Der 2. Absatz.

Von dem Gehör oder den Ohren.

[177] Der zweyte aus den äusserlichen 5. Sinnen ist das Gehör / dessen Organum aber das Ohr: das eigenthumliche Objectum oder Gegen-Satz des Gehörs ist der Schall oder Thon eines Cörperlichen Dings / absonderlich die Stimm eines Thiers oder Menschens; dann dem Ohr gehört es zu / unterschiedliche Stimmen zu unterscheiden / das Lachen und das Weinen /das Jautzgen und Seufftzen / das Bellen und das Kräen / auch den Glocken-Klang und Trompeten-Schall etc.

Das menschliche Ohr ist nicht weniger verwunderlich in seiner Structur oder Beschaffenheit / als das Aug.50 Es hat zwey Theil / den äusserlichen und innerlichen. Der äusserliche ist / welcher ausserhalb dem Kopff herab hanget / einen halben Circul machet / und bestehet in geruntzleten oder gestrichleten Crösplen / die innerhalb ausgehölt seynd / den Thon desto leichter zu empfangen / und denselben gleich einem Trachter in den inneren Theil des Ohrs einzutragen. Und dieses hat die vorsichtige Natur also geordnet / damit das Ohr / wann es ein pures Fleisch wäre / nicht schandlich herab lampete / oder den Men schen am Ligen verhinderte / wann es ein hartes Bein wär / und sich nicht biegen ließ. Der innere Theil ist beine / hat unterschiedliche krumme Gäng / oder Ränck und Höhlen (damit der Lufft und starcke Schall nicht zu gehlingen und zu hefftig / oder auf einmahl in das innerste des Ohrs eintringe und dem Gehör schade) auch ein und anderes leichtes / subtil und trucknes Häutlein / wie ein Pergament oder kleine Trommel ausgespannt / welches alles zum würcklichen Hören dienet und vonnöthen ist. Doch ist dieses nocht nicht die gantze und vollkommne / sondern nur obenhin angezeigte Beschreibung des Ohrs.

Das Ohr / durch welches die Stimm zu dem Gehör eingehet / kan auf die Prediger ausgedeutet werden /durch welche die Stimm des Wort GOttes und der Heil. Schrifft dem sittlichen Leib der Catholischen Kirchen zukommt: dann gleichwie dem Ohr eigenthumlich ist die Stimmen zu unterscheiden / ob sie hoch oder nieder / grob oder zart / traurig oder frölich seye etc. also sollen die Prediger unterscheiden / welche Lehr gut und rein / oder schädlich und unrein / lobens oder scheltens würdig seye / welche Wort und Stimmen warhafft und aufrichtig oder falsch / häuchlerisch und betrüglich seyen etc.51 Nonne auris verba dijudicat, & fauces comedentis saporem. Prüffet nicht das Ohr die Red / und der Mund die Speiß? sagt der Job. c. 12. v. 11. Ferners / gleichwie das leibliche Ohr / damit es die Stimm recht vernemmen / und die Wort verstehen möge / muß aufmercksam seyn / und auf kein Geräusch oder Getümmel Achtung geben / also muß ein Prediger auf das Wort GOttes wohl Achtung geben / versammlet und aufmercksam seyn / was GOtt in Geheim und in der Still zu ihm rede: zu disem Ende soll er sich von dem unruhigen Welt-Getümmel absönderen / und entäusseren. Widerum / gleichwie ein gar zu starck und hefftiger Schall oder Thon dem Gehör schadet / und hingegen ein gar zu stille Stimm nicht wohl zu verstehen ist / also ist ein Prediger / wann er gar zu streng und zu scharpff prediget / denen Zuhörern schädlich: hingegen wann er gar zu gelind und gütig ist / schafft er auch keinen Nutzen. Deßwegen soll er auf die Mittelmäßigkeit beflissen seyn.

Sonsten wird gemeiniglich in Heil. Schrifft / wie Berchorius V. auris anmercket / durch das Ohr oder Gehör die Tugend des Gehorsams und fleissigen Aufmerckens verstanden: dann gleichwie das Ohr auf fremde Stimm und Reden mercket / erwegt / und urtheilt / was geredt werde / also ist der[177] Gehorsam allzeit aufmercksam auf die Stimm / auf den Befehl GOttes und der Obern / mit Begierd und Fleiß denselben zu vollziehen.52 Auf einen solchen hurtig und bereitwilligen Gehorsam zielet ab mein Heil. Vatter Benedictus, indem er haben will / daß die Untergebne alles / was sie in Händen haben / sollen ligen lassen /und so bald sie die Stimm oder den Befehl des Obern hören / eilends denselben zu vollziehen sich befleissen.53 Von einem so vollkommnen gehorsam steht geschriben: In auditu auris obedivit mihi:54 Er gehorchet mir mit gehorsamen Ohren.

Andere Sinn seynd zu Zeiten versperrt / die Augen und der Mund geschlossen / die Nasen verstopffet /aber die Ohren stehen allzeit offen / dardurch anzudeuten / daß wir allzeit sollen bereit seyn / den Willen GOttes / den Befehl der Oberen / die gute Lehren /Zuspruch und Ermahnungen / die Verheissungen und Betrohungen GOttes / ja auch die Correctiones oder Bestraffungen williglich anzuhören und anzunemmen. Sit omnis homo velox ad audiendum, tardus autem ad loquendum.55 Ist die Ermahnung des Heil. Apostels Jacobi: Ein jeglicher Mensch soll schnell seyn zum Hören / und langsam zum Reden. Deßwegen auch die Natur dem Menschen 2. Ohren zum Hören /und nur einen Mund zum Reden geben hat.

Ferners ist zu beobachten / daß der Mensch aufrechte / und nicht gegen der Erden abhangende Ohren habe / dardurch anzudeuten / daß er mehr auf die himmlische als irrdische Stimm und Lehr hören und Achtung geben solle.

Ein gescheider Zuhörer / sagt Hugo à S. Victore höret alle gern an / er verachtet weder die Person noch die Lehr: er suchet bey allen / und nimmt von allen an / was er vermerckt / das ihm abgehe.56 Er betrachtet nicht / was und wie viel er wisse / sondern was und wie viel er nicht wisse. Wann ein Durstiger nur ein gesundes frisches Wasser zu trincken hat / so ist er wohl zu frieden / und fraget wenig darnach durch was für einen Canal oder Deuchel es hergeloffen seye: Eben also solle man die Wahrheit und das Wort GOttes willig und gern anhören / mit Gleichgültigkeit aus was es immer für einem Mund ausgeflossen seye.

Ein grosse Thorheit wäre es / wann einer / der Wein oder Korn zu kauffen gesinnt ist / mehr auf das Faß oder den Sack / ob er schön und wohlgemacht seye / als auf den Wein und die Frucht selber Achtung gebe: eben also ist es sehr unweiß und unbillich / daß man mehr auf die Person / Wohlredenheit und Action des Predigers / als auf das Wort GOttes / und die Lehr / so er vortragt / Achtung gebe. Die es also machen /seynd gleich denen jenigen / welche auf den Marck gehen / unterschiedliche Waaren besichtigen / nur damit sie anderen darvon erzehlen können / indessen aber gar nichts einkauffen / sondern mit leeren Händen widerum davon gehen.

Die Ohren sollen offen stehen / aber nicht allen /sie sollen anhören / aber nicht alles ohne Unterschied: dann die Ohren seynd die Thür des Hertzens; gleichwie nun die Hauß-Thür guten Freunden allzeit offen stehet / hingegen vor den Feinden und verdächtigen Personen fleißig versperrt wird / also sollen auch die Ohren offen stehen der Stimm GOttes / dem Befehl der Oberen / denen Ermahnungen guter Freunden /dem Zuspruch der Prediger und Beicht-Vätter / von welchen Christus im Evangelio sagt: Der euch höret /höret mich.57 Hingegen sollen sie verschlossen seyn /und kein Gehör geben denen Schmeichlern und Ohren-Blasern / denen Verläumder- und Ehrabschneidern etc. da heist es: Sepi aures tuas spinis, & noli audire verbum nequam etc.58 Verzäune deine Ohren mit Dörnern / und höre keine böse Zungen an / mach deinem Mund Thüren / und deinen Ohren ein Schloß. Also hat es in solchen Gelegenheiten der David gemacht / wie er von sich selber bezeuget: Ego tanquam surdus non audiebam, & sicut mutus non aperiens os suum. Ich aber ware wie ein Tauber / ich hörte nicht / und wie ein Stummer /der seinen Mund nicht aufthut.[178]

Wann ein Garten mit Dörneren umzäunt ist / da steigen die Dieb nicht leicht ein / und auch die schädliche Thier kommen nicht hinein: wann aber diß nicht geschiehet / wann er bloß und offen stehet / da laufft alles hinein / und die Früchten werden weggeraubt. Eben eine solche Beschaffenheit hat es mit dem menschlichen Hertzen / und mit der Bewahrung oder Verwahrlosung der Ohren.

Der Heil. Apostel Paulus klaget über die jenige /welche das Gehör abwenden von der Wahrheit / und sich zu denen eitlen Fabeln kehren.59 Der Prophet Jeremias hat solche zum Guten verstopffte / und zum Bösen offen stehende Ohren genennt / aures incircumcisas, quæ audire non possunt.60 Unbeschnittene Ohren / die nichts hören mögen / nemlich /was ihnen nicht gefallt / nichts von ihren Untugenden / Fähler und Mänglen / nichts von ihrer Schuldigkeit gegen GOtt und denen Menschen / nichts von Nothwendigkeit der Gedult / Buß und Tugendwercken etc. Wohl aber und gar gern thun sie hören von ihrem eignen Lob und Ruhm / von dem Wohlleben / von eitlen Welt-Freuden / von hohem Ansehen / und fürwitzigen Geschicht- und Fablen etc.

In gewissen Insulen der Landschafft Scythia soll es einige Menschen geben / Onesii genannt / welche so lange Ohren haben / daß sie den gantzen Leib darmit bedecken können / auf dem einen Ohr liegen sie zu Nachts / und mit dem andern decken sie sich zu. Aber es gibt wohl hin und wider Menschen / welche so lange Ohren haben / daß sie dieselbige nicht nur über ihren gantzen Leib / sondern über das gantze Land in alle Weite ausstrecken / indem sie aus unersättlichem Fürwitz alles / was hin und wider geschieht / wissen und hören wollen: sich folgends in alles einmischen /und sich selbsten unnutzlich beunruhigen / und vielfältig mit neuen Zeitungen / oder vielmehr mit neuen Mährlein und Lugenwerck betriegen und betrogen werden.61 Dann wie Thales, ein Weltweiser / als er befragt wurde / wie weit die Wahrheit von der Lugen entfernt seye / gab er gar recht zur Antwort / so weit als die Augen von den Ohren: Er wolte sagen: was man selbst mit Augen sehe / das möge man wohl sicher glauben / nicht aber alles / was man nur mit Ohren höret.

Als Ulisses mit seinen Gesellen über Meer schiffete / da stelleten ihm die betrügerische Sirenes oder Meer-Fräulein nach / sie suchten ihn mit ihrem lieblichen Gesang einzuschläffern / seiner selbst vergessend zu machen / und alsdann das Schiff umzustürtzen / und ihne zu Grund zu richten. Aber er brauchte die Klug- und Vorsichtigkeit / daß er ihme selbsten und seinen Gefährten die Ohren mit Wax verstopffet hat / damit er die Sirenes nicht hören / und von ihnen möchte eingenommen werden / und auf solche Weiß ist er dem Untergang glücklich entrunnen.

Dergleichen betrüglich und verführerische Sirenes seynd die Versuchungen des bösen Feinds / das Liebkosen der falschen Welt / und das Schmeichlen der bösen Gesellschafften: wider diese alle sollen wir uns bewaffnen durch die Behutsamkeit / und die Ohren des Gemüths verstopffen durch die Forcht GOttes und der Höllen etc. so lang wir auf dem gefährlichen Meer dises zeitlichen Lebens schiffen.

Absonderlich sollen die Ohren wohl zu brauchen wissen alle Richter und Obrigkeiten / damit sie nicht dem einen zu viel / und dem andern zu wenig Gehör und Glauben geben: dann qui credit cito, levis est corde,62 der zu viel glaubt / wird leichtlich betrogen. Das eine Ohr mag er wohl dem Ankläger vergönnen /das andere aber soll er dem angeklagten bevor halten /audiatur & altera pars. Was aber die Wahrheit selbsten anbelangt / so sollen wir selbe mit beyden / ja mit begierigen Ohren empfangen und aufnemmen /von wem sie immer gesagt und vorgetragen wird.

Gewiß ist es / daß nichts einen so schönen Klang oder Thon von sich gebe / als eben die Wahrheit / und dannoch klinget sie nicht wohl in den Ohren den Unvollkommnen / sie ist ihnen unangenehm / ja verdrießlich zu hören / [179] veritas odium parit, die Wahrheit ist verhast / und machet verhaßt / absonderlich bey grossen Fürsten und Herren.63 Wie es ein Calistenes bey dem grossen Alexandro, Joannes Baptista bey dem König Herodes, ein Joannes Chrysostomus bey der Eudoxia, ein Thomas Morus bey Henrico, und tausend andere wohl erfahren / welche alle wegen der glatten und unverschwigenen Wahrheit das Leben eingebüßt haben. Besser lautet es in denen Ohren der grossen Herren / wann man ihnen fein schön thut das placebo singen / oder wann die musicalische Instrumenta annemmlich erklingen. Von welchen seyn soll der nachfolgende Anhang.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 177-180.
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