2.

[198] Nachdem Rübezahl einige hundert Jahre etwa in den Tiefen der Erde, Jammer und Noth seiner verunglückten Liebe den Klüften und Höhlen und den Erdfeuern und unterirrdischen Strömen geklagt hatte, wurde ihm doch sein Trauern zu langweilig, und er zog wieder auf die Oberfläche des Gebirges hinauf, und trieb sein Unwesen mit den Menschen, zumal mit denen, die ihn beim Spottnamen Rübezahl riefen. Aber zuweilen war er doch gnädig.

Ein Bauer war mit seinem Weibe und sechs kleinen Kindern verarmt, denn sein reicher Nachbar hatte ihm Haab und Gut abgerechtet, und die letzte Kuh war drauf gegangen und nichts war ihm geblieben als das hohle Häuschen und der leere Hof.

Wie sollt er seinen Kindern Brod schaffen? Arbeitete er auch vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, so reichte doch sein[198] Verdienst nicht zu die Kleinen zu sättigen. Und wenn er nun von der Arbeit nach Hause kam und die Kinder ihn anschrien: »Bringst du Brodt, Vater? uns hungerts so sehr!« oder, wenn sie Jedes ein Stücklein Brodt bekamen, und fragten: »Vater hast du nicht noch mehr?« und er hatte dann nichts, da wollte es ihm das Herz zerreißen.

Der arme Mann sann und sann, und sann nichts heraus, als daß er sich mit hundert Thalern von grundaus helfen könnte, denn hundert Thaler waren damals ein großes Geld.

»Frau,« sagte er eines Tags, »du hast hinter dem Gebirge so reiche Vettern. Ich will hin; vielleicht daß der liebe Gott Einen unter ihnen das Herz lenkt, und er mir soviel auf Zinsen leiht, als wir brauchen!«

»Das gebe Gott!« sagte mit schwacher Hoffnung die Frau, denn sie kannte ihre Vettern, die nach ihr und den Ihrigen niemals gefragt hatten.

Am andern Morgen sehr früh tröstete er die Seinen und sprach: »mein Herz sagt mirs, ich finde einen Wohlthäter!«

Rüstig schritt er, mit einer Brodrinde in der Tasche, den ganzen Tag zu, bis er des Abends müde und matt zu den Vettern kam, und ihnen mit Thränen seine Noth klagte und um Hülfe flehete. Aber mit welchen bittern Hohnworten wurde er von den reichen und hochmüthigen Filzen weggewiesen!

Der sagte: »Ich kenne Euch ja gar nicht;« Jener: »Einen solchen Lump, wie du, habe ich nicht zum Vetter;« der dritte sprach: »Mach, daß du fort kommst, du Wicht, mich führst du nicht an;« und der Vierte warf ihn, ohne ein Wort zu sagen, zur Hausthür hinaus und riegelte sie ab.[199]

Mit einem Herzen voll Jammer wankte er davon, und nahm sein Nachtlager unter Gottes Himmel in einem Heuschober.

Am andern Morgen, als er wieder ins Gebirge kam, überfiel ihn Gram und Angst mit großer Gewalt. Er hatte den Arbeitslohn von zwei Tagen verloren, und war so hin, daß er auch den dritten nicht würde arbeiten können; und wenn ihm nun das abgehärmte Weib und die ausgehungerten Kinder entgegen wimmerten, und er brächte ihnen leere Hände und kein Geld und kein Brod, o! o! wie sollt es das Vaterherz aushalten!

Er sann wieder, aber er fand wieder kein Mittel zur Hülfe. Da fielen ihm die Geschichten vom Berggeist bei. »Ich will bei ihm Hülfe suchen, ich will ihn bei seinem Spottnamen rufen;« sagte er zu sich selbst, »und schlägt er dich todt, so siehst du den Jammer deiner Kinder nicht mehr, und kommst der Quaal los.«

Da rief er in der Verzweiflung: »Rübezahl! Rübezahl! komm!!« Rübezahl hatte gute Ohren und stand alsbald vor ihm, wie ein rußiger Köhler, mit fuchsrothem struppigem Bart und glühenden Augen, riesig und lang, bewaffnet mit einem mächtigen Schürbaum, den er grimmig erhob, den frechen Höhner niederzuschlagen.

»Hört mich, Herr vom Berge,« sagte der Bauer mit seinem Gesichte voll Kummer; »ich habe Euch nicht aus Muthwillen gerufen, sondern aus Angst und Noth!«

Das kam dem Berggeist besonders vor; so wollte ers denn hören; und die kummervolle Miene des Mannes zog ihn auch an.

Der Bauer erzählte, wie arg es ihm ergangen sei, erzählte von seinem Weibe und Kindern und von den unbarmherzigen Vettern, und schloß mit der Bitte, ihm hundert Thaler zu leihen, die er mit[200] Zinsen in drei Jahren wieder bezahlen wolle. Mit hundert Thalern sei ihm geholfen.

»Narr! sagte der Geist zornig, bin ich ein Wucher und Zinsjude? Geh zu deinen Brüdern, den Menschen, und borge so viel du bekommen kannst, mich aber laß in Ruhe, wenn dir deine Haut lieb ist!«

Es war dem Bauer, als wär es dem Geiste mit seinem Zorn nicht so ganz harter Ernst. Er schildert ihm nochmals den Jammer des Weibes und der Kinder, und bittet abermals um hundert Thaler. »Wollt Ihr mir nicht helfen, setzte der Bauer hinzu, so schlagt mich nur mit der Schürstange todt, damit ich die Quaal der Meinen nicht sehen darf. Der Gram wird mir ja doch das Herz abfreßen! So aber komm ich auf einmal davon.«

Mitleid zu fühlen schickte sich für einen so großen Geist, als der Bergherr war, gar nicht; aber das ganz Eigene von ihm Geld zu erborgen, und das besondere Zutrauen gefielen ihm.

»Komm«, sagte der Geist, und führte den Bauer tiefer waldein, bis in ein Felsenthal, zu welchem sie sich durch dichtes Gesträuch hindurch arbeiten mußten. Sie kamen sodann in eine finstere Höhle, tiefer und immer tiefer hinein, und der Bauer hörte das Rauschen und Brausen der Bergwaßer und ward ihm dabei unheimlich zu Muthe. Bald aber hüpften kleine blaue Flammen vor ihnen her und der dunkle Felsengang wurde zum großen Gewölbe, in welchem helle Lichter flackerten.

Da stand eine große Braupfanne, voll lauter Thaler bis an den Rand. »Da nimm! sagte der Geist, so viel du bedarfst, und wenn du schreiben kannst, so stelle mir einen Schuldschein.« Schreiben konnte aber der Bauer. Er zählte sich höchst gewißenhaft[201] hundert Thaler ab, der Geist aber schien sich darum gar nicht zu kümmern, drehte ihm den Rücken zu und suchte die Schreibesachen aus einem Schranke hervor; aber der Bauer nahm deshalb keinen einzigen Thaler mehr. Er schrieb den Schuldschein, so gut er vermochte, und der Geist schloß denselben in einen eisernen Kasten ein. »Geh nun! sagte er zum Bauer; nütze dein Geld; merk dir den Eingang ins Felsenthal, und vergiß den Zahlungstag nicht, denn ich bin ein strenger Schuldherr. – Da! sagte er, indem er einen großen Griff in die Braupfanne that, – das ist für deine Kinder, und steht nicht auf dem Schuldschein.«

Tausend Dank sagte der Bauer dem Geiste; fand sich bald aus dem Felsengange heraus, merkte sich die Stäte genau, und ging durch Freude an allen Gliedern gestärkt, rüstig nach Hause, wo ihn die Kinder um Brod anschrien, die Mutter aber trostlos weinend im Winkel saß, weil sie schon wußte, wie viel auf die Vettern zu rechnen war.

Aber welch eine Freude da, als der Vater den Queersack öffnete und nahm Bretzeln und Weißbrod für die Kinder, und Grütze zum Brei, und Fleisch und Wurst heraus, welch er Alles in der Stadt gekauft hatte. Wer kann solche Freude beschreiben!

Der Bauer, der es nicht für gut hielt, der Wahrheit nach auszusagen, wer ihm das Geld geborgt hätte, lobte die Vettern der Frau, die hätten ihn freundlich empfangen, gut bewirthet und willig das Geld geliehen!

Da that sich die Frau auf ihre reichen und liebreichen Vettern Etwas zu gut, und rühmte dieselben aller Welt. Die Freude ließ ihr der Mann recht gern.

Jetzt ging ein neues Leben und Arbeiten in des Bauers Hause an, und mit hundert wohl angelegten Thalern ließ sich viel machen.[202] Alles, was unternommen wurde, ging zum Glück und lag ein sichtliches Gedeihen auf dem Gelde des Bergherrn. Ein Acker nach dem andern, ein Heuschlag nach dem andern wurde gekauft; das Vieh war weit und breit umher das schönste, und im dritten Jahre schon hatte der Bauer ein Paar Hufen Feld, und ein Paar tüchtige Pferde zur Bewirthschaftung; und wohl viermal so viel baar, als seine Schuld ausmachte.

Der Zahlungstag kam! Weib und Kinder thaten die besten Sonntagskleider an und freuten sich die reichen Vettern besuchen und zeigen zu können, daß sie ehrliche und wohlhabende Leute waren. Hans mußte anspannen und sie kamen bald aufs Riesengebirge, wo der Wagen an einer Stelle halten mußte, der Bauer aber mit den Seinen ausstieg. Hans sollte fortfahren und auf der Höhe unter den drei Eichen warten und die Pferde derweil grasen laßen, er aber wolle mit den Seinen einen anmuthigen Fußpfad gehen, obwohl derselbe ein wenig um sei.

Darauf ging er durch das Gebüsche waldein, immer tiefer hinein, schauete dahin und dorthin, als ob er suchte, und die Frau glaubte schon, ihr Mann habe sich verirrt. Aber jetzt sagte er ihnen, wie es ihm bei den reichen Vettern gegangen sei, und wer ihm geliehen habe, und erzählte Alles genau, und lobte den Berggeist, vor dem sie sich fürchteten, mit Thränen im Auge, indem er ihnen vorstellte, wie glücklich sie jetzt wären, und wie elend vor drei Jahren.

Nun hieß er sie warten und ging allein, die Felsenhöhle zu suchen, aber es war nirgends ein Eingang, obwohl er gewiß wußte, daß er auf der rechten Stelle sei, wo er vor drei Jahren hineingegangen war. Er klopfte mit einem Stein an den Felsen, er klingelte mit dem Geldsack, er rief dem Berggeist zu kommen und das[203] Seine zu nehmen, aber kein Berggeist erschien. Da ging er mißmuthig zu den Seinen zurück. Ihn drückte das Geld, deßen er so gern los sein wollte. Er setzte sich mit den Seinen auf den Rasen und wartete, aber es kam Niemand.

Da probirte der Bauer das alte Wagstück noch einmal und rief: Rübezahl! Rübezahl! obwohl ihm die Frau den Mund wollte zuhalten. – Auf einmal kam der jüngste Knabe zitternd zur Mutter und sagte, dort hinter dem Baum sei ein schwarzer Mann. Da krochen die Kinder ängstlich zusammen; der Vater aber ging hin und sahe nichts.

Eben wollte der Bauer noch einmal zum Felsen, dort noch stärker anpochen und rufen, und wenn dann Niemand käme, das Geld am Felsen hinlegen; da möcht es der Bergherr sich holen. Aber indem er seinen Vorsatz der Frau kund that, brauste es in den Wipfeln der Bäume, der Wind trieb dürre Grashalme und Laubblätter vor sich her und jagte kräuselnde Staubwolken in dem Wege auf, worüber die Kinder sich freueten.

Unter dem Laube wurde nun auch ein zusammengerolltes Papierblatt über den Weg getrieben, nach welchem die Kinder vergeblich haschten. Endlich warf der eine Knabe seinen Hut darauf, nahm es auf, und weil es so weißes Papier war, bracht ers dem Vater. Da war es der Schuldschein, unter welchem geschrieben stand: »Zu Dank bezahlt!«

Da ward der Bauer sehr froh. »O! rief er, mein Wohlthäter kennt nun meine Ehrlichkeit und mein dankbares Herz!«

Jetzt wollte er nach Hause umkehren, aber die Frau ruhete nicht eher, bis der Mann zu den reichen, filzigen und hochmüthigen Vettern fahren ließ, welche sie durch ihren Wohlstand recht zu kränken gedachte; aber die kränkte sie gar nicht, denn sie waren nicht[204] mehr da, sondern gestorben und verdorben, und die Gehöfte, welche sie bewohnt hatten, waren an neue Herren gekommen.

Hochmuth und Unbarmherzigkeit kamen bei ihnen vor dem Fall, unser Bauer aber wurde täglich wohlhabender und wurde dabei von Allen geliebt, die ihn kannten, denn er war arbeitsam und fleißig, half seinen Nächsten gern, und war gar nicht hochmüthig.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 2, Leipzig [ca. 1819/20], S. 198-205.
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