3.

[205] Es saßen eines Abends mehrere Bauern in einem Wirthshause am Fuße des Riesengebirges beisammen und hatten gegeßen und getrunken, und fingen nun an einen jungen Menschen zu necken, der blöde und still im Winkel hinter dem Ofen saß und schien ein fahrender Schüler1, obwohl er gar nicht so dreist und unverschämt war, als diese zu sein pflegten.

Als in den Geschichten, welche die Bauern einander erzählten, einigemal des Berggeistes unter dem Namen Rübezahl erwähnt wurde, that er sehr furchtsam und bat auch, aber recht dehmüthig, sie möchten doch solcher gefährlichen Dinge nicht gedenken, und absonderlich den Namen Rübezahl vermeiden, zumal es schon gegen die Nacht gehe. Da erzählten sie aber solcher Geschichten nur immer noch mehr und nannten alle Augenblicke den Namen Rübezahl, damit er sich recht sollte fürchten.

Als er sie noch einigemal gebeten, abzulaßen von solchen Erzählungen, sagten sie zu ihm, er solle vielmehr aus denselben etwas[205] Gutes an nützlicher und erbaulicher Lehre herausnehmen. Das müße er als ein fahrender Schüler doch können.

Ja! meinte der Schüler, das dächte er wohl zu können, aber er hätte kein Herz dazu, denn sie möchten es ihm übel auslegen, und Händel an ihm suchen, er aber sei gar furchtsam und friedlich.

Da lachten die Bauern, und versprachen sich eine gute Lust mit ihm, verhießen ihm aber Frieden und auch freie Zeche, wo er seine Sache recht verstehe. – Da erzählte denn Einer.

»Es wollt einmal ein Mensch ein Zauberbüchlein haben, woraus er Wetter machen, Vieh behexen und wieder die Verzauberung lösen, sich verwandeln und unsichtbar machen, und die Goldschätze aus der Erde heraufbringen und viel andere Dinge ins Werk setzen könne. Da wollt er denn ein gewaltiger und reicher Mann werden. Er dachte aber Rübezahl würd ihm ein solches Büchlein schon geben, wenn er ihn darum bäte. So ging er denn auf dem Gebirge fleißig umher, bis er nach langer Zeit einmal den Rübezahl fand. Der saß als ein eisgraues Männlein vor einer Höhle, und gab ihm ein Büchlein, als er begehrt hatte. Da er aber nach Haus kam und das Büchlein probiren wollte und aufschlug, da waren es Baumblätter, mit den Fasern und Linien, aber mit keinen Buchstaben.«

Nun sollte der Schüler die nützliche Lehre herausziehn. Der besann sich ein wenig und sagte dann leise:


»Wer Wunderdinge leisten will,

der höre zu, aufmerksam still,

was die Natur für Werke treibt

und schau; was sie in Bücher schreibt.

Dem Klugen stehn die Bücher auf,

der Tölpel bringt draus nichts zu Hauf.[206]

Wer recht ein Baumblatt lesen kann,

wird auch daraus ein rechter Mann.

Kommst drüber Du mit Holz im Kopf,

so bist und bleibst ein dummer Tropf.«


»Herr, sagte der Bauer, welcher erzählt hatte, meint Ihrs damit auf uns?« Dabei schlug er mit der Faust mächtig auf den Tisch.

»Ja! riefen die Andern, auf uns meint ers; wir sind die Tölpel und dummen Tröpfe, weil wir niemals Etwas aus Baumblättern haben lesen können!«

»Da seht nun selbst, liebe Herren, daß ich wahr gesagt habe, sprach fast weinend der Schüler. Seht! Ihr suchet eine Ursach gegen mich. Hätte ich doch nur geschwiegen!«

Da redeten ihm die Bauern wieder gutmüthig zu, und sagten, es sei nicht so böse gemeint, sondern sollte nur Scherz sein, und nöthigten ihn eins zu trinken.

»Nun, lieber, fahrender junger Herr, sagte ein anderer Bauer, nun will ich auch einmal Etwas von Einem Eures Gleichen erzählen. Da wollen wir auch unsere Lust dran haben.«

»Es zog einmal ein solcher Gesell, wie Ihr, übers Gebirg; hatte einen grimmigen Stoßdegen angethan zu Schutz und Trutz; hatte eine Zither im Arm, spielte drauf und sang lustige und närrische und auch wohl leichtfertige Lieder dazu.«

»Ach! der war viel dreister als ich;« sagte der Schüler blöde. »Freilich, Herr! das wollt ich selbst meinen;« sagte der Bauer schmunzelnd, und erzählte dann weiter.

»Als nun so der Schüler fürbaß zieht, kommt Einer seines Gleichen hinter ihm drein und gesellt sich zu ihm. Da führten sie[207] allerhand seltsame und leichtfertige Reden und Gespräche. Der neue Gefährte borgt dem Andern die Zither ab, um ihn ein hübsches Lied mit artiger Weise zu lehren, hat aber das Saitenspiel kaum, so ist er damit alsbald oben auf dem Wipfel eines hohen Baumes, so schnell wie eine Eichkatze, und musizirt erst fein und anmuthig, dann so garstig und häßlich, daß der fahrende Schüler sein Spiel wieder zu haben begehrt. Aber der oben im Baumwipfel gibts ihm nicht, sondern singt garstige Schandlieder auf die Liebste des fahrenden Schülers, der darauf zornig den Degen zieht, und den Andern herabkommen heißt, um einen Gang mit ihm, auf Tod und Leben zu machen. Da stürzt krachend die Zither auf die Steine herab, als sollt sie in tausend Stücken zersplittern und ein scheußliches Gesicht steht vor ihm und kreischt ihm gräßliche Worte entgegen, daß er davon in Ohnmacht fiel. Als er wieder zu sich kam, merkte er wohl, mit wem er zu thun gehabt, nahm seine Zither, die noch ganz war, schlich stillschweigend mit ihr über das Gebirg, und kam sobald nicht wieder.«

»Das will ich wohl glauben, sagte ein Bauer, und ist der Jüngling wohl gar unser blöder Schüler hier gewesen, der uns nun seinen Spruchreim sagen soll.«

Da sagte der Schüler den Reim, der hieß aber also:


»Wem eine Zither Gott verliehn,

der preise damit dankbar ihn,

und brauch zu Narrentheiding nicht,

was Gott ihm selbst hat zugericht.

Doch spielt er auch einmal nicht recht,

so ist er drum noch selbst nicht schlecht.[208]

Die Zither springt nicht gleich entzwei.

Nur daß er künftig sittig sei,

und seiner Lieder zarte Blüthe

vor garstigen Gesellen hüte.«


»Wahrhaftig, sagte ein Bauer, das soll uns gelten! Garstige Gesellen! hüten! – So? – – Herr, laßt das Sticheln: oder Ihr sollt es sehen!«

»Ei laßts gut sein, sagte ein Anderer; wir wollen ihm auch schon Eins anhängen, denn wir sind wohl so pfiffig als er.« Das meinten sie denn Alle, und so zechten sie wacker fort, und ging der Handel noch gütlich ab.

Darauf erzählte ein Dritter.

»Einmal hatte ein vornehmer Mann einen großen Ingrimm auf einen Andern. Dem wollt er grausame Worte schreiben und that es auch; aber der Rübezahl war ihm in die Feder gekrochen, und machte, daß alle Worte grade umgekehrt und wiedersinnig auf das Papier kamen, und statt daß es hatte heißen sollen: ›Du bist ein meineidiger Schuft; und ein Großhanns: und, ich schlag dich noch todt, wenn ich dich einmal treffe,‹ und dergleichen mehr, stand es ganz anders da und hieß: ›Ich bin ein meineidiger Schuft, und nicht werth dir die Schuhriemen aufzulösen, und bin ein Großhans; ich werde mir aber einmal das Fell tüchtig durchgerben, und schlage mich noch todt, wenn ich mich einmal treffe.‹«

Das gefiel den Bauern aus dermaßen und wünschten sie, es möcht ihnen einmal Jemand den tollen Brief vorlesen, wenn er ihn hätte, dieweil sie selbst nicht lesen gelernt hätten.[209]

Da sagte der Schüler, die Lehre ist dasmal kurz und lautet:


»Wer will verbrühn den Nachbarsmann,

fing meistens klüger sonst was an;

denn wenn ers nicht genau beschaut,

verbrüht er sich die eigene Haut.«


Hierauf sagte der Student, er wüßte wohl ein artiges Kunststück, wie das mit dem Briefe; da brauchten sie gar nicht lesen zu können, sondern könnten es selbst mit anschauen und dabei mitspielen, aber das könnt er ihnen vormachen, wenn sie einwilligten und es zufrieden wären.

»Nur drauf; nur angefangen, lieber Herr Schüler, jauchzten die benebelten Bauern, das soll ein wahrer Spaß werden, wie auf einer Hochzeit; nur frisch.«

Da schritt der Schüler vor den Zechgästen im Kreise herum und machte vor dem Munde eines Jeglichen einige Zeichen in der Luft und sprach wunderliche Reime dazu, die lauteten aber also:


»Die Zung und auch die Katze

sind Thiere; schlau genug,

wie man die Andern kratze

sich selber krau die Glatze –

die Zung und auch die Katze,

sie könnens Zug um Zug,

die Eine mit der Tatze,

die Andre mit dem Spruch.

Die Zung und auch die Katze

sind doch nicht schlau genug,[210]

daß sie sich selbst nicht kratze

und Andern kraun die Glatze. –

Die Zung und auch die Katze

zwingt Zauber Bannes Zug.

Nun, liebe Zunge, schwatze

und sprich verkehrten Spruch.«


Die Bauern hatten ihre Lust dran, daß der blöde Schüler so dreist und herzhaft geworden sei, und meinten, das habe ein guter Trunk gethan, und wenn man ihm erst noch beßer werde zugetrunken haben, dann müße die Lust mit ihm erst recht angehn.

Als nun der Schüler sich wieder auf die Ofenbank ruhig hatte niedergelaßen, bracht ihm ein Bauer ein volles Glas zu, und sprach: »Nun frisch! nun muß ich trinken, bis ich umfalle, oder es wird nicht gut abgehen!«

»So thut nur nach Eurem Gefallen; sagte der Student gelaßen.«

»Ja! sagte der Bauer barsch, nach Eurem Belieben sollt Ihr thun ganz und gar, und wenn mirs im mindesten einfiele, Euch dran zu hindern, – Herr! kurzum, da könnt es leicht kommen, Ihr zähltet mir Etwas auf.«

»Hanns, riefen die Andern, wie sprichst du denn so wunderlich?« Einer aber, von dem sie dachten, er sei unter ihnen der Klügste, weil ers ihnen so oft vorgesagt und bewiesen hatte, sprach gar ernsthaft: »Laßt meinen ehrlichen Nachbar Hanns. Was hats da zu wundern? Ja! wenn mirs paßirte, der ich so ein stummer dummköpfiger Kerl bin. Aber der Hanns ist nun schon einmal ein Bißchen klüger, dem müßt Ihrs zu gut halten.«

Die Bauern sahen einander voll Erstaunen an. Endlich sagte Einer: »Ich glaube, wir haben den Studenten abscheulich behext!«[211] – Ja, riefen Andere, uns ist es gleich so vorgekommen; und Alle wurden nun zornig und wild, und schrien: »Es hilft nichts vor, der Student muß uns zusammen hauen, bis wir keinen heilen Knochen mehr haben. Wir habens ihm gar zu arg gemacht. Wart, das soll uns schön bekommen.«

Sie merkten wohl, daß sie immer das Gegentheil von dem sagten, was sie sagen wollten, aber sie konnten nicht anders, und wurden deshalb nur desto toller und wilder, und wollten im grimmigen Zorn über den fahrenden Schüler her.

»Du mußt uns todt schlagen!« riefen sie mit verwirrten Sinnen, indem sie ihn todt schlagen wollten, aber es pfiff ein Zugwind durch die Gaststube und alle Lichter erlöschten. Dagegen saß ein großer Schuhuh mit leuchtenden feurigen Augen auf dem Ofen und schnaubte die Empörten an, deren Grimm sich stracks in Furcht umwandelte.

Sie wollten die Thür suchen, fanden sie aber nicht, und riefen kläglich: »Wir sind Hexenmeister, sind Kobolde, sind der Rübezahl; das hätte der Student ja gleich wißen sollen.«

»Ruhe doch, liebe Gesellen! schnarrte der Schuhuh, ich bin ja auch ruhig, und bin der Student noch und der Vogel der Weisheit, und habe mich gar nicht verwandelt. Aber ich bin der Rübezahl, und wir sind tausend Klafter tief unter der Erde, in meiner Schatzkammer. Fürchtet Euch gar nicht, liebe Zechgenoßen; Ihr habt mir einen guten Trunk gegeben; so will ich denn dankbar sein. So seht her. Das Dach ist von Gold und die Sparren sind von Demanten. Brecht Euch durch und nehmt mit, was Ihr fortbringen könnt.«

Erst kletterten sie aus Angst, Einer auf des Andern Schulter, und als sie nun durch waren und den Sternenhimmel sahen, dachten[212] sie an das goldene Dach und an die demantenen Sparren. Nun fingen sie recht an hinein zu arbeiten, und wollte ein Jedweder soviel als nur möglich von den Schätzen mit heimbringen, am meisten der Wirth.

Aber als der Morgen heraufleuchtete, sahen sie, daß sie mit Dachsparren und mit Stroh und Schindeln, woraus das Dach war, sich recht schwer belastet hatten. Gold aber und Demanten hatte keiner.

Wenn aber künftig ein Reisender ins Wirthshaus einkehrte, der still war und blöde, neckte ihn Niemand mehr, weil sie Rübezahl geneckt hatte.

1

Herumziehende Studenten – waren Gauner und Leutbetrüger, gaben große verborgene Weisheit vor, und lebten von der Einfalt derjenigen, die sich betrügen ließen.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 2, Leipzig [ca. 1819/20], S. 205-213.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon