Zug der Liebe

[109] Ach! vergessen könnt' ich nimmer

Seiner Liebe, Seiner Pein.

Sein gedenken will ich immer;

Garten, Feld und Wald und Zimmer

Soll mir stets ein Bethaus sein.


Stündlich will ich Ihn begrüßen:

»Sei gepriesen, süßer Freund!«

Alle Blumen, die da sprießen,

Will ich mit dem Thau begießen,

Den um Ihn mein Auge weint. –


Keine Gaben, keine Freuden,

Keine Krone dieser Welt!

Freudig will ich Alles meiden,

Will nur Er von mir nicht scheiden,

Den mein Herz so innig hält.
[110]

Wer ein Tröpflein durfte trinken,

Herr! aus Deinem Gnadenmeer,

Der muß ganz darin versinken,

Folgen einzig Deinen Winken

Ohne Sinne, ohn' Gehör.


Und ich kann Dich nimmer lassen,

Ewig halt' ich Dich umarmt.

Wolltest Du mich fliehn und hassen,

Müßt' ich noch Dein Kreuz umfassen,

Bis es jeden Stein erbarmt.


Wärst Du nicht im Himmel drinnen,

Nimmer sehnt' ich mich hinein. –

All mein Wissen, all mein Sinnen,

Herr! laß ganz in Dich verrinnen,

Ganz in Dir verloren sein.


Münster, Sommer 1819.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 109-111.
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