Von der Demuth

[1.]

Kjnd wiltu selig werden/

Demüthig mustu sein/

Ohn Demut nichts auff Erden/

Hilfft dir zum Himmel ein/

Noch gunst/ noch kūst/ noch gelt/ noch gut/

Noch Marter/ noch vergossen Blut/

Ohn Demut alles thu/

Bleibt doch der Himmel zu.


2.

Die Demuth die wir loben/

Das præ gibt jederman:

Nicht sitzen wil hoch oben/

Sie setzt sich vnden an:

Sehr hoch die Demuth alle acht/

Zur Magdt sich dem geringsten macht/

Sich hinder alle stellt/

Nichts von sich selber helt.


3.

Die Demuth meint es müssen

Nur regnen Fewr vnd Schwerdt/

Getretten sein mit Füssen/

Deß sey sie alles werth.

Was jhr gesehen/ vnd wie es geh/

Lobt Gott/ ist froh/ vnd klagt kein Weh.

Sie sagt all Trübsal vol/

Es steh noch viel zu wol.


4.

Die Demuth läst sich finden

Wo sie Beschwernuß find/

Sich selbst wil vberwinden/

Geht durch als wehr sie blind.

Jm Hospital schier Tag vor Tag/

Bey Krancken wo sie kan vnd mag.

Also die Demuth kempfft/

Vnd jhren Hoffart dempfft.
[135]

5.

Die Demuth läst jhr sagen

All was man von jhr weiß/

Von neidischen beklagen/

Wird jhr der Kopff nicht heiß.

Das ist ein Bad/ daß jhr nicht schad/

Vnd macht sie rein das heisse Bad/

Vnd hat das Bad vmbsunst/

Das acht sie grosse Gunst.

6. (A5b)

Die Demuth legt gantz nider/

Den Kopff vnd eygen Sinn.

Thun keinem nichts zu wider/

Hält sie vor groß Gewinn.

Von eygen Lob wirdt Demuth kranck/

Gleich als von Gifft vnd bösem Stanck.

Es sticht jhr Tugendt groß/

Jm Knopff die schöne Roß.


6.

Die Demuth acht ohn massen

Was jhres Nechsten ist/

Jhr eigen thun vnd lassen/

Acht sie vor Stanck vnd Mist.

Sie wil an jhr kein Tugendt sehn/

Allein da sicht wo Mängel stehn/

Das Gegenspiel durchauß/

Jn jhres Nächsten Hauß.


7.

Die Demuth zu viel schwetzen

Hat weder Lieb noch Lust.

Hält sich/ vnd läst sich schetzen

Zum reden vnbewust.

Von eigen Lob wird Demuth kranck/

Gleich als von Gifft vnd bösem Stanck/

Kompt auch kein Schimpff noch Schertz/

Der Demuth in das Hertz.
[136]

8.

Die Demuth wil nicht tragen

Gewand das köstlich sey/

Sie haßt das Blaw am Kragen/

Vnd all solch Schmiererey.

Geziert vor Gottes Angesicht/

Gefallen wil den Menschen nicht/

Wer Gott gefällt ist schon/

So schon noch Sonn/ noch Mon.


9.

Die Demuth wil nur kennen

Sich selbst/ vnd jhr Natur:

Sie weiß nicht wol zu nennen

Kein ander Creatur:

Sie weiß daß sie von schlechter Art/

Auß Staub gemacht/ nicht Eysen hart.

Voll Leyden/ Leyd/ vnd Noth/

Heut kranck/ vnd Morgen todt.


Quelle:
Friedrich Spee: Die anonymen geistlichen Lieder vor 1623, Berlin 1979, S. 133-137.
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