Die Rose

[43] Und wieder sind aus grüner Blätterfülle

Viel Blumen zauberhaft hervorgeeilt,

Sie drängen sich heraus in Pracht und Fülle

Als hätten sie zu lang versteckt geweilt,

Und schauen auf, so wie vom Meeresgrund,

Dem grünen, holde Feen sich erheben

Und lockend grüßen, grüßt der Blumenmund

Und läßt statt Seufzer süße Düfte schweben.


Doch wie sie auch um Schönheitspreise ringen,

Die Rose nur scheint mir des Liedes wert

Wie wir es jetzt in Kriegerweisen singen:

Sie trägt den Dorn als drohend rotes Schwert,

Ein Tropfen Tau in ihrem Angesicht

Das feurig strahlt im hohen Purpurglanze

Blickt sie wie träumend nach dem Himmelslicht,

Wohl ohne Schild, doch nimmer ohne Lanze.


Nicht mit der Liebe mag ich sie vergleichen,

Wie ihr vordem im Minnelied gethan.

Sie sei für mich der Dichtung heilig Zeichen

Wie ich ihr folgt auf meiner Lebensbahn.[44]

Die Rose heißt der Blumen Königin,

Ihr will man stets den ersten Preis gewähren,

Im kindschen Spiel liegt oft ein hoher Sinn,

Der Dichter sagt's, ich will's Euch jetzt erklären.


Ich hab verlernt ein Minnelied zu singen,

Den alten Reim von Herz und Schmerz verlernt.

Ich kann der Muse nie ein Opfer bringen,

Das von dem Hochaltare mich entfernt

Auf dem der Freiheit heilig Feuer flammt,

In dessen Dienst ich mutig mich begeben,

Es ist ein kriegerisches Priesteramt

Und Kampfeslieder nur kann ich erheben.


Und diese Lieder wolltet Ihr verwehren,

Verrat sie nennen an der Poesie?

Ihr nennts die Kunst die himmlische entehren

Wenn unser Ringen Waffen ihr verlieh?

Ein Lied das kämpfen will im Dienst der Zeit,

Der holden Rose ist es zu vergleichen:

Begeistert blüht es auf in Herrlichkeit

Und trägt gleich ihr den Dorn als Kampfeszeichen.

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 43-45.
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