Anhang.

Von denen fünff Sinnen ins gemein.

[193] Da bey dieser Materi ist noch anzumercken / daß die fünff äusserliche Sinn denen Menschen und mehristen Thieren gemein seynd.99 Ja ein Theil der Thieren übertreffen die Menschen in einem oder anderen Sinn / laut jener bekannten Versen:


Nos equus auditu præcedit aranea tactu,

Vultur odoratu, linx visu, simia gustu.


Der Lux den Menschen überwindt

Am Gsicht / das Pferd am Ghör:

Beym Affen bessern Gschmack man findt /

Der Geyer riechet mehr:

Ein zärters Fühlen hat die Spinn /

So scharff nicht seynd des Menschen Sinn.


Aber in diesem ist ein grosser Unterschied / daß die unvernünfftige Thier nur lediglich dem Sinn nachgehen / und selben nach ihrem Lust gebrauchen: der Mensch aber soll durch die Vernunfft seine regieren /selbe nutzlich gebrauchen oder anwenden / und ihnen nichts Ungebührliches zulassen.100 Die menschliche Sinn seynd Knecht und Mägd der Seelen / dieser sollen sie gehorsamen / und in Ubung guter Wercken getreu und fleißig mitwürcken / auf daß sie verdienen /samt ihr ewiglich belohnet zu werden.

Die fünff Sinn seynd gleichsam die Thür und Thor / durch welche alles / was gut und böß ist / das Leben und der Todt zu der Seel eingehet / deßwegen sollen sie fleißig und mit aller Behutsamkeit bewahret werden.101 Sie seynd jene fünff Talenta, welche uns der himmlische Haußvatter übergeben und anvertraut hat / darmit zu negotiren oder handlen / das ist / selbe zu seiner Ehr / zu der Seelen Heyl / und Auferbauung des Nächsten anzuwenden: von welchen wir ihme auch zu seiner Zeit genaue Rechnungschafft erstatten müssen etc.

Wie daß wir nutzlich und verdienstlich mit unseren fünff Sinnen negotiren sollen / lehret uns der geistreiche Ludovicus Blosius: Aus Liebe JEsu Christi / sagt er / der für dich so viel gelitten hat / thue auch was übriges / und sage ab denen Ergötzlichkeiten und Lustbarkeiten der Sinnen: da du gern etwas sehen /hören / riechen / kosten oder anrühren möchtest / gedencke / daß du nicht der reitzenden Sinnlichkeit /sondern der Vernunfft und GOTT / der in dir redet /müssest nachkommen und gehorchen. Die Augen /fahret er weiters fort / das Gehör / die Zungen sollest du fleißig bewahren / daß sie sich nicht ausgiessen /noch zu verbottenen / eitlen / unnützen Dingen wenden. Sehr wachtbar und behutsam must seyn / daß du nicht mehr oder anderst redest / als sich geziemet. Gleichwie man bey einer Vestung zu Kriegs-Zeiten starcke Wachten haltet / und niemand zu den Thoren einlasset / der nicht zuvor wohl examinirt ist / und seinen Paß auflegen kan / also / will Blosius haben /daß bey denen Thoren unserer Sinnen gute Wacht gehalten werde / und nichts weder aus- noch eingelassen / was verdächtlich oder unanständig ist / und dieses wegen der Gefahr / daß nicht die Vestung / das ist /die Seel verrathen / und dem Feind übergeben werde.

Ein schöne Gleichnuß und Sitten-Lehr von denen fünff Sinnen bringet herbey der gottseelig- und hocherleuchte Jacoponus, welche der berühmte Scribent Benignus Kybler S.J. in seines Wunder-Spiegels zweyten Theil fol. 140. schier auf folgende Weiß anfüget.102 Ein adeliche und wohlgestalte Jungfrau hatte 5. Brüder / welche aber von gering- und schlechten Mittlen waren: sie hingegen hatte ein kostbares Kleinod von grossem Werth.[193]

Aus denen fünff Brüdern ware einer ein Musicant /der andere ein Mahler / der dritte ein Apothecker / der vierdte ein Koch / der fünffte ein freyer Buhler. Der Musicant kame zu seiner Schwester / und sprach: Meine Schwester / du weist / in was Armuth ich stecke / ich bitte dich / komm mir zu Hülff / und gib mir dein Kleinod / meine Armuth zu bereichen / und mein Leben zu erhalten. Dieses kan nicht seyn / gab die Schwester zur Antwort / massen ich selber dessen höchstens bedürfftig bin / und es nicht gerathen kan. Ich will dir aber / wendet der Bruder ein / was anderes darfür vergelten / und zu Gefallen thun. Was da? fraget sie / ich will dir aufmachen oder aufspielen / sagte er / so lang es dir beliebt: ja / es wäre schon recht /sprach die Schwester / wann es aber aus / und das Gesang oder Saiten-Klang vorbey ist / was hab ich alsdann darvon / mit was soll ich mich ernähren? fort mit dir / so närrisch bin ich nicht / daß ich meinen kostbaren Schatz so liederlich verschertze: vielmehr will ich mir einen guten Heurath dardurch zuwegen bringen /und mich mein Lebtag darmit versorgen.

Nachdeme der Musicant abgewiesen war / kame der der Mahler daher / meldet sich um das Kleinod an / und verspricht auch ihr die schönste und herrlichste Kunst-Stuck oder Gemähl darfür zu geben. Die Jungfrau aber weiset ihn so wohl als den ersten ab / mit eben dergleichen Entschuldigung / daß sie vom blossen Anschauen nicht leben könne. Es kommt hierauf der Apothecker / und bietet seiner Schwester die beste Confection, den lieblichisten Bisam und Balsam an etc. deßgleichen der Koch die beste Speisen und delicate Schlecker-Bißlein / sie solle ihnen doch ihr schönes Kleinod darfür lassen zukommen. Der Buhler endlichen anerbotte ihr einen gantzen Hauffen der Liebhaber zu kuplen / welche ihr allerhöflichst aufwarten / und zu Diensten stehen sollen. Es ware alles nur um das schöne Kleinod zu thun / selbiges ihrer Schwester abzuschwätzen: sie aber / wie billich /wolte sich durchaus nicht darzu bereden lassen: und der Buhler bekame vor anderen den Korb / und wurde und abgeschafft; die kluge Jungfrau verbliebe Frau und Meisterin über ihren so werthen Schatz.

Nicht lang hernach meldet sich ein König selber an / und begehrt von der Jungfrau das Kleinod zu haben: sie aber laßt sich auf folgende Weiß gegen ihm vernehmen / und sagt: Euer Majestät in aller Gebühr unterthänigst aufzuwarten / sollen sie gleichwohl wissen / daß ich auf der gantzen Welt nichts liebers / und nichts anders / als dieses einzige Kleinod oder Edelgestein besitze; dises ist all meine Freud und Reichthum / wann dann Ihro Majestät selbiges so hoch verlangen / möchte ich zuvor auch gern wissen / was sie mir hingegen darfür zu geben gesinnet seyen? Worauf der König geantwortet: daß er entschlossen seye / sie zu seiner Gemahlin anzunemmen / mithin zu einer Königin zu machen / und in einen vollkommnen glückseeligen Stand zu setzen. An statt der Morgen-Gab solle sie alles haben / was sie immer zur beharrlichen Glückseeligkeit wünschen und erdencken könne.

Auf dieses besinnet sich die Jungfrau nicht lang /sondern bedancket sich höchstens gegen dem König und sagt / daß sie niemahl was anders gesucht und verlangt habe / als solche Belohnung; sie wolle gern all ihren Schatz daran wenden / wann sie nur eines so so mächtigen und reichen Königs Lieb und Freundschafft neben so grossen versprochenen Gütern beharrlich geniessen könne. Es ware also der Contract geschlossen / das Kleinod dem König würcklich eingehändiget / die Jungfrau in höchste Würde und Glückseeligkeit eingesetzt / mit Versicherung / dieselbe immer und allzeit zu geniessen.

Diese Gleichnuß hat Jacoponus auf folgende Weiß erklärt und ausgelegt. Die Jungfrau / sagte er / ist die Seel / das Kleinod / der freye Willen / die fünff Brüder seynd die 5. Sinn des Menschen; der Mahler ist das Gesicht / der Musicant das Gehör / der Geruch der Apothecker / der Geschmack[194] schmack oder das Kosten ist der Koch / und endlichen das Greiffen oder Antasten der Buhler / welcher Sinn vor anderen die Krafft hat zur Ungebühr oder zum Muthwillen anzureitzen. Diese alle bewerben sich / die Seel zu verfüren / und sie um ihren Schatz / um ihr Heyl und Freyheit zu bringen. Die Augen und die Ohren eröffnen dem verbottenen Wollust die Thür und Thor / die andere Sinn helffen ihn vollbringen. Der König aber ist Christus ein Bräutigam der keuschen Seelen. Nun wäre die Jungfrau / die Seel ja sehr thorrecht / wann sie ihren Schatz oder Kleinod / das ist / ihre Freyheit und ihre Lieb einem aus denen 5. Werberen um so schlechten Preiß / um einen kurtz- und schnöden Wollust vertauscht / und dem König entzogen hätte etc. Es wolte also der gottseelige Mann sagen und anzeigen / daß durch die Talenten der fünff Sinnen die ewige Güter oder den Himmel zu erwerben / derselben Innhaltung und Abtödtung höchstens vonnöthen seye: und daß man nicht gleich / wann der Mahler /das Gesicht kommt / und einen schönen Apfel / als wie der Eva / oder ein schönes Weibsbild / als wie dem David / oder ein Stuck Geld / als wie dem geitzigen Achan vorweiset / solle darein platzen / und sich darvon bethören lassen / und der Willen ja darzu sagen: Wann schon der Spielmann die Saiten rühret /soll man nicht gleich die Füß lupfen / zu springen und tantzen anfangen: wann schon der Koch dem Geschmack die niedliche Schlecker-Bißlein anerbietet /soll man doch nicht gleich mit allem dem Maul zufahren etc. sondern vielmehr die Sinn zuruck- und innhalten / als wie der Reuter das Pferd mit dem Zaum /oder der Waidmann den Hund mit dem Strick innhaltet: Und dieses solle geschehen aus Liebe GOttes / der an all seinen fünff Sinnen und gantzen Leib so viel für uns gelitten hat. Dieses heißt mit denen uns von GOTT verlyhenen 5. Talenten der fünff Sinnen wohl negotiren / und die ewige Güter / den Himmel dardurch einhandlen.[195]

Fußnoten

1 Was und wie viel innerliche Sinn seyen.


2 Des menschlichen Augs Fürtrefflichkeit und wunderliche Structur oder Beschaffenheit.


3 Zwey sittliche Augen der Seel seynd der Glaub und die Vernunfft.


4 Nothwendigkeit diser Augen.


5 Deut. c. 15. v. 21.

Levit. c. 21. v. 20.


6 Das Aug ist das edliste Glied.


7 Eccli. c. 23. v. 28.


8 Die Augen seynd ein Sinnbild der Göttlichen Weißheit und Allwissenheit.


9 Der Göttliche Anblick ist bald günstig / bald ungünstig.


10 Psal. 32. v. 18.


11 Amos c. 9. v. 9.


12 Eccli. c. 17. v. 13.


13 Die Gegenwart GOttes soll man wohl zu Gemüth führen: und was für Krafft es habe?


14 Die Krafft der Göttlichen Augen wird ferners beschrieben.


15 Durch die Augen werden die geistliche Obrigkeiten beditten.


16 Ihr Pflicht und Amt / oder wie sie sollen beschaffen seyn.


17 Job. c. 29. v. 15.


18 1. ad Tim. 4. v. 2.


19 Reg. c. 2.


20 ad Ephes. c. 5. v. 23.


21 Psal. 37.


22 Die Augen seynd gefährlich / und verursachen viel Schaden.

Tren c. 3. v. 51.


23 Eccli. c. 31. v. 15.


24 Judith. c. 9. v. 13.


25 Behutsamkeit der Augen ist sehr nothwendig.


26 Matth. c. 5. v. 29.


27 Exemplen diser Behutsamkeit.


28 Psal. 118. v. 37.


29 Eccli. c. 2. v. 14.


30 Prov. c. 17. v. 24.


31 Unterschiedliche schadhaffte oder beschädigte Augen.


32 Eccli. c. 14. v. 8.


33 1. Reg. c. 18.


34 Psal. 17. v. 28.


35 Eccli. 14. v. 9.


36 Cant. c. 6. v. 4.


37 Ein ungeschickt- und närrischer Liebhaber.


38 Historia.


39 Prov. c. 4. v. 25.


40 Psal. 118. v. 35.


41 Die Spiegel seynd das Aug der Kunst / seynd schön und nutzlich.


42 Sie seynd getreue und unverfälschte Zeugen und Rathgeber.


43 Das eigne Gewissen ist gleich einem Spiegel.


44 In den Spiegel des Gewissens sollen wir fleißig schauen.


45 Lib. 1. Natur. q.c. 17.


46 Die Vorsichtigkeit ist gleich einem Perspectiv.


47 Die falsche Welt gleichet einem Perspectiv.


48 Guten Rath soll man annehmen.


49 Eccli. c. 32. v. 24.


50 Wunderbarliche Beschaffenheit des menschlichen Ohrs.


51 Das Ohr oder Gehör wird auf die Prediger des Wort GOttes ausgedeutet.


52 Der Gehorsam wird mit dem menschlichen Ohr verglichen.


53 Reg. c. 5.


54 Psal. 17. v. 45.


55 Jacob. c. 1. v. 19.


56 Das Wort GOttes soll man gleichgültig von einem jeden anhören.


57 Die Ohren soll man bewahren und wohl in Obacht nemmen oder recht brauchen.


58 Eccli. c. 28. v. 28.


59 2. Tim. c. 4.


60 Jerem. c. 6. v. 10.


61 Das Gehör ist betrüglich und gefährlich.


62 Eccli c. 19. v. 4.


63 Die Wahrheit ist / und macht verhaßt.


64 In wem die Music bestehe / oder wie sie beschaffen sey?


65 Lobsprüch und Nutzen der Music.


66 Verwunderliche Krafft der Music über die Thier und Menschen.


67 1. Reg. c. 16.


68 Historia von einem sehr virtuosen Harpffenisten.


69 Krafft der Music in Kranckheiten.


70 Alterthum und Hochschätzung der Music.


71 Gen. c. 4. v. 21.


72 Das Gesang ist GOtt und denen Menschen angenehm.


73 Die Music solle zur Ehr GOttes gerichtet werden und nicht zur eitlen Ehr.


74 Die Music will nicht allen gefallen.


75 Die Music soll man mäßig und mit Bescheidenheit brauchen.


76 Psal. 150. v. 3. etc.


77 Viel unterschiedliche musicalische Instrumenten.


78 Der Geruch ist der mittlere aus den 5. Sinnen.


79 Die Nase wird beschrieben.


80 Woher das Niessen komme.


81 Die Nasen und guter Geruch wird auf die Andacht ausgedeutet.


82 Eccli. c. 39. v. 18.


83 Cant. c. 1. v. 3.


84 Die Nasen bedeutet die Klugheit und Fürsichtigkeit der Oberen.


85 S. August. de moribus Eccles.


86 Das Lob des Schnupff-Tabacks ist unbeschreiblich.


87 Joseph. Loncin. im Christl. Weltweisen part. 5. f. 414.


88 Der starcke Mißbrauch des Schnupf-Tabacks wird getadlet.


89 Ein geistlicher Schnupf-Taback ist die Gedächtnuß des Todts.


90 Woher das Taback-Rauchen komme.


91 Sitten-Lehr aus der Taback-Pfeiffen gezogen.


92 Wie das Kosten oder Versuchen geschehe.


93 Der Geschmack wird auf die Discretion und Bedachtsamkeit ausgedeutet.


94 Wie der geistliche Geschmack verderbt werde.


95 Num. c. 11. v. 5.


96 Wie der fünffte Sinn beschaffen seye.


97 Durch das Fühlen wird die Lieb angezeigt.


98 1. Cor. c. 13.


99 Die 5. Sinn seynd den Menschen und mehristen Thieren gemein.


100 Wie die 5. Sinn sollen bewahret und angewendet werden.


101 Sitten-Lehr von der 5. Sinnen behutsamen Gebrauch.


102 Die 5. Sinnen werden mit 5. Brüdern verglichen /welche die Seel zu verführen suchen.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
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