Ruhn in Frieden alle Seelen,
Die vollbracht ein banges Quälen,
Die vollendet süßen Traum,
Lebenssatt, gebohren kaum,
Aus der Welt hinüber schieden:
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Die sich hier Gespielen suchten,
Oefter weinten, nimmer fluchten,
Wenn von ihrer treuen Hand
Keiner je den Druck verstand:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
[99]
Liebevoller Mädchen Seelen,
Deren Thränen nicht zu zählen,
Die ein falscher Freund verließ,
Und die blinde Welt verstieß:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Und der Jüngling, dem, verborgen
Seine Braut am frühen Morgen,
Weil ihn Lieb' ins Grab gelegt,
Auf sein Grab die Kerze trägt:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Alle Geister, die voll Klarheit,
Wurden Märtyrer der Wahrheit,
Kämpften für das Heiligthum,
Suchten nicht der Marter Ruhm:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
[100]
Und die nie der Sonne lachten,
Unterm Mond auf Dornen wachten,
Gott, im reinen Himmels-Licht,
Einst zu sehn von Angesicht:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Und die gern im Rosen-Garten
Bey dem Freuden-Becher harrten,
Aber dann, zur bösen Zeit,
Schmeckten seine Bitterkeit:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
Auch, die keinen Frieden kannten,
Aber Muth und Stärke sandten
Ueber leichenvolles Feld
In die halb entschlafne Welt:
Alle, die von hinnen schieden,
Alle Seelen ruhn in Frieden!
[101]
Ruhn in Frieden alle Seelen,
Die vollbracht ein banges Quälen,
Die vollendet süßen Traum,
Lebenssatt, gebohren kaum,
Aus der Welt hinüber schieden:
Alle Seelen ruhn in Frieden!
1 An diesem Feste besuchen die Römisch-Catholischen die Gräber der Ihrigen, setzen Lichter darauf, und beten für die Verstorbenen.
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro