154. Der Schatz in der Seeseburg.

[97] Die Hauna theilte sich früher da, wo sie zwischen den Dörfern Rotenkirchen und Rhina eine Krümmung macht, in zwei Arme, welche sich nach kurzem Laufe wieder vereinigten. Auf der dadurch gebildeten Insel stand vor alten Zeiten die Seeseburg oder Seißeburg. Diese ist zwar längst zerstört, aber es lebt über die Burg und ihre Bewohner noch manche Sage im Munde des Volkes.[97] So soll der letzte Besitzer all sein Hab und Gut gegen Gold, Silber und andere Kostbarkeiten umgetauscht, Alles in einen Kessel gethan und diesen in der Burg vergraben haben. Der Herr von der Seeseburg ist längst zu den Vätern versammelt worden und viele, viele Jahre hindurch ging das Gerücht von dem vergrabenen Schatze in der Nachbarschaft um; es hieß aber auch, der Ritter habe mit dem Teufel im Bunde gestanden und auf Allem, was sein eigen gewesen sei, ruhe der Fluch, darum wagte Niemand den Schatz zu heben. Endlich fand sich aber doch ein junger Edelmann aus der Gegend, welchen nach dem Besitze der vielgepriesenen Reichthümer gelüstete. Er verband sich mit einem Schmied in Rhina, einem starken, unerschrockenen Manne, der sich im Falle eines glücklichen Ausgangs nichts vorbehielt für seine Mithülfe als den leeren Kessel; auch versprach dieser für weitere Hülfe zu sorgen, welche sie zu ihrem Unternehmen nöthig hatten. Die Sache war aber ruchbar geworden und zur bestimmten Stunde fand sich außer dem Edelmanne, dem Schmiede und den Arbeitern noch eine große Anzahl müßiger Gaffer bei der Seeseburg ein, welche von fern neugierig des Erfolgs der Nachgrabung harrte. Nachdem die Arbeiter sich mühsam durch Gestrüpp und Steine Bahn gemacht hatten, stießen sie sehr bald auf den Kessel und erhoben ein lautes Freudengeschrei, in das alle Umstehenden einstimmten. Mit verdoppeltem Eifer arbeiteten sie fort, um den Kessel aus der Grube zu schaffen, als auf einmal auf der gegenüber liegenden Seite der Burgtrümmer, anfangs von Einigen, dann von Allen bemerkt, eine Gestalt erschien, die, je länger sie sich zeigte, um so unheimlicher anzusehen war. Alle waren erschrocken, nur der Schmied behielt seinen Muth. Gefaßt und mit lauter Stimme fragte er den Fremden: »Ob er was gutes Neues bringe?« – »Ja«, antwortete dieser, »Einer von euch wird bald hängen!« – »Und wer von uns soll das sein?« fragte der Schmied weiter. –[98] »Der da drüben in der rothen Liege (Weste).« – »Ei, du verdammter Hundsfott!« rief erblassend mit halberstickter Stimme der Edelmann, denn auf diesen hatte der Fremde gedeutet. Aber kaum waren die Worte heraus, so verschwand die Gestalt und in demselben Augenblicke war es den Arbeitern, als würde der Kessel schwerer und immer schwerer, so daß sie ihn aller Anstrengung ungeachtet nicht mehr zu halten vermochten; ehe sie sich dessen versahen, rutschte er in die Grube zurück. Ei so willst du doch etwas davon behalten, dachte der muthige Schmied, faßte den einen Henkel des Kessels, schwang mit der Rechten den schweren Hammer und ließ einen so gewaltigen Schlag darauf fallen, daß, als der Kessel versank, der Henkel in seiner Hand zurückblieb. Wie von unsichtbarer Macht fortgeschoben, fiel nun das Steingerölle in die Vertiefung nach und in kurzer Zeit hatte die Stätte wieder dasselbe Ansehen, wie vor dem Beginne der Arbeit.

In furchtsamer Hast rannten nunmehr Alle dem Dorfe wieder zu. Auch der Schmied mit dem eroberten Henkel, welcher riesengroß und ungemein schwer war, kehrte nach Hause zurück, darüber nachdenkend, ob er den Henkel verschmieden oder zum Andenken aufbewahren solle. Er entschied sich endlich für das erstere, mühte sich aber bis tief in die Nacht vergeblich ab, demselben eine andere Form zu geben. Ermüdet von der sauern Arbeit sank er in tiefen Schlaf und als er am andern Morgen nach dem Henkel sah, fand er, daß derselbe von purem Golde war.

Von dem Edelmanne hat man nie wieder etwas gehört, und es fand sich seit der Zeit Niemand, der Lust gehabt hätte, den Schatz der Seeseburg zu heben. Auch der Schmied, der zum reichen Manne geworden war, begnügte sich mit dem, was er gewonnen und hatte keine Neigung, sich noch den andern Henkel zu holen.

Mündlich1.

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Ich gebe die Sage wie ich sie empfangen, obgleich mir von einer Seeseburg oder Seißeburg zwischen Rhina und Rotenkirchen nichts bekannt ist. Der Soisberg, welcher 2 Stunden östlich davon liegt, kann nicht wohl gemeint sein.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. XCVII97-XCIX99.
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