Neun und zwanzigster Brief.

An den Herrn Hauptmann von Weckel in München.

[278] Urfstädt den 12ten December 1771.


Es freuet mich, mein lieber Freund! daß Ihnen München so wohlgefällt.1 Ich habe auch manche fröhlige Stunde dort verlebt. Sie werden einen angenehmen Winter daselbst zubringen; Die Menschen sind sehr gesellig, und man wird bald mit ihnen bekannt.

Sie haben sehr Recht, wenn Sie München weit über Manheim setzen. Wenngleich diese Stadt nicht ganz nach einem einförmigen Plane gebauet ist; so sind doch viel[278] schöne Gebäude darinn, und die größere Bevölkerung (indem die drey bis vier Stockwerk hohen Häuser bis unter das Dach hinauf bewohnt sind) macht München für jemand, der lieber Menschen als leere Häuser sieht, sehr interessant. Ich habe immer mit großer Freude des Morgens den Getraidemarkt gesehen. Es giebt wenig Städte in Teutschland, die einen solchen Anblick darstellen.

Es ist wahr, die Kirchen sind zum Theil schön gebauet und verziert, aber doch werden Sie gestehen, daß die Theatiner Hofkirche ekelhaft mit Zierrathen überladen ist; Die Jesuitenkirchen haben sonst den Ruf solche Puppen-Schrank-ähnliche Sächelgen zu zeigen.

Eine ungeheure Menge Grafen werden Sie in Bayern finden, vermuthlich noch von Carl des Siebenten Zeiten her, in dessen Macht es stand, dergleichen nach Gefallen zu machen.[279]

Ich bin nicht Ihrer Meinung in Ansehung der Vergleichung, welche Sie zwischen Nymphenburg und Schwetzingen machen. Jenes zeigt so viel einfache Größe, da ich hingegen hier manches Spielwerk antreffe. Ja! der ungekünstelte, einförmige Hofgarten bey München hat für mich unendlich viel Reiz. Ueberhaupt aber gestehe ich gern meine große Partheylichkeit für eine Stadt, in welcher ich so herzlich vergnügt gewesen – Und welche entzückend schöne Gegend ist nicht von der einen Seite, am Iser-Flusse!

Ihre hypochondrische Laune macht Sie unbillig, wenn Sie über den Mangel an Toleranz in catholischen Ländern klagen. Ich kann Ihnen dagegen eine sehr demüthigende Annecdote aus einer protestantischen Provinz erzählen, einer Provinz, die noch dazu gern in dem Rufe der höchsten Aufklärung seyn mögte. Daselbst wollte sich in der Hauptstadt ein reicher Jude festsetzen, und hatte schon von der Landesregierung die Erlaubniß[280] ein Haus zu kaufen. Unglücklicherweise lag das Haus, so der Jude zu seinem Eigenthum machte, nicht weit von einem lutherischen Bethause. Ein alter Geheimerrath erfuhr dies, und that Vorstellung: es werde denen Christen, welche in die Kirche gehn wollten, Aergerniß geben, wenn ein verdammter Israelite so nahe bey ihrem Gottesdienste wohnte. Man fand diese Einwendung gerecht, und verlangte der Jude solle sich eine andre Wohnung wählen. Aber dieser war klüger, und gieng, müde unter so intoleranten Leuten zu leben, mit seinem Gelde an einen andern Ort.

Sorgen Sie nur ja Alle für Ihre Gesundheit. Es muß jetzt grimmig kalt in Bayern seyn. Das Clima ist schon rauher; Doch habe ich dort immer im Winter viel anhaltend reines heitres Frostwetter gefunden, wenn es bey uns abwechselnd regnigt war.[281]

Morgen werde ich nach ... gehn, um den .... Hof zu sehen, welcher dahin kömmt. Ich bin sonst der Mann nicht, welcher diese Art Menschenkinder aufsucht, und gern hohen Herrschaften Cour macht. Aber diese sind so herrlich gute Menschen. Ich habe kürzlich noch von der Erb ..... einen Zug erfahren, der ihrem edlen Herzen große Ehre macht. Ihr größtes Vergnügen war Music, und sie hatte dort einen Capellmeister, der ihr manche frohe Stunde machte, an einem Orte, wo sie sich ohnehin wenig andre Zerstreuungen und gesellschaftliche Freuden verschaffen konnte. Es starb aber der Leibarzt, und hinterließ eine arme Witwe mit einer unversorgten Familie. Der regierende Herr konnte diesen Leuten keine Pension geben, deren schon zu viel auf seinen Cassen lagen. Dies jammerte die gute Erb .... Sie empfahl also ihren Capellmeister einem andern Hofe, und würkte ihm eine gute Versorgung aus. Sobald alles damit richtig war, ließ sie ihn zu sich kommen, und sagte[282] ihm mit Thränen in den Augen: »Ich trenne mich ungern von Ihm; Seine Music und sein Unterricht waren eines meiner größten Vergnügen; Aber es kömmt hier auf Unterstützung einer verlassenen Familie an. Ich habe kein Geld dazu; Deswegen habe ich mich überwunden, Ihm eine andre Stelle zu verschaffen, wo Er noch besser als hier besoldet wird, und muß Ihn von mir lassen, um Seinen Gehalt der armen Witwe anzuweisen.« Ein solcher Zug ist sehr selten. Wo finden Sie viel Fürstinnen, die fähig wären, so ihr Vergnügen der süßen Pflicht wohlzuthun aufzuopfern?

Grüßen Sie Ihre Reisegesellschaft und unsre lieben Freunde in München herzlich von mir, und schreiben bald


Ihrem

treuen

Leidthal.

Fußnoten

1 Hier und bis zu Ende dieses Theils fehlen viel Briefe.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 284.
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