[19] Ich begehre nicht / denen Romanen insgemein das Wort zu reden / von denen manche mit so ärgerlichen oder doch gantz unnützen Geschwätze angefüllet sind / daß Christlich gesinnete und tugendhaffte Leute davor billig Abscheu tragen / und den Verfasser und Leser höchlich betauren / die umb einer Handvoll vergänglicher Belustigung eine so schwere Verantwortung von dem gerechten GOtt auf sich laden. Doch giebt es auch solche / die dem Leser eine Lust / aber ohne Sünde / ja nicht ohne mercklichen Nutzen und Beyhülffe zur Erkennung der Sitten derer Menschen im gemeinen Leben / auch zu Schärffung des Verstandes in allerley sinnreichen Erfindungen / zuwege bringen; welche man dahero / ohne Hindansetzung seiner ordentlichen Verrichtungen / unter dem Absehen / das Gemüth durch solchen unschuldigen / doch vergnüglichen Zeitvertreib zu ergetzen und zu instehender ernsthaffterer Arbeit desto williger zu machen / mit ja so guten Gewissen gebrauchen darf / als wie etwa z.e. Jagen / Music und allerhand Spiele lieben /weltliche warhaffte Historien lesen / Verse machen /von allen vergönnet wird / die von Gewissens-Fällen geschrieben haben. Denn alle solche Dinge sind zwar nicht eben schlechterdings nöthig / jedoch auch keines Weges schlechter Dinge verboten. Daher nicht nur ein Haupt der Druiden1 von des Eurialus und Lucretia Liebes-Händeln ein eigen Buch geschrieben / sondern auch (welches höher zu verwundern) ein wohlbekanter Chernskischer Barde2 sich nicht gescheuet / die Helden-Geschichten des deutschen Herkules und Herkuliscus zu verfertigen / welches ihn auch nicht gereuet hat / nachdem andere seine Glaubens-Genossen jenen mit Unverstand eifernden Bischöffen / die den Bischof zu Triccä in Thessalien Heliodorus /weil er seine in der Jugend geschriebene Liebes-Geschichte nicht verbrennen wollen / seines Bisthums entsetzet3 haben / nachzueifern und zu folgen für unnöthig erachtet / vielmehr4 den Verfasser des Herkules dermassen gerühmet haben / daß er von allen seinen ernsthafften geistlichen und weltlichen Schrifften nicht mehrern Ruhm erwarten dürffen.
Allein nichts ist so gut / das nicht mißbraucht werden könte; und also steht vielleicht bey dem unvergleichlichen Werck des Herrn von Lohenstein auch zweyerley zu besorgen.
Vor eins möchte ein und anderer die erdichteten Umbstände von denen warhafften / in denen unter die Gedichte eingemischten Geschichten nicht unterscheiden können. Und erinnere ich mich hierbey / daß der kluge Herr Petrus Bayle in seinen Nouvelles de la Republiqve des lettres sehr übel auf die jenigen zu sprechen gewesen / die warhaffte Geschichte zum Inhalt ihrer Gedichte erwehleten / weil hierdurch mit der Zeit verursachet werden dürffte / daß man in Historien / weder was wahr / noch[20] was erdichtet / würde wissen und unterscheiden können. Allein ich befürchte das so sehr nicht; nachdem iederzeit so viel wahre Historien-Schreiber in der Welt seyn werden / daß man leicht bey ihnen wird erkundigen können / ob diß oder jenes wahr oder unwahr sey. Massen denn ihre ausdrückliche Bejahung ein Zeichen des ersten / ihre ausdrückliche Verneinung oder allgemeines Stillschweigen ein Zeichen des letztern seyn wird. Mir kömmt die Sache vor wie mit denen Zeitungen: die liest die gantze Welt / obgleich offters kaum die Helffte daran wahr ist. Inzwischen schadet solches der Historischen Warheit wenig oder nichts / weil doch immerzu und überall gelehrte Leute seynd / die aus denen Archiven der Könige und Fürsten solche Historien heraus geben / die wird ein Prüfe-Stein anderer Erzehlungen seyn können. Das ist zwar unleidlich / wenn Varillas und andere Historien-Schreiber von dergleichen Schrot und Korn den Leser unter dem Nahmen und äußerlichen Schein warhaffter Historien mit Fabeln betriegen; Aber diß ist von dem nicht zu befürchten / der niemals seine siñreiche Fabeln vor blosse Warheit aus geben hat.
Die andere Sorge betrifft die allzu deutliche Beschreibung der Hurerey und Ehebruchs / so sonderlich I. Theil / III. Buch / und II. Theil / I. Buch / zu finden. Allein es ist derselben in dem Vorbericht an den Leser über den ersten Theil des Arminius / sehr wohl abgeholffen worden. Uberdiß glaube ich / daß lasterhaffte Leute die Gedult nicht haben werden /diesen unschuldigen Zunder ihrer verdammten geilen Brunst unter so viel ihnen beschwerlichen Tugend-Lehren zu suchen; viel weniger werden Kinder und andere Einfältige ein so tiefsinnig Buch lesen oder verstehen / daher sie denn sich so wenig daraus ärgern als bessern werden. Tugendhaffte aber werden von sich selbst schon / was gut und böse ist / und jenes zu erwehlen / dieses zu verwerffen wissen. Zum wenigsten bin ich deß gewiß / daß alles vom Lohenstein gesagte so leicht zu entschuldigen ist / als was obgenanter Verfasser des Herkules von seiner ehebrecherischen Statira geschrieben hat. Gegentheils aber wird niemand / als der diß Werck nicht gelesen / leugnen /daß man daraus in Staats-Sachen / in der Sitten-Lehre / in der Historie aller Weltweisen / in der Welt-Beschreibung / Beredsamkeit / Poesie / sehr viel gute Dinge lernen könne / gleich wie wir oben5 hiervon zur Gnüge gehandelt / und dem verständigem Leser mehr hiervon zu sagen Bedencken tragen /damit es nicht scheine / daß man demselben einigen Zweiffel zutraute / als ob nicht schon der bloße berühmte Nahme des Verfassers ein gnugsames Zeugniß von der Güte und Nutzbarkeit dieses Wercks seyn könne. Jedoch und zum Beschluß wollen wir ein und anders annoch kürtzlich anmercken.
Anfänglich / so läst der Herr von Lohenstein manchmal seine Heydnische Sprach-Genossen diß und jenes reden / nicht solches alles gut zu heissen /sondern nur zu erzehlen / was sie geglaubet und gelehret. Da sich denn niemand beschweren wird / daß er selbst den deutlichen Ausschlag zu geben unterlassen; Nachdem er von seinem Leser gnugsamen Verstand vermuthet / selbst zu urtheilen / was unter solchen Meinungen gut oder böse / denen natürlichen Rechten gemäß oder nicht gemäß sey. Und hat er hierinnen eben so wohl gethan / als Matthäus Polus / der in seiner Critischen Bibel die Meynungen derer Gelehrten getreulich erzehlet und das Urtheil hierüber dem Nachsinnen des klugen Lesers überlassen hat.
Nachmahls / so kan man auch die kostbaren Aegyptischen Gefäß denen Heyden entwenden / und zum Heiligthum gebrauchen; wenn man dessen zum Exempel / was der Indianische Zarmar von6 seinem Selbstmord zu Bestätigung.[21]
seiner Lehre redet / bey Beschreibung des Todes eines Christlichen Märtyrers sich bedienen wolte. Man könte die schönen Gleichnüsse / die ein Druys von der bey denen7 Heydnischen Teutschen gebräuchlichen Eintauchung der neugebohrnen Kinder in fließendes Wasser vorbringt / grösten theils in einer Rede von unserer Geheimniß-vollen Christlichen Tauffe sehr wohl anwerden.
Sonsten ists wohl am besten / wenn man ein Buch lesen will / daß man es von Anfang biß zu Ende lese /und ehe nicht urtheile / als biß man aus dem Beschluß den völligen Verstand und Absehen derer vorhergehenden Dinge wohl begriffen habe. Jedennoch aber wenn iemand anderer Meinung wäre / und erst ein Stück aus dem Buch lesen wolte / welches seinem Sinn gleichförmig wäre / und ihn / in Hoffnung dergleichen mehr zu finden / das gantze Buch durchzulesen nöthigen könte / so kan demselben auch gerathen werden.
Wolte zum Exempel einer eine wohl ausgesoñene kurtze Geschicht / die mit dem Hauptwerck nicht vermischt ist / haben / so lese er die überaus-artige Begebnüsse des Thracischen Königs Sadal /8 da die ungegründete Eyfersucht eines Ehemanns gegen seine unschuldige Ehegattin mit recht-seltzamen Umständen beschrieben wird.
Wer an verblümten Reden sich belustiget / dem kan nicht übel gefallen die wunderwürdige Abbildung der Herrschens-Kunst durch einen9 Blumen-Garten.
Verlangte man Exempel sinnreicher Uberschrifften / so dürffte man nur den dem August zu Ehren damit ausgezierten10 Lugdunischen Tempel betrachten. Von netten Versen könte die Probe aus dem11 Aufzug der Marsingischen Edelleute bey des Rickers Schaf Beylager genommen werden. Einem Liebhaber von natürlichen Wissenschafften würde vielleicht nicht übel anstehen / was von Fortpflantzung der Kranckheiten aus Menschen in Bäume von einem Wurtzelmann12 und dem Cornelius Celsus vorgebracht wird. Wem mit einer tiefsinnigern Weißheit gedienet ist / der lese die schöne Rede der Princeßin Ismene13 von Unsterbligkeit der Seelen.
Ferner wer etwas aufs erstemahl nicht verstehet /der lese es zum andern und drittenmahl / es wird versichert die Mühe des Nachsinnens durch den merckwürdigen Verstand schon bezahlet werden.
Endlich ist zu mercken / daß in denen ersten siebenzehen Büchern nichts als Lohensteins Arbeit zu finden / das letzte Buch aber von einer andern Hand hinzugethan sey.
Und hierauf hindert uns nichts mehr die absonderlichen Anmerckungen anzufahen; worinnen zwar manchmahl ein verdeckter Nahme auf einerley Art an zweyen oder mehr unterschiedenen Orten erkläret wird / doch nur darum / damit der Leser bey einem von den letztern Oertern nicht Mühe habe / die Erklärung allzu weit zu suchen. So sind auch die zugleich angeführten Geschicht-Schreiber / womit wir unsere Auslegung bewiesen / nicht eben die raresten / iedennoch um so vielmehr von iedermann zu bekommen und nachzulesen. Wo man aber auf niemand sich bezogen hat / hat man es um deß willen vor unnöthig erachtet / weil alle Lebens Beschreibungen dieser oder jener bloß hin beniemten Personen die vom Lohenstein angedeutete Geschichte angemercket haben / und also ein Geschicht-Schreiber vor einem andern in solchem Fall genennt zu werden nicht verdienet.
1 | Pabst Pius der andere; Besiehe des Bischoffs zu Soissons, Petr. Daniel Huët Buch de origine fabularum Romanensium p. 118 |
2 | Andreas Henrich Buchholtz / ehemahls Professor zu Rinteln / nachmahls Superintendent zu Braunschweig. Besiehe Memorias Theologorum Henningi à Witten, dec. XIII. p. 1712. 1714. |
3 | Daß der Bischoff Heliodorus eine Aethiopische Liebes-Geschichte geschrieben / ist aus des Socrates Kirchen-Historien lib. V.c. 22. gewiß genug. Und daß er deßwegen abgesetzt / worden / sagt Nicephorus aus; welchem aber Valesius in seinen Anmerckungen über den Socrates keinen Glauben beymessen will. Gewiß ists / daß der grosse Patriarch Photius, diese Liebes-Geschicht zu lesen in seinem Myriobiblo Cod. 72. einen langen extract daraus zu machen / auch es sonderbar zu rühmen / sich kein Gewissen genommen. Dahingegen er den leichtfertigen Roman des Achilles Tatius zwar gelesen / aber demselben gar ein schlecht Lob ertheilet hat. |
4 | Sonderlich hat Johann Rist in der Vorrede über einen Theil seiner Lieder solches überaus weitläufftig gethan. |
5 | Allgem. Anmerckungen p. 6 b. 7. a. |
6 | I. Theil p. 712. u.f. |
7 | II. Theil p. 352. b. |
8 | II. Theil p. 40–65. |
9 | II. Theil p. 751.–759. und p. 765.b.–784.b. |
10 | I. Theil p. 354.b.–358.b. |
11 | I. Theil p. 2127.–1131.a. |
12 | II. Theil p. 4796.–483. a. lin. 3. |
13 | II. Theil p. 544.–545. a. |
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