Romantik

[229] Der Mond im Silbernachen

Durchzieht die blaue Flut,

Er scheint allein zu wachen

Wo alles schlummernd ruht.


Im Hain und auf den Auen

Erglänzt sein magisch Licht,

Wo helle Tropfen tauen

Ein Baum zum andern spricht:


»Das ist die Geisterstunde,

Schon naht die Mitternacht!«

Da sind im Waldesgrunde

Die Elfen aufgewacht.


Sie tanzen ihren Reigen

Auf Teppichen von Moos,

Und lösen von den Zweigen

Wohl Blüt' um Blüte los.


Das ist ein fröhlich Leben

Im hellen Mondenschein,

Sie hüpfen und sie schweben

Voll Lust waldaus und ein;
[230]

Bis daß am Himmelsrande

Versinkt des Mondes Kahn,

Und krähend weckt die Lande

Mit Morgengruß der Hahn.


Die Elfen fliehn erschrocken

In Erd' und Felsenspalt –

Der Nebel sinkt in Flocken

Auf ihr Versteck im Wald. –


Das ist dein Los ja heute

Romantik, Elfenland!

Du wardst des Tages Beute,

Dein süßer Zauber schwand.


Und wer ihn noch will hegen,

Der muß von hinnen fliehn,

Auf tief verborgnen Wegen

In's Land der Elfen ziehn,


Denn sie sind nicht gestorben,

Sie leben fort und fort,

Sie hüten unverdorben

Noch ihren Wunderhort.


Allein nur den Geweihten

Erschließen sie den Pfad –

Wie ist ein Reich zu neiden,

Dem kein Profaner naht!

Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 229-231.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon