311. Die Kirchweihe zu Brotterode.

[230] Zur Zeit des Brotteroder Kirchweihfestes, welches regelmäßig in die Jacobiwoche fällt, wird Montags unter dem Geläute aller Glocken am Kirchthurme eine Fahne ausgesteckt, welche, vom Volke als Zeichen der Kirchweihfreiheit betrachtet, während der ganzen Dauer der Kirchweihe dortselbst verbleibt, und erst an dem folgenden Montag, ebenfalls unter Glockengeläute wieder eingezogen wird. Während dieser Zeit hat herkömmlich jeder Einwohner das Recht, Bier zu schenken und das Dorfwasser bis an die über dasselbe unterhalb des Zainhammers führende Brücke zu fischen. Dies s.g. Fahnenrecht leitet die Sage von einer Begnadigung Kaiser Karls V. (im Munde des Volkes »Karlequint«) her, dessen Gemahlin hier eine Niederkunft gehalten haben und bei dieser Gelegenheit von den Brotterodern stattlich bewirthet und bedient worden sein soll. Aus Dankbarkeit soll der Kaiser der Gemeinde ihre ansehnliche Gemeinde-Waldung,[230] das Blutgericht und viele Freiheiten, darunter das Fahnenrecht geschenkt haben. In der noch vorhandenen, jedoch öfter erneuerten Fahne stehen unter einer Krone Bergmannsschlägel und Eisen, welche auch die Gemeinde mit der Umschrift »Cent Brotterode« noch jetzt in ihrem Siegel führt.1

Wagner, Gesch. v. Schmalkalden, 166.

1

Das Volk schreibt jene Begnadigung mitunter auch Karl dem Großen zu.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXXX230-CCXXXI231.
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