229. Burg Hauneck.

[158] Auf dem rechten Ufer der Haune, zwischen den Dörfern Ober- und Unterstoppel erhebt sich 1190 Fuß über den Spiegel des Meeres der Stoppelberg, dessen bewaldeter Gipfel die Trümmer des Schlosses Hauneck trägt. Auf diesen Trümmern regt sich ein Mal im Jahre, am Himmelfahrtstage, buntes, heiteres Leben; denn es sammeln sich hier an diesem Tage viele Hunderte von Landleuten aus der Umgegend, welche heilende Kräuter am Bergesabhange suchen und droben, der stummen Zeugen irdischer Vergänglichkeit und der Verwüstung ringsum nicht achtend, fröhlich singen und tanzen. Die Burg Hauneck gehörte einem der ältesten Edelgeschlechter des Buchenlandes, denen von Haune, berüchtigt mehr als berühmt wegen ihrer unbändigen Fehde- und Raubsucht. Ein ärgeres Raubnest als Burg Hauneck, die so trotzig von dem Gipfel des Berges in die Welt hinausschaute, war weit und breit nicht zu finden. Unterirdische Gänge liefen bis zu einigen anderen Burgen in der Nachbarschaft, mit deren Besitzern die Haune's zu gegenseitiger Hülfe und Wachsamkeit sich verbündet hatten. So kam denn kein Waarenzug unangefochten vorbei, der nicht eine starke Bedeckung mit sich führte, und selbst einzelne Reisende wurden ausgeplündert und durften von Glück sagen, wenn sie für ein gutes Lösegeld mit dem Leben davon kamen.

Zu einer Zeit hauste auf Hauneck ein Ritter von Haune, welcher an Verwegenheit und Wildheit alle seine Vorfahren übertraf und allgemein als eine Geißel des Landes angesehen wurde. Der »wilde Haune« war ein gefürchteter Name, an den sich[158] manch' schreckhafte blutige Märe knüpfte. Eines Tages kam ein vornehmer Edelmann1 im Haunethal heraufgezogen. Er hatte zwar eine Schaar von Reisigen zu seinem Schutze bei sich, aber der »wilde Hanne«, dem seine Späher von der Ankunft des Reisenden Nachricht gegeben hatten, lag mit seinen Spießgesellen im Hinterhalte, überfiel unerwartet den Trupp, überwältigte ihn, nahm den Edelmann gefangen und führte ihn auf sein Felsennest, wo er ihn in Erwartung eines reichen Lösegeldes einstweilen in einen Thurm einsperrte. In diesem Thurme saß er viele Tage und Nächte lang und jeden Morgen und Abend brachte eine junge Dirne ihm Speise und Trank. Der Edelmann war aber ein schöner junger Mann; die Dirne nahm deshalb großen Antheil an seinem Schicksale, um so mehr, da er sich stets freundlich gegen sie erwies, und Freundlichkeit auf Burg Hauneck seit Menschengedenken nicht mehr heimisch war. Sie mußte jeden Abend, nachdem sie den Gefangenen versorgt hatte, in das Thal und in einer großen Bütte Wasser herauftragen, da sich im Schlosse kein Brunnen befand. Dies brachte sie auf den Gedanken den Edelmann zu retten; auch fand sich bei dem wüsten Leben auf der Burg bald eine Gelegenheit, wo sie unbeachtet ihren Plan ausführen konnte. An einem Abend, da es schon dämmerig war, ging sie, die Bütte auf dem Rücken, in gewohnter Weise den Schloßberg hinab und Niemand argwöhnte, daß der Gefangene in der Bütte saß. Am Fuße des Stoppelsberges angekommen, versteckten sie die Bütte im Gebüsch und schlugen[159] eilig die ihnen wohlbekannten Wege nach Fulda ein. Als die Haunecker am andern Morgen die Flucht des Gefangenen wahrnahmen und auch die Bütte fanden, setzte sich der »wilde Haune« mit einigen seiner Knechte sogleich zu Roß, um die Flüchtlinge auf der Straße nach Fulda zu verfolgen; aber diese waren längst hinter den schützenden Mauern des alten Bischofsitzes in Sicherheit und die Räuber hatten nur das leere Nachsehen.

Der Edelmann reichte bald darauf seiner Retterin am Altare die Hand und führte sie als Gattin auf sein Schloß.

Mündlich.

1

Der Erzähler fügte hinzu, »es solle ein Prinz von Oranien gewesen sein.« Wahrlich ein Beweis, daß die Fuldaer des Prinzen von Oranien, der dort von 1803-1806 regierte, dankbar gedenken, wenn sie schon nach wenigen Decennien seinen Namen in die alten Sagen des Landes einschlagen, wie mir aus diesem Beispiele nicht allein bekannt ist.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CLVIII158-CLX160.
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