das sechste Kapitel
über die mittelmärkische oder wirtschaftliche Geschmack-Zunge

[375] zu machen, aber nur kurz; denn ihre eigenen Rezensionen sind ihre Sachbeschreibungen. Auch alterniert und kommuniziert sie mit der französischen sehr; nur daß sie, wenn diese den Gesellschafter abdruckt, gar nur den Pfahlbürger nachdruckt. Was begehrt nun der reichdeutsche Stilistiker von der Dichtkunst?

Gombauld im 68. Epigramm seines 1. Buchs antwortet darauf so:


Si l'on en croit un certain Duc,

Qui philosophe à la commune,

La Substance n'est rien qu'un suc,

Et l'Accident qu'une infortune.[375]


Das Musenpferd soll ihm nämlich ein Kunstpferd sein, es soll wissen, sich tot zu stellen, auch anzugeben, wie viele Personen in der Gesellschaft sind und wie wenige noch jungfräuliche, und sonst viele Fragen zu beantworten. Die Poesie soll den gesunden Menschenverstand, viele gelehrte Kenntnisse, ganze Wissenschaften (z.B. den Ackerbau oder die Georgica), besonders feine Seelenlehre und Menschenkenntnis, überhaupt das Licht samt eindringenden Moralien in Verse und dadurch in Umlauf bringen, nebenbei ihren Mann ernähren (Setzer und Packer ohnehin) und gerade dadurch desto stärker für das Gedächtnis arbeiten, daß sie ihm durch ihre Anmut alles tiefer einprägt. »Ich kann mir« (schrieb mir neulich ein märkischer Stilistiker, der weder ein Alt- noch Neu-, sondern Mittel-Märker ist, um überall die Mittelstraße zu gehen) »für eine Dichtkunst, die etwas Höheres sein will als ein bloßes mit dem Braten ausgeteiltes Gelegenheit-Gedicht bei einer Brautsuppe oder einem Geburttagkuchen, keinen edlern Zweck gedenken als den, ein längerer versus memorialis zu sein und so durch die untern Kräfte mehr, als man denkt, den obern der Prose vorzuarbeiten. So trägt sie wenigstens unter ihren Flügeln etwas und hält, wenn das Gleichnis edel genug ist, wie ein gebratener Kapaun unter dem rechten den Magen, unter dem linken die Leber, diese beiden größten Glieder des Lebens. Daher bin ich für meinen Ort dafür (und ich denke, preußische Staatwirte gewiß auch), daß durchaus Poesie auf allen preußischen Gymnasien und Lyzeen fortgetrieben werde, etwa z.B. nach der ›kurzen Anleitung zur deutschen Dichtkunst für die ersten Anfänger, bei Grau in Hof‹, wenigstens so lange, bis nützliche Kenntnisse allgemein verbreitet sind; dann (aber wann ist dies zu hoffen?) mag sie entbehrlicher sein, nicht sowohl für den Philologen von Handwerk als für den Geschäftmann. Doch der Philologe bringt und schickt die Dichtkunst nur, gleichsam wie ein Postamt die gelehrten Zeitungen, weiter, ohne vom Inhalte besondere Notiz zu nehmen, so wie die gereiften Holländer alle französischen Ketzereien und Badinagen gut verlegten, setzten und absetzten, ohne sich im geringsten in ihren stillen Schlafröcken in ein lächerliches Badinieren oder Philosophieren hinreißen[376] zu lassen. Der rechte benützende Leser wird ohnehin mit den sogenannten blumigen Auen der Dichtkunst so umzugehen wissen wie das vom ähnlichen Instinkte geleitete Weidevieh mit den Herbstwiesen, welches das nährende Gras rein abbeißet, allein ohne nur die giftigen Zeitlosen (welche auch wie poetische Blumen erst in einem künftigen Frühling Früchte ansetzen sollen) anzurühren. Der feine Mittelmärker kennt, lieber Poet, den zauberischen Venus-Gürtel der Dichtkunst so gut als irgendein Gürtler, der ihn gemacht; aber er weiß auch, Guter, daß der schöne Gürtel etwas enthalten, wie jede Geldkatze, und dazu, wenn auch nicht von Pfund-, doch von Lotleder sein muß. Wollen wir denn hier in Berlin etwas anders? Die Poesie, wollen wir bloß, soll nur nicht wie Tieck und andere Romantiker den Vögeln gleichen, welche nur singen und immer ohne Zweck dasselbe wiedersingen aus bloßem Mai-Kitzel; verständlich reden soll sie, wie schon der Star, welcher spricht wie jeder von uns. Urteilen Sie aber selber, Sie Unbefangener!«

Ich tat es und bedauerte im Antwortschreiben niemand als Gott, welcher, falls er die Welt nicht poetischer nehme als ein Märker, die höchste Langweile schon an unserem Beten, Reden und Singen ausstände, weil wir für Ihn ja doch in allem Vögel wären, z.B. Kuckucke, welche ihm ewig dasselbe vor- und wiedersingen.

– So viel ich sehe, meine Herren, ist der allgemeine deutsche bibliothekarische Ausschuß fortgegangen und der Ordinarius hintennach. Vielleicht büßet dadurch eine gewisse Freimütigkeit, womit man den Abwesenden das nächste Kapitel zu lesen hat, nichts ein. Vorleser säumt daher nicht mit dem Lesen des

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 375-377.
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