[240] Wer bin ich, Gott, doch gegen dich,
Und dennoch unterwind' ich mich
Mit dir mich öffters zu bereden.
Darff Staub und Asch, darff dürres Heu,
Darff flüchtigs Laub und öde Spreu,
Ein Mensch, ach Herr, sich nicht entblöden,
Daß er, o Schöpffer aller Welt,
Dich, wenn er will, zu Rede stellt?
[240]
Was fehlt mir, auch wie schlecht es ist,
Drum dich mein Herz nicht frey begrüst!
Und bin doch nie dir zu geringe.
Der Zutritt hat nicht Maaß noch Ziel,
Die Bitte bittet nie zu viel,
Und klopfft nicht, daß sie nicht durchdringe,
Ist, daß mein Wunsch dein' Hoheit scheut,
So stehstu, eh er kömmt, bereit.
O Wunder aller Lieb' und Güt,
Wo ist ein Mensch von dem Gemüth?
Wie lässet sich die Welt doch feyren,
Eh man sie anzusprechen kriegt,
Noch mehr, wenn man nicht leicht vergnügt,
Wie weiß sie, was sie giebt, zu säuren,
Und hebt mans doch nicht Himmelan,
Heist man ein undankbarer Mann.
An dich und dein erhabnes Hauß
Schick' ich nur einen Seuffzer auß,
So komm ich an und werd' erhöret.
Mir Erdenkloß ist das Gesicht,
Dafür der Cherub deckt sein Licht,
Und nicht die heilge Stett verwehret,
Wo der, dem alle Herrschaft frohnt,
In unbeschriebnen Ehren wohnt.
Bedarff wer viel, wer ist dem gut?
Besitzt wer viel, wie bläst sein Muth!
Du, o der ganzen Welt Berather,
Hast viel und giebst doch für und für,
Je ärmer wer, je lieber dir.
O reicher Gott und milder Vater,
O höchstes und auch tiefstes Gut,
Das nie sich spaart und nie verthut!
[241]
Schreckt Satan mich, so zeigstu dich,
Haßt mich die Welt, so liebstu mich,
Drückt mich viel Kreuz, so hilffstu tragen;
Verdammt mich selbst mein Fleisch und Blut,
So machstu durch dein Kind mir Muth
Und labst mich, da ich müst verzagen.
Ja, was ich habe, will und bin,
Ist gut, stell' ich es dir nur hin.
Ach, führ' auf dieser schönen Bahn
Zu dir, Herr, meinen Geist stets an
Und lasse dein Gespräch mich weiden.
Mein Hertz ist wie ein schwerer Stein
Und sinkt durch sich nur Höllenein;
Zermalm' es du durch Kreutz und Leiden,
Denn wird es leicht, denn steigt es woll
Und wird von deinem Hertzen voll.
Gib aber, daß, mein Gott, ich dir
Nichts, was dir mißfällt, bringe für,
Ich weiß nicht, was ich bitten solle.
Mein Aug' erkennt nur, was es sieht,
Ist Erd' und ist um Erd bemüht
Und zweiffelt selbst stets, was es wolle;
Du weist es, Jesu, o mein Licht,
Bitt du vor mich, so fehl' ich nicht.
Buchempfehlung
Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.
94 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro