An Lenau

[151] Begeistrung senkt sich auf mich nieder,

Mein Auge glänzt, mein Busen schwillt,

Gedenk ich dein und deiner Lieder,

Du hohes, ernstes Dichterbild!


Strahl des Gesangs! mit dunklem Beben

Erfaßt mich tiefer Sehnsucht Weh,

Von dir geleitet hinzuschweben

Auf der Gedanken weiter See!


Und eh mich noch die Wellen tragen,

Steht es wohl fest in meinem Sinn,

Mich allzuferne nicht zu wagen,

Zu schiffen nur am Strande hin;
[152]

Denn Hilfe, Trost und Zuflucht fehlen

Auf jener Bahn, die wählt mein Drang,

Und viele Schiffer sind zu zählen,

Die dieser Ocean verschlang.


Doch seh ich deinen Strahl, den klaren,

Du Liedesstern, so licht und hehr: –

Vergeß ich träumrisch der Gefahren

Und steure fort in's offne Meer.


Und steure fort, bis fern die Küste

Vor meinem trunknen Blick versinkt

Und in der weiten Weltenwüste

Mir nur dein Licht entgegenblinkt.


Es zog mich dieses Licht vom Strande,

Dem Leben raubt' es eine Braut,

Doch wird's den Weg zu höhrem Lande

Dem Herzen zeigen, das ihm traut.

Quelle:
Betty Paoli: Gedichte. Pest; Leipzig 21845, S. 151-153.
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