Die Steinlacherin und der Russe

[298] Dort steht der fremde Feldhauptmann

Den Mägden zu Gefallen,

Er sieht sich keck die Weiber an,

Die aus der Kirche wallen.


Ein Mägdlein tritt zuletzt heraus,

Die schönst' im ganzen Flecken,

Sie schickt die blauen Augen aus,

Und ruft sie heim vor Schrecken.


Es säumt geheimnißvoll der Flor

Die langen Augenlider,

Es drängt die keusche Brust hervor

Das weiche Scharlachmieder.


Auf blanken Spitzen lagern sich

Des Haares braune Flechten,

Die linke Hand liegt tugendlich

Am Gürtel auf der rechten.


Sie schreitet fürder mit dem Buch

Zu Hause fromm und munter,

Noch ferne glänzt das blaue Tuch,

Es wallt den Leib herunter.


Der Kriegsmann geht, im Blicke Glut,

Wie tiefdurchglühte Kohlen,

Dem Wirt befiehlt sein Uebermut,

Die junge Magd zu holen.
[298]

Die bärt'ge Lippe rühret er

Zu raschem, kurzem Worte,

Da trägt der Wirt ein Herz gar schwer

Zu seines Nachbars Pforte.


Der graue Vater hört's mit Harm,

Hat seinen Gram verborgen:

»Komm,« spricht er, »Kind, an meinem Arm;

Laß den im Himmel sorgen!«


So führt er sie dem Hause zu,

Er wappnet sich zum Streite:

»Nach meinem Kind, Herr, fragtest du?

Hier steht es mir zur Seite.«


Die Jungfrau lehnt sich an den Greis,

Mit zagendem Vertrauen,

Es war an seiner Locken Eis

Ihr Blütenhaupt zu schauen.


Der Jüngling aber stellt sich fern,

Er scheut, sie zu verletzen,

Er winkt mit regem Augenstern,

Bis sie sich beide setzen.


Dann setzt er sich zu unterst an,

Wo er im Sonnenlichte

Sich recht ergehn und laben kann

Auf ihrem Angesichte.


Er blickt in ihrer Wangen Blut,

In ihrer Augen Bläue,

Die Hand ihm auf der Stirne ruht,

Er schaut, und schaut auf's Neue.


Da weicht aus seiner Brust die Pein,

Da wird sein Auge milde,

Sein Sinn wird still, sein Herz wird rein

Vor Gottes Ebenbilde.


Es läßt sein Mund aus rauhem Bart

Ein kindlich Lächeln schauen,

Bethränte Blicke weben zart

Sich unter dunkeln Brauen.
[299]

Dann steht er auf und reißt sich los,

Langt nach des Vaters Händen,

Warf einen Ring ihm in den Schoos,

Und thät sich schweigend wenden.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 298-300.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon