Die künigin Niobe

[106] In der osterweis Fritz Ketners.


19. april 1538.


1.

Ovidius schreibt von der küngin Niobe,

Amphioni vermelet wart

dem könig Thebanorum reich und milt,

die het vierzehen kinder mit im in der e,

siben sün adelicher art

und siben töchter engelisch gebilt.

Die künigin sich übernam,

ser pries

ir kinder meng und schön.

als auf ein tag das feste kam,

da die Thebaner mit getön

im tempel hielten festopfer

Diane und Latone, der

zweien göttin gar hoch gepreist,

das selb die küngin hart verdroß,

das man den göttin solche er beweist.


2.

Niobe ire kinder küniklich bekleit

und ungestüm in tempel sprang,

tobet und wütet, als wer sie nit klug,

Und schrei: »was brauchet ir hie für unsinnikeit,

das ir hie opfert mit gesang

Latone, die zwei kint im ebruch trug?

Solch fest und opfer billich sint

hie mein,

der tochter Tantali,

die euch gebar vierzehen kint

in der e mit Amphioni!«

also, mit hoffart gar betört,[107]

ret sie der göttin vil schmachwort;

aber in kurzer zeit hernach

kam Niobe in herzenpein

durch der götter zornige straf und rach.


3.

Ir starben dreizehen kinder auf einen tag

vor iren augen, das sies sach,

und blieb ir lebentig ein sun allein.

Der könig Amphion in herzenleit und klag

mit eignem schwerte sich durchstach

und endet mit das traurig leben sein.

Niobe aber ret kein wort

so lang

auf ert sie leben het,

gieng stilschweigent, an freut verdort;

wie das von ir schreibt der poet,

wie sie sich bei ir kinder grab

in ein steinseul verwandelt hab.

hie mag ein frau wol merken bei,

das sie mit keim kint poch noch prang,

das sie durch hoffart es nicht selb beschrei.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 106-108.
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