Das Vatter vnser Poetisch auffgesetzt

[80] Eingang.


Ach Vatter hoch entwohnet/

Ob allen lüfften weit/

Alda dir Sonn/ vnd Monet

Gar tieff zun füssen leit:

Nim auff von mir geringen/

Ja nim die seufftzer an/

So mir von hertzen dringen/

Durch läre Wolcken-baan.


Die 1. Bitt.


Ach würd nur stäts gepriesen

Nur dein so schöner Nahm/

Wan späth sich hat gewiesen

Der nächtlich sternen kram![80]

Wan früh dan auch erschienen

Der täglich glantz/ vnd glast/

Vnd vns mit frewden dienen

Sonn/ Mon ohn ruh/ vnd rast.

Dich alle stund/ vnd vhren/

Ich wölt von hertzen mein/

All deine Creaturen

Recht lobten in gemein.

O Gott laß dir zu Ehren

Erd/ Himmel springen auff/

Will ja mich nit beschweren

Jchs mit dem halß erkauff.


Die 2. Bitt.


Nun stincket mir auff Erden

Die welt/ vnd weltlich pracht:

Nach Wagen/ Gutsch/ vnd Pferden/

Goldt/ geldt nit geitzig tracht.

Ach nur daß Reich dort oben/

Die runde Tempel dein/

Vns raum doch vnuerschoben

Nach diesem leben ein.


Die 3. Bitt.


Weil vnder deß wir niessen/

Den süssen Sonnen-schein

Wolt ich/ wir nie verliessen

Den minsten willen dein.[81]

Gar offt ich wünsch von hertzen

Gestrenger Herr/ vnd Gott/

Nie keiner wöll verschertzen

Auff erden dein gebott.


Die 4. Bitt.


Dich auch wir weiters bitten

Vmb nahrung/ speiß/ vnd brod;

Daß je doch bleib vermitten

Die saure taffel-noth.

Auß deiner hand ja prasset

Die nackend Raben-zucht/

Vnd weiß/ auff dich gepasset/

Von keiner mangelsucht.


Die 5. Bitt.


Nit ruck zu sinn mit grimmen

Die sünd/ vnd sünden-schuld/

Vnß mach in zähren schwimmen/

Hab wenig noch gedult.

O Gott/ so du mit augen

Die sünd wolst schawen an

Würd gar für vns nit taugen/

Nie könten wir bestahn.


Die 6. Bitt.


Daß fleisch mit süssen pfeilen

Vns trifft in süssem blick:

Die welt von seiden seilen

Vnß macht gar sanffte strick:[82]

Der Sathan vnß mit ehren/

Mit Cron/ vnd Scepter ladt/

Versuchung thut sich mehren/

Hilff/ hilff/ gib rath/ vnd that.


Die 7. Bitt.


Ja milt/ vnd frommer Vatter/

Ja Vatter/ vatter from/

Der höllisch drach/ vnd Natter

Schaff nie zu kräfften ko i.

Vor seinem gifft vnd flammen/

Vor seel vnd leibs gefahr/

Erhalt vns allesammen/

Ohn übel jmmerdar.

Quelle:
Friedrich Spee: Trutznachtigall, Halle a.d.S. 1936, S. 80-83.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Trutznachtigall
Sämtliche Schriften: Trutz-Nachtigall: Bd 1

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon