36. Verschiedene Ansichtsäußerungen

[256] Von Berlin zurückgekehrt, gaben wir uns wieder unseren schriftstellerischen und propagandistischen Arbeiten hin. Es war uns darum zu tun, zu erfahren, wie hervorragende Zeitgenossen über unsere Ziele dachten und ihre eventuelle Zustimmung zu verwerten. So war es, daß ich Björnsons und Fuldas und Edmondo de Amicis und Emilie Zolas und vieler anderer autoritative Zustimmung gewann. Aber auch auf Widerspruch und Zweifel stießen wir, freilich nur sehr selten. Mein Mann, der während unseres Pariser Aufenthaltes sich die Sympathien Alphonse Daudets errungen hatte, schrieb ihm jetzt von der Gründung des Friedensvereins, von dem Kongreß in Rom und frug ihn, ob er in der Sache mithelfen wollte. Hier ist die Antwort:


Mon cher confrère,


La guerre est odieuse et votre œuvre est belle. Je suis donc avec vous contre la guerre: mais croyez- vous vraiment que nous puissions autre chose en faveur de la paix qu'agiter nos bras et proférer des sons? Pour moi, la guerre est fatale et le côté pomme de ma nature – l'humanité se divise en poires et en pommes, les idéalistes et les autres – donc, mon terrible côté pomme m'enlève tout espoir de réussite dans la campagne que je suis prêt à entreprendre avec vous.

Rappelez-moi au souvenir de Madame Suttner et croyezmoi tout à vous

Alphonse Daudet.[256]


Und an mich schrieb ein berühmter deutscher Dichter:


Verehrte Frau Baronin!


Bedarf es einer ausdrücklichen Versicherung, daß ich den Zwecken und Zielen der Friedensliga die wärmste Anerkennung zolle? Und doch, da ich der Ueberzeugung bin, daß die von Leidenschaften und Instinkten mehr als von Vernunft und Liebe regierte Menschheit, wenn sie diesen Zielen nicht ewig fern bleibt, sich nur in jahrhundertelanger Kulturarbeit ihnen nähern wird, widerstrebt es mir, fromme Wünsche, die sich für eine edlere, humane Minderheit von selbst verstehen, in feierlichen Protesten auszusprechen, von denen ich keinen praktischen Erfolg zu hoffen vermag. Solange die europäische Gesittung noch immer von halbasiatischer Barbarei bedroht ist, die sich niemals einem Schiedsspruch unterwerfen, sondern nur der Gewalt weichen wird, halte ich das Ceterum censeo solcher Kongresse sogar für eine Gefahr, wie alles, was unsere im Interesse des Weltfriedens unentbehrliche Wehrhaftigkeit beeinträchtigt.

In aufrichtiger Verehrung grüßt Sie Ihr sehr ergebener

München, 31. Oktober 1891.

Paul Heyse.


Ich lasse noch einige Briefe aus jener Zeit folgen:


Auckland Castle Bishop Auckland, 12. Juli 1892.


Geehrte Frau!


Es ist Engländern nicht anders möglich, als dem von Ihnen unternommenen Werke sowie dem Erfolge, der es begleitet hat, mit vollster, herzlichster Sympathie entgegenzukommen. Die Förderung der Friedensangelegenheit in nächster Zukunft hängt in großem Maße von der Gefühlsstimmung der deutschen Rasse ab – und bei dieser haben Sie bereits einen tiefen Eindruck hervorgerufen!

Was meine Person anbelangt, bin ich gläubig genug – darf ich wohl sagen: ich vertraue der Macht des christlichen Glaubens genügend? –, um zu erwarten, daß, wenn einmal die Großmut gegnerischer Völker geweckt sein wird, was ganz im Bereiche des Möglichen gelegen ist, auch ein Weg gefunden werden wird, der zur Beseitigung der ständigen Ursachen gegenseitiger Gereiztheit führt. Dann werden auch die natürlichen Institutionen des Friedens hinreichen, um die Nationen mit jener kraftvollen, aus Selbstverleugnung bestehenden Disziplin auszustatten, welche gegenwärtig durch stete Kriegsbereitschaft aufrechterhalten werden muß.

Hieße es zu weit gehen, wenn man die Hoffnung ausspräche, daß selbst unsere Generation es noch erleben dürfte, Frankreich, Deutschland, Rußland, sozusagen durch einen neutralen Gürtel eingegrenzt, in den Stand gesetzt zu sehen, die ihnen zu Gebote stehenden Mittel zum Aufschwung zu bringen, ohne störende Ereignisse gewärtigen zu müssen und ihr Verrichtungen[257] im Dienste der Menschheit zu leisten – gleichzeitig das Reich Gottes auf Erden fördernd.

Möge reichlicher Segen auf Ihren Bestrebungen ruhen!

Mit den aufrichtigsten Gefühlen der Hochachtung, geehrte Frau, bin ich Ihr aufrichtig ergebener

B. T. Dunelm.7


Mit dem Vorsitzenden des Romkongresses, Minister Ruggero Bonghi, war ich in Korrespondenz geblieben. Hier einer seiner Briefe: (Im Original – italienisch.)


Anagni, 9. Juli 1892.


Liebe Freundin!


Da Sie gestatten, daß ich Sie Freundin nenne, so werde ich Ihnen keinen anderen Namen mehr geben, denn es gibt keinen holderen. Und das Bewußtsein, daß ich zu einer Freundin spreche, versüßt mir das Schreiben, macht es mir beinahe angenehmer erscheinen, als ein Umherstreifen auf den Feldern, um die frischen Lüfte einzuatmen, die hier in diesen frühen Morgenstunden auf den Höhen der Apenninen wehen – hier, wo ich, um mit Petrarca zu reden (»doglioso e grave or seggio«) ernst und trauernd nun hause, und wo in verflossener Zeit so viel kriegerische Wut entfesselt worden ist, während heute so tiefe Ruhe und Muße herrscht; hier in diesem uralten Anagni, dessen Ursprung sich in grauer Vorzeit verliert und das den höchsten Rang einnahm bei einem Volke, das von Rom unterjocht worden, das die Heimat hochsinniger Päpste gewesen, welche es bewohnten und von da aus die Welt regierten – hier stelle ich Betrachtungen an über die Schicksale meines Vaterlandes, über die schwierigen Heilmittel seiner Gebrechen, und bei alledem sehe ich – in meiner Waisenanstalt – die kleinen Mädchen heranwachsen. Und ich unterweise sie, damit, wenn sie groß geworden und in ihre Familien zurückkehren, sie auf diese bessernd einwirken und die Zukunft freundlicher gestalten mögen ....

Fast will es mir scheinen, teure Freundin, daß ich so ein – wenn auch unscheinbares – vielleicht nützlicheres Werk vollbringe, als das Werk von gar vielen, die ihr Geschwätz in die Versammlungen tragen und ihre Leidenschaften und Verblendungen in den Kronrat. Und indem ich an Sie denke, erhebe ich mich zu jenem Ideal von Eintracht und Frieden, das in Ihrem Geist und in Ihrem Herzen lebt und welches Zeugnis von dem Seelenadel jener gibt, die es erfassen und lieben können – während dasselbe zu verachten, zu verlachen und zu verleugnen das Gegenteil bezeugt.[258]

Was hat der Krieg hier geleistet? Er hat diese Landschaften verwüstet und öfters, im Laufe der Jahrhunderte, die Einwohner verstreut, so daß selbst die Spuren ihrer Wohnstätten verschwunden sind. Oefters auch, im Laufe der Jahrhunderte, hat Anagni und das Seccotal, über welchem es liegt, sich erhoben – und ebensooft wurde es durch die Gewalt der Waffen und durch den Ehrgeiz der Großen wieder niedergebeugt. Und jetzt ist das Tal ungesund; kaum, daß man hier oben – ungefähr 500 Meter über dem Meeresspiegel – sich vor seinen Miasmen retten kann.

Ich habe eine Idee, geehrte Frau, und fast scheue ich mich sie auszusprechen. Und zwar: ich glaube, daß Rom – von welchem die erste Eroberung dieser Landstriche ausgegangen – auch das erste Unglück über sie gebracht hat. Entweder ist die ganze Geschichte der ersten Jahrhunderte Roms falsch, oder aber, es waren die Völker, welche zuerst unter das römische Joch fielen, vorher glücklicher und zahlreicher und lebten auf gesünderen und fruchtbareren Gründen und in ausgebreiteteren Wohnstätten als nachher. Welche Wohltat hat der Krieg hier oder anderswo geschaffen?

Wenn in den Taten, zu welchen er die Menschen zwingt, nicht alles von Uebel ist und wenn dabei auch manche Tugend erglänzt, so kommt dies daher, weil der Mensch so wild und – ich möchte sagen – so tierisch er auch werden kann, doch niemals ganz aufhört, menschlich zu sein, und in irgend einer Weise den Schaden mildert, den sein eigenes Werk verübt. Wenn der Krieg irgendwie Gutes getan hat, so ist dies, man kann sagen, trotz seiner und gegen seine Absicht geschehen. Wenn auch manche Instinkte den Menschen zum Kriege treiben, um wie vieles edler sind diejenigen, die ihn davon abstoßen! Wie erhaben – gegen das zornige Geschrei, welches dazu auffordert – klingt doch die Stimme, die ihn davon zurückhalten will! Ich las heute die Maxime des alten Lao-Tse: »Wenn zwei Heere gleicher Waffenstärke miteinander kämpfen, so gehört der Sieg demjenigen, dessen Führer der Barmherzigere war.«

Das ist – leider – nicht richtig. Aber es ist eine jener menschlichen Illusionen, welche wertvoller sind als eine Wahrheit, weil sie beweisen, daß dem Menschen der Gebrauch der Waffen Reue einflößt; daß er sich im Gewissen nicht ruhig fühlt, auch wenn er gezwungen worden, sie zu gebrauchen, und daß er in irgendeiner Tugend, in irgendeinem Gefühle, das ihn entsündigen könnte, den Grund des Sieges sucht. Wir – Förderer des Friedens, die wir mit glühendem Eifer für ihn wirken, wir wollen schließlich weiter nichts als dieses: daß der Mensch ganz menschlich werde.

Und da ich gewohnt bin, die Briefe an meine Freundinnen endlich zu schließen, so schließe ich auch diesen ab. Seien Sie ein wenig gewogen Ihrem

Bonghi.[259]


Nach meiner Berliner Reise erhielt ich von Bonghi folgende – diesmal französisch geschriebene Zeilen:


Rome, 26 avril 1892.


Je vous suis et vous applaudis. Vous avez tout ce qu'il faut pour le rôle bienfaisant et intelligent que vous jouez. Vous avez eu la hardiesse d'aller planter notre drapeau à Berlin, dans la forteresse même de nos ennemis.

Ecrivez-moi, chère Baronne, le plus souvent que vous pourrez, vous me ferez un très grand plaisir. Mille amitiés à votre mari.

Tout à vous

R. Bonghi.


Von dem berühmten russischen Volksgelehrten und Professor an der Universität in Moskau, Grafen Kamarowsky, hatte ich einen Beitrag für meine Revue erhalten und nachstehenden Brief:


Moskau, 18./30. Mai 1892.


Hochgeehrte Frau!


Empfangen Sie meinen Dank für Ihren Brief und die ihn begleitenden Broschüren. Sie haben recht: Sie sind mir keine Unbekannte, seitdem ich Sie aus Ihrem schönen Roman: »Die Waffen nieder« schätzen gelernt habe. Zugleich schicke ich Ihnen meine Vorlesung, die ich zugunsten der Hungernden gehalten habe, mit dem Recht, aus ihr beliebige Auszüge zu machen. Was einen Originalbeitrag für Ihre Revue betrifft, so werde ich denselben liefern, sobald ich Gelegenheit dazu finde.

In Rußland verteidigt man die ungeheuern Rüstungen mit dem Hinblick auf den Dreibund und besonders auf Deutschland: so spricht jeder von seinen nur Defensivabsichten und mutet dem Nachbar die drohendsten Pläne zu. Gewiß ein trauriges Zeichen der Zeit!

Diesem gegenüber sind alle Friedensfreunde berufen, soviel wie möglich auf die öffentliche Meinung und durch sie auf die Regierungen einzuwirken, und gewiß gehört den Frauen bei diesem edlen Streben die erste Rolle: denn sie können am meisten auf die Erziehung und die Sitten Einfluß nehmen.

Ich bitte Sie, hochgeehrte Frau u.s.w.

Graf L. Kamarowsky.

7

Abkürzung für Dunelmanis, der lateinische Name für Durham. Es ist gebräuchlich, daß die englischen Bischöfe mit dem lateinischen Namen ihrer Diözese unterzeichnen.

Quelle:
Bertha von Suttner: Memoiren, Stuttgart und Leipzig 1909, S. 256-260.
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