Der bewährten Freundin

[367] In bangen Leidensstunden,

Vom Vater Dir gesandt,

Da hab' ich Dich gefunden,

Da hast Du mich erkannt.


Es schlossen herbe Schmerzen

Wol enger unsern Bund:

Es waren ja die Herzen

Vom selben Dorne wund.


Und treu nun zu Dir halten

Das werd' ich je und je

Und nimmer Dir erkalten

In Freude wie in Weh.
[368]

Ach! dieser Erde Freuden,

Sie sind mir längst verblüht,

Als ich in bittern Leiden

Von meiner Heimath schied.


Die Mutter mußt' ich lassen,

Und Bruder-, Schwester-Hand

Sollt' nimmer ich erfassen

Im fremden, fernen Land.


Doch sprach die ew'ge Milde

In heil'ger Liebe Glüh'n,

Als sie im Erdgefilde,

Ein Menschensohn, erschien:


»Was je ein Herz gemieden,

Das sich zu Mir gekehrt,

Das werd' ihm schon hienieden

In reichem Maaß bescheert.«


Drum hat des Herren Segen

Dein Herz für mich gerührt

Und hat Dich mir entgegen

Den Kreuzesweg geführt.
[369]

Du hast trotz aller Fehle

Es treu mit mir gemeint,

Hast Deine fromme Seele

In Liebe mir geeint.


So laß uns treu nun wallen

Den Lebenspfad hinab,

Bis unsrer Hand entfallen

Der schwere Wanderstab,


Bis wir vereint dort oben,

Wo nie ein Auge weint,

Ihn mit den Engeln loben,

Der uns durch Schmerz vereint.

Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 367-370.
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Lieder (Ausgabe von 1879)
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