Anhang.

Zu dem Gesicht oder denen Augen.

[174] Von den Spieglen / Perspectiv und Augen-Gläsern.


Nachdeme ich nun von den Augen selber genugsam gehandlet hab / will ich auch von einigen nutzlich und kunstreichen Erfindungen / welche zur Beyhülff der Augen sehr dienlich seynd / etwas melden.41 Dergleichen aber seynd die Kunst-Spiegel / Perspectiv, und Brillen zu machen.

Wohl und recht hat geredt / wer es immer aus den Weltweisen geredt hat / da er gesprochen: Sicut Oculus est Speculum naturæ, ita speculum est oculus artis. Gleichwie das Aug ein Spiegel der Natur ist / also ist der Spiegel ein Aug der Kunst / und gleichwie die Kunst sich befleisset der Natur fast alles nachzuthun / also thut sie es absonderlich in Erfindung der so schönen nutzlichen Spiegel / dann obwohl der Spiegel nur ein zerbrechliches Stuck Glaß ist / so thut er doch alle ihm vorkommende Objecta und Bildnussen / vast eben als wie das Menschliche Aug gantz lebhafft repræsentiren und vorstellen.[174]

Der Spiegel ist ein getreu- und unverfälschter Zeug und Rathgeber / er betriegt nicht / und lasset sich nicht betriegen / sonder zeiget alles / wie es in sich selber ist / an.42 Die Kohl-schwartze Federn des Raaben / und die Schneeweisse des Schwanen / die schändliche Runtzlen einer häßlichen Xantipe sowohl als die Milch und Rosenfarbe Wangen der schönsten Pandoræ, einem jeden zeigt er an / was in seiner Gestalt / Kleydung oder Gebärden zu loben oder zu schelten / zu ändern oder zu verbessern seye / ohne alle Schmeichlerey / und auch ohne Beneydung oder Feindseeligkeit / er ist gantz unpartheyisch. Deßwegen hat sich wohl unbillich über den Spiegel beklagt und erzürnt jenes alte Weiblein / welches in der Jugend sich in dem Spiegel als zimlich wohlgestalt gesehen hat / hernach aber erst über 50. Jahr lang wiederum darein geschaut (da es schon gantz runtzlet /wüst und zahnlucket ware) und gesagt: man mache die Spiegel bey weitem nicht mehr so gut und so schön / als wie mans vor 50. Jahren gemacht habe. Besser / doch auch lächerlich genug hat es gemacht ein gewiser anderer mir wohl bekannter / welcher / als er neben viel andern seines gleichen in eines fürnehmen Herrn Zimmer / selbiges zu besichtigen / ist eingelassen worden / da hat er in einem grossen Spiegel einen bleichen / mageren und unansehnlichen Menschen gesehen / aber nicht recht gekennt / sonder gezweifelt / ob er es selber seye oder nicht (dann sein Stand und Condition erforderte eben nicht offt in den Spiegel zu sehen) er gedenckte ihm also / er wolle sich mit dem Haupt bewegen / und wann es der im Spiegel auch also mache / so seye er es selbst / wo nicht / so seye es ein anderer / aber der im Spiegel hat es eben auch also gemacht / worauf er über sein unansehnliche Persohn und übles Aussehen / einen solchen Eckel und Verdruß geschöpfft / daß er sich selbsten nicht mehr in dem Spiegel hat sehen mögen / sonder eylends hinter die andere sich verborgen hat / daß ihne nur die Leuth nicht mehr im Spiegel sehen können.

Aber vast eben also ergehet es uns mit unserem eigenen Gewissen / welches gar wohl mit einem Spiegel kan verglichen werden / weilen es uns gantz klar und unlaugbar all unsere Fehler und Mängel / all unser Thun und Lassen vorstellet / wir können ihm nicht entgehen oder uns darvor verbergen / wir müssen uns selbsten in diesem Spiegel sehen / wir wollen oder wollen nicht.43 Simiæ & vetulæ, die Affen und alte Weiber haben ein natürliches Abscheuen vor dem Spiegel / weilen er nehmlichen ihnen ihre schandliche Runtzlen zeiget.

Auch der Sünder sihet nicht gern in den Spiegel seines Gewissens / weil es ihme seine Laster und Untugenden vorhält und in der Stille verweiset. Aber sie thäten viel besser / wann sie dem Weltberühmten Wohlredner Demosthenes nachfolgten; dann dieser hatte einen Spiegel / (glaublich von geschliffenem Stahl oder dergleichen / dann die Kunst Glas zu machen / ware damahls noch nicht erfunden) der so groß ware / als er selbsten / und so offt er bey einer grossen Versammlung eine Oration halten / oder eine offentliche Red ablegen muste / da stellte er sich vor seinen Spiegel / als den getreuesten Rathgeber / er besichtigte sich von Fuß auf gantz eben / ob nichts in seinem Angesicht / in seinen Kleydern oder Gebärden sey /welches zu tadlen / oder denen Zuhörern mißfällig wäre / und wann er etwas unanständiges gefunden hat / da bemühete er sich alsobald selbiges zu verbessern. Durch dieses Mittel aber hat er soviel zuwegen gebracht / daß seine Red ein absonderliche Krafft und Nachdruck hatte / er konnte seine Zuhörer bereden und bewegen zu was er wollte.44 Eben also / sage ich / sollten es die sündige Menschen machen / und so offt sie vor GOtt und seinen Heiligen wollen erscheinen eine Bitt abzulegen / oder ein Gnad zu erhalten /da sollten sie zuvor fleißig in den Spiegel ihres eigenen Gewissens schauen und erforschen / was darinn unreines / was in den Begierden unordentliches / und GOTT mißfälliges seye / die Fehler zu verbesseren /[175] und die Mackel abzuwaschen / alsdann wurde das Gebett ein grosse Krafft und Nachdruck haben.

Der weise Seneca hat gesprochen / die Spiegel seyen erfunden / auf daß der Mensch / der durch das Aug alle andere Ding sihet und erkennt / durch den Spiegel auf sich selbsten sehe und erkenne.45 Der Kayser Augustus hat noch in seinem letzten End (weiß nicht aus was Ursachen) ihme einen Spiegel herbey zu bringen befohlen. Auch wir sollen absonderlich vor unserm letzten End fleißig in den Spiegel unsers Gewissens schauen / und sehen wie unsere Seel beschaffen seye / ob sie würdiglich vor GOtt erscheinen möge.

Die andere dem Gesicht dienliche Erfindung bestehet in der Kunst / die Perspectiv oder Fern-Gläser zu machen. Das Perspectiv aber ist 1. 2. 3. 4. mehr oder minder Schuh langer Tubus oder Rohr / in welchem einige geschliffene nach den Reglen der Optic oder Sehens-Kunst zubereitete Gläser ordentlich eingesetzt seynd / durch welche man folgends weit entlegene Ding / zum Exempel / ein Hauß oder Schiff etc. auf etliche Stund / oder auch etliche Meil weit sehen /oder erkennen kan / als wann sie gantz nahe vor einem da stunden / welches gewißlich ein nicht unnutzliche Curiositæt ist.

Im sittlichen Verstand kan durch das Perspectiv oder Fern-Glaß die Vorsichtigkeit verstanden werden; dann Providentiæ est proprium procul videre, der Vorsichtigkeit / oder einem Vorsichtigen ist eigenthumlich in die Weite hinaus / ins künfftig hinaus zu sehen / und die künfftige Zufäll ihme selbst gegenwärtig vorzustellen / sich darnach zu richten und darein zu schicken können.46

Die Commendanten in einer Vestung / oder bey einem Kriegs-Heer in dem Feld / ja auch auf dem Meer pflegen sich guter Perspectiv zu bedienen / den Feind und seine Bewegung oder Vorhaben zu verkundschafften oder zu beobachten. Eben also sollen auch wir in dem Krieg dieses zeitlichen Lebens und auf dem Meer dieser Welt durch die Tugend der Klugheit und Vorsichtigkeit den Feind / das ist / die bevorstehende Ubel und Gefahren des Leibs und der Seelen verkundschafften und betrachten / um denenselben zeitlich vorbiegen oder begegnen zu können / und die nothwendige Cautiones und Mittel anzuwenden.

Doch seynd die Perspectiv auch in so weit betrieglich / weil sie kleine und weit entlegene Ding als groß und nahe vorstellen / hingegen aber groß und nahe als klein und weit entfernet / nachdem sie nehmlich applicirt / und der engere oder weitere Theil an das Aug gehalten wird.47 Und in diesem zeigen sie an die falsch betrogene Welt / welche ihren Liebhabern und Anhänger groß und schwere Ding / ich will sagen /grosse und schwere Sünden nur wie klein und ring /nahe Gefahren des Tods und der Höllen / als weit entfernet vorstellet / und hingegen klein und noch weit entfernte Sachen / zum Exempel zeitliche Güther und Welt-Freuden / leere Hoffnungen etc. als groß und schon gegenwärtig vormahlet.

Die dritte Beyhülff eines blöden Gesichts oder schwach- und trüber Augen seynd die sogenannte Brillen oder Augen-Gläser / durch welche man annoch in dem hohen Alter füglich lesen und schreiben kan / auch kleine Sachen deutlich sehen und entscheiden / welches man sonst vermög der Augen alleinig gar nicht thun konnte. Eben also wann unser Verstand und Erfahrenheit (so das Aug der Seelen ist) zu schwach und blöd ist etwas zu erkennen / oder das Böse von dem Guten / das nutzlich von dem Schädlichen zu unterscheiden / da sollen wir gute Räth und Ermahnungen annehmen / (welche die sittliche Augen des Gemüths schärpffen / und den Abgang ersetzen) und ohne dieselbe uns nicht einlassen.48 Wie geschrieben stehet: Fili sine consilio nihil fac, & post factum non pœnitebis.49 Ohne Rath thue nichts /so wird es dich nach der That nicht reuen. Durch guten Rath und Ermahnung eines verständigen und wohlerfahrnen Manns sihet und findet der Schwächer oder[176] Unverständige / was er sonst nie gesehen / oder erkennt hätte / gleichwie man durch die Augen-Prillen siehet / was man sonst nicht sehen kunte.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 174-177.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Robert Guiskard. Fragment

Robert Guiskard. Fragment

Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.

30 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon