68. Zykel

[360] Einst kam Roquairol ganz spät, um Albano mitzunehmen zur »Abendstern-Partie« auf der Sennenhütte, die jener mit Rabetten verabredet hatte. Der Hauptmann führte um die warmen Quellen[360] seiner Liebe und Freude gern die Brunnenfassung ganz auserlesener Tage und Umstände; konnt' ers machen, so erklärte er z.B. seine Liebe etwan an einem Geburtstage – unter einer totalen Sonnenfinsternis – an einem Schalttag – in einem blühenden Treibhaus im Winter – hinter dem Stuhlschlitten auf dem Eise oder in einem Gebeinhaus; ebenso zerfiel er mit andern gern an bedeutenden Orten und Tagen, in dem Kirchstuhle – in Frühlings- oder Wintersanfang – in der Kulisse des Liebhabertheaters – auf einer Brandstätte – unweit des Tartarus oder im Flötental.

Albano aber war zu jung – wie andere zu alt –, um seine frischen Gefühle erst mit künstlichen Stunden und Stellen zu würzen; er machte lieber durch jene diese schöner.

Mit ungestümer Freude flog Albano auf den ungehofften Weg der Freude. Der gestrige Abend war so reich gewesen – die vier Paradiesesflüsse waren in einer Katarakte vom Himmel in sein Herz gestürzt – am heutigen wollt' er in die stäubenden Wirbel desselben springen. – Schon der Abendhimmel war so schön und rein, und der Hesperus ging mit wachsendem Glanz seine helldämmernde Bahn hinab.

Rabette wartete unten am Berge der Sennenhütte (des Schießhäuschens), um ihn unbemerkt an die unvorbereitete Freundin zu führen, die im Fenster mit dem glänzenden Auge am Hesperus sinnend lag und an die vollen glühenden Herbstblumen dachte, welche nun in ihrem Leben so spät und so nahe neben der längsten Nacht aufgingen. Sie war heute über manches trübe. Sie hatte überhaupt bisher ihre Liebe mehr zu verdienen und zu rechtfertigen als zu genießen und zu vergrößern, und mehr mit ihr das fremde Herz als das eigne zu beglücken gesucht. Wie sehnte sie sich unbeschreiblich nach Taten für Ihn – nur Opfer waren ihr Taten – und beneidete ordentlich ihre Freundin, die für Karl jedesmal doch ein – Getränk zu bereiten hatte! Da sie nichts weiter wußte, so drückte sie ihren Diensteifer durch größere töchterliche Liebe und Annäherung gegen Albanos Eltern und Schwester aus; und lernte sogar ein wenig kochen, welches ihr andere Ministers-Töchter, die nichts machen als Salat und Tee, mit Nachsicht und mit dem Gedanken verzeihen müssen, daß sie in[361] Lianens Falle auch nichts anders machen würden, sondern eher ein Gericht mehr. Ja, sie hielt Rabette für tugendhafter, weil diese mehr in die Breite und Länge tätiger sein konnte; Rabette hielt wieder Lianen für besser, weil sie lieber betete; den ähnlichen Irrtum verdoppelten sie über die Brüder: Rabetten kam Karl sanfter vor und Lianen Albano, beiden nach Schlüssen aus ihren gegenseitigen Berichten.

Solang' ein Weib liebt, liebt es in einem fort – ein Mann hat dazwischen zu tun –; Liane verwandelte alles in sein Bild und seinen Rahmen; dieser Berg, dieses Stübchen, diese für ihn einmal gefährliche Vogelstange wurden die Pastellstifte zu seinem festen Bilde. Sie kam immer darauf zurück, daß er etwas Besseres verdiene als sie; denn die Liebe ist Demut; der Trauring prangt mit keinem Juwel. Es rührte sie, daß ihn ihr früher Tod betrübe. Da sah sie noch das von Blattern erblindete Mädchen, das er einmal unwissend sich ans Herz gedrückt121; und sie fand sich mit dem Witze der Trauer auch darin der Blinden ähnlich, nicht bloß in der gleichen, obwohl kürzern Nacht, die einmal der Schmerz über ihre Augen geworfen.

So sanft wie ihr Ebenbild, der Hesperus, sich in den Abendhorizont des Lebens eintauchend, fand sie ihr Geliebter. Sie konnte nie sogleich aus ihrem Herzen heraus in die überraschende Gegenwart; ihre Wendungen waren immer wie der Sonnenblume ihre nur langsam, und jede Empfindung lebte lange in ihrer treuen Brust. Selten findet überhaupt der Liebende den Empfang der Liebenden dem letzten Bilde ähnlich, das ihm der Abschied mitgegeben; eine weibliche Seele soll – das begehrt der Mann völlig mit den Flügeln, Stürmen, Himmeln der letzten Minute wieder in die nächste brausen. Aber von jeher empfing Liane ihren Freund scheu und sanft und anders, als sie geschieden war; und zuweilen kam dem Feuergeiste dieses zarte Warten, dieses langsame Heben des Augenlids fast wie ein Umkehren in die alte Kälte vor.

Heute ergriff es den wärmern Grafen stärker als sonst. Wie ein Paar fremde Kinder, die miteinander bekannt werden sollen und[362] sich anlächeln und anrühren, standen beide freundlich und verlegen nebeneinander. Sie erzählte, daß sie von seiner Schwester sich sein Kindeswagstück auf diesem Berge erzählen lassen. Eine Geliebte kennt keine schönere, reichhaltigere Geschichte als die ihres Freundes. »O da schon« (sagt' er bewegt) »blickt' ich nach deinen Bergen! Dein Name ist wie eine goldne Inschrift an meine ganze Jugend geschrieben. Ach Liane, hast du mich wohl geliebt wie ich dich, als du mich noch nicht gesehen?«

»Gewiß nicht, Albano,« (antwortete sie) »viel später!« Sie meinte aber ihre Blindheit und sagte, er sei ihr in dieser Augendämmerung an jenem Abend, wo er bei ihrem Vater aß, wie ein alter nordischer Königssohn, etwan wie Olo122 vorgekommen, und sie habe ihn wie ihren Vater und Bruder ehrend gefürchtet. Ihre hohe Achtung für die Männer waren die wenigsten kaum zu erraten wert, geschweige zu veranlassen. »Und als du sehen konntest?« sagte Albano. »Das sagt' ich eben«, versetzte sie naiv. »Aber da du meinen Bruder so liebtest« (fuhr sie fort) »und so gut warst gegen deine Schwester: so wurd' ich freilich ganz beherzt und bin und bleibe nun deine zweite Schwester – du hast ohnehin eine verloren – Albano, glaube mir, ich weiß es, ich bin gewiß zu wenig, zumal für dich, – aber ich habe einen Trost.«

Verwirrt von dieser Mischung von Heiligkeit und Kälte, konnte er sie nur heftig küssen und mußte, ohne sie zu widerlegen, sogleich fragen: »Welchen Trost?« – »Daß du einmal ganz glücklich wirst«, sagte sie leise. »Liane, deutlicher!« sagt' er. Denn er verstand nicht, daß sie ihren Tod und Lindas Verkündigung durch Geister meinte. »Ich meine, nach einem Jahre,« (versetzte sie) »nach den Prophezeiungen.« Er sah sie stumm, wild, ratend[363] und bänglich an. Sie fiel ihm weinend ans Herz und lösete plötzlich das Gedränge innerer Seufzer: »Bin ich denn dann nicht« (sagte sie heftig) »gestorben und seh' aus der Seligkeit zu, daß du belohnet wirst für deine Liebe gegen Liane? Und das gewiß recht sehr!«

Weine, zürne, leide, frohlocke und bewundere immerhin, heftiger Jüngling! Aber du fassest diese demütige Seele doch nicht! – Heilige Demut! einzige Tugend, die nicht vom Menschen, sondern von Gott geschaffen wird! Du bist höher als alles, was du verbirgst oder nicht kennst! Du himmlischer Lichtstrahl, wie das irdische Licht123 zeigst du alle fremde Farben und schwebst unsichtbar ohne eine im Himmel! Niemand entheilige deine Unwissenheit durch eine Belehrung! Sind deine kleinen weißen Blüten gefallen: so kommen sie nicht wieder, und um deine Früchte deckt dann nur die Bescheidenheit ihr Laub.

Schmerzhaft zerteilte sich in Albano das Herz in Widersprüche, gleichsam in seines und in Lianens Herz. Sie war nichts als die lautere Liebe und Demut, und ihr Talentenglanz war nur ein fremder Besatz, wie Götterbilder von weißem Marmor den bunten nur als Zierat haben; man konnte nichts tun als sie anbeten, sogar auf ihren Irrwegen. Auf der andern Seite hatte sie neben weichen, beweglichen Gefühlen so feste Meinungen und Irrtümer, seine Bescheidenheit bekriegte so vergeblich ihre Demut, und sein Ansehn ihren Geisterwahn. Das feindselige Gefolge, das dieser nachschleppte, sah er so deutlich über alle Freuden ihres Lebens herziehen. Sein ihm ewig nachstellender Argwohn, daß sie ihn liebe, bloß weil sie nichts hasse, und daß sie immer eine Schwester statt einer Liebhaberin sei, drang wieder gewaffnet auf ihn ein. So stritt hier alles gegeneinander, Wunsch, Pflicht, Glück und Ort. Beide waren sich neu und unbekannt aus Liebe; aber Liane erriet so wenig als er. O wie zwei Menschen, ähnliche Wesen, einander fremd und ungleich werden, bloß weil eine Gottheit zwischen beiden schwebt und beide anglänzt![364]

Etwas blieb in ihm unharmonisch und unaufgelöset; er fühlt' es so sehr, da die Sommernacht für höhere Entzückungen schimmerte, als er hatte – da der tief im Äther zitternde Abendstern der Sonne durch die Wolkenrosen nachdrang, worunter sie begraben war – da die Ährenfluren dufteten und nicht rauschten, und die zugeschlossenen Auen grünten und nicht glühten – und da die Welt und jede Nachtigall schlief, und da das Leben unten ein stiller Klostergarten war, und nur oben die Sternbilder als silberne Ätherharfen vor Frühlingswinden ferner Erden zu zittern und zu tönen schienen.

Er mußte Liane morgen wiedersehen, um sein Herz auszustimmen. Rabette kam unendlich erheitert mit ihrem Freunde vom Berge herauf, beide schienen von Scherzen und Lachen fast ermattet; denn Roquairol trieb alles, sogar den Scherz, bis zur Pein hinauf. Er hatte den Abendstern, auf den er heute eingeladen, in ein Treib- und Stammhaus lustiger Einfälle und Anspielungen umgebauet. Anfangs wollt' er nicht schon morgen mitkommen; aber endlich sagt' ers zu, da Rabette versicherte, »sie errate den feinen Herrn recht gut, aber er solle doch sie nur sorgen lassen«.

Als die Morgenröte aufging, kam Albano mit ihm wieder, aber die Gartentüre am »Herrschaftsgarten« war schon offen und Liane schon in der Laube. Ein Akten-Heft (so schien es) lag auf ihrem Schoß und ihre gefalteten Hände daneben, sie blickte mehr sinnend geradehin als betend empor; doch empfing sie ihren Albano so mild- und fremdlächelnd, wie ein Mensch einen ins Gebet hereintretenden Gast grüßend anlächelt und dann weiterbetet. Der Graf hatte sich bisher immer auf eine Zurückgezogenheit des Empfangs rüsten müssen. Ein Mißverstand, der schnell wiederkommt, wirkt, sooft er auch gehoben sei, immer wieder so irrend und neu wie zum ersten Male. Er fühlte recht stark, daß ihn etwas Festeres als die erste jungfräuliche Blödigkeit, womit ein Mädchen für die blendende Sonne der Liebe immer außer der Morgenröte noch eine Dämmerung und für diese wieder eine erfinden will, im feurigen Verschmelzen ihrer Seelen störe.

Er fragte, was sie lese; sie stockte bedenkend; ein schnell heranfliegender Gedanke schien ihr Herz zu öffnen; sie gab ihm das[365] Buch und sagte, es sei ein französisches Manuskript, nämlich geschriebene Gebete – von ihrer Mutter vor mehreren Jahren aufgesetzt –, welche sie mehr rührten als eigne Gedanken; aber noch immer blickte durch das zartgewebte Gesicht ein Klostergedanke, der ihr Herz zu verlassen suchte. – Was konnte Albano dieser Herzens-Psalmistin vorwerfen, wer kann einer Sängerin Antwort geben? – Eine Betende steht wie eine Unglückliche auf einer hohen, heiligen Stätte, die unsere Arme nicht erreichen. – – Aber wie schlecht müssen die meisten Gebete sein, da sie – obwohl früher als Reize bezaubernd gleich dem Rosenkranz, der aus wohlriechenden Hölzern gemacht wird – später, im Alter, nur als Flecken und der Reliquie oder dem Totenkopf ähnlich wirken, womit eben der Rosenkranz aufhört!

Ohne auf seine Frage zu warten, sagte sie ihm auf einmal, was sie unter ihrem Gebete gestöret habe; nämlich die Stelle in diesem: »O mon dieu, fais que je sois toujours vraie et sincère etc.«, da sie doch ihrer lieben Mutter bisher ihre Liebe verschwiegen habe. Sie setzte dazu, sie komme nun bald, und dann werde ihr das verschlossene Herz aufgetan. »Nein,« (sagt' er fast zornig) »du darfst nicht, dein Geheimnis ist auch meines.« – Männer verhärtet oft das in der Prosa, was sie in der Poesie erweicht, z.B. weibliche Frömmigkeit und Offenherzigkeit.

Nun haßte niemand mehr als er das Eingreifen der elterlichen Schreib- und Zeige- und Ohrfinger in ein Paar verknüpfte Hände; nicht daß er etwan vom Minister Kriege oder Nebenwerber befürchtete – er setzte eher offne Arme und Freudenfeste voraus –, sondern weil seinem befreieten und befreienden, großmütigen Geiste nichts peinlicher widerstand als die widrige Erwägung, was nun auf dem Altar der Liebe an das heilige Opferfeuer die Eltern für schmutzigen Torf zur Feuerung nachlegen oder für Töpfe zum Kochen ansetzen könnten – wie leicht dann sogar poetische Eltern sich oft mit den Kindern verwandeln in prosaische oder juristische, der Vater sich ins Regierungs-, die Mutter ins Kammerkollegium – wie wenigstens dann die Hofluft leibeigen mache, so wie nur der poetische Himmels-Äther frei – und welche Perturbationen seinem Hesperus von dem anziehenden Weltkörper,[366] vom alten Minister bevorständen, der bei der Liebe nichts unnützer fand als die Liebe und dem die heiligsten Empfindungen für Standesehen so brauchbar schienen wie für Predigtämter das Hebräische, nämlich mehr im Examen als im Dienste. – So schlimm dacht' er von seinem Schwiegervater, denn er kannte das Schlimmere nicht.

Aber die gute Tochter dachte von ihrer Mutter viel höher als ein Fremder, und ihr Herz widerstrebte schmerzlich dem Schweigen. Sie berief sich auf ihren hereintretenden Bruder. Aber dieser war ganz Albanos Meinung: »Die Weiber« (setzte er, nicht in der besten Laune, hinzu) »mögen lieber von als in der Liebe sprechen, die Männer umgekehrt. « – »Nein,« (sagte Liane entschieden) »wenn mich meine Mutter fragt, so kann ich nicht unwahr sein.« »Gott!« (rief Albano erschrocken aus), »wer könnte auch das wünschen?« Denn auch ihm war freie Wahrheit der offne Helm des Seelenadels; nur sagte er sie bloß aus Selbstachtung, und Liane sie aus Menschenliebe.

Rabette kam mit dem Tee-Zeug und einer Flasche, worin für den Hauptmann Tee-Mark und Elementarfeuer oder Nervenäther war, Arrak. Er ging ungern am Morgen zu Leuten, bei denen er ihn erst am Abend trinken konnte; Rabette hatte gestern diese Unart gemeint und heute befriedigt. – »Wie kann das freie Ich« (sagte der gesunde Albano oft zu ihm) »sich zum Knechte der Sinnen und Eingeweide machen? Sind wir ohnehin nicht enggebunden genug durch die Körper-Bande, und du willst noch Ketten durch die Ketten ziehen?« – Roquairol hatte darauf immer dieselbe Antwort: »Umgekehrt! Durch Körper befreie ich mich eben von Körpern, z.B. durch Wein von Blut. Sobald du aus der Leibeigenschaft der leiblichen Sinne nie herauskannst und all dein Bewußtsein und dein Denken nur durch körperliche Dienstbarkeit, die auf dem Grundstück der Erde haftet, bei ihrem Adel bleiben: so seh' ich nicht ab, warum du nicht diese Rebellen und Despoten recht zu deinen Dienern brauchst. Warum soll ich den Körper nur schlimm auf mich wirken lassen und nicht ebensowohl vorteilhaft?« – Albano blieb dabei, das stille Licht der Gesundheit sei würdiger als die Mohnöl-Flamme[367] eines Opiums-Sklaven; und die körperliche Kriegsgefangenschaft, die unser Geist mit der ganzen menschlichen Mannschaft leide, sei ehrenvoller als der persönlich-krummschließende Arrest.

Indes heute konnte nicht einmal das spirituöse geschwefelte Teewasser eine gewisse Unbehaglichkeit aus Roquairol verwaschen, den das Nachtwachen bleicher, wie den Grafen feuriger gefärbt hatte. Es wollt' ihm nicht recht gefallen, daß der Herrschaftsgarten ganz in den Rahmen eines mannshohen Bretterverschlags eingezogen war, der weniger wie eine Billardsbande den Augapfel nicht hinaus-, als wie eine Marktschreierbude nichts hereinlassen sollte und der freilich keine andere Aussicht gewährte als die eigne Ansicht; ebensowenig erhielt der Lustgarten dadurch seinen Beifall, daß die Rasenbänke in der Laube, wo sie saßen, noch nicht gemäht waren – daß auf allen Beeten nur Einfassungsgewächse des Kochfleisches wehten – daß noch nichts Reifes dahing als ein paar Maulwürfe in ihren Hängsterbebetten – daß an einer Kugelbahn, worauf man in ein klingelndes Mittelloch kegelt, die schräge Retour-Rinne die Kugeln leichter wieder einwandern ließ, als sie über das Ackerland der Bahn (wenn man sie nicht warf) wegzubringen waren, und daß nirgends Orangerie zu sehen war, ausgenommen einmal, da zum Glücke die Gartentüre offen stand, als eben auf einem Schiebekarren ein blühender Orangeriekasten nach Lilar vorüberfuhr.

Der Hauptmann brauchte diese Züge bloß satirisch vorzutragen und damit die äußerlich lachende Rabette innerlich zu verwunden – weil keine den Tadel ihrer körperlichen Absenker verträgt, es seien nun Kinder, Kleider, Kuchen oder Möbeln124 –: so konnten sich seine Berghöhen allmählich wieder entwölken, und Rabette konnte noch ungemeiner fröhlich sein.[368]

Albano war in dieser Tags-, gleichsam Kindheits-Frühe und in diesem Paradiesgärtlein seiner Kinderjahre heimlich-froh denn in der ersten Liebe kommt, wie in Shakespeares Stücken, nichts auf die bretterne Bühne ihres Spieles an –; aber der heutige Nachwinter der gestrigen Erkältung wollte doch nicht schmelzen. Die Morgenbläue wurde mit immer hellern Gold-Flocken gefüllt – er machte, da der Garten wie kleine Städte nur zwei Tore hatte, das obere und untere, wie eine Aurora dieses der Morgensonne auf – der Glanz quoll über das dampfende Grün herein die unten ziehende Rosana faßte Blitze auf und warf sie herüber – Albano schied endlich voll Liebe und Seligkeit.

Aber die Liebe war größer als die Seligkeit.

121

Titan I. B. S. 80.

122

Am Hofe des Königs Olaus bot sich der Königsjüngling Olo, als Landmann gekleidet, der Tochter zum Schutze gegen Räuber an. Damals galt Feuer der Augen und Adel der Gestalt als Beweis einer hohen Abkunft; so erkannte z.B. die Suanhita den König Regner in der Hirtentracht an der Schönheit seines Auges und Gesichts. Die Königstochter blickte prüfend in Olos Flammenauge und kam der Ohnmacht nahe; sie versuchte den zweiten Blick und war ohne Besinnung, und bei dem dritten in Ohnmacht. Der göttliche Jüngling schlug daher das Augenlid nieder, enthüllte aber die Stirn und sein goldnes Haar und seinen Stand. S. der Deutsche und sein Vaterland von Rosenthal und Karg I. S. 166, 167.

123

Denn was man Licht nennt, ist nur stärkeres Weiß. Niemand sieht nachts den Lichtstrom, der vor der Erde vorbei von der Sonne auf den Vollmond hinaufstürzt.

124

Dieses wärmere, zartere, furchtsamere, immer gelobte, mehr in fremder als eigner Meinung lebende Geschlecht sticht ein Tadel giftig, der uns nur blutig reißet, wie verletzende Tiere in warmen Ländern und Monaten vergiften, und in kalten nur verwunden. Daher bedenke der Mädchenschulmeister, daß eine Dosis, welche Satire auf den Knaben ist – der ohnehin der Meinung widerstehen soll –, Pasquill wird, wenn sie seine Schwester einbekommt.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 360-369.
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