Rot

[286] »Blut ist ein ganz besondrer Saft!«


»Ich bin rot und hab's erwogen

Und verkünd es unverweilt!

Und geköpft sei jeder, welcher

Das Prinzip nicht mit mir teilt!«


Also in des Baders Stube

Hört ich einen, der dies sprach,[286]

Eben als 'nem feisten Bäcker

Jener in die Ader stach.


Und des Blutes muntrer Bogen

Aus dem dicken drallen Arm

Fiel dem Sprecher auf die Nase,

Sie begrüßend freundlich warm!


Bleich entsetzt fuhr er zusammen,

Wusch darauf sich siebenmal;

Doch noch lang rümpft' sich die Nase,

Fühlt' noch lang den warmen Strahl.


Eine Ros' im Wetterscheine

Sah ich blühen brennend rot;

Einen Becher sah ich glühen,

Der noch tiefre Röte bot!


Aber rief etwa die Knospe

Vorher, daß sie rot wollt sein?

Schrie der junge grüne Weinstock:

Ich will geben roten Wein?


Nein, der ewig goldengrüne

Baum des Lebens tut das nie,

Das tut nur die ewig graue,

Graue Eselstheorie!


Manches Brünnlein mag noch springen

In das Gras mit rotem Schein;

Doch der Freiheit echter, rechter

Letzter Sieg wird trocken sein.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 286-287.
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