Achter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg.

[85] Dresden den 16ten May 1771.


Ich schrieb Ihnen, mein theuerster Wohlthäter! in meinem letzten Briefe,1 wie sehr ich in allem Betracht Ursache habe von dem Zustande zufrieden zu seyn, in welchen ich jetzt – Dank sey es Ihren großmüthigen Bemühungen! – versetzt worden. Ich bin nun würklich schon so zu Hause in den Geschäften, welche mir meine angetretene Bedienung vorschreibt, als wenn ich viel Jahre darinn gearbeitet hätte.

Ich sage dies nicht zum Lobe meiner Geschicklichkeit, denn es ist in der That unglaublich,[85] wie wenig dazu gehört, in einem Collegio den gewöhnlichen Strich von Arbeiten mitzuhalten; und weiter wird ja nichts verlangt, im Gegentheil! man würde sich vielleicht sehr schlecht empfehlen, wenn man es versuchen wollte, sich vorzüglich auszuzeichnen.

Wenn daher nur jeder wüßte, zu welcher Laufbahn ihn das Schicksal bestimmt hat; so glaube ich, man könnte auf Universitäten eine Menge unnützer Dinge zur Seite liegen lassen, die viel Zeit und Geld zu erlernen kosten, und uns oft in der Folge zu gar nichts nützen. Wie mancher studiert drey Jahre lang die römischen Rechte, und ist nachher, mit einem weitschweifigen juristischen Styl, und einer völligen Unwissenheit von dem Zustande des Landes und der Landwirthschaft, der elendeste Rath bey dem Cammercollegio, und der Gottesgelehrte, der voll orientalischer Sprachkenntniß steckt, predigt, wenn er Landpriester wird, den Bauern unverständliches Zeug vor.[86]

Ueberhaupt halten die sogenannten Brodstudien manchen ab, solche Wissenschaften zu treiben, deren Einsicht dem Menschen in jeder Situation Nutzen und Freude schaffen, den Kopf aufklären, und zu allen übrigen Geschäften tüchtig machen. Dahin rechne ich hauptsächlich Mathematik, Naturkenntniß und Sprachen. Was aber Philosophie betrifft; so denke ich fast, man sollte darinn gar keine fremde Systeme studieren. Ich glaube, wir würden sehr viel tiefere Blicke und kühnere Schritte thun, wenn nicht früh unsere Gedanken in ein Fuhrwerk gesetzt, und auf einen Weg gebracht würden, der am Ende grade dahin führt, wohin schon so Viele vor uns her gereiset sind.

Ein anders ist es mit Wissenschaften, wo Erfahrung auf Erfahrung gegründet werden muß; aber da, wo es blos auf Scharfsinn und intellectuelle Kraft ankömmt, da sollte man dem Menschen das Originelle nicht nehmen. Denn eben daher kömmt es, daß wir[87] seit einigen tausend Jahren so wenig wahrhaftig neue Wahrheiten gefunden haben, und daß wir die Bücher derjenigen Leute für Unsinn halten, die ihren eigenen Weg gehn; weil wir nemlich einmal an eine conventionelle Gedankenreihe gewöhnt sind, und jeder kühne Absprung davon, uns aus unserm Concepte bringt.

Nun etwas von meiner kleinen häuslichen Einrichtung! Ich bewohne ein Paar recht artige Zimmer am Markte, in der Neustadt. Vor mir sehe ich die vergoldete Bildsäule des Königs August II., welche der Stadt den Hintern zeigt, und eine lange Allee von Lindenbäumen, welche nach dem schwarzen Thore zu führt. Zuweilen mache ich denn so meine Betrachtungen, wie viel mehr sich ein Fürst verewigt, wenn er, so wie der große Friedrich, denen Männern, welche dem Vaterlande treue, wichtige Dienste geleistet haben, Ehrensäulen errichtet, als wenn er bey seinen Lebzeiten, aus Furcht, man[88] mögte es nach dem Tode vergessen, sein eigenes Bild auf den Markt hinpflanzt.

Sie wissen, mein gnädiger Herr! daß ich den jungen Wallitz, sobald seine Mutter zur Erde bestattet war, hierher geholt habe. Weil ich nun nicht Platz genug in meiner Wohnung hatte, so miethete ich ihm ein Zimmer in einem Hause ohnfern dem Jägerhofe. Er scheint zufrieden mit seinem Zustande, und ist auch glücklich genug hie und da, durch Unterweisung und durch literarische Arbeiten für die leipziger Buchhändler, etwas zu erwerben. Also, hoffe ich, soll es schon gut gehn.

Mein Präsident läßt mir sagen, ich sollte in einer Stunde zu ihm kommen. Er ist ein würdiger Mann, der sich allgemeine Ehrerbiethung und wahres Zutrauen zu erwerben weiß. Es giebt Leute, die man nur bewundern kann, ohne sie zu lieben, und andre, an welche uns eine geheime Sympathie[89] fesselt, ohne daß wir eben würden sagen können, was gut an ihnen ist. Aber dieser Mann herrscht über den Verstand so wie über das Herz aller derer, die mit ihm in Verbindung stehen. Ich schmeichele mich seiner Zuneigung, und bin stolz darauf; Nicht weil ihn das Schicksal zu meinem Cheff gemacht hat, sondern weil er ein besserer und klügerer Mensch ist, als ich, und die Ordnung der Dinge will, daß man dem hervorstechenden wahren Verdienste huldige.

Vor zehn Tagen war ich in Hernhut, und sahe die Einrichtung der Brüdergemeine. Ich habe immer eine große Achtung für dies stille, gute Völkgen gehabt. Man sage was man will; so ist es gewiß, daß sie das Mittel gefunden haben, unter sich ruhig und glücklich zu leben, und das Interesse der Einzelnen an das Interesse des Ganzen zu binden. Der elende Unterschied der Stände, das Uebergewicht des Reichthums, der Jammer der Armuth, der Luxus – Alle diese traurigen[90] Verderbnisse fallen doch bey ihnen weg, und also auch eine Menge unglücklicher Leidenschaften, die unaufhörlich an uns Andern nagen, uns zwingen alles auf unsern Privatvortheil anzupassen, und allen esprit public in unsern Seelen verlöschen.

Es wäre lächerlich zu behaupten, es gäbe deswegen keine schlechte Menschen unter ihnen; Aber das ist doch zuverläßig wahr, daß ihre innere Einrichtung sie davor sichert, daß die Verirrungen einzelner Menschen nicht den Plan im Ganzen zerrütten können.

Zinzendorf war gewiß ein großer Mann, und vielleicht würde man dies noch lebhafter fühlen, wenn man seine geheimen Plane, oder wie er demnächst mit seinem Häuflein auf die übrige Welt würken wollte, genauer wüßte.

Es ist mir unbekannt, was für Köpfe jetzt an der Spitze des Systems sind; aber[91] davon bin ich überzeugt, daß man mit einer mäßigen Anzahl also abgerichteter, auf Einen Ton gestimmter Leute sehr viel würken lann, und daß man damit eine der europäischen Welt so höchst nöthige moralische Revolution, ohne alle Gewalt, durchsetzen könnte.

Wir arbeiten leider! täglich mehr daran, alle Bande aufzulösen, und in weniger als hundert Jahren werden wir die schrecklichen Folgen davon fühlen. Verstünden nur die Regenten ihr Handwerk! Mein Gott! man kann ja mit den Menschen machen, was man will. Unmerkliche, kleine, sichre Anstalten können ungeheure Würkungen hervorbringen – Eine Uniform, eine Nationalkleidung, ein allgemeines Nahrungsmittel, ein nomen collectivum, flössen einen esprit de corps ein, und binden Tausende, daß sie thun, was sie nicht thun würden, wenn nicht diese kleinen Gleichförmigkeiten unter ihnen herrschten; und ich bin sehr überzeugt, daß unsre künstlichen Armeen viel öfterer in der Schlacht[92] aus einander laufen würden, wenn sie nicht einerley Röcke trügen. Wußten die ersten Erfinder grausamer, unnatürlicher Maschienen solche listige Mittel recht gut zu nützen, warum sollte man dieselben nicht zu Durchsetzung edlerer Endzwecke gebrauchen können?

Es freuet mich innigst zu hören, daß nun auch unser redlicher Commerzierrath Müller Hofnung hat, in dänische Dienste zu kommen – Ach bester Herr! Sie sind unser Aller Wohlthäter, der Schöpfer unsres Glücks – Wie können wir Ihnen je genug danken! Doch, der bessere Lohn ist in Ihrem Herzen. Hätten wir nur den armen Carl wieder! Wie zufrieden wollten wir seyn!


Ich küsse Ihnen die Hände


Meyer.

Fußnoten

1 welcher sich aber, nebst einigen andern, nicht findet.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 94.
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