Herbstnacht

[194] Als ich, ein Kind, am Strome ging,

Wie ich da fest am Glauben hing,

Wenn ich den Wassern Blumen gab:

Sie trügen all zum Meer hinab! –


Es hält die schwarzverhüllte Nacht

Unruhig auf den Wäldern Wacht,

Weil nun der Winter, kalt und still,

Doch tödlich, mit ihr ringen will.
[194]

Es rauscht und weht das weite Land,

Geschüttelt von des Sturmes Hand,

Es rauscht von Wald zu Wald hinauf,

Entlang des Stromes wildem Lauf.


Da schwimmt es auf den Wassern her;

Wie ein ertrunknes Gnomenheer

Schwimmt Leich an Leiche, Blatt an Blatt,

Was schon der Streit verschlungen hat.


Das ist das tote Sommergrün,

Das zieht zum fernen Weltmeer hin –

Ade, ade, du zarte Schar,

Die meines Herzens Freude war!


Sing's in die Niedrung, dunkle Flut:

Hier oben tobt ein heißes Blut,

Wie Heidefeuer einsam glüht,

An dem die Welt vorüberzieht.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 194-195.
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