7. Verliebet/ Gebunden

[31] 1.

Daß ich auff deinen Ladungs-Brieff/

mein Damon/ nicht bin zu dir kommen/

das schmerzet dich/ wie ich vernommen:

als wenn bey unsrer Freundschaft Gründen

sich eine Trennung könte finden

und Falschheit wo mit unter lieff'.


2.

Ach! Damon/ laß den Argwohn sein.

Kein Wechsel hat dich je verdrungen.

Die Rosilis hält mich gezwungen

Sie hält mein Wollen und Verlangen

ja meine Seele selbst gefangen.

Ich bin nu selber nicht mehr mein.


3.

Ich weiß/ daß dein belobtes Feld

Makarjen auch ist für zu ziehen/

ich kenne deiner Wiesen blühen/

die Jäger-lust/ die Fischereyen/

den Vogel-fang und was für freuen

mehr dein Robitten in sich hält.
[31]

4.

Mir klingt der sanffte Drescher-schlag

in Ohren noch/ wenn in dem frühen

die Morgen-treume reiner ziehen/

ich höre noch der Schaaffe blehen/

die Dader-Ganß/ der Hanen krehen/

wenn sich entzündt der junge Tag.


5.

Mich schmertzt die Hoffart/ Geitz und Neid/

Betrug und List sampt andern Sünden

die sich in Städten häuffig finden.

Hier herschet Unrecht/ Trozz und Schande

die Unschuld wohnet auff dem Lande/

wie umb Saturnus göldne Zeit.


6.

Wie gerne wär' ich einmahl mein!

wie gerne möcht' ich dich erblikken!

wie gerne mich bey dir erqwikken!

dein Brot gemengt auß schwartzer Kleyen

sollt' über Manna mir gedeyen/

dein Wasser-trunk als Nektar sein:


7.

Wer aber kan die Thrähnen sehn/

wenn die Rosille/ mein Verlangen/

mir trieffend-naß macht Stirn und Wangen

wenn sie verschweert mit Hand und Munde

mir gut zu seyn/ wenn eine Stunde

ich würd' ab- ihrer Seite -gehn?


8.

Bald bittet sie/ bald dreuet sie/

bald hebt sie wieder an zu klagen/

bald will sie sich mit Feusten schlagen/[32]

bald blößt sie sterbend ihr Gesichte

und flucht dem strengen Stern-Gerichte

Wer kan ertragen so viel Müh?


9.

Ich bin kein Stein/ ich lasse mich

auff ihre Klag' alsdenn erweichen/

so pflegt die Zeit vorbey zu streichen.

ich habe/ Freund/ dich nicht gesprochen

da meinstu denn/ es sey gebrochen/

was uns verbindet/ mich und dich.


10.

Ich weiß nicht/ was für Haltnüß doch

der schmeichlend' Amor in sich heget.

Der Freyheit Paß wird mir verleget

ich kan auß seinen Zauber-Ketten

mich durch kein einig Mittel retten/

so sehr beschweret mich sein Joch.


11.

Komm/ Bruder/ sieh es einst mit an/

du wirst es selbst mit mir gestehen/

es sey vergeblich nicht geschehen/

daß ich zu dir nicht bin gekommen/

daß mir die Freiheit sey genommen/

und daß Rosill' es hat getahn.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 31-33.
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