Über den Himmel

[247] Süsser Himmel, heilger Heerd

Gottes Pracht-Hauß, Engel-Wohnung,

Aller Frommen End-Belohnung,

Denk, wie mir zu Muthe werd,[247]

Wenn ich deine schöne Höh

Aus der Erden Grufft anseh.


Deine Stern und was sonst dein,

Bleiben immer frisch und munter;

Ihr geht auff und wieder unter,

Ihr verwechselt Nacht und Schein,

Und es fehlt je Keinem ichts,

Auch an dem geringsten nichts.


Ach, auch ich war gleich wie ihr

Und wie eure reinen Geister,

Unser hocherhabner Meister

Ließ euch stehn und war bey mir,

Euch hat er zum Sitz erwählt,

Mich mit seinem Bild beseelt.


So ging ich euch noch weit für;

Aber, o den schnöden Bissen,

Der uns diesen Schatz entrissen,

Weg ist alle meine Zier,

Für des Höchsten Conterfeyt

Nahm ich an ein Feigen-Kleid.


Was für Sorge, Müh' und Pein

Hat mich gleich hiemit umgeben,

Immer sterben ist mein Leben!

Himmel, du bleibst dennoch mein,

Wenn die Erde mich vertreibt,

Werd' ich dir doch einverleibt.


Dies hat mir durch theuren Kauff

Er, dein Erb-Printz, neu erworben;

Da er ist für mich gestorben

Schloß er mir dich wieder auff,

Und daß ich nicht irrte hier,

Macht' er selber sich zur Thür.


Wie lockt dies zu dir mich ein,

Mehr noch, wenn du scheinst zu winken,

Denn was kan der Sternen Blinken

Anders doch, als dieses seyn?[248]

Und was thustu immermehr,

Das mich nicht zu dir stets kehr?


Donnerst du und schreckest mich,

Was heist eh zu dir mich gehen?

Bistu unbewolkt zu sehen,

So verlieb' ich mich in dich,

Regnest, thaust und schneiest du,

Fällt dein Gut mir, sag' ich, zu.


Also hab' ich allezeit

Das mich auff zu dir muß heben,

Doch noch mehr nach dem heist streben,

Der mir dies durch dich bereit.

Herrlich bistu, was du bist;

Was ist der, durch den dies ist?


Außerwehltes, seelges Zelt,

Laß mich so mit dir stets sprechen

Und auß mir zu dir mich brechen;

Auch wie köstlich, daß die Welt,

Gibt sie nichts, als Müh' und Pein,

Soll sie uns nicht schädlich seyn.


Knirsch mit steter Reu mich hier

Und mach mich so weich und mürbe;

Würd' ich nicht zu Asch' und stürbe,

Käm' ich Träger nicht zu dir.

Denn wie steigt sonst auf die Erd',

Als wenn sie in Staub verkehrt?

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 30, Stuttgart [o.J.], S. 247-249.
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