319. Das Fuën.

[236] Das »Fuën« ist ein durch die ganze Grafschaft Schaumburg verbreiteter Fastnachtsgebrauch, wovon die Bauern selber sagen, daß er wohl »ut den olen Heidentieen affstammen« müsse. Zu erklären wissen sie ihn aber nicht: »Wat se vor olen Tieen maked hebbed, dat weit man nich recht mehr.«

Zwischen dem Unterholze in Eichenwaldungen wächst häufig im Schaumburgischen die an ihren stachelichen Blättern leicht kenntliche immergrüne Stecheiche (Ilex aquifolium). Aus dieser werden die »Fuësträuche«, auch »Hülsen« genannt, gebunden. Die Bursche und Knechte holen sie vor Fastnacht im Walde, ziehen damit am Fastnachtsabend im Dorfe umher, dringen in die Häuser und schlagen den Frauen und Mädchen die Waden damit, so daß oft Blut fließt, unter dem Ruf:[236]


»Fuë, fuë Faßlahmt (Fastenabend),

wenn du geeren geben wutt,

schast du sau langen Flaß hebben!1«


Sind die Weiber tüchtig gefuët, so muß Branntwein und Wurst aufgetragen werden.

Am zweiten Fastnachtstag haben die Mädchen das Recht des Fuëns, wobei die Männer wieder nicht ohne blutige Hände davon kommen.

In ganz fremde Häuser wird eingedrungen, weder der Pfarrer noch die Gutsherrschaft bleibt verschont.

Mündlich.

1

Hierbei wird eine Pantomime gemacht, welche anzeigt, wie lang der Flachs werden soll.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXXXVI236-CCXXXVII237.
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