Der 5. Absatz.

Von dem Schaaf oder Lamm.

[361] Das Schaaf ist ein gantz schwach- oder wehrloses und einfältiges / aber auch recht unschuldiges / sanfftmüthig- und gedultiges Thier / fruchtbar / und nutzlich zu dem menschlichen Gebrauch.58 Schwach und wehrloß ist es / weilen es weder Hörner hat zum Stossen / weder scharpffe Zähn oder scharpffe Klauen zum Beissen und Reissen / noch starcke Huff zum Schlagen. Es wird zwar mit 2. vorderen Zähnen gebohren / deßwegen es auch bidens, das ist / zweyzähnig genennet wird / aber diese seynd zu nichts / als das Gras abzufretzen von der Natur gewidmet: aber eben darum wird es ins gemein ein unschuldiges Thier / ein unschuldiges Lämmlein genennet / weil es nemlich niemand / weder Thier noch Menschen schadet. Es ist gar nicht arglistig als wie vil andere Thier / und trauet allen / die sich freundlich gegen ihm stellen. Die Gedult und Sanfftmuth aber des Lamms oder Schäfleins belangend / so ist selbe nicht nur Welt-bekannt / sondern auch in H. Schrifft höchst gepriesen /indem der Sohn GOttes selber mit einem gedultigen Lämmlein mehrmahlen verglichen wird: Ecce Agnus Dei etc.59 Sehet das Lamm GOttes etc. Ego quasi Agnus mansuetus etc.60 Ich ward zur Schlachtbanck geführt wie ein zahmes Lämmlein etc. Und wiederum: quasi Agnus coram tondente se etc.61 wie ein Lamm vor seinem Scherer etc. Es wolte auch[361] Christus haben / daß seine Apostel sollen gedultig und sanfftmüthig seyn in der Trübsal und Verfolgung. Ego mitto vos sicut oves etc.62 Ich sende euch als wie die Lämmer unter die Wölff.

Nutzlich aber seynd die Schaaf / weil sie nicht nur nach dem Todt ihre Haut und Fleisch zum Nutzen und Gebrauch der Menschen dargeben / sondern auch in dem Leben ihre Woll / so offt man will / und so reichlich her spendiren. Es ist auch das Schaaf von Natur gar forchtsam / seine Schwachheit wohl erkennend: deßwegen will es in allweg bey der Heerd seyn / und wann es darvon abgesönderet ist / gibt es mit Schreyen oder Blären seine Begierd zu verstehen / als dessen gantzes Heyl in der Hand und in dem Schutz des Hirten gelegen ist / dessen Stimm es auch kennet / und derselben fleißig nachfolget. Von dem Wolff aber hat es ein natürliches Abscheuen und angebohrnen Greuel / wann es auch sonsten in keiner Gefahr ist. So bald das Lämmlein gebohren ist / fangt es an um die Mutter herum zu springen / und will in allweg bey ihr seyn / und kennet sie aus allen anderen Schaafen /deßwegen es auch Agnus genennet wird ab agnoscendo, vom Erkennen: Es wird auch von keiner anderen /wann es schon hungerig oder durstig ist / als von seiner Mutter saugen.

Das Schäflein ist in allweg ein lebhafftes Ebenbild eines guten frommen Christen (wie dann auch Christus der Göttliche Seelen-Hirt selber die Glaubige und Auserwählte seine Schaaf oder Lämmer zu nennen pflegte) weil ein solcher allzeit solle friedsam / sanfftmüthig und gedultig seyn in der Trübsal und Verfolgung / keinen Neben-Menschen beleidigen und beschädigen / weder mit den Hörneren eines Hoch- oder Zornmuths / weder mit denen Zähn- und Klauen bissiger Wort und Stichreden etc.63 Er solle auch fruchtbar seyn in Ubung der guten Wercken und reichlichen Verdiensten: nutzlich aber der Kirchen GOttes und dem gemeinen Weesen / durch fleißige Vollziehung der Schuldigkeit seines Amts / und in Verrichtung seiner Geschäfften: oder aufs wenigist (wann sich seine Kräfften nicht weiter erstrecken) soll er durch sein eyferiges Gebett einen glücklichen Fortgang denen anderen / die etwas mehrers præstiren können / von GOTT erbitten.

Ferners / ein sittliches Schaaf / ein frommer Christ höret an und erkennet die Stimm seines Hirten / und folget ihm nach (aber keinem anderen) vocem ejus audiunt, & sequuntur eum etc.64 das ist / forderist Christo dem HErrn / seinem Statthalter auf Erden /dem Römischen Pabst / und dann ferners anderen geistlichen Seelen-Hirten und Oberen. Diesen ergibet und überlasset sich das Schäflein / auf daß sie es von dem höllischen Wolff (den es über alles hasset und fliehet) beschütze. Es erkennet seine Mutter / die Catholische Kirch / und nimmt durchaus kein andere Milch / das ist / kein andere Lehr / als von dieser an: es lasset sich auch auf keine Weiß von der Heerd /verstehe von der Catholischen Gemeind abführen oder absönderen.

In dem Alten Testament mußte aus Göttlicher Verordnung täglich am Morgen in der Fruhe / und zu Abends in dem Tempel zu Jerusalem ein unbeflecktes Lamm mit gewissen Ceremonien geopfferet werden /und dieses ware GOtt das angenehmste Opffer.65 Auch ein frommer Christ solle täglich in der Fruhe vor allem aus reiner Meinung und mit reinem Hertzen sich selbsten / und all sein Thun und Lassen GOTT aufopfferen / und mit dem jenigen Opffer vereinigen /welches das unbefleckte Lamm GOttes selber auf dem Altar des Creutzes verrichtet hat.

Aber gleichwie die Sanfftmuth und Gedult des Lämmleins die fürnehmste Eigenschafften / und zugleich auch einem Ordens-Geistlichen absonderlich anständige und nothwendige Tugenden seynd / also scheinet / daß durch die Lämmer vor anderen Catholischen Christen in sittlichem Verstand die[362] Ordens-Geistliche zu verstehen seyen / und mit selben in vilen Dingen übereins kommen sollen.66

Ein Lamm ist leicht zu unterhalten / es kostet nicht vil / und nimmt mit wenigem / mit einer spären oder dürren Waid / oder Büschelein Heu fürlieb / ja wann die Waid gar zu gut und fett ist / da ist sie ihm mehr schädlich als nutzlich / und dannoch hat eine Haußhaltung grossen Nutzen von ihm / alles was an ihm ist / kan man brauchen / die Milch / wann es ein Doggen oder Weiblein ist / die Woll zur Kleidung / die Kälte von dem Leib abzuhalten / das zarte und wohlgeschmacke Fleisch zum Essen / auch seine Haut tauget zu unterschiedlichen Dingen / so man daraus machen kan. Eben also ein guter Religios macht keine grosse Kösten mit seiner Unterhaltung / er lasset sich mit wenig- und schlechtem befriedigen und vergnügen /mit gemeiner Speiß und Tranck / Kleidung und Wohnung: ja ein kostbare und gar zu bequeme Verpflegung wäre ihm nicht nutzlich und anständig / sondern vilmehr schädlich / und der geschwornen Armuth zuwider. Hingegen, aber schafft er gleichwohl grossen Nutzen in dem Hauß GOttes mit Singen / Betten und Betrachten / mit Studiren und Laboriren / mit guten Wercken und Exemplen etc. all sein Thun und Lassen ist ihm und anderen nutzlich.

In dem Sommer / wann das Lamm ein grosse Wollen hat / da lasset es sich gar gern und willig scheren /ja wann man es nicht scheren thäte / so wurde es von der Wollen sehr beschwehret / oder endlich gar versteckt werden. Auch ein Ordens-Geistlicher / wann er zur Sommers-Zeit / das ist / in der zeitlichen Wohlfahrt einen Uberfluß an Kommlichkeit genüsset / da soll er ihm diese überflüßige Wollen willig und gern benemmen lassen / dann sonsten wurde dieselbige sein Gewissen beschwehren / oder gar den Geist der Gnaden in ihm erstecken.

Es hat auch das Lamm diese Art an sich / daß /wann es schon den gantzen Tag auf der Waid gewesen ist / so isset es ihm dannoch nicht genug / sondern erst zu Hauß will es wiederum geessen haben / und ersättiget werden / es eilet nacher Hauß / und liebt seinen Stall / den es gewohnt ist. Eben also das sittliche Lamm / ein guter Religios, wann er schon ausser dem Closter unter den weltlichen Leuthen wohl bewirthet und gehalten wird / wann er schon einen Uberfluß und alle Ehren genüsset / so ist er dannoch nicht ersättiget oder vergnügt darbey / sondern er trachtet immerdar wiederum nacher Hauß in sein Closter / da sucht er seine Zufriedenheit und geistliche Nahrung in der stillen Ruhe und in der geliebten Einsamkeit. Das Schaaf liebet das Saltz / und wann es selbes haben kan / so wird es fett und fruchtbar. Auch ein guter Religios liebet das Saltz der Weißheit / und wann er diese erlangt / so wird er fett / das ist / er nimmt zu in dem Geist / und wird fruchtbar in Fürbringung oder Ubung der guten Wercken. Endlichen /obwohl das Saaf oder Lamm ein einfältiges Thier ist /so weiß es doch gar wohl das Gute von dem Bösen zu unterscheiden: wann vil unterschiedliche Kräuter beysammen oder untereinander stehen / da weiß es die /so ihm gesund und nutzlich seynd / von den schädlichen zu unterscheiden und auszuklauben. Diese Tugend der Discretion oder Unterscheidungs-Krafft ist auch den Ordens-Geistlichen sehr nothwendig / krafft welcher sie die gute und reine Affect oder Anmuthungen und Begierden / von den schädlichen und unordentlichen zu unterscheiden wissen etc.

Noch eines haben die Schaaf oder Lämmer an sich: Sie hören die Music gern / und wann der Hirt mit der Sack-Pfeiffen aufspihlet / da hören sie ihm mit Lust und Freuden zu: aber sie unterlassen darum das Waiden nicht / ja sie essen eben darum desto begieriger zu. Eben also die gute Religiosen lieben und üben die Music / ich verstehe nicht die üppige eitle Welt-Music / sonder das Göttliche Lob- und geistliche Chor-Gesang: unter diesem thun sie ihre Seelen und Gemüther mit himmlischen Anmuthungen waiden etc.[363]

Es möchte einer wohl zweifflen / ob nicht das Lamm sich billich wider die Natur als eine Stieff-Mutter zu beklagen hätte / weil sie es Witz- und wehrloß gemacht hat / daß es ins gemein animal stolidum, imbelle, ein närrisches / ein schwaches Thier genennt wird.67 Aber nein / es hat sich gar nicht zu beklagen: dann was ihm an der Witz und Stärcke abgehet / das ist ihm in anderen Stucken reichlich ersetzt / nemlichen mit seiner Fruchtbarkeit und Holdseeligkeit: inmassen alles / was an dem Schaaf oder Lamm ist / nutzlich und wohl zu brauchen ist / wie schon gemeldet worden.


Carne juvat, pelle, vellere, lacte, fimo.


Das Fleisch und d'Milch des Lamms gut ist /

Die Woll / das Fell / und auch der Mist.


Es ist auch das Lämmlein von Natur ein so holdseelig- und angenehmes Thierlein / daß es jederman liebt und charisirt / man thut ihm schön / und schmeichlet ihm schier wie einem lieben Kind.

Von einem solchen lieben Schäflein erzehlte einstens der Prophet Nathan dem König David: Es ware ein Mann / der hate ein Schäflein ernährt und erzogen neben seinen Kinderen / es aß / sagte er / von seinem Brod / und tranck aus seinem Becher / und schlieff in seiner Schoos etc.68 Als er aber hinzu setzte / ein anderer habe es muthwilliger Weiß umgebracht / da hat sich David also darüber ereyferet und erzürnet / daß er deme / so es gethan / den Todt geschworen hat. Auch der Heil. Franciscus Seraphicus hat ein so grosse Lieb zu einem Lämmlein gezeigt / daß / als er es hat sehen zur Schlachtbanck oder in die Metzg führen / da hat er mit Bitten und Bezahlen angehalten / selbes von dem Todt erlößt und erkaufft / mit sich in sein Closter genommen / und gantz liebreich ernährt und auferzogen. Ja GOTT selbsten hat jederzeit ein Wohlgefallen ab denen Lämmeren gezeigt / indem er vor Zeiten hat verordnet / daß ein Lamm solle das Versöhnungs-Opffer seyn für die Sünd der Menschen / und der Sohn GOttes so wohl sich selbsten öffters mit einem Lamm verglichen / als auch von seinem Vorlauffer und Evangelisten ein Lamm hat nennen lassen. Billichist derowegen sollen wir uns befleissen / die Eigenschafften eines Lamms / absonderlich die Sanfftmuth an uns zu nemmen / auf daß wir auch verdienen von GOTT geliebt / und seinen auserwählten Schäflein beygezehlt zu werden.

Obwohlen das Lamm ein einfältiges Thier ist / so weiß es doch auch von der Gefahr sich zu hüten.69 Dieses hat sich gezeigt / als es mit einem starcken Bock über Feld gegangen / und ihm ein Wolff begegnet ist.70 Diesem haben zwar gleich die Zähn nach dem Schaaf-Fleisch gewässeret / er aber verbarge seinen Schalck / redete es gantz freundlich an / und sprach zu ihm: wo wilst du hin mein guldenes Schätzlein? warum hast du deine liebe Mutter verlassen /und folgest diesem stinckenden Bock nach? kehre wieder um / und komme mit mir / ich will dich schon tragen / wann du müd bist / und dich deiner Mutter wieder bringen: ich weiß wohl / sie hat das Eyter gantz voller Milch / da kanst du nach deinem Belieben saugen. Dieses hat der Wolff gesagt / willens das Lamm / so bald er es alleinig hätte auf die Seiten gebracht / zu verreissen und aufzufressen. Aber / nein sagte das Lamm (den Betrug wohl merckend) du weist wohl / daß man Vatter und Mutter folgen soll. Meine Mutter aber hat mich dem Bock recommendirt / und mir befohlen / ich soll mich von ihm nicht absönderen / sondern ihm nachfolgen / du aber bist ein falscher Freund und ein Betrüger / es ist dir nicht zu trauen etc. Wohl geredt / und recht gethan / den betrüglichen Schmeichel-Worten falscher Freunden soll man niemahl trauen / noch selben einiges Gehör geben: und weilen unser allgemeine Mutter uns dem geistlichen Seelen-Hirten anbefohlen hat / so sollen[364] wir demselben getreulich nachfolgen / und von dem höllischen Wolff durchaus nicht lassen abwendig machen / sonsten seynd wir des Verderbens eigen.

Aber ein andersmahl hat das Schäflein seiner gewöhnlichen Sanfftmuth und aller Behutsamkeit schandlich vergessen / und solches theur genug büssen müssen.71 Dann als es in einem wohlversperrten Hauß zum Fenster hinauß sahe / und auf der Gassen darunten ein Wolff vorbey gieng / da hat es (auf seine Sicherheit sich verlassend) dem Wolff gar böse Wort gegeben / über ihn geschändet und geschmähet / also daß sich die Leuth verwunderet haben. Der Wolff aber sagte: dein böses Maul und böse Wort thäten mich wenig bekümmeren / aber daß die Haußthür so wohl verschlossen ist / das schmertzet mich übel: und eben das macht dich ein so zaghaffte Letfeigen so frech und vermessen. Mithin / weil er je keine Hoffnung hatte das Schaaf zu bekommen / gienge er fort. Das Schäflein aber ist hierdurch noch frecher worden / und hat ihm von neuem vil Schimpff- und Schmachreden angehenckt. Auf welches der Wolff also ergrimmet ist / daß er wieder zuruck / mit grossem Gewalt die Haußthür hat aufgesprengt / und in aller Furi die Stiegen hinauf geloffen ist / das Schäflein aber / als es dieses gesehen / ist es vor Schröcken zum Fenster hinab gesprungen / hat einen Fuß abgebrochen / und gesagt: O wäre ich nicht so gar zu sicher gewesen /so wäre ich sicher bliben! Ja also ist es: Nimia securitas periculosa: Die gar zu grosse Sicherheit ist gefährlich: und der Feind schadet niemahl mehr / als wann man ihn verachtet. Der sich gar zu sicher gedunckt / mißbraucht die Sicherheit / wird frech dardurch und vermessen: ein mäßige Forcht hingegen ist nutzlich / und macht behutsam: deßwegen stehet geschrieben: Beatus homo, qui semper est pavidus, qui autem mentis est duræ, corruet in malum: Seelig ist / der sich allweg förchtet: wer aber hartnäckig ist / wird in Unglück fallen.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 361-365.
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