[51] 1.
So hat denn nu die eine Nacht
ein Tag treu-brüchig dich gemacht/
das heißt mit falschen Eydes-schwüren
ein allzu gläubig Kind verführen.
2.
Ich war ia noch in Szyten [nicht]
noch wo ein schwarzes Mohr-gesicht
in Afriken im Schweisse fliesset/
noch wo der Tyger sich ergiesset.
3.
Ja/ wenn mein Schiff im Meere stünd
und mich ein ungestümer Wind[51]
wor hätt' in Indien getragen
so wolt' ich nicht ein Wörtchen sagen.
4.
Nu sind nur wenig Stunden hin
daß ich nicht/ Leichte/ bey dir bin/
und du/ du bist schon umbgewendet
und hast dich fremder Gunst verpfändet.
5.
Es trennt uns kaum das dritte Hauß
und deine Treu ist schändlich auß/
es sind die Worte mit den Winden
geflohen zu des Meeres Gründen.
6.
Wie ist der reinen Keuschheit wehrt
doch dieser Zeit so ganz entehrt/
ich müste fast die Welt durchgehen
doch würd' ich kaum Perillen sehen.
7.
Nichts bessers kan ein Weibes-Bild
als daß sie Treu mit List vergillt/
und meisterlich weiß zubetriegen
mit Schmeicheln Spott und schlimmen Lügen.
8.
Kein Blat wird durch den Ost und Nord
so ungewiß getrieben fort,
als ihre flüchtige Gedanken
bald hier/ bald dorthin zweiffelnd wanken.
9.
Weil du denn nu verhärtet bist/
und dir gefällt die leichte List/[52]
so laß ich dir den Wetterwillen/
und wil mich gerne gerne stillen.
10.
Doch wüntsch' ich daß der Amor dich
mit Pfeilen rühre kräfftiglich
und daß/ um den du mich verlassen/
der/ wie du mich/ dich möge hassen.
Buchempfehlung
1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro