Wie es dem Sonnenberger beim Freien erging.

[101] Beim Großbauern vom Sonnenberge hatten wir oft gearbeitet, es war eine unserer besten Steren. Die junge Hausfrau Katharina hat uns wohl versorgt. Auch später als Student bin ich oft am Tische der Sonnenbergerin gesessen. Ich wußte damals noch nicht, durch welch eine merkwürdige Geschichte diese Bäuerin in den großen Hof gekommen war. Heute weiß ich's und heute will ich's zu Ehren dieser rechtschaffenen Leute erzählen, genau wie's geschehen.

Der Bauer vom Sonnenberg ging eines Tages mit seinem Sohne Jochtl aus, um zu freien. Das waren auch zwei, die sich diesen sauren Weg hätten ersparen können. Der Gang zur Braut ist sonst kein saurer Weg, besonders wenn wir ein so wohlhabender und angesehener Mann sind, als der Bauer vom Sonnenberg. Es liegen ihrer fünfzig oder sechzig Höfe in der Landa, deren Töchter den jungen Jochtl vom Sonnenberg in ihr Abendgebet einschließen; Töchter, die Gott in ihrer aufgeblühten Schönheit feil hält schon manches Jahr; Töchter, die bereits angekündet worden und demnächst im Kalender der Heiratsmäßigen erscheinen werden. Und der Weg zu jeder wäre für den jungen Jochtl mit Rosen bestreut und der Alte vom Sonnenberg hätte es nicht nötig, unterwegs eine wohl gesetzte, ehrerbietige Anrede[102] zusammenzustellen. Er könnte, den Daumen im Gurt, mit Selbstbewußtsein ins Haus treten und – je herrischer, je besser – die Begehrenswerte für seinen Sohn verlangen. Er läßt's ja doch auch sonst so gern spüren, daß er der Fürnehmste ist in der Landa, der Größte und der Einflußreichste. Sie nennen ihn ben Gott Vater – zuerst war's aus Spaß, nach und nach sind sie das Wort gewohnt worden – und er läßt sich's gefallen. Ist er ja doch allmächtig, so gut das vom Sonnenberge aus gehen mag, ist heute gütig, herablassend, heiter, morgen streng, zornig, grollend und donnernd – just wie es ihm gefällt. Der Gott Vater vom Sonnenberg ist überhaupt gewöhnt, nur das zu tun, was er tun will. Und heute?

Heute geht er einen harten Weg, geht mit seinem Sohn auf die Freit, über den Berg, der die Landa abschließt, ins Gröntal und dem Eisenschlößl zu.

Denn so sind die Leute, die Reichen wollen noch reicher, die Angesehenen noch angesehener sein – es ist ein Unfrieden da, eine Begier, ein Fluch, deß auch dort kein Glück sei, wo es sein könnte. So bildete sich der Bauer vom Sonnenberg ein, daß, wenn er schon einmal Bauer vom Sonnenberg ist, er ebensogut auch Hammerherr im Gröntale sein könne. Der alte Hammerherr im Eisenschlößl war gestorben, hatte zwei große Hammerwerke, eine Anzahl von Huben, Wäldern und Almen hinterlassen und als Erben drei hübsche halberwachsene Töchter.

War das nicht gerade wie ein Fingerzeig vom Himmel, daß der Alte vom Sonnenberg für seinen Sohn Jocht' um die Älteste im Eisenschlößl werben sollte?[103] Danach waren sie jetzt auf dem Wege. Der Alte ging voraus, der Junge hinterdrein. Letzterer trug etwas in der Hand, über das ein rotes Sacktuch gedeckt war. Er trug es mit Ängstlichkeit und großer Sorgfalt, als wär' es etwas sehr Heikles.

Die beiden Wanderer schritten nicht gerade rasch voran und sie waren etwas kleinlaut. Einmal blieb der Alte stehen, blickte seinen Sohn von oben bis unten an und sagte:

»Ist ja gar nicht wahr, daß du um einen Kopf kürzer wärest als andere Bursche; ich weiß nicht, was die Leute für Augen haben, du bist ein gut und stark gewachsener junger Mann und ich habe richtig keine Angst, daß wir Schaub führen1 gehen könnten.«

»Ich hab' auch keine Angst,« antwortete der Jochtl und stellte sich ein wenig auf die Zehen. Auf seine weite Brust, auf seine breiten Achseln, auf seinen festen Nacken konnte er nur stolz sein und den Ledergurt trug er seit einigen Monden im letzten Loche gehakt. Ging das mit dem leiblichen Gedeihen so fort, so mußte er schon in nächster Zeit diesen feingearbeiteten Gurt mit der kunstvollen Silberschnalle, ein altes Familienstück, als zu eng geworden ablegen. Diese Notwendigkeit war bisher noch an keinen derer vom Sonnenberg herangetreten, es waren lauter schlanke, baumstarke Männer, wie der Alte heute noch bezeugt, und allemal die Schönste war es in der Landa, die von den Sonnenbergern heimgeführt worden.[104]

Fein aufgestellt war er heute, der Jochtl, sein kurzes Jöppel und seine Bocklederhose rochen noch ganz nach den Schneidern, und auf dem Haupte der Filzhut mit den bunten Quasten und der festen Krempe, die stellten den kleinen, dicken Kerl her, daß es eine Freude war. Der Jochtl war in seinem achtundzwanzigsten Jahre und recht vollbäckig und nicht kaltblütig, ein wenig schlau und ein bißchen hartköpfig dabei. Er hatte noch nicht viel nach Weibsleuten ausgelugt und der Alte fürchtete fast, er könne das »Schnalzerl« verpassen und es ohne Ehefrau versuchen, alt zu werden. Das durfte nicht sein. Daher riet ihm der Alte eine aus dem Eisenschlößl an, und dem Jochtl war's recht.

Als sie nun dem Schlößl in die Nähe kamen, setzten sie sich auf den Rasen; »daß wir nicht gar über und über verhitzt und verschwitzt vortreten,« meinte der Alte.

»Daß du dich hübsch manierlich stellst,« fuhr er fort, »und dein Nasenschnuppern stehen laßt. Späterhin kannst wieder schnuppern wie der Will', wenn du die verfluchte Angewohnheit schon einmal nicht lassen magst. Nur heut' nimm dich zusamm'. Schön den Hut abnehmen und daß du mir nicht vergißt, wenn wir vortreten: Der alten Hammerfrau küssest die Hand! So Frauenweiber halten was drauf und wird dein Schaden nicht sein. Reden werde schon ich. Bin ich fertig und haben wir die Antwort – und ich verhoff's eine erfreuliche Antwort – nachher trittst du vor und bringst schicksamerweise deine Sach' an. Was du zu reden hast, das kann ich dir jetzt nicht sagen, muß dir das recht Wort selber einfallen; auch so zu der Braut. Nur zu viel nicht reden. Wird vielleicht ein Eichtl flennen, die Junge;[105] mach' dir nichts draus, ist so der Brauch, legst ihr nur so ein wenig die Hand auf die Achsel. – Was Bursch?! – Ich glaub' gar! – Das wär' doch eine rechte Schand für so einen Jungen dahier! Geh'!« Der Jochtl preßte sein Gesicht in den Ellbogen hinein. Nach langem Zärteln und Fragen brachte es der Alte heraus, was dem Jungen fehlte.

»Schamen tu' ich mich,« schluchzte der Jochtl.

»Geh', Närrisch! Schamen wird sich schon das Mädel. Gescheiter um einen fingerlang zu keck, als zu lahmlackig – allemal gescheiter. Du bist ein Sonnenberger, darfst dich schon was getrauen. So, jetzt gehen wir's in Gottesnamen an.«

Als sie ins Eisenschlößl traten, fragten sie zuerst in der Küche nach der Herrschaft. Ein schlankes, blondhaariges Küchenmädchen wies ihnen bescheiden Treppe und Tür. Der Jochtl fragte sie, wie sie heiße, und wollte ihr einen Silberzwanziger in die Hand drücken. Sie antwortete: »Heißen tue ich Katharina und für das bedanke ich mich.« Wies das Geldstück ab und eilte flink davon. Der Jochtl schaute ihr nach.

Die Frauen im Eisenschlößl waren gerade versammelt in der großen Stube bei der Arbeit: Nähen, Stopfen, Sticken, Glätten und was so Verrichtungen sind, womit die einen den Mann erhalten, die anderen erwerben wollen.

Wie sie es im Eisenschlößchen sonst hielten, das weiß man nicht, aber heute waren sie emsig, alle Fünfe, die Großmutter, die Mutter, die drei Töchter bei häuslicher Arbeit, als hätten sie ahnen können, daß ein Freier kommt.[106]

Nun klopfte es an die Tür und wie? Der Alte vom Sonnenberg verstand es nicht allein, mit entschiedenem Herrscherdrucke die Klinke zu fassen, er wußte anzuklopfen – weich, höflich, daß es eine Art hatte.

So sagte denn die Hammerfrau, nachdem sie einen prüfenden Blick auf die arbeitende Gruppe geworfen hatte – ebenso höflich ihr »Herein!«

Als die Türe langsam ausging, flüsterte hinter dem Rücken der Mutter die Älteste den beiden Schwestern zu: »Der Gott Vater vom Sonnenberg!«

»Und der Gott Sohn!« hierauf die zweite, da kicherten sie.

Der Alte trat einige Schritte vor und sagte den feinsten der Bauerngrüße, die ihm einfielen. Die Frau dankte mit freundlicher Miene. Hierauf stand der vom Sonnenberg ein paar Augenblicke da, ohne recht zu wissen, wie er anfangen sollte. Der Jochtl hielt sich ganz nahe hinter ihm und duckte sich, was dem Kleinen hinter dem Großen nicht schwer wurde.

Der Alte tat einen Blick auf die Mädchen, einen gutmütigen Blick, an dem aber die Absicht, überflüssige Zeugenschaft hinwegzuschieben, nicht zu verkennen war. Die Frau verkannte diese Absicht auch nicht, doch gab sie keinen Wink und die Gruppe saß, wie sie saß.

»Ehrenwerte Frau Hammermeisterin,« hub der vom Sonnenberg mit etwas befangener Stimme an. »Wir sind die Besitzer vom Sonnenberg und täten bitten auf ein Wörtel.«

»Ja,« sagte sie, »was verschafft mir so werte Gäste?«

»Wie sich's bisweilen halt schickt,« antwortete der Alte, »mein Sohn, der Jochtl da, mein Einziger –,«[107] er wendete sich, um den Burschen vorzustellen, dieser jedoch barg sich immer noch hinter dem Rücken und der nun von seiner roten Hülle befreite Blumenstrauß zitterte ihm in der Hand – »der hat,« fuhr der Alte fort, »schon alleweil wollen hergehen – in dieses hochwerte Haus, aber das erstemal muß ich ihm den Weg in Ehren wohl zeigen. Er hat sonst auch Manieren für eine aus dem Schloß. Will er sich halt, wie ihn Gott erschaffen hat, entschließen, in den heiligen Ehestand zu treten und hat wohl sein Auge auf die Allerfürtrefflichste geworfen, die weit und breit im Sonnenschein gewachsen ist. Und so ist jetzt unser heiliges Fürnehmen, daß wir in Ernsten und Ehren um die Jungfrau anhalten, sintemalen schon Gott dem Adam im Paradiese –«

»Ich kenne den schönen Spruch,« unterbrach ihn die Hammerfrau, indem sie sich in ihrer ganzen Breite aufrichtete und so die hinter ihr flüsternden und kichernden Töchter deckte. »Ich kenne den Spruch, lieber Sonnenberger, und es freut uns recht, daß Ihr uns die Ehre wollt erweisen. Es mag jede froh sein, die einmal auf dem Sonnenberg sitzen kann und einen so braven Mann bekommt; könnte auch meinen Töchtern nichts Besseres wünschen, als eine so gute und sichere Hut, möchten sie den Pflichten und Obliegenheiten einer Großbauersfrau nur auch gewachsen sein.«

Der Alte vom Sonnenberg machte eine sehr höfliche Bewegung mit der Hand: keine Frage, sie wären ihnen schon gewachsen; der Jochtl erhob seinen Blumenstrauß.

»Jedoch,« fuhr die Hammerfrau fort, »ist es wohl einzusehen, daß in einem Hause wie das unsere am Wasser[108] bei den Schmieden und Hammerwerken die Mädeln nicht recht für eine Bauernwirtschaft abgerichtet werden. Fürs eine haben sie zu wenig, fürs andere haben sie zu viel, wie es halt schon geht. Man läßt ihnen allerlei lernen und angewohnen, und bis sie erwachsen sind, sieht man, die Wesen taugen nur noch für die Stadt. Darum bedanken wir uns noch einmal für die Gunst und Ehr' und wünschen von Herzen, daß der Herr Sohn eine Ehefrau findet, die an Stammen und Erziehung rechtschaffen für ihn taugt.«

Dem Alten vom Sonnenberg geschah in diesem Augenblicke übel, er hatte seine Gestalt, die bisher gebückt wie ein Fragezeichen vor der Hammerfrau gestanden war, ausgerichtet zu einem starren Ausrufungsstrich. Er wußte nicht, wie er sich sofort für die Schmach rächen sollte, die in dieser Stunde seinem Sonnenberg widerfahren war. Da trat neben ihm der Jochtl vor und sagte ehrerbietigen Tones: »Die Frau wird uns nicht recht verstanden haben. Sie hat was von ihren Töchtern gesagt – das werden vielleicht die drei munteren Kinder dort sein. Ach na, das wäre nichts für den Sonnenberger, der hat jezeit her die Tüchtigste und Sittsamste genommen, und will ich's auch nicht anders machen. Nach viel Fürnehmheit und Reichtum braucht der Sonnenberger nicht zu fragen, er muß eine haben, die für Haus und Küche taugt, und so halte ich in Ernsten und Ehren an um das brave Dienstdirndl, um die Katharina.«

Der Alte, dem bereits der Schweiß von der Stirn geronnen war, nickte lebhaft beistimmend mit dem Haupte. Er hatte jetzt keinen anderen Gedanken, als abstatten, die Schmach zurückgeben! Das Kichern hinter[109] der Frau Hammermeisterin war nun völlig verstummt. Die Frau Hammermeisterin selbst war etwas gedämpft, aber stets freundlich entgegnete sie, bei so wichtigen Sachen solle man wohl immer ganz deutlich reden. Sie frage nur, ob man mit dem Küchenmädchen schon im reinen sei? In diesem Falle habe ja sie nichts dreinzureden: die Katharina sei armer Leute Kind, gegenwärtig hier nur im Dienst, und ihrer Ausführung wegen sei keine Klage. Sie, die Hammermeisterin, sei der guten Haut zu ihrem Glücke nicht im Wege.

Der Alte hatte anfangs gemeint, diese Katharina wäre von dem Burschen nur so eine Finte gewesen, um sich aus der Schmiere zu ziehen. Des wurde er bald eines anderen überzeugt. Da der Jochtl schon einmal auf Weibersuche aus war, so wollte er mit leerer Hand nicht heimwärts; sein Auge war einmal dafür offen, die Katharina hatte ihm auf den ersten Blick gefallen, und als er sie nachher näher besah, gefiel sie ihm noch besser, kurzum, sein Werben hielt er aufrecht, und die Katharina ist eine der prächtigsten Bäuerinnen in der Landa geworden.

1

»Schaub führen« heißt in der Bauernschaft ein mißlungenes Werben, was andere Leute »einen Korb bekommen« nennen.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 101-110.
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