Ein Christliche Seel muntiert sich auff im abgang jhrer travvrigkeit

[95] 1.

O trawrigkeit deß hertzen/

Wan wirstu nemmen ab?

Aprill kombt auff den Mertzen/

Der winter geht zu grab.[95]

Natur war auch im schmertzen

Den trüben winter-tag/

Nun wend sie sich zum schertzen

Allweils die zeit vermag.


2.

Die vöglein schön erklingen/

Die Sonn sich strälet auff/

Die kühle brünlein springen/

Die bächlein seind im lauff.

Die blümlein zart erspriessen/

Zur Erden kriechens auß/

Laub/ graß/ herfür auch schiessen/

Die pfläntzlein werden krauß.


3.

Ade last trawren fahren

Zur wilden wüst hinein/

Bald wagen her/ vnd kahren

Lad auff all qual/ vnd pein/

Führt hin so schnöde wahren

Weit auß dem hertzen mein/

Wil fröligkeit nit sparen

Beym lieben Sonnen-schein.


4.

Ey wer doch wolt verlieren

So schöne Frühlings zeit?

Weil doch melancoliren

Hilfft warlich nit ein meit.[96]

Ich heut noch will spatziren

Zum nechsten grünen waldt/

Vnd da dan musiciren/

Daß lieblich widerschallt.


5.

An einem holen Felsen

Sich last ein Täublein sehn/

Ein Creutzlein thuts vmbhälsen

Heist büssend Magdalen.

Pflegt lieblich offt zu spielen

Auff diesem Psälterlein/

Daß nie so süß bey vilen

Noch harpff/ noch Cither seyn.


6.

Mit jhr will ich dan singen

Dem lieben Gottes Sohn:

Mehr lust es mir wird bringen

Alß aller ander thon;

Im Creutz allein/ mag sagen/

Ist frewd/ vnd fröligkeit:

Wers wil mit JESV tragen/

Find endlich süssigkeit.


7.

Wolauff/ wolauff/ im herren

Ich wil recht frölich seyn.

In weltlich schrey/ noch plerren

Mag ich nicht stimmen ein.[97]

All meine frewd verborgen

In JESV seiten ligt/

Da find ich heut/ vnd morgen

Noch manches rein gedicht.


8.

Mein harpff/ so mir wil schlagen/

Mein geig/ vnd cither-sang/

Mein lied in frewden-tagen/

Mein Laut- vnd psalter-klang

Sol sein als lang ich lebe/

Creutz/ nägel/ speer/ vnd blut/

Biß ich mein seel auffgebe

Bleibt mir wol solcher muth.


9.

O Creutz gar schön gezieret

Mit JESV meinem lieb!

Wer stäts bey dir psalliret/

Wol stäts in frewden blieb.

Möcht nur zu dir ich steigen

Ein Music richten an!

Zwar vber alle Geigen

Es müßt in warheit gahn.


10.

Kom nur auß deinem steine/

Du büssend Magdalen/

O Täublein daß ich meine/

Dich laß nur kecklich sehn.[98]

Vns laßt nun musiciren

Mit hellem frewden-thon/

Vns last nun jubiliren

Dem lieben Gottes Sohn.


11.

In frewden wil ich leben/

Der winter ist fürbey:

Die sünd mir seind vergeben/

Bin frisch/ vnd vogel-frey.

O wol/ vnd wol der stunde/

So mich zur buß gebracht/

Daß nit ich gieng zu grunde

Hat JESV Creutz gemacht.


12.

Nit lang/ nit lang mags wehren

In diesem jamerthal/

In eyl sich wird verzehren

All meiner stunden zahl.

Warumb wolt ich dan klagen/

Weil doch in ewigkeit

Nach diesen kurtzen tagen

Die frewd ist vns bereit?


13.

Hab ich schon waß verlohren

Auff dieser schnöden erd/

Ichs dort gantz außerkohren

Bald wider finden werd;[99]

Auff/ auff dan/ laßt erschallen

All frewd/ vnd fröligkeit/

Dem Herren wirds gefallen

Fort/ fort/ O trawrigkeit.

Quelle:
Friedrich Spee: Trutznachtigall, Halle a.d.S. 1936, S. 95-100.
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