Eine Anekdote aus dem Olymp

[59] am 1ten Januar, im Jahre 1784


Das dreimal Drei der Musenschar,

die heilge Vier der schönen Horen,

die Grazien im goldnen Haar,

und Bacchus und Apoll, mit Amorn und mit Floren,

frühstückten sämtlich bei Auroren

am ersten Tag im Januar.


Merkur, der nicht erwartet war,

kam aus des Luftmeers dünnen Wogen

à la Montgolfier geflogen,

und, »Friede«, sprach er, »sei mit Euch!

Euch Göttervolk im Himmelreich,[59]

zu nichts als ewger Lust erzogen,

sind freilich alle Tage gleich.

Allein, dort unten auf der Erden

ist heut der erste Januar;

der pflegt daselbst gar sonderbar

von Groß und Klein chommiert zu werden,

denn heute gilt's fürs ganze Jahr.

Die Leute die was zu geben haben

beschenken einander mit kleinen Gaben;

doch, wer nicht schwer am Seckel trägt,

und lieber ihn sich füllen ließe,

schleicht tiefgebückt heran und legt

in Demut – Wünsche vor die Füße.


Ihr, denen's an Gaben nicht gebricht,

Wohlan, ihr lieblichen Göttinnen,

erinnert euch die schöne Pflicht

der Dankbarkeit und Liebe nicht,

auf Gaben für eine Fürstin zu sinnen

die, eure Freundschaft zu gewinnen,

euch stets die schönsten Kränze flicht?

die Erste eurer Priesterinnen!«


Die Damen in Aurorens Saal,

indem sie ihren Nektar schlürfen

beschäftigt, denk ich, mit Entwürfen

von Putz zum nächsten Götter-Bal,

entschuldigen sich allzumal.

»Was könnt Olympia bedürfen?

Hat Mutter Natur von Kindheit an

nicht alles schon für Sie getan?

ihr Bestes nicht an Ihr verspendet?

Hat nicht Ihr eigner Genius

die Arbeit der Natur vollendet?

Und macht was mancher Mann auf us

wohl unbegriffen lassen muß

nicht täglich noch Ihr Fleiß sich eigen?

Jedoch, zu allem Überfluß,[60]

und bloß den guten Willen zu zeigen,

da, lieber Herr Merkurius,

pack er, was wir von unsern Dingen

in aller Eil zusammenbringen,

hübsch sauber auf, dann flieg er frisch

und leg's der Fürstin auf den Tisch.

Nur sei er honett, Herr Seelenzwinger,

und mach er keine krumme Finger!«


Jetzt ging's, mit einer Schwärmerei

die man von ihnen nur vor zwei

Minuten nicht vermutet hätte,

an ein Begaben in die Wette.


Die Pieriden, als ihrer Neun,

wollen, wie billig, die ersten sein.

Man mußte nach ihrem Gewimmel denken

sie hätten gewaltig viel zu schenken.

Doch, da sie ihren ganzen Kram

durchsucht, bestunden sie mit Scham.

Sie selber hatten schon vor Jahren

der Fürstin in die sie vergeistert waren

mit allem was der Musensitz

hervorbringt an Geschmack und Witz,

(ohn auf die Zukunft was zu sparen)

mit jedem Talent und jedem Trieb

der es entwickelt, so reich versehen,

daß nun den guten alten Feen

nichts mehr zu geben übrig blieb.


Apoll, auf den sie um Beistand sahn,

nahm ihrer sich aus Mitleid an.

»Ich selber wüßte, bei meinem Leben!«

sprach er, »Olympien nichts zu geben

das Sie nicht besser hätt – Allein,

betreffend die Herrn und Fräulein fein,

die Ihr als Commensalen dienen,

(doch nichts für ungut!) bei manchen von ihnen[61]

mag dies der Fall nicht immer sein.

Drum dächt ich wir schickten insgemein

zur Notdurft der Dipnosophisten,

die unsre Fürstin in Ihrer Pfalz

bei Tafel zu amusieren gelüsten,

Ihr einen Zentner – Attisch Salz.«


»Der Einfall hat sich traun! gewaschen«,

fällt Bacchus, der Freudengeber, ein:

»ich selber lege dreihundert Flaschen

dazu, von meinem besten Wein;

die Herren werden im Einfall-Haschen

dabei nur desto prompter sein.

Was auch die Kammerherren sagen,

der Wein gibt Witz und stärkt den Magen.«


Jetzt traf die Grazien die Reih:

Die fanden, ohne sich lang im Busen

zu krabbeln, daß der Fall der Musen

just auch ihr eigner casus sei.

»Was wir nicht selbst an Sie verschwendet,

das«, sagten sie, »hat Sie uns, so fein

daß man Ihr's gern verzeiht, entwendet:

Wir könnten leicht genötigt sein

am Ende gar heut oder morgen,

anstatt zu geben, bei Ihr zu borgen.«


»Auf diesen Fall«, fällt Amor ein,

»ist euch kein bessrer Rat zu geben

als Tag und Nacht Sie zu umschweben,

und, ohne zu merkliches Bestreben,

die Pfade von Ihrem schönen Leben

mit euern Rosen, als sproßten sie eben

von selbst hervor, zu überstreun.«


Die Rede gefiel den Dirnen wohl,

und man beschloß, ein Körbchen voll

sogleich Merkuren mit zugeben.[62]

»Noch eins«, sprach Phöbus, »fällt mir bei;

sag Ihren Leib- und Mund-Poeten,

wir hätten uns die Kuppelei

von Musen und Busen (als gar zu neu)

für ein und allemal verbeten.«


»Ich«, sprach jetzt Flora, »habe mir,

Olympien meine Dienstbegier

zu zeigen, Ihren Hain erwählt,

wo freilich dies und das noch fehlt.

Maßregeln hab ich schon genommen,

laßt mir nur erst den Frühling kommen!«


Die Hören stimmten im Chorus ein

und alle Göttinnen und Götter

gelobten Ihr, nebst schönem Wetter

und ewgem kühlen Sonnenschein,

zu dichten, zu würken und zu wachen

um Ihren auserwählten Hain

zu einem Paradies zu machen.


»Was mich betrifft, so hab ich zwar«,

sprach jetzt der Liebesgott, »fürwahr,

mich wenig Ihrer Gunst zu rühmen.

Denn ich verschoß an Ihrem Stolz

vergebens manchen schönen Bolz.

Dagegen ist mein Bruder Hymen

für große unverdiente Huld

um desto mehr in Ihrer Schuld.

Doch, brotzen würde mir übel ziemen.

Gern halt ich Ihren Schlägen still,

und, wenn Sie meines Diensts nicht will,

so ist mir's doch schon viel Genuß

daß Sie Sich lieben lassen muß.

(Das kann der Herr ins Ohr Ihr sagen.)«


Mit allem was man ihm aufgetragen

bepackt, war Herr Merkurius[63]

in seinen Aërostatischen Wagen

zu steigen eben im Begriff:

als, keuchend, mit einem großen Ranzen

voll teutscher Zitronen und Pomeranzen,

Pomona in den Weg ihm lief.

»Ein einzig Wort, Herr Vetter«, rief

die gute Frau: »bring er, ich bitt,

der Fürstin diese Früchte mit;

Sie sind von meiner eignen Zucht,

sind gut (halb Teutschland hat's versucht)

und gehn, so helf mir Sankt Walpurg!

von London bis nach Petersburg:

sind, ohne Ruhmred, extrafein,

gesund und wohlfeil oben drein;

zwölf Körbchen (trotz dem leidigen Schweitzer!)

vier Gulden nur und dreißig Kreuzer!«


Merkur nimmt ihr die Körbchen ab,

und sinkt zum Erdenball hinab.

Und hier ist auch mein Märchen gar,

Im übrigen, Prost das neue Jahr!

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 4, München 1964 ff., S. 59-64.
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