Schifferlied

[193] Schon hat die Nacht den Silberschrein

Des Himmels aufgetan:

Nun spült der See den Widerschein

Zu dir, zu dir hinan!

Wach auf, Marian!


Und in dem Glanze schaukelt sich

Ein leichter dunkler Kahn,[193]

Der aber trägt und schaukelt mich

Zu dir, zu dir hinan!

Wach auf, Marian!


Ich höre schon den Brunnen gehn

Dem Pförtlein nebenan,

Und dieses hat ein frisches Wehn

Soeben aufgetan.

Wach auf, Marian!


Ich fühle, wie die Erde schwellt

Zum Himmel leis hinan;

Nach Liebe dürstet alle Welt –

Mein Schifflein, leg dich an!

Wach auf, Marian!


Dies Lied hat mir ein Bursch gemacht,

Der fuhr in meinem Kahn;

Er hat's für dich und mich erdacht,

Bet für ihn, Marian!

Wach auf, Marian!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 193-194.
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