander zum Handgemenge, und unser drittes suchte die zwei andern Galeeren abzuhalten, die es entern wollten.

Ich befand mich auf dem erstern und kämpfte mit aller Gewalt und Besonnenheit, deren ich fähig war. Noch hatt ich zum Glück keine Wunde, aber die Kugeln vom kleinen Gewehr und Säbelhiebe streckten manchen an mir nieder. Endlich drangen wir ein in ihre größte Galeere, und ich war unter den erstern, mit einem starken Dolch in der Linken, und in der Rechten den Degen, und im Gurt noch eine geladne Pistole. Bevor ich übersprang, stieß ich einen ihrer Kecksten darnieder, der schon im Zuge war, dem Doria mit seinem sichelförmigen Damaszenersäbel den Unterleib durchzuschneiden, und rettete diesem so das Leben. Mit einem andern auf der feindlichen Barke, der auf mich einhieb, wurd ich hernach bald fertig; doch konnt ich mit dem Dolch seinen Streich aus beiden Fäusten nicht so ganz abhalten, daß er mir nicht ein wenig im Herunterschellern den linken Arm streifte: ich traf ihm darüber gerade die Kehle, daß er die Zunge herausstreckte.

Sie wichen und ergaben sich; nur der, welcher der Anführer schien, sprang unters Verdeck: und ich ihm nach. Und sieh! hier steckte die Braut mit der andern Beute. Er holte mit dem Säbel weit nach ihr aus, um ihr den Kopf vom Rumpfe zu hauen: ich aber kam ihm zuvor und stach ihm die Klinge mit ganzem Leibe unter dem aufgehobnen Arm ins Haarwachs, daß er auf die Seite stürzte, zog sie heraus und gab ihm dann vollends den Rest.

Die Hauptgaleere war nun übermannt, allein die andre wehrte sich desto fürchterlicher. Ein junger Mann, noch ohne Bart, focht wie ein Verzweifelter und hatte neben sich viele Toten liegen; und er würde sich frei gemacht haben, wenn wir andern nicht den Unsern zu Hülfe gekommen[91] wären. Auch dieser mußte sich dann ergeben. Inzwischen flüchteten die zwei andern, nachdem sie unser drittes Fahrzeug eroberten, mit diesem. Wir setzten ihnen nach, verloren sie aber in der Dunkelheit: und den Morgen darauf waren sie uns aus dem Gesichte, und wir konnten ihren Weg nicht entdecken.

Doria kehrte ärgerlich nach Hause, daß die Sache nicht besser abgelaufen war. Vielleicht hätt er gar nicht angegriffen, wenn nicht einer seiner Verwandten aus dem Tanzsaal mit wäre weggeschleppt worden, den er nun doch wieder frei machte. Es ging hier Not an Mann, und die äußerste Gefahr war in der Säumnis. Die zwei andern Schiffe hätt er freilich nicht nach Sizilien ausschicken sollen; aber wer kann alles vorhersehen? Wer wußte, daß die Räuber so stark waren? Nach geschehener Tat ist jeder Tropf klüger als Hannibal und Cäsar.

Ich hingegen war glücklich wie ein Gott; mich dünkte, daß ich erst das wahre Leben recht geschmeckt hätte. Doria, der Strenge, machte bei allem seinen Verdruß mir große Lobsprüche und sagte öffentlich: »Du hast einen schönen Anfang gemacht, Junge; wenn du länger lebst und so fortfährst, wird ein berühmter Held aus dir werden.« Fulvia, deren Schutzengel ich gewesen war, dankte mir mit Tränen voller Zärtlichkeit. Aber mehr als alles, auch die schöne Provenzalin Lucinde befand sich unter den Geretteten; die nur noch jämmerlich an der Seekrankheit litt und bis aufs Blut von sich gab. Ich hatte nicht die geringste Anwandlung davon gespürt; und es erquickte mich durch Mark und Bein, daß ich dieses Element und dessen lebendige Bewegung noch immer von meinem Knabenalter an so wohl vertrage.

Wir liefen gegen Abend in dem Hafen von Villafranca ein, nachdem wir den ganzen Tag vergebens herumgekreuzt hatten, um die Verwundeten zu pflegen, unsre Toten zu begraben (die gebliebnen Feinde warfen wir gleich über Bord) und den abgehärmten Frauenzimmern einige Ruhe[92] genießen zu lassen; nur ein Paar Vermählte unter denselben waren von Kanonenkugeln zerschmettert worden, die übrigen alle blieben unversehrt. Wir führten sie den Berg hinauf in das Städtchen, das hinten im Kessel unter dem gähen Felsen mit wenigen Häusern nur wie eine Einsiedelei liegt zwischen Ölbäumen. Ich nahm Lucinden in Arm, die auf dem festen Boden gleich wieder zu sich kam, und sprach ihr Mut ein nach überstandner Gefahr. »Ach,« antwortete sie seufzend, »warum leb ich noch, um auf immer unglücklich zu sein! Niemand weiß mein Leiden. O wär ich nur dort oben bei den Auserwählten unter den Heiligen und Engeln!« Und hier tat sie einen schmachtenden Blick aus ihren großen schwarzen Augen gen Himmel und zerschmelzte mir ganz mein Herz damit. »So viel Schönheit ist nicht gemacht,« versetzt ich ihr, »um hienieden sich zu quälen; wirf allen Kummer weg; und sei selbst so selig, als du andere selig machst.« Sie schwieg, und neigte das Haupt wie eine welke Blume, und ging, ohne auf meine Reden achtzugeben, mit mir voran; ihre traurige Miene und blasse Farbe, ihr verwirrtes Haar und losgegangnes Gewand vollendeten das Bild einer bezaubernden Heiligen. Wir quartierten sie zusammen in ein Haus ein, und sie wurden gut verpflegt und gewartet. Ich selbst blieb in dem Städtchen und ruhte die Nacht aus; meine Streifwunde hatte zwar nichts zu bedeuten.

Den andern Morgen nach der Messe unterhielt ich mich noch ein paarmal auf den Raub wenige Augen blicke allein mit Lucinden, die nun wieder zu Kräften gekommen war; und erfuhr, daß der Anführer der Räubergaleeren, den ich niedergestoßen hatte, ein Liebhaber von Fulvien gewesen sei, ein Genueser, der gefangen seinen Glauben verleugnete und alsdenn unter dem berühmten Ulazal diente, größtem Seehelden unsrer Zeiten. In sie entbrannt, ohne daß seine Leidenschaft je ihr Ziel erreichte, unternahm er die Tat nach hinlänglich eingezogner Nachricht von allen Umständen der Hochzeit, und hätte sie bald glücklich ausgeführt.[93] Er war Bastard von einem Adorno, und man nannte ihn zu Genua Biondello. Jungfräulich versicherte sie mir, daß die Braut noch ihre Ehre bewahrt hätte mit heißen Bitten und Beschwörungen, daß er sie nur so lange verschonen möchte, bis er ans Land käme, bei ihrem üblen Befinden; und sie sei rein bis auf einige Küsse, die sie dem Verdammten unterdessen habe gestatten müssen. Die andern wären meistens noch viel ärger als die Braut von der Seekrankheit befallen gewesen, so daß die Barbaren selbst Mitleiden und Barmherzigkeit gegen sie gehabt hätten, ohne sie weiter noch zu martern. Außerdem habe die Not, in Sicherheit zu kommen, die Räuber zu äußerster Geschäftigkeit angetrieben, und die Menge die Begierden jedes einzelnen im Zaum gehalten; und so seien sie noch glücklich der Schand entrissen worden, und eine könne für die andre zeugen. Biondello habe denn in der Verzweiflung Fulvien aus Eifersucht niedersäbeln wollen, als ich sie errettet hätte. »Heilloses Geschenk der Schönheit,« rief sie aus, »in wie viele Drangsale stürzest du uns! Und wenn wir andre damit glücklich machen, so geraten wir dadurch selbst in das äußerste Elend. Wie die Könige, die alles vermögen, nur daß unsre Herrschaft kurze Zeit dauert, haben wir durch dich keinen Freund; und die vortrefflichsten Männer, mit allen Vollkommenheiten ausgerüstet, wie zum Exempel Ihr seid, legen uns häßliche Fallstricke.«

Diese Apostrophe ging mir wie eine Kugel vor den Kopf, und ich fiel in Staub vor der Himmlischen nieder.

Nachmittags drehte sich der Wind, und wir fuhren mit Rudern und Segeln wieder ab. Auf unser Schiff war mit einigen andern Gefangnen der junge Held gebracht worden, der auf der zweiten eroberten Galeere so tapfer kämpfte, so daß wir unser drittes Fahrzeug darüber einbüßten. Ich hörte ihn hernach im Neugriechischen mit einem seiner Gefährten sprechen; und er stampfte noch mit dem Fuße vor Zorn, daß die zwei andern Galeeren sie im Stiche gelassen hatten; jedoch mit Unrecht: denn jene wurden[94] gleich im Anfang des Gefechts von unserm Geschütz sehr übel zugerichtet. Er sprach inzwischen so frei und ohne Furcht in der Gefangenschaft, und seine Gestalt war so schlank und edel in der wilden Farbe von Meer und Sonnenbrand, daß mein Herz gegen ihn von Zuneigung wallte. Ich beschloß, alles mögliche anzuwenden, ihn von der Knechtschaft loszumachen, welches mir denn auch glückte; noch ehe wir zu Genua einliefen, schenkt' ihn mir Doria zur Belohnung. Ich nahm ihn zu mir, wie wir von Bord traten, erklärte ihm seine Freiheit, worüber er mir an die Brust flog, und ließ ihn wenig Tage darauf mit einem venezianischen Schiffe nach Konstantinopel abfahren. Er bat mich vorher um meine Zuschrift, die ich ihm denn an Dich gab.

»Du sollst dich nicht in mir betrogen haben«, sprach er zu mir beim Abschied; »solche Menschen wie wir müssen einander ihr Leben lang helfen.«

Die Männer, die ihre schönen jungen Weiber wiederbekamen, freuten sich wenigstens, daß ihnen Grund und Boden geblieben war; und die Väter und Mütter hofften bei ihren Töchtern das Beste. Wegen der Braut wurden insgeheim von der Familie des noch verwundet darniederliegenden Bräutigams verschiedne Personen besonders in Verhör genommen; und als ihre Aussagen übereinstimmten und derselben Unschuld bekräftigten, so überließ man sich wieder ganz der Freude.

Der Himmel beschere mir nur immer so fort ein Leben und lasse mich nie in Untätigkeit schmachten; von Cäcilien und Dir geschieden zu sein aber tut mir weh im Herzen. Wenn wird einmal wieder die Zeit der Vereinigung kommen! Ach, wenn es ihr nur wohl geht! Dies ist jetzt alles, was ich von ihr verlange.

Ardinghello


Ich meldete Ardinghellon den Empfang seines Briefs, und daß die Sachen der Cäcilia erwünschten Ausschlag nähmen, und daß man auf ihn gar keinen Verdacht hätte, und andre[95] Dinge, die mich betrafen und nicht zu dieser Geschichte gehören; und erhielt von ihm im Dezember folgende weitere Nachricht:


Genua, Dezember.


Die See ist hier doch etwas ganz anders als in Euren Brentasümpfen! Die Stürme machen mir jeden Tag ein neues Schauspiel; und ich begreife nun, wie Kolumben der Mut im Herzen erwuchs, sich mit einer Bande Gesindel in den unwirtbaren Ozean hinauszuwagen, gleich einem Gotte, der Wasserfluten und Orkane kennt und in ihr grausames wildes Spiel sich zu finden weiß, kühner als Herkules und alle Helden der vorigen Zeitalter. Wenn die Wogen so den Hafen hereinbrechen und sich an seine hohe Mauer hinaufwälzen, bis über die Dächer der Häuser, die da stehen, und Schaum und Meer wie ein Wolkenbruch wieder herabströmt, und mit dem neu herbeirauschenden Ungestüm sich klatschend zu Staub wirbelt: wie lebt die Natur da in meinem Sinn und ergreift mit ihrer Musik mein Wesen!

Ich habe angefangen, es mit Farben darzustellen, aber alles wieder weggeworfen: dahin reicht keine Kunst; sie bleibt hier zu sehr bloß toter winziger Buchstabe.

Dafür geb ich mich desto mehr mit den hiesigen Seeleuten ab; studiere den Schiffbau; lasse mir ihre Züge durch das Mittelländische Meer erzählen, ihre Gefechte, Gefangenschaften, ihren Handel; bewirte die besten oft, und teile ihnen wieder von demjenigen mit, was ich weiß; und erkenn immer mehr, daß der Mensch eher so gut ist, als er sein kann, als daß er so böse wäre, als er sein könnte, im ganzen genommen.

Zufriedner bin ich mit ein paar Skizzen, die ich aus den Begebenheiten gemacht habe, welche ich Dir in meinem vorigen Brief erzählte. Die eine stellt die Szene vor, wie die Räuber in den Tanzsaal fielen und Braut und Frauenzimmer entführten; doch würde mir die nächtliche Beleuchtung bei der Ausführung im Großen schwer werden. Die andre[96] ist, wie ich den Biondello unter dem Verdeck niederstieß. Wenn ich den Ausdruck der Wut und Verzweiflung in seinem Kopf erreichen könnte, und den höchsten Schrecken, der an die Ohnmacht grenzt, in den schönen Weibergestalten, die ich in ihren Gruppen und zerzausten Kleidungen ganz nach der Natur genommen habe, samt den zwei Niedergeschmetterten: so müßte dieses Bild im Großen jedermann ergreifen. Fulvia besitzt sie, und sie mag sich dieselben einmal von einem andern ausmalen lassen. Ich bin mit ihr schon bekannter geworden, als ich anfangs wollte.

Ich stecke in einer Lage, die ich Dir kaum mit Worten andeuten kann. Wenn Lucinde an Fulvias Stelle wäre, so führten wir ein Götterleben; so aber ist Natur und bürgerlicher Stand einander ganz entgegen. Fulvia hat eine Phrynenseele; und diese sollte Lucinde haben, um das glückseligste Geschöpf zu sein. Ich habe Gespräche mit der letztern gehabt, mich auf ewig mit ihr zu fesseln, wenn die Ehe nicht der Tod bei lebendigem Leibe für meinen freien Sinn wäre. Ach, es geht bei ihr alles so schön hinüber und herüber! Was dies weibliche Wesen für einen süßen Klang hat, ist unaussprechlich. Und ihre Ahndungen und Gefühle von unsichtbaren Welten, so fremd und sonderbar und kindlich zuweilen sie mir auch vorkommen, ergötzen mich doch wie Homerische und Platonische Dichtungen.

Es ist mancher von ihr angebrannt und lüstern bis zur Wut nach ihrem Ambrosia und Nektar: aber wen sie etwa möchte, der will oder darf sie nicht heuraten; und so ist der Engel melancholisch und unglücklich. Sie will mir wohl, das seh ich, und leidet Pein, und tut sich die äußerste Gewalt an. Warum müssen wir so gebunden sein und jeden Tropfen Lust mit Ach und Weh erkaufen! Alles in der Natur ist glücklich, nur der Mensch nicht; das, was wir Vernunft nennen, steht ihm immer als ein tyrannischer Zuchtmeister zur Seite; und diejenigen, welche man ihrer Vollkommenheit wegen bewundert, sind die Armseligsten unter allen.

Als ich mich einst an einem Abend tiefer mit ihr im Gespräch[97] hierüber verlor, und ihr dieses einleuchten machen, und sie, wie mich dünkt, auf ihren rechten Lebenspfad führen wollte: sah ich auf einmal Fulvien neben uns, die ich im Eifer nicht bemerkt hatte; wir sonderten uns vorher von der Gesellschaft ab und standen an einem Fenster im Saal mit der Aussicht übers Meer hin. Der Ernst kehrte sich dann in Kurzweil; Fulvia foppte mich als einen blöden Schäfer, und in Rücksicht auf sie war der Spott nicht ungerecht: und Lucinden sagte sie einige unanständige Dinge, welche deswegen errötend ausschied.

Folgenden Nachmittag erhielt ich durch ein Weib, das Lucinden bediente, ein Zettelchen, worauf geschrieben stand: ›Ich muß Sie allein sprechen, mich zwingt die Not dazu; warten Sie eine Stunde nach Einbruch der Nacht unten am Palaste; die Überbringerin wird Sie an Ort und Stelle führen.‹

Ich wußte nicht, was ich denken sollte, und von der Frau war weiter nichts herauszubringen; inzwischen versprach ich, gewiß zu kommen.

Dieselbe führte mich auch die bestimmte Zeit die Treppe hinauf und oben durch den kleinen Garten. Es war finster, und regnete, und der Wind sauste. Alsdenn machte sie ein Zimmer auf, schloß mich hinein, und ich war völlig im Dunkeln. Sogleich wurd ich von einer warmen Hand fest gefaßt und auf ein Ruhebettchen gebracht, schüchtern erst und endlich inbrünstig umarmt und geküßt unter heißen Seufzern, ohne weiter nur ein Wort zu hören. Mein ganzes Blut geriet in Wallung an den in Liebe klopfenden Brüsten; ich glaubte, Lucinde sei plötzlich eine heitre Griechin geworden und wollt ihr himmelschönes junges Leben genießen und mit mir den Anfang machen. Mir wich das Gewand unter immer mehr verführerischem Sträuben; und ich gelangte bei dem höchsten Reize, den junge zarte nackte vollkommne weibliche Formen in der Dunkelheit für unsern stärksten Sinn nur haben können, zum entzückendsten Ziel meiner entflammten Begierden.[98]

Das bacchantische Leben, das endlich alle Verstellung vergaß, brachte mich hernach doch etwas aus meiner Unüberlegung, obgleich noch ganz im Rausche. »Lucinde, Lucinde,« rief ich, »welch eine glückliche Verwandlung! Laß mich deine Stimme hören.«

»O du mein alles!« hört ich nun Fulvien statt ihrer, »verzeihe mir diesen Betrug: was ich bin und habe, ist dein Eigentum, du bist mein Herr und Meister! Du hast mir das Leben errettet, und ich kann nichts weniger tun als dir wie Magd und Sklavin dienen, Engel, Gott! Wo find ich einen Namen, der alles das ausdrückt, was ich in dir umfasse? Auch Lucinde soll dir zuteil werden! Stolz und Eifersucht samt der Person will ich deinem Vergnügen aufopfern.« Hier umrang sie mich aufs heftigste und biß mich wie rasend in die Brust.

Ich mußte mir's gefallen lassen; ich war angeführt auf eine Weise, die mir hohe Lust gewährte. Wenn ich auch ein Joseph hätte sein wollen, so war die Flucht zu spät. Ihr Gemahl erzeigt mir Freundschaft; aber wer kann dafür, daß er einfältig ist und kein besser Schicksal verdient? Warum hat er so geheuratet? Dies sind natürliche Folgen, die selten ausbleiben. Fulvia hat ein heißes Temperament, und er ist schwach und kalt und träge: solch ein Paar tut kein gut zusammen, wie mancher wegen des Kontrastes sich wohl einbilden möchte.

Ich verwunderte mich über den Schritt, den sie getan hätte; freute mich ihrer Liebe und pries ihre Reize; gestand ihr aber aufrichtig, wie närrisch der Mensch sei, und daß mein Herz auch beim lebendigsten Genuß der Wonne noch nach Lucinden schmachte.

»Und warum sollen wir dich nicht als Freundinnen lieben können? O du bist ein so teuer Gut, daß wir beide an dir überflüssig genug haben; und ihrer mehrere, wenn du willst. Du sollst als der edelste Wein nur zum höchsten Fest aufgespart werden, der mit seinem Balsam allen köstlichen Geschmack überflügelt. Warum sollen vernünftige Schwestern[99] nicht friedlich miteinander an dir Teil nehmen? Warum sollen wir uns von Gewohnheiten und Gesetzen im Zaum halten lassen, die bloß für den Pöbel sind, eben weil er Pöbel ist, der sich nicht selbst regieren kann?«

Du siehst hieraus, daß ich doch mit einem gutartigen Geschöpfe noch zu tun habe. Ich mußte über ihre Aspasienberedsamkeit und feinen Lobsprüche lächeln; band ihr aber aufs Gewissen, behutsam zu sein; und so war der neue Liebeshandel fertig.

Es läuft mir heiß über den Leib, da ich mit Dir von Cäcilien sprechen will, und ich erröte wie ein Unheiliger; sie bleibt immer die Krone von Venedig. Möchte sie und Lucinde nur so Schwestern sein, wie Fulvia sagte! Aber ich bin ein Tor und unersättlich. Ach, die Arme wird verlangen, Nachricht von mir zu hören; und dies ist noch nicht einzulenken. Wie, bin ich strafbar, daß ich mich mit dem Schönen zu vereinigen suche, wo ich's finde? Ist dies nicht der edelste Trieb unsers Geistes? Ist der nicht ein Elender, ein von Gott Verworfner, der diesen Trieb nicht hat, nicht ausübt? In was für einer Welt bin ich, wo dies Naturlaster sein soll? Den Menschen zerrüttende bloße bürgerliche Ordnung ist es. Komm, göttlicher Plato, und stürz alle die barbarische Gesetzgebung über den Haufen, und führe deine Republik ein, wo wenigstens Mann und Weib mit ihrer Liebe heilig und frei sind.

Ardinghello


Ich erhielt mit diesem Briefe fast zur selben Zeit ein Kästchen von Smyrna an Ardinghellon, und konnt es ihm sogleich durch einen Veroneser, einen alten Bekannten von unserm Hause, welcher in Handlungsgeschäften nach Genua abreiste, übersenden. Dabei meldete ich ihm die völlige Befreiung seiner Cäcilia. Im Februar schrieb er mir wieder wie folgt, mit dem von Verona bei dessen Zurückkunft.
[100]

Genua, Februar.


Sieh, teurester Schatz meines Lebens, edles Herz, hoher Geist, gute Taten bleiben nicht unbelohnt! Lies dieses kostbare Zettelchen: für Dich hab ich kein Geheimnis.


›Du hast den Sohn des Kalabresers Ulazal gerettet, ein Kind der Liebe, das er mit einer Griechin aus Rhodos erzeugte. Nimm hier einen kleinen Dank dafür, und reiß Dich los und komm in meine Arme. Bei meiner Mutter Platane Stephani zu Smyrna kannst Du mich immer ausfinden; dahin richte auch Deine Antwort. Ich versichere Dich, daß kein besser Leben ist, als vom Archipelagus bis an die Säulen des Herkules auf den klaren Wassern in beständiger Bewegung zu sein und durch seine Tapferkeit die Schönheit aller der reizenden Küsten zu genießen. Königlicher Jüngling, erquicke bald mit Deinem mutigen Anblick meine Seele!

Diagoras Ulazal‹


In dem Kästchen sind Edelsteine und Ringe und einige andre orientalische Kostbarkeiten von großem Wert.

Alle diejenigen, die wir ihm gefangennahmen, hat er schon frei gemacht und meistens mit andern Christensklaven ausgewechselt. Er versprach es ihnen, wenn sie ihn nicht entdecken würden; und die auserlesene Schar war entschlossen genug dazu: solche Zuneigung hatte jeder für den jungen Helden.

Nun höre meine andre Begebenheiten! Den Antrag des Diagoras müssen wir weiter überlegen; ich kann mich noch nicht entschließen, das schöne Italien zu verlassen, da ich noch so wenig davon gesehen habe.

Fulvia nahm über sich, Lucinden zu bekehren; meine Leidenschaft gegen dieselbe schwoll immer mehr an, je härter und unerbittlicher sie wurde. Vor vierzehn Tagen ohngefähr ließ sie endlich etwas von ihrer Strenge nach; da sie vorher immer alle Gesellschaft mied, wo sie wußte, daß ich zugegen war. Eine gewisse Heiterkeit und Frühlingsrosenröte ging in ihrem himmlischen Antlitz auf, das sonst ein[101] innrer Gram mit einer melancholischen Lilienblässe überzog, die mir so das Herz zusammenklemmte, daß ich aus der Haut fahren mochte, um dem Engel zu helfen. Sie gestattete sogar, daß ich auf einem vermummten Ball eine Menuett mit ihr tanzte. Gott! welcher hohe Reiz enthüllte sich in jeder Bewegung ihres schlanken Körpers! wie heiß die Augen in mich sonnten, und sich doch so selbst überlassen! wie süß die zarten Lippen in so frischer feuchter Röte lächelten, und die festen glänzenden Brüste von der Ebbe und Flut der Jugend wallten! Ich ward umflochten von einem unzerreißlichen Liebesnetz; und die Berührung ihrer Finger entflammte mich, als ob ich lauter Salpeter und Schwefel wäre. Wo ich den Blick hinrichtete, entstanden neue Zaubereien; so hatten mich ihre behenden sichren Füße nie entzückt, und nie so ihre braunen sich hebenden Locken über den schönen weißen Hals, samt aller ihrer Kleidung. Wir schwebten umeinander wie klare lichte Empfindung; sie schien zu fühlen, was ich fühlte, und zitterte auf die letzt vor Bangigkeit, so daß wir plötzlich aufhören mußten.

Noch dieselbe Nacht ward eine Verräterei gegen sie ausgedacht und vollführt. Ich stahl mich mit Fulvien vom Ball weg, und diese verbarg mich in einen großen Schrank, der in Lucindens Schlafzimmer stand, worin einige alte Familienkostbarkeiten hingen; Fulvia ließ mich allein und kam unbemerkt wieder zurück.

Lucinde machte sich gleich darauf vom Tanzsaal; ich erbebte vor Schrecken und Lust, wie ich sie hereinrauschen hörte. Sie sang alsdenn beim Auskleiden ein provenzalisch Lied, mit einer Stimme, woraus die Töne so gefühlig und rein wie Perlen hervorkamen, die ich noch nie vernommen hatte: nur befremdete mich äußerst dessen Inhalt. Es war der Seelenjubel einer Jungfrau, die ihren Geliebten wiederfindet, frei von Not und Drangsal, worin er lang geschmachtet hat, und ihn mit tausend Küssen, Liebkosungen und Zärtlichkeiten empfängt. Doch vielleicht, dacht ich, ist es etwas auswendig Gelerntes, und es fällt ihr eben so ein;[102] aber es machte mir heftige Unruhe, als sie beim Schluß in die Hände klatschte und ausrief: »O hätt ich dich schon, mein Florio! aber wie weit bist du noch entfernt! doch Flügel wieder meiner Hoffnung, daß du noch lebst. O du heilige Magdalena, beschere mir den Holden, die du auf deinem Felsen zu Marseille schon oft über ihn gewaltet hast und den Verwegnen aus den Fluten des Meers und tödlichen Gefahren nach meinen Bitten errettet! O du liebe heilige Magdalena, ich falle hier vor dir nieder und fleh dich an, überlaß, o Freundin des Erlösers, mein Gemüt nicht immer dem bittern Kummer! Mache mein Herz leicht und wieder froh, und stehe bei meiner Liebe! Ardinghello, der Flüchtling, heuratet mich doch nicht. Was hilft mir's, wenn ich seine Qual auch noch so hoch treibe: er machte mich endlich unglücklich. Wohlwollen muß ich ihm, ach ja! er ist ein verführerischer Bube. O Florio, erscheine bald! Heilige, gib mir ihn!«

Ich wurde fast zum Narren, so griffen mich diese Reden der Unschuld in meinem Schrank an; und mußte alle meine Kräfte zusammenspannen, um auszuhalten. Noch war ich unentschlossen, was ich tun wollte, Tumult und Aufruhr in allen Nerven und Adern. Und so harrte ich, bis sie sich zu Bette legte, und harrte noch hernach über eine Stunde; und lange und lange, bis ich endlich in der Verzweiflung, mit meinen Gedanken und Gefühlen ins reine zu kommen, leise die Tür eröffnete und heraustrat.

Den Mantel hatte ich schon vorher abgeworfen und die Schuh ausgezogen; ich ging auf den Zehen und hielt mich mit den Händen im Gleichgewicht. Sie lag vom Schlaf aufgelöst mit dem Kopf über den rechten Arm und den linken sanft ausgestreckt, mit den Knien jungfräulich ein wenig zusammengezogen, die Decke von sich geworfen, und nur den Unterleib mit dem leinenen Tuche verhüllt; es war eben eine laue Nacht.

Ich besah alsdenn ihr Zimmer. Vor einer Madonna mit dem Kinde, nach der reizenden von Raffael auf dem Stuhl von[103] einem seiner besten Schüler kopiert, brannt eine Lampe; und ebenso brannt eine andre vor einer Magdalena, gewiß von dem Wundermanne der Lombardei Antonio Allegri: solch eine unbeschreibliche Anmut war in den Umrissen ihres Gesichts, so lieblich die Farbe, und unübertrefflich das blonde Haar gemalt, über die jungen Brüste reizend wie von einem Lüftchen verweht. Vor beiden standen Blumenstöcke; vor der Magdalena aufgeblühte Rosen und Knospen, vor der Madonna Lilien und Nelken, die sie sich selbst den Winter erzog. Auf dem Tische vor jener lagen die Gedichte des Petrarca; und Schreibzeug, Federn und Tinte und Papier und beschriebne Blätter. Ich las das eine, wo ausgestrichen und verändert war: und fand das Lied im Provenzalischen, was sie gesungen hatte. Das wußt ich auch noch nicht, daß sie ihre Gefühle in so schöne Form von Worten bringen konnte: mir wallte dabei eine Glut nach der andern auf im Herzen. Im Petrarca war das Gediegenste, immer gerade das wenige Vortrefflichste, mit ausgetrockneten verschiednen Blumenblättern belegt und bezeichnet; besonders in den Reimen nach dem Tode der Laura. Neben der Madonna stand ihre Näharbeit in einem Rahmen; sie hatte angefangen, die lebendigen Rosen und Lilien vor sich dahinein zu sticken. Mich überlief ein Schauder, als ob ich in den Tempel der Keuschheit eingebrochen wäre und lästerlichen Frevel ausüben wollte. Ich blickte durch das Fenster am Bette, und der volle Mond wich hinter die Seealpen, den Greuel nicht anzusehen; unten rauschte zürnend das Meer auf. Ich ward erschüttert, und es fehlte nicht viel, daß ich mich wieder in den Schrank verborgen hätte; doch kniet ich vor sie hin und stemmte mich sachte mit beiden Händen auf ihr Lager; ihr ambrosischer Atem berührte mich wie Wonne des Himmels. So lag ich eine Weile in ihrem Anschauen versunken und verloren und meiner endlich nicht mehr mächtig. Ich warf die Kleider von mir und näherte mich nach und nach leise mit ganzem Leibe dem Schönsten, was die Welt hat. Ich schob alsdenn mit den[104] äußersten Fingern das Hemd auf beide Seiten von den Brüsten, die mich mit ihren Knospen der Unschuld anlächelten, als ob sie Verschonen ihrer Jungfräulichkeit bäten; und so bracht ich das Tuch von ihren reinen trocknen Füßchen und den netten Beinen bis an die Mitte der wie Säulen runden üppig hinaufschwellenden Schenkel, worunter es festhing.

O all ihr Mächte des Himmels und der Erden, welche Vollkommenheiten habt ihr hier vereinbart! Ich zerrann in nicht mehr zu hemmendes Entzücken und riß das Tuch los: und sie fuhr auf und tat einen Schrei unter meinen Küssen.

»Habe keine Furcht,« stammelt ich ihr, »ich bin Ardinghello und werde dir kein Leid zufügen.« Sie hörte nicht und rief: »Bösewicht! Schändlicher! Hülfe!« und wand sich los und bedeckte sich und weinte in voller Verzweiflung: ich war wie von einem Wetterstrahl durchschlagen in allen Gebeinen.

»Vergib, o Himmelskind, einem von unwiderstehlicher Liebe ganz Niedergeworfnen und Überwältigten diese Frechheit. Ich schwöre dir bei allen deinen und meinen Heiligen, ich werde dir kein Leid zufügen!« so faßt ich sie mit Gewalt bei ihrer Rechten und hielt sie an mein laut schlagend Herz.

»Weg von mir, grausamer Verderber!« schluchzte sie.

»Komm wieder zu dir, Lucinde«, sprach ich ihr ein; »sieh! ich berühre dich nicht mehr. Ich bin schon glücklich, wenn ich dich nur sehe; und wenn ich von dir bin, ist alles vor mir in Leerheit. Deine Gestalt allein, auch ohne Wort und Zuneigung, ist mir mehr als andrer feurige Liebe. Sende mich in Gefahren, worin ich tausendmal mein Leben wage: dein Wink wird mein Gesetz sein. Du bist meine beßre Seele, die alle meine Fähigkeiten füllt. Du herrschest über mich wie mein strengster Verstand; sieh! das zeig ich dir; und alles kann ich für dich tun, außer was mir unmöglich ist.«

»O Ardinghello! Ardinghello!« weinte sie, »verlaß mich! o verlaß mich!«[105] »Göttliche, und warum? Warum können zwei Menschen, wie wir sind, nicht ohne Sünde so beisammen sein! Warum immer eine Scheidewand von Mauer und Kleidung und mechanischer Gesellschaft dazwischen! Bedenke, wie die Seligen im Himmel sind und unsre erste Eltern waren. Alles dies dient nur, wenn man unter dem großen Haufen ist.«

»Und was willst du von mir? was kann ich für dich tun, ohne mich unglücklich zu machen?« versetzte sie etwas ruhiger, sich rundum einhüllend.

»Sage mir, wen du liebst«, fuhr ich fort; »denn daß du liebst, das weiß ich, und weiß noch, daß du unglücklich geliebt hast.«

»Ach,« antwortete sie darauf nach einigem Stillschweigen, »den Hauptmann einer Galeere! der mich, wie ich noch ein kleines Kind zu Nizza war, schon aufblühender großer Knabe, bei meinen Eltern lesen und schreiben lehrte. Hernach legte er sich auf die Handlung und führte mit der Zeit Kauffahrteischiffe; und endlich wurd er Anführer einer spanischen Galeere. Als solchen sah ich ihn nach langer Zeit vor zwei Jahren in Genua wieder, wo wir uns einander versprachen und die Vermählung feiern wollten, wenn er wieder aus dem Türkenkriege käme. Allein er kam nicht wieder; und ich hielt ihn für tot, bis ich vor wenig Tagen die zugleich frohe und traurige Botschaft hörte, daß er zu Konstantinopel in harter Sklaverei sich befinde. Mir brachte sie ein alter Schiffer aus Antibes, der von dort abfuhr und uns beide kennt. Nun hoff ich, daß man ihn erlösen und ihm seinen ehemaligen Posten wiedergeben und wir endlich glücklich sein werden.«

»Zärtliche,« verfügt ich darauf, »deine Hoffnung steht auf schwachen Füßen. Spanien ist noch im heftigen Kriege mit den Türken; und wenn dein Bräutigam ein Held war, so werden sie ihn so leicht nicht herausgeben.« Hier verbarg sie ihr Gesicht ins Küssen und seufzte und weinte, und ich fuhr fort: »Doch wenn es von Spanien aus nicht geschieht, so kann vielleicht ein andrer ihn frei machen; und was[106] schenkst du mir, Englische, wenn ich es wäre?« drückt ich ihr mit der Rechten in die Hand und mit der Linken ins Herz; »und ich will es dir fast so gut als gewiß versprechen; ich hab einen Freund am türkischen Hofe selbst, der alles kann.« Sie verbarg ihr Gesicht noch tiefer und sagte gebrochen unten hervor: »Ach, mein Bestes! aber du bist grausam!« »Und die Versicherung?« redt ich außer mir ihr zu. »Gib dort mir her Feder, Papier und Tinte, und leuchte!« Dies war nun mein Wille nicht, aber ich verlangte zu wissen, was das schwärmende Mädchen begänne; und nahm die Lampe von der Magdalena, Feder, Tinte und Papier, und den Petrarca zur Unterlage; und die Fromme schrieb, und lächelte unter Tränen:

›Wenn Ardinghello mir meinen Bräutigam Florio Branca aus der Sklaverei erlöst und frei wieder herstellt, und zärtlich liebt und schweigt, so soll er meine erste höchste Gunst haben mit diesen Zeilen oder Madonna mich nie zu Gnaden annehmen, aber eher auch nicht einen gütigen Blick verlangen.

Lucinde‹


Darauf gab sie mir das Zettelchen mit einem strengen Blick voll Bedachtsamkeit und sagte: »Nun gehorche, und verwahr es sorgfältiglich, wenn ich so viel über dich vermag, als du sprichst. Und noch eins: wer hat dich hiehergebracht?«

Hier mußte mir nun platterdings eine Lüge aus der Not helfen; ich sagte, ich sei ihr nachgegangen und habe mich dort hinter den Schrank versteckt, ohne von ihr bemerkt zu werden. »Bist du so ein Tausendkünstler?« sagte sie spottend.

Der Morgen brach an; ich wollt ihr einen Kuß zum Abschied geben, aber er ward mir nicht verstattet. Ich kleidete mich geschwind wieder zurecht und verließ sie, machte für Fulvien auf der Treppe das verabredete Zeichen, daß nichts geschehen sei und sie schweigen sollte, eröffnete sachte die Tür des Palastes und schlich in meine Wohnung.

Den ganzen Morgen konnt ich kein Auge zutun; und als[107] ich des Nachmittags ein paar Stunden geschlummert hatte, dünkte mich alles ein Traum.

Als es dunkel wurde, ging ich zu Fulvien in Gesellschaft: sie und ihr Gemahl hatten mir ein- für allemal Erlaubnis gegeben, zu kommen, wenn ich wollte. Es befanden sich mehrere Personen vom gestrigen Ball da; man sprach darüber und spielte hernach. Lucinde saß unterdessen für sich am Fenster, mit dem Kopf in der Hand, und blickte mich nicht an, und war in geheimer Betrachtung verloren. Ich machte mich alsdenn zu ihr; sie schlug die großen schönen feuchten Augen nieder und seufzte und errötete über und über. Ich getraute mich kein Wort zu reden. Endlich legte sie den andern Arm auch ins Fenster und betrachtete mich still mit einer gewissen Wehmut voll Empfindung; wir saßen allein, und sie sagte nun leise mit Engeltönen zu mir: »Was hab ich getan! was hast du getan die vorige Nacht!«

Inzwischen holt ich einen Ring hervor mit dem größten strahlendsten Diamant unter denen vom Diagoras und schob ihn ihr unbemerkt an den vorletzten Finger ihrer linken leichten Charitinnenhand, und antwortete Aug und Aug in süßem Liebesgenuß: »Nimm hin, du Braut meiner Seele!« Sie erschrak und war zwischen Weigern und Zärtlichkeit, und blickte darauf und um sich; und verbarg dann die Hand im Schoß, und zitterte und glühte.

»Sag mir nur noch, mein Leben,« fragt ich sie flisternd, »ob der alte Schiffer aus Antibes hier ist und wie er heißt, damit ich ihn ausfragen kann, wo man den Florio in Konstantinopel findet.«

»Er heißt Gabriotto«, versetzte sie hastig, »und liegt mit seinem Schiff im Hafen.« Dabei stand sie behend auf, trat zu Fulvien an deren Spieltisch, die eben einen feinen Streich machte, worüber gelacht wurde, und verlor sich dann aus dem Saale und kam nicht wieder zum Vorschein.

Mit Fulvien hatt ich noch vor Mitternacht eine kurze Zusammenkunft, die sich den ganzen Tag bedachtsam aufführte[108] und nichts merken ließ, und erzählte ihr, daß ich nicht übers Herz habe bringen können, Lucinden Gewalt anzutun, und es auch vergebens gewesen sein würde. Machte ihr eine ganz andre Beschreibung, wie sie mir ihren Geliebten entdeckt hätte, der in der Sklaverei lebe; und, mit einem Wort, daß ich das himmlische Mädchen zu hoch schätze, um es zu verführen und unglücklich zu machen. Ich bat sie ihrer selbst wegen, von diesem allen stille zu sein.

Sie war's gar wohl zufrieden und antwortete, daß sie die Geschichte wisse. Auch sie woll ihr möglichstes beitragen, daß der Armen geholfen werde; sie liebe sie als ihre beste Freundin und eine der vollkommensten Personen ihres Geschlechts: nur könne sie ihre allzugroße Frömmigkeit, Eingezogenheit und Kälte nicht vertragen; die Jugend unsers Lebens, besonders beim Frauenzimmer, sei zu kurz, um sie so ungenossen wegstreichen zu lassen, und in diesem Punkt Lucinde gewiß immer albern.

Darauf ging es an das Catullische Da mihi basia mille, wovon ich mich bald losmachte. In solche neckende Händel geraten wir Liebesritter! Aber ich stelle mich auch auf keinen philosophischen Lehrstuhl, wo man zu sein befiehlt, was der Mensch nie war.

Den andern Morgen sucht ich den Gabriotto auf, und traf ihn endlich gegen Mittag in einem Weinhause, nachdem ich ihn im Hafen nicht gefunden hatte. Es ist ein herrlicher Alter, in seinem Leben von mancherlei Schicksalen durchgearbeitet. Dreimal war er in Sklaverei, in Ägypten, Mauritanien und Griechenland; und sah Mekka und das Heilige Grab, zog mit seinen Patronen über den Kaukasus und Atlas und kam jedesmal wunderbar wieder los; führte nun ein Kauffahrteischiff und ließ sich's wohl sein in seinen letzten Tagen. Was ist eines Königs Leben, der seine Zeit durchgähnt, gegen die Wanderungen und Gefühle eines solchen Erdensohns? O gütiger Himmel, laß mich nur nie auf einer Stelle klebenbleiben![109] Ich machte bald mit ihm Bekanntschaft, er liebte die lehrbegierige Jugend: wir setzten uns in einen Winkel allein, und ich sorgte dafür, daß wir nicht Durst litten.

Ich verschwieg im Anfange mein Geschäft, und wir kamen auf die ägyptischen Pyramiden zu sprechen. Er machte die gescheite Bemerkung dabei, daß die Leute damals entsetzlich unter der Zucht ihrer Könige müßten gestanden haben, um so ungeheure Steinhaufen aus ferner Gegend her zusammenzutragen, die am Ende doch nur eine Kleinigkeit gegen die vielen Felsen des Kaukasus, Atlas und der Alpen wären, welche die Regen des Himmels binnen den Jahrtausenden zu ebensolcher unzerstörbaren Form gespült. Ich erzählte ihm dabei zum Scherz aus dem Herodot das Märchen von der reizenden Königstochter, die bloß durch ihre Liebhaber sich eine erbaut habe, der sie für jede Gunst doch nur einen Stein herbeischaffen durften; und daß folglich bei allen die Arbeit nicht gleich sauer gewesen sein möge. »Wer den letzten lieferte«, antwortete er lachend, »und dem Werk die Krone aufsetzte, muß wenigstens guten Mut gehabt haben.«

Er machte mir alsdenn eine angenehme Beschreibung von den Sitten mancher Länder, die er durchstrichen war. Zum Exempel von Georgien und Cirkassien, wo die schönsten Menschen leben, sagt' er, daß die Kinder da hervorkämen wie die Blumen und Früchte auf dem Felde und man von keiner Eifersucht wisse. Die Männer hielten sich bloß für das Mittel ihrer Entstehung, und bildeten sich nicht ein, als ob sie dieselben etwa selbst verfertigten, wie ein Kunstwerk, und wären dabei eitel auf ihren Verstand oder ihre Geschicklichkeit wie bei uns; und alle Welt lebte glücklicher ohne die Ketten und Fesseln.

Von der Schönheit, besonders der Weiber dort, gingen wir auf unsre Landestöchter über; und von diesen behauptete er doch, daß sie mehr Geist und Form in ihrer Gestalt hätten, obgleich nicht die Zartheit und die Blüte des Fleisches jener. »Als hier in Genua«, fügte er hinzu, »ist ein junges[110] Frauenzimmer, Lucinde von Montefeltro, die ich allem Reiz vorziehe, den ich dort gesehen habe.«

Diese Reden gingen mir, wie Du leicht denken kannst, gar süß vom Ohr zum Herzen durch all mein Wesen. Wir tranken dabei mit durstigern Zügen. Der Zaubertau des Weinstocks setzte ihn in meine Jugend zurück und durchglühte seine Adern wieder mit der ersten Lebenswärme. Ich fragte ihn darauf, ob er diese Lucinde von Montefeltro genau kenne.

»Wie oft hab ich den Engel als Kind auf meinen Armen getragen, und ihr Leibchen rundum bepatscht und gestreichelt, was ich noch immer tun möchte, ohn ihr mehr Schaden zuzufügen!« fuhr er lieblich zu sprechen fort. »Ihr Vater war ein heruntergekommener Edelmann, der, um sich wieder zu erholen, hernach Handlung trieb. Mit seiner ersten Frau zeugte er keine Kinder; alsdenn schon in die funfzig, vermählte er sich mit einer armen, aber jungen und äußerst schönen Anverwandtin der Mutter der Fulvia Fregosa, die nun in das Haus S*** getreten ist, bei welcher sich Lucinde aufhält. Sie hieß Sophia und lebte mit dem alten Montefeltro schier an die drei Jahr in Ehe, als sie wider Verhoffen schwanger wurde und mit Lucinden niederkam.

Jedoch unter den Rosen der Gastfreundschaft! Es hielt sich damals zu Nizza wegen des milden Winterklimas unter fremdem Namen ein wunderschöner und tapfrer portugiesischer Prinz auf, der eine Wunde im Krieg mit den Sarazenen bekommen hatte, die in seinem Lande nicht recht heilen wollte. Dieser mietete sich einen Garten neben dem des Montefeltro auf dem Weg über den Berg nach Villafranca; und wir alle haben nie anders gemeint, als er habe mit Fug und Recht getan, was der Alte nicht konnte. Und so ward ein süß verlassen Weib glücklich gemacht, und es lebt ein himmlisch Geschöpf auf der Welt mehr, aller Augen zu entzücken.

Als Lucinde ohngefähr zehn Jahr alt war, starb ihre Mutter, die sie als ihr einzig Kind mit aller Zärtlichkeit liebte;[111] ihr Vater tat sie darauf zur Erziehung in ein adelig Nonnenkloster. Nachher ward ich von einem schrecklichen Sturm verschlagen, zum drittenmal gefangen und diente bei einem reichen Kaufmann in Griechenland. Wie ich nach einigen Jahren wieder loskam, hatte sich alles verändert; dem Montefeltro waren etliche reiche Schiffe nacheinander teils weggenommen worden, teils zugrunde gegangen, zu gleicher Zeit brachen einige starke Bankerotte in Marseille aus, wobei er so viel einbüßte, daß die Gläubiger sich seines übrigen Vermögens bemächtigten. Er flüchtete zuvor mit wenigem hieher, da der Reichtum der Kaufleute mehr in Forderungen als barem Gelde besteht, und gab binnen kurzem vor Kummer seinen Geist auf. Lucinden nahmen aus dem Kloster ihre mütterlichen Anverwandten zu sich. Und so strahlt sie denn wie der Morgenstern, der bei einer Nacht ohne Mond aus den stürmischen Wellen der See aufgeht und Glanz von sich träufelt, am genuesischen Himmel.

Aber o wäre sie auch so glücklich, als sie schön ist und alle weibliche Tugenden besitzt! Sie könnt es sein, wenn das Schicksal ihr nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Florio Branca liebte sie und ihn Lucinde; und sie lebten schon in seliger Ehe miteinander, wenn er nicht in Sklaverei geraten wäre. Er wuchs an den Ufern des Varo auf, kam in das Haus ihres Vaters, ging alsdenn zur See und bildete sich zu einem Helden.

Im Dienste von Spanien lief er mit einem Geschwader nach der Neuen Welt aus und streifte in Mexiko und Peru herum. Kam wieder zurück mit Ruhm und Schätzen, und sah das edle Reis zu einem schönen Baum emporgeschossen in süßer Blüte stehen, und wollte sich unter dessen anmutigem Schatten letzen, als er unter dem Johann von Austria mit der Galeere, die er anführte, gegen die Ungläubigen mußte. Die Flotte der Feinde von zweihundertundsechzig Schiffen wurde zwar geschlagen und von den Christen bei den Echinadischen Inseln der größte Sieg seit langen Zeiten erlangt, den sie sich nur jämmerlich zunutze machten: allein[112] Ulazal, der tapfre Korsar, entkam, mit dreißig Dreiruderigen, und führte den Florio mit sich nach Konstantinopel gefangen; welcher unter dem Doria beim ersten Angriffe sich befand und nach vielen Wunden nicht mehr imstande war, von den Scharen umzingelt, sich durchzukämpfen. Sie kennen ihn dort wie die Reiger den schnellen gewandten Falken; und werden ihn nicht loslassen. Er dient als Sklave beim Großwesir selbst; ich hab ihn gesprochen und ein Briefchen von ihm seiner traurigen Geliebten hier überbracht, worin er sie beschwört, ihn zu vergessen und einen Glücklichern zu wählen, wenn er noch ein Jahr lang ausbleibt.«

Diese Nachricht wühlte mir das Herz auf, und Florio dauerte mich; ich seufzte heftig bewegt und im Gesichte glühend: Armer Schelm!

Der Alte fuhr fort: »Wenn du ihn sähest, mein Sohn, du würdest ihn lieben; er ist ein gar guter junger Mann bei soviel rauher Tapferkeit. Wie oft haben wir vor wenigen Jahren zusammengesessen und einander erzählt! Wenn ich ihm vom Kaukasus und Atlas sprach, so beschrieb er mir, wieviel höher die Gebirge von Amerika wären; und wir gerieten dann in einen freundschaftlichen Streit. Ich hatte die unendlich schönern Weiber, Männer und Tiere von weit edlerer Natur für mich: und er pries und rühmte zum Scherz die reichen Gold- und Silberminen, womit man die ganze Alte Welt erkaufen könnte, wenn man alle Beute herausholte.«

Wir tranken alsdenn auf seine Gesundheit und baldige Befreiung.

Ich fragte den Gabriotto noch, ob er vielleicht den Ulazal von Person kenne; und er sagte mir, daß er ihn einmal zu Rhodi gesehen habe, und schilderte mir ihn als einen andern Hannibal auf der See. Er machte hierbei die Beobachtung, würdig eines solchen Graubarts: »Colonna zog zu Rom im Triumph ein wegen seines Drittelsiegs; wenn einer aber die Taten beider in jenem Treffen genau abwiegen[113] könnte, in welchem Glanze würde da noch der flüchtige Kalabreser vor ihm erscheinen! Ein solcher sichrer Rückzug eines einzelnen Mannes mit seinen Freunden, nachdem er Wunder des Verstandes und der Tapferkeit für die Flotte der andern Admirale getan hatte, aus der vollen Macht der Überwinder, bezeugt die größte Unerschrockenheit, Übersicht und Erfahrung. Schade, und ewig schade, daß er unserm Glauben abtrünnig geworden ist.«

»Zumal«, setzt ich hinzu, »da ihn der Heilige Vater Pius wieder zu Gnaden annehmen wollte und Philippen beredete, alles anzuwenden, dem Helden Herrschaften und Reichtümer zu schenken, wo er sie nur immer haben möchte, in Spanien, seinem Vaterlande, oder Sizilien, wenn er die Heiden verließe. Doch gefällt mir nicht, daß man denselben mit solchen Anträgen bei dem Sultan wenigstens verdächtig machen sollte, damit er ihn selbst aus der Welt schaffte: weil man keine andre Mittel dazu vor sich sähe. Ulazal aber war zu klug für solche Versprechungen, scheute überdies die künftige feige schale Rolle und trat folgenden Frühling nun selbst als Admiral auf, mit einer neuen Flotte.

Es ist närrisch, daß man von den Kalabresern verlangt, sie sollen nicht zu den Türken übergehn. Die Türken plündern ihre Gegenden und führen sie selbst in Sklaverei; und ihre Fürsten sehen gelassen zu, ohne sie zu verteidigen, und saugen sie noch obendrein mit allerlei Auflagen aus. Sie werden also mit doppelten Ruten gezüchtigt. Was hat ein Mann, der Kopf hat und Mut im Herzen, anders zu tun, da er allein sich nicht wehren kann gegen beide Feinde, die ihn berauben? Er schlägt sich zur Partei der Sieger.«

»Ich will doch lieber in dem Glauben leben und sterben, worin ich geboren und erzogen bin, und ein wenig Unrecht leiden«, erwiderte der Alte; »das Dulden ist auch süß, wenn man das Vermögen noch in sich fühlt, auszudauern, und große Belohnung dereinst unter seinen Geliebten dafür erwartet.«

»Ein guter Glaube überwindet freilich alles«, antwortet ich[114] ihm darauf; und dachte im Herzen, wer damit nur immer in der glückseligen Dunkelheit herumtappen könnte!

Noch denselben Abend lief ein französisches Schiff im Hafen ein, mit dem neuen Gesandten und Konsul für Konstantinopel und Smyrna, das nur Wasser einnahm und mit dem ersten guten Wind wieder absegeln wollte. Ich bediente mich der Gelegenheit, eilte sogleich nach Hause und schrieb an den Diagoras, so rein und frei, wie's in meinem Geiste lebte, frisch von der Hand weg; und bat hernach den Edeln inständig, den Florio Branca zu befreien, wenn er könnte, oder mir wenigstens die Art zu melden, wie es möglich wäre, ohn ihm jedoch etwas von mir zu sagen; und dann nach Genua zu schicken.

Die Aufschrift macht ich an seine Mutter, damit der Brief desto sichrer möchte abgegeben werden. Der Patron des Schiffs erhielt von mir schon zum voraus eine Belohnung; und ich versprach ihm mehr, wenn er mir gute Antwort bringen würde, und sagte ihm zugleich, was es beträfe. Er gelobte mir heilig an, ihn aufs beste zu besorgen.

Den andern Morgen gegen Mittag ging das Jagdboot auch wieder ab, und mir schwoll das Herz von verschiednen Leidenschaften, sowie der Wind die Segel schwellte. Ich muß selbst über das Gleichnis lächeln, und doch ist's wahr und gefällt mir; ach, unsre Gedanken und Empfindungen sind so zart und veränderlich, und heiter und wild und stürmisch wie die Lüfte.

Ardinghello


Hierauf gab ich dem Ardinghello keine Antwort und erhielt im März wieder folgenden Brief von ihm:


Genua, März.


Sie hat mich zum ersten Mal geküßt, freiwillig; und meine Lippen schmachten in einem fort nach ihrem süßen Munde. Schüchtern, jungfräulich und doch naturnotwendig, wie der Magnet sich zieht, flog unerwartet plötzlich der himmlische Kuß auf mich. Wie selbst darein verwandelt schlief ich die[115] Nacht, ein wollüstig stechend Feuer, und bin nun erwacht wie ein seliger Engel. O ein glücklicher Tag der gestrige! wie der neue Frühling ging die Sonne auf und unter. Wir saßen gegen Abend oben allein im Garten, unten hatte Fulvia und ihr Gemahl Gesellschaft; und die See spielte in kleinen Wellen, um, wie zärtliches Leben, sich in die Lüfte zu verbreiten.

Ich zeigte Lucinden erst einige Griffe auf der Laute, alsdenn sangen wir zusammen, und unsre Herzen ergossen sich endlich ineinander durch Gespräch und Blicke. »Ein Weib ist doch das armseligste Ding auf Erden!« seufzte sie auf die letzt wehmütig, nach mancherlei Reden über Welt und Dasein und Bestimmung, und kehrte die Augen von mir ab gen Himmel; »gefesselt auf allen Seiten, dürfen wir keinen freien Schritt tun, wo uns der Geist hinleitet, ohne Schmach und Schande. Nicht über die Straße können wir gehn allein und sonder Mama und Base, wenn man uns für wohlgebildet hält, ohne daß die Lästerzungen auf uns stechen. Natur und Leben und Sitten und Gebräuche in andern Gegenden zu sehen und zu hören ist uns gänzlich versagt: wir müssen auf einer Stelle bleiben, wie die Pflanzen, und glauben, was man uns vorlügt, ohne sinnlichen Begriff; Wahn und Traum und Gehorsam unser Eigentum: kein Tropfen Wahrheit, die Seele zu erquicken.

Wenn eine schön ist, so legt man ihr überall Schlingen; und derjenige selbst, welchem sie in einer gewitterhaften Stunde gefällig war, verleumdet sie oft hernach am ärgsten, und tritt zum schimpfenden Pöbel über, wenn er einen andern vorgezogen glaubt; oder sie wird von unvernünftiger Eifersucht noch fester eingekerkert.

Sind wir nicht schön, so erwerben wir keine Liebe mit aller Weisheit und allen Künsten der Musen und der Minerva; und außerdem heißt's immer noch: sie ist doch nur ein Weib, und kann und darf nichts recht sehen, wie es ist; Pedanterei und Ziererei ohne Zweck und Nutzen! Ein Weib hat weder Stärke noch Überlegung, etwas Großes in[116] irgendwo zu erlangen und zu fassen; die Guten und Verständigen haben Mitleiden mit dessen Schwäche, und die Boshaften verspotten es und suchen es mit ihrem Lobe vollends zur Närrin zu machen. So geht man mit uns um.

Am besten wär es, nie geboren worden zu sein; denn was wir wollen und lieben, dürfen wir doch nicht haben! oder, sobald diese Neigungen in unserm Herzen aufgehn, geschwind von der Erde weggenommen zu werden. Unser Los ist Traurigkeit und Leiden und wenig heitre Augenblicke; ein vergnügter sichrer Zustand ist uns nicht beschieden: unser Leben ein schwacher Kahn im stürmischen Meer, oft von Wellen überschlagen.«

Aber warum schreib ich Dir den toten Sinn und Buchstaben von dem, was sie so göttlich in bezaubernden Worten, Tönen und Gebärden sagte!

Ich hielt ihre Linke in meinen beiden Händen, und sie überließ die entzückenden Wallungen ihrer innern Schönheit ruhig meinem heißen Gefühl.

»O Lucinde,« antwortet ich ihr darauf, »du hast viel Wahres gesagt, wir sind ungerecht gegen euch! aber auch unser Los ist hart. Uns liegt die Arbeit ob, und ihr wirkt still wie die Sonne, und macht schon glücklich bloß durch eure Schönheit. Wir müssen alles erringen und erkämpfen; und ihr strahlt nur um euch: so liegt man euch zu Füßen.

Hohe Schönheit ist freilich äußerst selten; aber auch eine Jungfrau, die sie besitzt und zu gebrauchen weiß, ist, was bei uns Alexander und Cäsar mit Heeren von Helden; es kömmt nur auf sie an, was sie erobern will! Das ewige Schicksal hat ihr alle Herzen unterworfen.

Liebe und Geist ist eins und dasselbe unter verschiednen Namen, nur daß man Überfluß von Geist Liebe nennt: hohe Schönheit beherrscht alle Geister. Sie vereinigt sich deswegen gern mit großer Gewalt oder großem Verstande, weil da die Liebe am mächtigsten ist. Der Mensch für sich allein, überhaupt jedes Wesen, abgesondert, ist unglücklich. Was kümmert den Vortrefflichen im Grunde Wahn und[117] bürgerliches Vorurteil? Das Gesetz ist toll und töricht, das ihm Eigentum und freien Gebrauch seiner Person abspricht; und er tritt es mit Füßen, sobald er kann.«

»Ich möchte lieber Ardinghello sein«, versetzte sie schnell in leisem Nachtigallenton, ganz auf mich geheftet, »als Semiramis und Laura, so jung und schön mit soviel Tapferkeit und Talent!« und hier neigte sie ihre Lippen nach den meinigen, ich ward von einem süßen Blitz durchschlängelt, und meine Seele schwebte in der Herrlichkeit des Entzückens wie aufgelöst von allen Banden. So hielten wir uns lang umschlungen, bis unsre Blicke in Wollusttränen untergingen und sie ausrief, rosenrot und lilienblaß, und sich losriß: »O du, mein Abgott, was wird noch aus mir werden!« ohne mir mehr zuzugestehen.

Fulvia kam bald darauf, als ich noch an einen Baum gelehnt stand und mit den Armen die Augen zuhielt, um nichts Irdisches zu betrachten. Die Schlaue merkt alles und erkennt die Momente wie ein edles Raubtier.

So schiff ich denn zwischen einer Scylla und Charybdis im Wonnemeere der Liebe; und lasse mich von ihren Strudeln herumwälzen in Gefahren, damit mein Mut nicht müßig liege. Doch erschreck ich zuweilen vor Lucinden; sie hat in manchen Punkten nicht die Biegsamkeit ihres Geschlechts, und in ihrer Gestalt entdeck ich Züge von fürchterlicher Heftigkeit; und eben diese sind es, was mich so gewaltsam ergreift und an sie fesselt. Ich fühle durch und durch, was das himmlische Geschöpf verlangt, und dies foltert mich, da es unmöglich geschehen kann: und doch ist der Engel zu schön für die Welt, die ihn mit ihren Sitten angesteckt hat, als daß ein Natursohn ihr ihn so ungenossen sein Leben lang überlassen sollte.

Übrigens studier ich hier immer mehr die Schiffahrt und streiche öfters an der Küste herum. Zu Korsika bin ich auch schon gewesen, und das rauhe Volk gefällt mir: es liegt Stoff darin. Es kömmt kein Schiff an und geht keins ab, das ich nicht ausforsche. Und so beschäftigt sich auch noch meine[118] bildende Kunst mit der See; ich habe die eine Skizze, wo ich den Biondello niederstoße, im großen angelegt.

Den Helden Doria besuch ich fleißig und lerne viel aus seinen Gesprächen; er will mir wohl, das seh ich aus seinen Mienen und Gebärden und seiner Offenherzigkeit. Er weiß, wer ich bin, und Fulvia und ihr Gemahl wissen es mit Lucinden; ich bin gleich anfangs von einem meiner Landesleute verraten worden, der mich erkannte. In Venedig blieb ich eher verborgen, während des Kriegs mit den Türken und weil es dort viel Maler gibt, worunter man sich leicht verstecken kann; hier sind deren kaum ein paar. Auch kam ich bei Euch in keine so vornehme öffentliche Gesellschaften. Inzwischen hab ich keinen Schaden davon, sondern Vorteile; man schätzt mich desto mehr, und ich habe, wo ich will, freien Zutritt.

Vor dem Tyrannen von Toskana fürcht ich mich nun wenig mehr; meine Tante meldet mir, daß es übel mit ihm aussieht. Er hat durch seine Ausschweifungen schon längst seine Gesundheit zugrunde gerichtet und bei der Camilla Martella die Neige seiner Kräfte vollends so abgezapft, daß ihm die Zunge steif geworden ist und verdorrt und er nicht mehr sprechen kann. Alles dies ist buchstäblich wahr, und so unklug wirtschaftete kein Tiberius auf der Insel Capri und kein Nero in beiderlei Gestalt, die noch immer wußten, wenn sie für sich aufhören sollten. Ein neuer Hippokrates von Macchiavell wird den jungen Tarquinen auch noch hierin die Anfangsgründe vorbuchstabieren müssen; denn von selbst wird selten einer so gescheit sein.

Der neue Herzog, sein Sohn, führt sich auf wie ein Blödsinniger, und Eure berühmte Bianca behandelt ihn auch so mit Fug und Recht.

O Cäcilia, Aphrodite des adriatischen Paphos, wie lebst Du und unsre Liebe? Du sollst gewiß noch dereinst voll Zärtlichkeit Lucinden und auch Fulvien als Deine Gespielinnen umarmen. Meine Seele schmachtet nach ihr und Dir; sei nicht so karg mit Deinen Worten.

Ardinghello
[119]

Zu Ausgang des März schrieb ich ihm, da ich aus dem Schluß seines Briefes sah, daß er ohngeachtet seiner Leidenschaft doch den Kopf noch nicht verlor und immer den Edelmut im Grunde seines Herzens hatte.


Venedig, März.


Ich möchte mich lieber mit Dir nur wenige Augenblicke mündlich unterhalten als in dem längsten triftigsten Buchstabenwechsel.

Ich habe Cäcilien schon zum zweitenmal gesprochen; das erstemal in Gesellschaft und darauf vor wenig Tagen allein. Sie ist hoch schwanger, gesund und bei Kräften; und Mutter und Brüder und Freunde und Gespielinnen geben sich alle Mühe, ihr neue Ergötzlichkeiten zu verschaffen. Es ist eine wahre Augenweide, eine so junge reizende Frau am Ziel ihrer Bestimmung zu sehn; und einem Fremden, der nichts von ihr hofft und erwartet, muß sie so selbst schöner und vollkommner sein, als sie als Mädchen war; geschweige dem glücklichen Geliebten, der die süße Frucht seiner Liebe so heranreifen sähe. Ardinghello, Du bist ein Göttersohn, zu hohem Wohl erkoren; nur verscherze Dein Heil nicht!

Das erstemal wagte sie nicht nach Dir zu fragen; aber das Spiel ihrer Blicke um mich, Deinetwegen, war mir ein Himmelreich. Sie errötete, wurde blaß, seufzte, suchte sich zu verbergen: doch die Natur triumphierte: ihr Busen wallte stärker, und sie kam endlich zu mir und ließ sich mit mir in ein Gespräch ein, lieblich und traulich. Ich faßte mich dabei so, als ob ich in diesen Augenblicken Deiner nicht gedächte; und sie ging froher von mir, sie mochte nun argwohnen oder nicht argwohnen: denn sie mußte fühlen, daß ich ihr wohlwollte, und dies schon vorher wissen.

Vor wenig Tagen ließ ich mich bei ihres Vaters Palast anfahren, bei welchem sie noch immer wohnt, bis nach ihrer Niederkunft, um ihren jüngsten Bruder zu besuchen, den ich nun näher kenne; und als er nicht zu Hause war, ging ich inzwischen zu seiner Mutter, und traf Cäcilien gerade bei[120] ihr. Die Mutter verließ uns denn eine Weile wegen Geschäften, und wir blieben allein. Ihre schönen großen Augen ruhten lang hell und klar auf mir, und ihre Lippen lächelten, wie wenn man einen zum Reden zwingen will. Mich dauerte die Verlaßne, und ich fing an von dem Gemälde zu sprechen, das eben vor uns hing; und kaum hatte sie mir den Meister gesagt, so war die Frage darauf: »Wo ist jetzt Ihr Freund Ardinghello? Ich hab ihn nicht wieder gesehen, seitdem er mich gemalt hat: er wird also wohl nicht mehr in Venedig sein.«

Ich antwortete: »Den letzten Brief von ihm hab ich aus Genua; es geht ihm dort sehr wohl.« Du hättest sehen sollen, wie sie darauf lebendig ward und sich alles an ihr regte; ein neuer Morgen ihr Gesicht mit heißen Sonnenblicken. Nicht mehr festhalten konnt ihr Herz: »Es ist ein trefflicher Mensch, voll Verstand und Talent, und das Geringste ist der Maler an ihm, so weit er's auch schon in seiner Kunst gebracht hat.« Hier glühte sie auf wie eine Rose und fügte lächelnd hinzu, sich fühlend: »Ich glaube, daß ich in ihn verliebt geworden wäre; es ist gut, daß er weg ist.«

Mir waren hier die Daumenschrauben aufgesetzt: aber doch bekannt ich nicht wegen ihrer selbst, und Deiner und meiner; noch scheint es mir nicht Zeit zu sein. Ich antwortete wie kalt und schier eifersüchtig darauf: »Dies würde den jungen Herrn bis ins kleinste Gelenk kitzeln, wenn ich ihm so etwas berichtete; er war ganz bezaubert von Ihrer Schönheit, wie er Sie malte, und beneidete mutwillig Ihren unglücklichen Gemahl.«

Dies Wort kam wie eine finstre Wolke vor ihrer Schönheit Glanz, sie entfärbte sich und versetzte: »Nun, so arg und gefährlich ist es nicht; Sie brauchen ihm auch nichts hiervon zu schreiben; doch grüßen Sie ihn von mir und melden ihm, daß ich seine Kunst bewundre, und große Dinge von ihm erwarte, und den eifrigsten Willen habe, ihm in Zukunft nützlich zu sein.« Hierüber trat die Mama wieder ins Zimmer, und ich verließ sie bald darauf.[121]

Du siehst daraus, daß alle Verstellung ein Ende hat gegen einen, der Person und Sache kennt: es ist ein Glück für Euch, daß kein solcher unter ihren Richtern saß. Wer die Wege gut weiß, geht auch im Nebel sicher; und ein Wollüstling von Auge sieht oft die Gegenstände darin mit mehr Freude als bei hellem Wetter. Inzwischen dauert sie mich doch von Grund der Seele; denn sie ist unglücklich.

Dein Umgang mit Lucinden gefällt mir nicht. In Rücksicht ihrer wenigstens kann ich die Grundsätze nicht billigen, die Du ihr einflößest; besonders wenn Florio der Mann ist, wie ihn der alte Schiffer schildert: ich befürchte, daß es schlimme Händel absetze. Überhaupt muß sich jeder nach dem Staate richten, worin er lebt, wenn er ihn nicht gewissermaßen übersieht und heraus kann, wenn er will: sonst trifft am Ende das Sprichwort ein: ›Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er zerbricht.‹ Wenn Lucinde Deinen Geist hätte bei ihrer Jugend und Schönheit: o dann stünden ihr Königreiche zu Gebot; so aber mußt Du sie erst in das alte Korinth oder Athen bringen, wenn sie nach Dir glücklich sein soll. Und noch dazu scheint mir ihr Charakter sich nie recht zu bequemen. Mit einem Worte: sobald ein Weib eines Mannes Frau wird, begibt es sich im Punkt der Liebe seiner Freiheit, hernach eine andre Wahl zu treffen; und was opfert der Mann nicht dafür auf, daß ihm dasselbe treu sein möge? Schönheit und Keuschheit beisammen wird ewig eine höhere Vollkommenheit sein als Lais und Phryne, setze sie in einen Staat, in welchen Du willst. Doch red ich, was Lucinden betrifft, in der Ferne; und ein einziger Blick auf sie und wenig Worte von ihren Lippen könnten vielleicht meine eigne Moral wegbannen. Das Zettelchen, welches sie Dir im Bette schrieb, bleibt immer ein wunderbarer Flug, von dem andern Erdenvölkchen weg, wozu eine starke Leidenschaft gehört, die alle Furcht von Vorurteilen überwältigt.

Es schweben Gefahren über ihr und Dir; aber wer sich selbst nicht raten kann, dem ist nicht zu helfen. Jeder weiß am besten, wie ihn die Umstände umringen.[122]

Fulvien geb ich Dir gerne preis, nimm mir's nicht übel! echte Genueserin nach dem Sprichwort;10 ein Gesetz, von keiner Gewalt in Ausübung gebracht, ist kein Gesetz in Wirklichkeit. Wer seine Rechte nicht behauptet, der hat keine; so geht's allen Männern, die nicht auf ihrer Hut sind. Dies sahen die Spartaner wohl ein; und welcher Kopf nicht, der noch Vernunft hat?

Ich mag nicht daran denken, daß Du mir vom Diagoras sollst entrissen werden. Bleib in Deinem Italien, und lies das andre in Geschichten und Reisebeschreibungen; der Mensch braucht zu seinem Glücke nicht den ganzen Erdboden. Die See ist weiter nichts als ein ungeheurer leerer Weg etc.


Erst in der Mitte des Mai erhielt ich wieder einen Brief von ihm, und zwar aus Lucca, welches mir sonderbar auffiel. Er lautete wie folgt:


Lucca, Mai.


Auch Du bist schuld daran! Lucinde ist von Sinnen gekommen.

Florio Branca kam, erlöst vom Diagoras, und obendrein mit Geschenken ausgestattet; ein Held wie ein junger Diomed, nur im Gesicht voll Ehrennarben. Er wußte nicht, daß ich sein Retter war, und wir wurden bald Freunde. Er drang auf seine Vermählung: zu Messina, wo ein Teil der spanischen Flotte liegt, war ihm von den obersten Befehlshabern nicht allein sein voriger Posten, sondern eine weit ansehnlichre Stelle zugesichert worden. Ich befand mich eben nicht in Genua, wie er seine Braut überraschte; Fulvia erzählte mir, sie sei in Ohnmacht gefallen, als sie ihn so unerwartet plötzlich vor sich gesehen hätte. Man schrieb es der Freude zu. Sie faßte hernach alle ihre Kräfte zusammen,[123] alte Liebe und Verstellungskünste: und Florio hielt sie in seinen Armen stumm vor Heftigkeit der Wonne nach so vielen Drangsalen.

Ich traf bei meiner Ankunft den Florio zuerst bei ihr und Fulvien und ihrem Gemahl in Gesellschaft. Seine Gestalt und sein Wesen machte gleich auf mich großen Eindruck; starker Gliederbau, scharfe Gesichtszüge, kleines blitzend verwegnes Auge, verbrannte Farbe, krauses Haar und derbes Fleisch und wenig Worte zeigten mir ein Muster von Seemann; und sein Knebelbart und kurzer Säbel vollendeten das Bild. Ich wünschte beiden herzlich Glück über ihre Wiedervereinigung. Lucinde sah mich still an und glich einem Gewitter von Empfindung.

Die Tage darauf macht ich nähere Bekanntschaft mit dem Florio; und meine kalte Vernunft rang immer mehr, meine heißen Begierden zu bekämpfen; der Tapfre war die edelste der Blumen ganz wert.

Ich sprach Lucinden alsdenn allein im Garten. Sie jammerte über die Unruhen des Seelebens und die Kriegsgefahren. O wie mein Herz ihr entgegenschlug, als ich die Morgenröte von Küssen um ihre Lippen schweben sah! Aber ich verwüstete schändlich alle Inbrunst der Natur wie ein Gotteslästrer, und gab ihr das teure Zettelchen wieder, und stammelte die tollen Silben hervor: »Ich kann deine Gunst nicht annehmen; Florio ist deiner Liebe ungeteilt wert: in mir ist jede Fiber Wunde; aber seid glücklich miteinander, rein und ohne Flecken.«

Sie blieb wie eine Säule stehen, las die Zeilen ihrer Hand und zerpflückte darauf langsam mit den Zähnen das Blatt, Stückchen vor Stückchen, indes ich von ihr ging und mir die Tränen in die Augen tobten.

Dies geschah nach der Mittagsmahlzeit. Fulvia, die von diesem allen jedoch nichts wußte und auch nie erfahren soll, berichtete mir, daß sie den ganzen Abend in ihr Zimmer eingeschlossen gewesen wäre und sie niemand weiter gesehen hätte bis spät den andern Morgen, wo man mit einem[124] andern Schlüssel dasselbe aufgemacht und sie in ihrer Kleidung auf dem Bette gefunden, die Hände ringend, mit dem Oberleibe aufgerichtet und seufzend mit vor sich niedergeschlagnen unverwandten Augen. Weder Fulvia noch der Bräutigam, noch irgend jemand hat nach der Zeit ein Wort von ihr herausbringen können, so daß sie völlig die Sprache verloren zu haben scheint. Sie läßt sich geduldig hinführen, wohin man will, geht auch für sich herum, ringt aber immer die Hände und seufzt, versteht platterdings nichts mehr, was man sagt, und nimmt an keinem Gespräche mit Mienen und Gebärden Anteil. Sie ißt und trinkt wenig; sobald sie aber genug hat, ringt sie wieder die Hände und seufzt. Es sind von den Ärzten verschiedne Mittel versucht worden, aber alles vergeblich. Sie kennt Fulvien nicht mehr, ihren Bräutigam nicht mehr, und mich nicht mehr; wie sie dieser küssen wollte, hat sie nach ihm geschlagen und ihn ins Gesicht gekratzt. Auch von ihren Freundinnen leidet sie dies nicht; sonst ist sie in allem geduldig. Ich mochte mir immer mit einem Strick die Gurgel zusammenziehn, wenn sie mich so starr ansah und die Hände rang und seufzte.

Jetzt steckt sie nun in einem Nonnenkloster zur Verpflegung. Florio war im Begriff, sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen, und ist nun bei der Flotte, um in der Verzweiflung gegen die Tuneser sein Ende zu finden; und ich habe mich so auf den Weg nach Florenz gemacht. O Natur, deine schönste Zierde ist zerrüttet und zugrunde gerichtet! Das arme Mädchen, zur Lust erschaffen und aller Augen und Herzen zu entzücken, hat nie die höchste Süßigkeit des Daseins gekostet und lebt nun ein unaufhörlich Gefühl von unaussprechlichem tiefen Leiden.

Du hast so etwas nicht erfahren und kannst Dir's folglich auch nicht denken: so schön, so reizend, so geliebt, so liebend und so voll Geist, und nun auf einmal alles im Ruin ohne Zusammenhang; dasselbe nicht mehr dasselbe, es ist gräßlich! Wer sie kennt, vergießt Tränen über ihr Schicksal; ganz Genua trauert. Weide dich, barbarische Moral,[125] Feindin des Lebendigen, mit Wolfsgrimm hier an deinem Opfer!

Aber auch ich, o Gott, wo werden mich meine heftigen Leidenschaften nicht noch hinreißen! Ach, ich habe ihren Zügel nicht so am sichern Griff, daß sie auf halsbrechenden Wegen nicht einmal mit mir davonrennen, der Wagen überschlägt und Roß und Führer in den Abgrund taumeln, wo man Blut und Gehirn noch lange dem Wandrer an Klippen zeigt, bis die Regengüsse des Himmels die Reste des Verwegnen vom Felsen waschen!

Ardinghello


Ich konnt ihm hierauf nicht antworten, weil er mir keine Zuschrift meldete. Die Begebenheit war entsetzlich und ging mir selbst durchs Herz. Je mehr ich darüber nachdachte, desto natürlicher aber kam sie mir vor. Fulvia mochte wohl die größte Schuld haben, und weit weniger Cäcilia und ich; außer der eignen Großmut von Ardinghello. Lucinde war mit allen Reizen bei ihrer Jungfräulichkeit zu beklagen: ein schwacher Feind in der Festung ist fürchterlicher als der stärkste von außen.

Seine Reise nach Florenz schien mir immer gewagt, ob ich gleich schon längst wußte, daß Cosmus gestorben war.[126]

9

Man erinnere sich hier, daß Poesie in Italien so gemein war und noch ist, daß Handwerksleute Homerische Fabel und Mythologie kennen.

10

Mare senza pesce, donne senza vergogna, Uomini senza fede; hat vermutlich seinen Ursprung aus Venedig, der natürlichen Feindin von Genua.

Quelle:
Wilhelm Heinse: Ardinghello und die glückseligen Inseln, Leipzig 51961, S. 78-127.
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