Die Sehnsucht

[188] Haben wir auch schön geträumet

Von des Glückes Zauberlanden,

Wo sich ewge Freudenkränze

Um die trunknen Schläfe wanden;


Und wir wachen auf am Morgen,

Kehren zu des Lebens Mühen

Ohne Klagen wir zurücke;

Träume müssen ja verblühen.


Also waltet in dem Gasthof

Klara nach der alten Weise;

Nur ein seliges Erinnern

An den Traum umschwebt sie leise.


Mit gewohnter holder Miene

Grüßet sie die frohen Zecher;

Doch am freundlichsten vor allen

Füllet einem sie den Becher.


Oft auch sah man, wie die Jungfrau

Und der Krieger lange sprachen;

Heinrich ist es, der gestanden

Bei des Prinzen Kerkerwachen.


Heinrich weiß gar viel zu rühmen

Von dem schönen Fürstenjungen,

Wie dem Stolzen nie das Unglück

Einen Klagelaut erzwungen.[188]


Eines aber hoch zu preisen

Seine Worte nie vergaßen:

Wie der Prinz den bösen Hauptmann

Chantereine einst angelassen.


Dieser trat mit plumpem Trotze

Vor den Stillen, scheinbar Zahmen,

Ihm den Säbel abzufordern

Frech in König Ludwigs Namen.


Doch wie donnerte der Jüngling:

»Ich bin Johann, Prinz von Polen!

Lüstet ihn nach meinem Schwerte,

Mags dein König selber holen!«


Feig verzagend vor dem Kühnen

Sucht der Hauptmann seine Rotte

Zu Gewalttat aufzustacheln

Mit Befehl und scharfem Spotte.


Ha! wie hat der Polenjüngling

Jetzt sein tapfres Schwert geschwungen!

Ha! wie ist er auf den Hauptmann,

Auf die Knechte eingedrungen!


Und die Rotte feiler Schergen

Taumelte zurück, erschrocken,

Wie der Sturmwind auseinander

Jagt der Spreu geringe Flocken. –


Schwellend hat bei solchen Reden

Klaras Busen sich erhoben;

Süßer Klang ists für die Jungfrau,

Hört sie den Geliebten loben. – –


War nun Klara gegen jeden

Froh und freundlich tagesüber;

Wenn sie endlich kann allein sein,

Ist sie abends um so trüber.[189]


Ist ihr auch das Glück der Liebe

Wie ein Traum vorübergangen,

Werden doch in stiller Sehnsucht

Täglich blässer ihre Wangen.


Oft in heitern, schönen Nächten,

Wenn der Mond, die Sterne scheinen,

Wandelt Klara, sein gedenkend,

An dem Strand mit leisem Weinen;


Horchet in die Meeresweiten,

In die stummen, regungslosen:

Keine fernen Ruderschläge? –

Keine Lieder der Matrosen? –


Wirft das Meer in trüben Nächten

Seine Wellen ans Gestade,

Wandelt Klara still und einsam

Ihres Grams geheime Pfade.


Aber nicht vom stillen Meere,

Nicht vom Meere sturmgeschlagen,

Harret sie auch manche Jahre,

Wird der Teure her getragen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 188-190.
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