166. Ergrauen vor Schrecken.

[108] Es ist eine vielverbreitete Meinung, daß man graues Haar bekommt, wenn man beim Erschrecken mit der Hand nach dem Kopfe fährt.

Pfarrer Collmann, der im 16. Jahrhundert lebte und eine Genealogie der v. Baumbach im Manuscript hinterlassen hat, erzählt: Heinrich v. Baumbach stand beim Landgrafen Philipp dem Großmüthigen sehr in Gunst. Anno 1546 ist er von demselben, da der ingolstadtsche Krieg allmälich geglimmt und angehen wollen, an die schwäbischen Städte abgefertigt worden, um sie zur Hülfe aufzufordern. Unterwegs soll ihm etwas Wunderliches begegnet und aufgestoßen sein. In einer Nacht, da er auf Ulm geritten, wären ihm allerlei tückische Gespenster erschienen, Bäume vorgeschoben, daß er weder ein noch aus habe kommen können. Vier hätten eine Bahre mit einem langen Leichentuche behangen, vor ihm her getragen. Da aber der Tag angebrochen, sei eine Engelsgestalt aus den Wolken gekommen, habe dem teuflischen Gespenst mit einem Scepter gewinkt und Alles sei verschwunden und er habe gesehen und erkannt, wo er gewesen, welches er die ganze Nacht nicht gewußt habe.

Es muß ihm gewißlich hart zugesetzt haben, denn er ist in der Nacht eisgrau geworden, da er doch sonst noch ein junger Gesell gewesen1.

Mitg. in Justi's hess. Denkw. IV, 425.

1

Die deutsche Heldensage läßt den Wolfdietrich eine ganze Nacht mit den Geistern aller derer kämpfen, die er getödtet hatte; auch ihm war in dieser schrecklichen Nacht das Haar eisgrau geworden.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CVIII108-CIX109.
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