Ali Baba der Blinde

Ali Baba der Blinde.

[11] Unter den muselmännischen Herrschern war ein sogenannter Khalif, was denn etwas Anderes auch eben nicht bedeutet, als was man jetzt Großsultan nennt, der war Harun Alraschid geheißen, und lebte mit dem berühmten Kaiser Karl dem Großen zu gleicher Zeit. Wenn man vor seinem Thron war, mußte man sich auf gut morgenländisch vor ihm platt auf den Boden mit dem Gesichte und Bauche niederlegen – so etwa, wie ein guter Pudel der kusch macht, wenn ihm der Prügel oder die Peitsche gewiesen wird, und mußte ihn kriechend in allerdemüthigster Demuth »Beherrscher der Gläubigen,« d.h. der Musulmanen (Mahommedaner) nennen, weil diese den rechten Glauben allein hätten. – Nun! bei uns ist, wie Ihr wohl noch künftig lernen werdet, das ganz anders. Da darf man, wenn man Gott und das Gesetz ehrt, gar frei und dreist seine Worte anbringen, nicht nur vor dem Fürsten, wenn man anders vor ihn kommt, denn sonst gehts nicht gut an, sondern auch sogar vor den Ministern und Räthen, wenigstens[11] doch zuweilen. Da bekommt man denn alle Gerechtigkeit, oder vielmehr Gnade, welches ein Wort ist, das Ihr Euch wohl merken müßt, indem es die Gerechtigkeit weit weit aufwiegt, und eigentlich Alles ausnützt! und zwar ganz allein! – Nun? ihr merkt doch wohl, daß ich nur Mährchen erzähle, weil ich so weit und breit es mache – aber, das schickt sich denn einmal nicht anders.


Seine Doppelmajestät, nämlich der Khalif Alraschid, wie wir ihn nun wohl kurz weg nennen dürfen, da er so lange schon todt ist, war ein bischen neugierig, oder auch zuweilen aus langer Weile schwermüthig und ordentlich melancholisch, und wollte Kurzweile haben, oder aber er war, wie man sagt, sehr für die Gerechtigkeit passionirt oder eingenommen, welches denn auch gar nicht zu tadeln ist.

Da nahm er denn gegen Abend oftmals eine Kaufmannskleidung, um zu sehen, wie Recht und Gerechtigkeit gehandhabt würde. Sein erster Minister oder Großvezier, der Glassar hieß, und ein recht tüchtiger Mann scheint gewesen zu sein, und der Oberkammerherr, der Mesrone genannt ward; mußten ebenfalls mit, weil er es haben wollte, und zwar ebenfalls verkleidet. Sie wären wohl manchesmal gern zu Hause geblieben, weil sie des Tags über zu sprechen, schreiben rennen und laufen genug hatten; aber der Khalif wollt' es einmal so haben. So geschah es denn auch, weil er ein Khalif war.

Da kamen denn dem Khalifen in seiner Hof- und Lagerstadt, Bagdad, zuweilen gar seltsamliche Dinge vor.


Einmal kam der Herr Khalif über eine große lange Brücke, an deren Ende ein armer und schon alter blinder Mann saß, der um eine Gabe bat. Der Khalif, der von seinen Unterthanen Geld genug bekommen konnte, gibt ihm, ohne weiter zu untersuchen, ein[12] Goldstück in die Hand. Aber der Blinde faßt nun den Khalifen bei der Hand, und faßt ihn fest.

»Großmüthiger Wohlthäter« sagt er – denn daß er ein Goldstück empfangen hatte, hatte er herausgerochen, oder doch heraus gefühlt – »Großmüthiger Wohlthäter! gebt mir doch ein oder zwei Maulschellen, aber tüchtige, sonst nehm' und mag ich euer Goldstück nicht!«

Der Kalif war, wie Ihr leicht denken könnt, ein gar barmherziger und gnädiger Mann! Ein bischen Aufhängen, Spießen und Kopfabschneiden lassen, das kam freilich alle Tage vor, aber einem Manne ohne Noth eine Ohrfeige geben, und sich damit noch bemühen, das ziemte sich nicht für einen Khalifen. – Er gab ihm einen leichten, ganz leichten Backenstreich! – Aber er wollte doch den närrischen Kauz, der Goldstücke nicht ohne Ohrfeigen haben wollte, näher kennen lernen, und befahl dem Wessir Staffar, dem Blinden zu sagen, wer er sei – – denn das konnte er ja beileibe nicht selbst – – und ihm befehlen, morgen um die und die Stunde vor des Khalifen Thron zu erscheinen. Da kommt denn der blinde alte Mann zu gesetzter Zeit und Stunde, und streckte sich auf Bauch und Gesicht hin, obwohl er eigentlich kaum ein Gesicht mehr hatte, und mußte nun beichten und ansagen, warum er Almosen und zugleich Ohrfeigen von den Leuten erbettle; denn so etwas mußte der Khalif wissen. Da erzählte der Blinde denn also.


»Herr und Beherrscher der Gläubigen!«

Vater und Mutter waren beide gestorben, da ich noch ziemlich jung war, und hinterließen mir ein bischen Vermögen, das ich aber, wie andere junge Leute wohl gethan hätten, keineswegs durchbrachte, sondern, wie ich wußte und konnte, bestens zu vermehren suchte. Ich brachte es auch wirklich dahin, daß ich am Ende, ich selbst ganz allein, 80 Kameele besaß, die ich den Kaufleuten vermiethete, welche[13] in Karawanen1 dahin und dorthin zogen, und womit ich ein gutes Stück Geld gewann.

Ich war nun wohlhabend genug geworden, aber ich wollte nun auch grundreich, grundreich werden, weil ich wohl schon geitzig geworden war. Ich hatte vielleicht schon zu viel, aber dennoch hatte ich noch nicht genug.

So komme ich denn einmal von Balsora mit den Kameelen, auf welchen ich Waaren für Indien (Hindostan) hingebracht hatte, ledig zurück. Da begegnete mir ein Derwisch (ein muhammedanischer Mönch, der sich vom Beten, und hauptsächlich vom Fasten ernährt) und wir sprechen denn mit einander, nehmen darauf unsern Mundvorrath, und essen im Schatten von ein Paar Dattelpalmen, die günstigerweise da standen, wobei wir denn dieß und das sprachen.

Im Gespräch sagt der Derwisch zu mir, er wisse hier, hier ganz in der Nähe einen Schatz, einen so großen Schatz, daß man, hätte man auch meine 80 Kameele von demselben beladen, nicht einmal einen Abgang bemerken würde. Der Schatz enthielte das reinste Gold und die kostbarsten Steine, und eine Menge der allerseltsamsten Seltenheiten. Ach! da wurde mir mein Herz weich, und ich fiel dem herzguten Derwisch um den Hals, und bat ihn mit lieben Worten, die Herrlichkeiten mir, nur zu zeigen. Und, wenn er nun recht hochgütig sein wolle, so könnten wir ja die 80 Kameele mit Gold und köstlichem Gestein beladen und theilen! Er solle 40 Kameele mit ihren Ladungen haben, und ich die andern 40 auch beladen.[14] So hätte er ja dann doch viel, viel mehr, als er allein für seine Person, in Sack und Tasche fortbringen könne! Und alsdann könne er den Armen viel Gutes thun, und den Armen große, große Freude machen, und sich eine Stufe, eine recht hohe Stufe im Himmel bauen, und ich wollt es ihm ewig danken.

Der Derwisch hörte mir recht nachdenklich und bedächtig zu.

»Mein Bruder! sagte der Derwisch zu mir, Euer Wille möge geschehen! Ich selbst, wie Ihr wißt, bedarf des Gutes und Geldes nur wenig; aber ich will mir bei Euch einen Dank verdienen. Kommt, und führt Eure Kameele mit; sie sollen alle beladen werden! – Folgt mir!«

Ich folgte dem Derwisch mit den Kameelen, und wir kamen nach kurzer Zeit an ein geräumiges Thal, ringsum von hohen Felsen umgeben. Nur durch eine recht enge Schlucht konnte man in das Thal kommen, und meine Kameele mußten allesammt einzeln durch die Schlucht geführt werden.

Das Thal war wunderherrlich und wunderschön! Und als die Kameele alle hinein, und an einen gewissen Ort gekommen waren, sagte der Derwisch, »nun haltet an! Laßt sich, damit wir Zeit ersparen, die Thiere auf die Knie legen! (Im Morgenlande muß ja Alles auf Bauch und Knie liegen, um recht sklavisch und demüthig zu sein – selbst die armen Kameele). Wir können sie dann sogleich beladen. Gebt Acht! und thut dann das Eurige!«

Ei! ich gab schon Acht, denn nach den Schätzen war ich begierig! Er las etwas trocknes Holz zusammen, und machte mit Stahl und Stein Feuer an! Dann nahm er Räucherwerk, und legte es auf die hervorbrechenden Flammen, indem er murmelnd Worte dazu sprach, von welchen ich jedoch kein Wort verstand. Darin mochte wohl seine Kunst bestehen! – Er zertheilte jetzt den Rauch der Flamme, mit murmelnden Worten, und in demselben Augenblick zertheilte und zerspaltete sich auch ein himmelhoher, senkrechter Felsen, und es erschien eine[15] große breite Pforte, obwohl ich vorher den kleinsten Ritz, oder die kleinste Klinze nicht gesehen hatte. Die Pforte war ganz aus demselben Felsen gemacht!

Wir gingen durch die Pforte in eine große, sehr, sehr geräumige Höhle ein, in welcher ein herrlicher unterirdischer Pallast war, den wohl die Erdgeister mochten gebauet haben, denn Menschenhände hätten so etwas gewiß nicht bauen können. O! ich wollte, ich hätte mir alles recht sehr angesehen, aber ich konnte ja nicht, denn ich sahe nur nach den großen, großen Goldhaufen, und nach der unzähligen Menge von Kleinodien, und meine Augen wurden verblendet, weil es mein Herz schon war. Ich weiß nur noch, daß die Schätze in ihren Säcken so geordnet und auf einander gelegt waren, als hätte aller Raum, und selbst der kleinste erspart werden sollen.

Wir nahmen die Säcke und beladeten die Kameele damit, und ich hätte gern dreimal so viel auf meinen Theil Kameele geladen, hätten sie es nur zu tragen vermocht. O Beherrscher der Gläubigen, ich gestehe es, daß ich den ganzen unterirdischen Schatz gern, ach wie gern, gehabt hätte. – Aber dazu wären vielleicht statt meiner 80 Kameele, 80,000 erforderlich gewesen.

Der Derwisch griff mehr nach dem edeln Gestein, und sagte mir weswegen und warum? – Und da that ich es ihm freilich nach! Denn ich begriff bald, daß ein einziger Stein wohl mehr werth seyn könne, als zehntausend Goldstücke!

Endlich denn waren wir mit Aussuchen und Aufladen auf die Kameele fertig, und es war denn wohl Zeit, wieder von hinnen zu ziehen. Aber mein Derwisch suchte und suchte unter den Kostbarkeiten, mit großer Sorgfalt, und nahm zuletzt eine wunderherrlich gedrehte Büchse, die er mit großer Bedachtsamkeit und Vorsicht in die Busenfalten seines Gewandes verbarg, nachdem er mir vorher gezeigt hatte, es sei nichts drinnen, als ein bischen Pommade, oder Salbe.[16]

Nachdem Alles geschehen und herausgeholt war, schloß der Derwisch, unter eben so wunderlichem Murmeln und Zeremonien, die große Pforte wieder. Sie klaffte zu, und der Fels war gerade so Fels, wie zuvor! Niemand konnte eine Oeffnung sehen!

Nun theilten wir! Vierzig Kameele nahm der Derwisch, und vierzig nahm ich, und ich war wohl reicher als mancher Fürst des Morgenlandes, Euch ausgenommen, Beherrscher der Gläubigen. Die Büchse, die der Derwisch nahm, war von einem mir ganz unbekannten Holze, und enthielt eine dickliche Salbe, die keinen Geruch zu haben schien.

Unsere Kameele trieben wir nun, eins nach dem andern, zur Thalschlucht hinaus, und ich führte meine vierzig fort, nach Bagdad zu, der Derwisch aber trieb seine vierzig nach Balsora zu. – Wir sagten uns Lebewohl!

Kaum daß er einige hundert Schritt weit fort war, da kamen die bösen Geister des Geitzes, der Habgier, der Undankbarkeit und des Neides und überfielen mich gewaltig. Vierzig Kameele, und mit solchen Schätzen beladen, sollte ich hergeben? Und was will denn ein Derwisch mit solchen Schätzen? Und dieser zumal? Er ist ja Herr und Meister von allen den unterirdischen Kostbarkeiten, die in dem Felsenpalaste verschlossen sind, und kann sich davon nehmen, so viel ihm beliebt. Nein er muß hergeben, im Guten oder Bösen!

»Heda! Halloh! Haltet! mein Bruder,« schrie ich ihm nach, indem ich zugleich ihm nachrannte. Er hörte mich und hielt.

»Mein Bruder, sagte ich, ich habe nicht bedacht, daß die Kameele sehr widerspenstige, störrige Thiere sind, wenn sie einmal ihren Kopf aufsetzen, und Ihr seid des Handwerks ganz ungewohnt, solche Bestien zu regieren. Ich fürchte, Ihr sollt mit dreißigen derselben noch Noth über Noth haben, und gäbt mir noch zehen ab. Ich verstehe, wie man ihren Eigensinn behandeln muß. Glaubt mirs doch mein Bruder, ich thue den Vorschlag fürwahr nur zu Eurem Besten!«[17]

»Ich glaube selbst, erwiederte er ruhig, daß Ihr Recht habt, mein Bruder. Nehmt Euch in Gottes Namen noch zehn Kameele, und thut den Armen und Nothleidenden nur Gutes davon, denn dazu habe ich das Gut bestimmt gehabt!«

Ich wählte mir zehn Kameele aus, und da ich sahe, daß der Derwisch so gar keine Schwierigkeiten machte, wurde ich gieriger – nein gieriger nicht, denn ich war schon so gierig, daß ich es mehr nicht werden konnte – aber dreister, frecher.

Anstatt dem gutmüthigen Mann für sein reiches Geschenk zu danken, sagte ich: »Mein lieber Bruder, da ich es so gut mit Euch meine, so geb ich Euch zu bedenken, wie viel Noth Ihr auch wohl noch mit dreißig Kameelen haben möchtet; ich glaube es ist gut für Euch, wenn ich Euch noch zehen abnehme!«

»Ihr könnt Recht haben, erwiederte er. Nehmt, und thut Gutes davon!« Ach Beherrscher der Gläubigen, verzeiht! Ich war wie ein Wassersüchtiger; je mehr er trinkt, desto mehr Durst hat er. Mit tausend Vorstellungen, mit Bitten und Flehen, mit Ungestüm, forderte ich von den 20 Kameelen des Derwisches noch zehen, und erhielt sie ebenfalls, mit der Mahnung, daß ich nur einen guten Gebrauch davon machen möchte, und bedenken, daß uns Gott alle Reichthümer recht leicht wieder nehmen könne, wenn wir sie nicht menschenfreundlich anwenden, sondern habgierig behalten wollten.

O! da gelobte ich ihm mit heiligen Betheuerungen den besten Gebrauch zu machen, umarmte und küßte ihn, und bettelte ihm die letzten zehn Kameele mit vielen Worten und Schmeicheleien noch ab.

»Ihr fodert doch vielleicht ein wenig zu viel, mein Bruder, sagte er, indessen ich mache aus Reichthum mir nicht viel, denn Gott bescheert jeden Tag, was der Tag bedarf. Nehmt meinethalben denn auch die letzten zehen Kameele immer noch hin. Gedenkt meiner Ermahnungen, und Gott bewahre euer Herz vor Habgier und Geitz!«[18]

»Sprich nur, dacht ich, du hast gewiß gut sprechen, und giebst nur darum so leicht her, weil du in der Büchse die Mittel hast, zehntausendmal mehr in jedem Augenblick zu bekommen, als die achtzig Kameelladungen betragen. Denn warum hättest du sonst die Büchse so sorgfältig gesucht, und so behutsam im Busen aufbewahrt? – Halt! die Büchse muß auch mein sein, mit Güte oder Gewalt,« so flüsterte der böse Geist mir es ein, und gewiß hätte ich Gewalt gebraucht, da ich viel stärker war als er. Aber ich kannte den Gebrauch der Büchse nicht.

Ich dankte dem Derwisch, den ich küssend zärtlich umarmte. »Gott wolle Euch, sagte ich, Eure Güte und Großmuth hunderttausendfältig vergelten. Aber, mein Bruder, ich bin wißbegierig. Sagt mir doch, was hat es für Bewandtniß mit dem seltsamen Holzbüchschen, und mit der Salbe darin? – Und ich möchte Euch wohl gar inständigst bitten, mir das Büchschen auch noch zu schenken, denn weil ihr doch einmal allen Eitelkeiten und Tand der Welt als Derwisch entsagt habt, was wollt Ihr mit der Salbe im Büchschen?«

Der Derwisch machte gar keine Umstände. Er zog das Büchschen hervor, und gab es mir. »Da habt Ihr es, sagte er mit herzlichster Gutmüthigkeit, ich kann es schon auch entbehren, und ich möchte gern, daß Ihr ganz zufrieden von mir ginget! Da habt Ihr es, mit gutem Willen, und hätte ich noch mehr, so wollt ich es gern Euch auch noch geben. Aber Ihr wißt, ich habe nun nichts mehr, als was ich zuvor hatte, ehe wir in die Felshöhle gingen.«

»Mein Derwisch! mein Bruder! mein Schutzengel! sagte ich, nun mache das Maaß Deiner Wohlthaten voll, und lehre mich, wie man die Salbe, die gewiß, wie ich wohl merke, sehr geheimnißvoller Art sein wird, anwenden muß?«

»Streich ein wenig, war seine Antwort, von dieser Salbe auf das Lied des linken Auges, und du wirst alle Schätze und Herrlichkeiten unter der Erde sehen, wie sie in ihren Höhlen und Klüften[19] flimmernd und funkelnd da liegen. Aber streiche nie, ich bitte dich, etwas davon auf das rechte Augenlied!«

»Warum nicht?« fragte ich!

»Weil du dann blind wirst!« antwortete er.

»Ohoh! du verheelst dein bestes Geheimniß, wie ich wohl merke, dachte ich; und weil er doch die Sache am besten verstehen mußte, so ersuchte ich ihn, indem ich das linke obere Augenlied zumachte, mir etwas Salbe darauf zu streichen. Das that er gern. Und als ich das Auge aufmachte, da sah ich alle Schätze unter der Erde, in ihren weiten und großen Höhlen, in ihren Schluchten und Klüften, Gold und Kleinodien, flimmernd, funkelnd, strahlend, glinzernd. Alles wunderherrlich und unbeschreiblich durch einander. Ich vergaß auch Alles darüber, aber ich kam denn doch wieder zu mir selbst.«

»Hoh! hoh! mein Derwisch, sagte ich zu mir selbst, mich führst du nicht an! Ich merke alles! Gewiß, o! ganz gewiß! bestreiche ich das rechte Augenlied mit der Salbe, so ist es das Mittel, alle diese Schätze zu überkommen. Mit dem einen Auge sieht man wo sie liegen, und mit dem andern erlangt man sie, wenn die Salbe recht darauf gestrichen ist.«

»Mein Bruder! bat ich, bestreicht mir immer das rechte Augenlied ein bischen mit der Salbe; ich denke, mir soll es nicht schaden!«

»Nicht schaden? Ach Gott! Ihr wißt ja, was ich Euch habe gesagt!« Es half nichts, daß der brave Mann mir so herzlich zuredete. Es half nichts! Und da er mir so viele Vorstellungen und Ermahnungen, im Hin- und Herreden gab, ergriff ich ihn beim Kragen, heftig und wild, und sagte:

»Ich will dich abwürgen, du Racker, wenn du meinen Willen nicht thust!«[20]

»O! du mein Gott! sagte er seufzend; ich will ihn thun, weil du es mit aller Gewalt haben willst; aber der Geiz hat dich verblendet, und darum wirst du blind werden.« – »Schwatze nur, dacht ich – es wird eben die Salbe blind machen, mit welcher man so viel sehen kann – so dacht ich,« und ließ mir von ihm das rechte Augenlied bestreichen, was er mit Thränen und Jammern that!

Ach! Beherrscher der Gläubigen, als ich meine Augen nun aufschlug, sahe ich Finsterniß, dichte, dunkle Finsterniß, und also sah ich gar nichts, und war blind! blind!

»O Derwisch! mein herz, herzlieber Bruder, sagt' ich, macht mich wieder sehend! Ihr kennt ja die Geheimnisse der Natur, und wißt so viel!«

»Gott allein kann das nur, den Ihr darum anrufen müßt; ich kann es nicht!« war seine Antwort. Ach, auf all mein Bitten erwiederte er: »ich kann es nicht, ich habs Euch vorausgesagt! – Ihr habt mich ja mit Gewalt gezwungen, obwohl ich Euch brüderlich abmahnte. Nun kann ich nichts mehr ändern!«

So bat ich ihn denn, herzlichst, inständigst, mich mitzunehmen, bis ich durch eine Karawane nach Bagdad kommen könnte; denn wo man her ist, da will man ja immer wieder hin!

Barmherziger Gott! Er überließ mich meinem Schicksale, nahm seine Büchse, und trieb die Kameele mit ihren reichen Ladungen fort. Ich wandelte in der Irre, und wußte nicht, wo Kraut, Staude oder Baum stand! Ach ich konnte nicht sehen!

Aber Gott fügt Alles, und macht auch die harten Menschenherzen weich, und mitleidig, und barmherzig. Es kam eine Karawane, die nach Bagdad zog, und mich mitnahm. Ich nahm mir nun vor, weil mir nichts übrig blieb, auf der Brücke des Tigris zu betteln,[21] aber jeden Geber um eine Ohrfeige anzusprechen, um meine Schuld zu sühnen!

O Beherrscher der Gläubigen, weil ich verblendet war, bin ich blind geworden. – Dieß ist meine Geschichte.


»Du hast groß, groß Unrecht gethan, Alibaba, sagte der Khalif, und bist allerdings blind geworden, weil du so verblendet warst. Bitte doch Gott immerdar um Verzeihung! Indessen sollst du nicht betteln, denn betteln ziemt sich für keinen Muselmann. – Du sollst von meinem Schatzmeister täglich vier Silberdrachmen empfangen, welche für deine Erhaltung hinreichend sein werden. Melde dich bei ihm! Du bist entlassen!«

1

Eine Menge Kaufleute im Morgenlande, wo es nicht Landstraßen noch Frachtfuhren gibt, sammeln sich an bestimmten Orten, laden ihre Waaren auf Kameele, ziehen durch große Sandwüsten, und können sich nun, da ihrer oft tausend sind, einander unterstützen und gegen Räuber schützen.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 11-22.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon