Der Mond stand überm Palatin. Wie ich

[228] Der Mond stand überm Palatin. Wie ich

Hinaufkam, weiß ich nicht. Das hohe Tor

War offen, ohne Wächter. Eine Stimme

Sprach in mir: Geh hinauf! Du findst ihn dort!

Doch langsam, denn mir klopfte stark das Herz,

Stieg ich die dunkle Treppenflucht hinan

Und stand nun auf der Höhe, rings um mich,

Was von der Hofburg der Cäsaren blieb:

Nur Stein und Schutt, der Gold- und Marmorhülle

Beraubt, wie nacktes Knochenwerk, von dem

Hinweggemodert längst das blühnde Fleisch.

Gewaltig in den veilchenblauen Äther

Zur Rechten mir erhob das Kolosseum

Die dunkle Stirn, durch seine leeren Bogen

Quoll goldner Schein; genüber ragt' empor

Des Friedenstempels dreigeteilte Cella,

Geheimnisdunkel; dran vorüber sah ich

Mondblitze, schlanken Silberpfeilen gleich,

Von Säul- zu Säulenstumpf des alten Forums

Sich schwingen und vom steilen Kapitol

Abprallend in der Nebeldämmrung schwinden.

Das sah ich mit dem äußern Auge nur

Und ungerührt. Stieg ich doch nicht hinauf,

Mich am Erhabensten der Welt zu weiden,

Nur weil es in mir sprach: du findst ihn dort!
[228]

So wandt' ich mich und wandelte den Pfad

Vorbei dem Hause des Caligula

Und dem Palast der Flavier, bis zum Rand

Des Hügels, wo in sanften Duft gehüllt

Das Haupt des Aventin herübersah.

Wie Geisteratem leise ging die Luft,

Und jeder Stein und jeder zarte Sproß

Der Bäum' und Sträucher schien zugleich dem Blick

So deutlich und so märchenhaft, daß mir

In wunderlichem Graun die Seele bebte.


Da, wie die Augen ziellos sich ergehn,

Auf jener Wiese, zwischen Lorbeerbüschen

Und wilden Rosen – heil'ge Götter! was

Erblick' ich! – Ist er's? – Das geliebte Kind –

Es sitzt mir abgewandt – mit blassen Händchen

Pflückt's auf dem mondbeglänzten Rasenteppich

Die zarten Anemonen und Tazetten,

Der Totenblume glockengoldne Sprossen,

Und windet eifrig sie in einen Kranz.

Ein Schrei entringt sich mir – da wendet er

Das Haupt – er ist's! – und sieht mich, und die Blumen

Vom Schoße schüttelnd springt er hastig auf

Und mir entgegen, steht dann plötzlich still,

Scheu, als besänn' er sich auf ein Verbot.

Ich aber fasse mir ein Herz: Mein Kind,

Mein holdes Leben! stamml' ich. Doch er schüttelt

Wehmütig ernst das Haupt, als woll' er sagen:

Was sprichst du! Leben? Das ist hin! – Und langsam

Nimmt er die Blumen auf und ordnet sie

In einen Strauß, winkt dann geheimnisvoll

Und geht voran.

Auf einmal ward das Herz

Mir seltsam leicht und froh, als gingen wir

Wie sonst spazieren und betrachteten

Mit hellen Augen rings die Welt. Wo willst du

Nur hin? begann ich. Willst du deinen Strauß

Der Mutter bringen? – Und er nickt' und sah

Mit einem traurig stillen Blick mich an –

Es war, als wollt' er plötzlich an die Brust[229]

Mir stürzen, mich zu bitten: nimm mich mit,

Zurück ins Leben! Wo ich jetzt verweile,

Ach, ist's so schaurig kalt und liebeleer! –

Doch er bezwang sich, hob das Fingerchen,

Wie um zu mahnen: denk nicht drüber nach,

Wie all das ist; es bräche dir das Herz! –

Und so verstummt' ich. Ach, die Augen hingen,

Sich nicht ersättigend, an dem lieben Antlitz.

Noch feiner schien es, reifer noch, zugleich

Noch weit unschuld'ger, rührender, nur daß

Es nicht mehr glänzt' in süßem Übermut.

Und näher schmiegt' er sich an mich. Doch nur

Der Duft berührte mich von seinem Strauß,

Nichts von ihm selbst. So, unvermerkt hinab

Vom Palatin hatt' er mich weggeführt,

Und scherzend sagt' ich: Weißt du denn Bescheid

Im fremden Rom? Willst du am Kapitol

Die Wölfin sehn? Er aber schwieg und ging

Voran mit leichtbeschwingtem Schritt, das Haar

Umwehte Stirn und Schläfen seidenweich –

O wie er lieblich war! – So schritten wir

Die totenstillen Gassen traulich hin.

Nur meines Schrittes Echo klang, und dort

Der große Brunnen rauschte. Sieh nur, sagt' ich,

Dies ist der Trevibrunnen. Möchtst du wohl

Auf diesen Wasserpferden reiten, Kind? –

Da lächelt' er, zum erstenmal. Und weiter

Rastlos den langen Corso ging's hinab.

Und als wir jetzt dem Hause nahten, wo

Die ärmste aller Mütter schlief, – doch nein,

Sie wachte; durch die Läden schimmerte

Die Lampe noch – da blieb er stehn und sah

Still zum Balkon hinauf. Unschlüssig schien er,

Ob er die Schwelle wohl betreten dürfe.

Und ich: ach, wenn die Zwei sich wiedersehn,

Er nimmt sie mir mit fort! – Da sah ich, wie er

Rasch vor der Tür die Blumen niederlegte,

Dann, gleich als ob er Eile habe, winkt' er

Mir zu, und durch das monderhellte Tor

Des Volkes führt' er mich und nach der Villa[230]

Borghese, und wir schritten frei hinein.

Wie zauberherrlich breiteten die Wiesen,

Von Pinienwipfeln dunkel überschattet

Und rings von Säulen, Brunnen, Marmorbildern

Durchschimmert, weit sich aus! – Hier ist es schön,

Nicht wahr, mein Liebling? Sieh nur die Narzissen

Dort auf der Halde. Willst du wieder pflücken? –

Er aber spähte still umher. Da sahn wir

Im Stadium, wo Zypressen rings wie Wächter

Den Plan behüten, schöne Pferde frei

Sich tummeln oder weiden durch das Gras.

Die schlanken Nüstern schnoberten, es flogen

Die langen Schweife, wie sie ihre Sprünge

Fast wie im Reigen machten. Und auf einmal

Kam aus der Koppel zu uns hergelaufen

Ein weißes Füllen. Fromm-geduldig stand's

Vor meinem Knaben, ließ das krause Fell

Von seinen dreisten Händchen willig streicheln,

Und eh' ich's dachte, saß er auf dem Rücken

Des schlanken Tiers, und nun begann das Spiel,

In leichten Sprüngen erst, dann wild und wilder,

Daß ich in Angst erschaudernd rief und bat

Und warnt' – umsonst! In plötzlich tollem Rasen

Ausbrach der Wildling, wie gepeitscht mit Dornen,

Und mein Geliebter, wie ein Federball

Hinab, hinaufgeschnellt, kaum noch die Mähne

Fest hielt er – zwischendurch aus seinem Auge

Traf mich ein banger Strahl. – Ach, rief ich, hättst du

Es nicht gewagt! Das Leben ist zu wild,

Es wirft dich ab! – Da hört' ich einen Ton

Wie Ächzen – drauf ein schadenfrohes Wiehern –

Und als der Nebel meiner Ohnmacht wich,

Sah ich auf feuchtem Abhang hingestreckt

Den holden weißen Leib, die Strahlenaugen

Erloschen, ach, die Blumenglieder nackt

In eine rote Decke halbverhüllt –

Und sinnlos stürzt' ich hin. – –


Doch aus der Wiese,

Darauf er lag, sproß eine Blumensaat[231]

Von gelben Totenblumen und Narzissen

Und frühen Veilchen, und sie wuchsen hoch

Und höher, überwuchernd die erblichnen

Geliebten Glieder, bis ich nichts mehr sah

Von meinem toten Glück. Ins Auge drang

Mir scharf und schmerzend erste Morgenglut

Des neuen Tags, in lautem Weinen brach

Die Qual mir aus, und seinen Namen rufend,


Erwacht' ich.


Rom im März


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 228-232.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Neue Gedichte und Jugendlieder
L'Arrabbiata Und Gedichte (Dodo Press)
Andrea Delfin. Prosa und Gedichte.

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon